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(3)
Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn; er besass nur diesen einzigen Sohn. Als dieser geboren wurde, übergab er ihn der Amme und brachte beide in einem kuppelförmigen Glasbaue unter, damit der Knabe weder eine Frau noch einen Mann zu sehen bekäme, sondern mit der Amme allein sei. Sobald der Knabe Speisen zu sich nehmen konnte, gab man ihm Fleisch ohne Knochen und Brot ohne Rinde; man gab ihm bloss die Krume und bloss die saftigen Stücke vom Fleische.
Eines Tages hatte dies die Dienerin, deren Geschäft das war, vergessen und brachte ihm Fleisch mit Knochen und Brot mit Rinde. Er sah dies und fragte: »Was ist das?« Die Dienerin entgegnete ihm: »Das Brot ist nur nahrhaft mit seiner Rinde, und das Fleisch nur mit den Knochen, wenn man das Knochenmark trinken kann.« Als er gespeist hatte, da begann er das Mark herauszuklopfen; dabei schlug er an die Glaskuppel und zerbrach eine Glasscheibe von derselben. Er sah auf die Strasse hinunter, sah Leute hin- und hergehen und einen Basar und einen Ausrufer. Er rief die Dienerin herbei und fragte sie: »Was sind das für Wesen?« Jene entgegnete: »Mein Herr, das sind Menschen wie wir.« Er sprach: »Ich dachte, ich wäre ganz allein auf der Welt, und es gäbe sonst keine Menschen.« Jene erwiderte: »Nein, mein Herr, es giebt noch mehr!« Er sprach zu ihr: »Verlass mich jetzt!« Als sie ihm am folgenden Tage das Mittagessen brachte, da wollte er es nicht essen; ebensowenig das Abendbrot. Er bestieg sein Bett und legte sich hin. Da begab sich die Dienerin zu seiner Mutter und berichtete ihr alles. Seine Mutter kam zu ihm und sprach: »Mein Sohn, was ist mit dir, es fehlt dir doch nichts Schlimmes? Wir wollen dir die Ärzte rufen lassen!« Er entgegnete ihr: »Nein, ich will die Ärzte nicht, rufe mir zunächst meinen Vater!«
Sein Vater kam und sprach zu ihm: »Mein Herr, wenn du krank bist, so sage es mir ja!« Er entgegnete seinem Vater: »Sage du mir zuerst, ob ich eine Frau oder ein Mann bin!« Sein Vater sprach: »Was soll diese Rede bedeuten, mein Sohn?« Dieser entgegnete: »Die Menschen gehen hier auf der Strasse hin und her, und ich sitze hier eingesperrt!« Sein Vater sagte: »Mein Sohn, ich habe Angst, dass irgend jemand dir etwas anthun könnte, oder dass du irgend jemandem ein Leid anthun könntest!« Der Prinz entgegnete: »Ich will spazieren gehen wie alle Leute; warum sollte mir jemand etwas anthun? Ich will ausgehen und umhergehen wie meine Altersgenossen.« Sein Vater entgegnete ihm: »Nun gut, so geh aus!« Der Prinz ging aus; das geschah an zwei Tagen; am dritten Tage führte ihn das Schicksal an einen Pferdestall. Er betrat den Stall; die Reitknechte hewillkommten ihn und küssten ihm die Hand. Er befahl ihnen: »Bringt mir jenes Ross dort und sattelt es!« Dann bestieg er es und ritt spazieren. Ein Reitknecht ritt mit ihm aus. Den ersten und den zweiten Tag ritt der mit ihm aus; am dritten Tage aber sprach der Prinz: »Es soll niemand mit mir ausreiten, ich will allein sein!« So ritt nun der Prinz den ersten und den zweiten Tag allein aus; dabei stiess er die Leute an und rief nicht: »Achtung!« Einem Manne verursachte er ein gebrochenes Glied und ein altes Weib überritt er. Die Stadt ward dies von ihm überdrüssig, und es begann zu heissen: »Ja, der Prinz ruft nicht Achtung, er beschädigt die Bürger!«
Eines Tages sass nun auch eine Anzahl Leute da und unterhielt sich über ihn, da kam die Alte, die er überritten hatte, heran. Sie trat an diese Leute heran und sprach zu ihnen: »Ihr redet über den Prinzen! Ich werde zu seinem Vater gehen und euch verklagen; der lässt euch dann den Kopf abschneiden!« Jene Leute erwiderten: »Wir reden durchaus nicht über ihn!« Sie entgegnete: »So? Ich habe es ja gehört!« Sie sagte weiter zu ihnen: »Nun, werdet nur mit mir handelseinig, dann verursache ich, dass er eure Stadt verlässt!« Man kam mit ihr über zehntausend Piaster überein. Sie sagte: »Bringt mir jetzt das Geld!« Man schaffte es ihr, und sie brachte es nach Hause und verschloss es in einem Kasten. Dann sprach sie zu jenen: »Seid guten Mutes! Ihr wisst eben nur das: ich werde bewirken, dass der Prinz die Stadt verlässt!«
Am folgenden Morgen stand die Alte auf und wanderte genau mitten in den Weg, auf dem der Prinz herzukommen pflegte, und kauerte hin. Der Prinz kam und begann zu rufen: »Achtung, alte Mutter, Achtung, altes Weib!« Sie aber blieb mit Willen ihm gerade im Wege sitzen. Da stiess das Pferd sie an. Sie rief: »Was für ein Ungestüm ist in dir, Prinz! Du hast wohl die Sineddur heimgeholt, über sieben Meere auf Geierrücken?« Als sie ihm diese Worte gesagt, da kehrte er um. Er legte sich zu Bette. Man brachte ihm das Mittagsbrot, er ass es aber nicht; man brachte ihm das Abendbrot, er ass es auch nicht. Die Dienerin begab sich zu ihrer Herrin und sagte: »Herrin, der junge Herr hat nun schon seit drei Tagen keine Speise zu sich genommen!« Seine Mutter kam zu ihm und fragte: »Mein Herr, dir ist doch nichts Schlimmes geschehen, dir fehlt doch nichts?« Er entgegnete: »Mutter, ich möchte, dass alle alten Frauen hier in der Stadt zu mir kämen!« Seine Mutter entgegnete: »Gott befohlen!«
Die alten Weiber kamen nun und traten zusammen ein, allemal drei oder vier zusammen in einer Reihe. So zogen sie vor ihm vorüber. Jeder einzelnen, in der er nicht die gewünschte erkannte, gab er ein Geschenk für den gehabten Schrecken. Schliesslich hatte er alle gesehen ausser der Alten, welche ihm jene Worte von der Sineddur gesagt hatte. Die war nicht erschienen. Er sprach: »Die Alte, die ich brauche, ist nicht hier, sie ist nicht erschienen.« Man erwiderte ihm: »Herr, da ist noch eine altersschwache Frau übrig, der müssen wir eine Kutsche oder einen leichteren Wagen schicken.« Er sandte ihr einen leichten Wagen, und man brachte sie her. Man führte sie in den Palast hinauf. Sie liess sich neben ihm nieder, und man setzte ihr das Frühstück vor. Als die Alte gefrühstückt hatte, zog der Prinz sein Schwert und rief: »Beim allmächtigen Gotte, wenn du mir jetzt nicht die Wahrheit redest und mir nicht die Bedeutung der Worte sagst, die du mir gesagt hast, schlage ich dir den Kopf herunter!« Sie entgegnete ihm: »Mein Herr, da giebt es ein fremdes Land, ein Land voll von Menschenfressern und Schrecknissen; das ist das Land, in welchem Sineddur wohnt; es liegt hinter sieben Meeren, auf Geierrücken zu überfliegen.« »Mein Sohn,« fuhr die Alte fort, »jene Sineddur ist eine Geisterprinzessin.« Der Prinz gab der Alten hierauf eine Summe Geld, das man zum Leben auf dieser Welt so nötig braucht, und jene ging nach Hause. Er aber wandte sich an seine Mutter und sprach: »Ich muss verreisen!« Sie entgegnete ihm: »Wohin willst du ziehen? Wer dir jene Worte von der Sineddur gesagt hat, der hat Böses gegen dich geplant!« Er aber sprach: »Ich muss verreisen!« Sie versetzte: »Wir müssen erst deinen Vater befragen!«
Seine Mutter begab sich zu seinem Vater und sprach zu ihm: »Sieh, dein Sohn will verreisen!« Sein Vater kam und sagte zu ihm: »Verreise nicht; ich habe ja nur dich, du lässt mich dann ganz allein!« Der Prinz erwiderte: »Ich muss fort!« Sein Vater sprach: »Dann geh wenigstens nicht allein; ich will jemand mit dir reisen lassen!« Er entgegnete: »Gut, mein Vater!« Letzterer sprach weiter: »Ich werde deinen Vetter, den Sohn des Wesirs, mit dir schicken.« Der König sandte zum Wesir und liess ihm sagen: »Dein Sohn muss sich reisefertig machen, er soll mit meinem Sohne verreisen!« Der Wesir entgegnete: »Ich gehorche.« Er begab sich zu seinem Sohne und sprach zu ihm: »Mein Sohn, du sollst also mit dem Prinzen verreisen! Sei höflich und zeige keinen Hochmut, erachte dich für seinen Diener, und gebt gegenseitig hübsch Achtung aufeinander!« Der Sohn entgegnete: »Gott befohlen, Vater!« Der Wesir begab sich nun zum Sultan und sprach zu ihm: »Mein Sohn ist reisefertig; hat sich dein Sohn auch reisefertig gemacht?« Man brachte nun dem Prinzen sein Ross, er legte seine Rüstung an, bestieg sein Ross, nahm seinen Reisesack mit der Reisekost und füllte seine Taschen mit Goldstücken. Man brachte dem Wesirsohn dasselbe; er nahm auch einen Reisesack und eine Summe Geld mit. Dann reisten sie ab und zogen in die offne Gegend und ins freie Land, und der Herr der Führung leitete alles so, wie er bestimmt und beschlossen.
So hatten sie eine Strecke von zehn oder zwölf Tagen zurückgelegt; da kamen sie an einen Scheideweg. Daselbst befand sich ein Stein mit einer Inschrift. Die Inschrift besagte: »Der du rechts gehst, wirst Gewinn haben; der du links ziehst, wirst Verlust erleiden!« Der Prinz wandte sich an den Wesirsohn und sprach zu ihm: »Lass uns hier absteigen!« Sie stiegen ab, assen und tranken. Muhammed der Wesirsohn sprach jetzt zum Prinzen Ali: »Bruder, ich muss mich hier offenbar von dir trennen!« Der Prinz entgegnete: »Bruder, wir sind doch zusammen ausgezogen, da wollen wir auch zusammen heimkehren!« Jener aber entgegnete: »Nein, wenn wir uns trennen, wird es besser für uns sein!« Der Prinz fragte: »Wer soll denn nach rechts, und wer nach links reiten?« Jener entgegnete: »Wir wollen das Loos ziehen!« Der Prinz sprach: »Gut, entscheiden wir durch dasselbe!« Das Loos bestimmte rechts für Prinz Ali und links für Muhammed, den Sohn des Wesirs. So zogen sie weiter, einer nach rechts und einer nach links.
Muhammed, der Sohn des Wesirs, zog also nach links. Er reiste zehn oder fünfzehn Tage, da zeigte sich vor ihm eine Stadt; Er betrat diese Stadt, stellte sein Pferd in den Khan und mietete für sich ein Zimmer in der Herberge. Er fand, dass die Bürger sehr lustige Gesellen waren; jetzt hiess es bei ihm: nimm nur immer und thu nichts wieder hinzu, dann fällt schliesslich das Gebirge ein! Da ging ihm denn das Geld gründlich aus. Er verkaufte das Pferd, den Sattel und die Waffen; alles verkaufte er. Er verkaufte auch seinen Anzug und hatte schliesslich nur noch einen Schurz um. So war er nun ohne Kleider, der Arme; eine Nacht hatte er etwas zu essen, die andere Nacht bekam er nichts. Eines Tages gelangte er vor den Laden eines Ringelbäckers und setzte sich hin. Die Leute kauften Ringel; er aber sass da und hungerte. Der Ringelbäcker sprach zu sich: »Was ist’s mit jenem Menschen? Die Leute gehen und kommen, er aber sitzt dort beständig an ein und derselben Stelle!« Der Ringelbäcker wandte sich an Muhammed und fragte ihn: »Was ist’s mit dir, mein Sohn?« Er entgegnete: »Ich bin hier fremd!« Der Bäcker sprach: »Willst du arbeiten, wenn dir jemand Arbeit giebt?« Muhammed entgegnete: »Wer Gutes thun will, braucht nicht erst zu fragen!« Da stellte ihn jener in seinem Laden an, um das Feuer zu unterhalten und den Laden zu fegen; dafür gab man ihm Abendbrot und Frühstück.
Die Erzählung möge sich wieder zu Prinz Ali wenden. Er war also nach rechts gereist und war zehn oder fünfzehn Tage schon durch die Gegend gezogen; da erblickte er einen Mann, der hatte vor sich ein totes Kameel liegen und nagte an dem Fleische des toten Tieres herum, an dem rohen Fleische. Prinz Ali trat auf ihn zu und sagte ihm dreimal seinen Gruss. Jener entgegnete: »Hätte ich nicht deinen Gruss eher gehört, als ich dich sah, so hätten die Berge das Knirschen deiner Knochen vernommen!« Ali stieg vom Pferde ab und band es an einen Baum, dann sprach er zu jenem: »Weswegen Vater?« Jener entgegnete: »Des Hungers und Durstes wegen!« Prinz Ali sprach: »Warte!« Er nahm sein Dolchmesser und zog das tote Kameel ab, zündete ein Feuer an, zerlegte und briet das Fleisch und gab es dem Riesen zu essen, der schliesslich satt wurde. Dann nahm er sein Schermesser und schor jenem den Kopf, schnitt ihm das zottige Haar ab, verschnitt ihm die Nägel und wusch ihm seine Kleider, damit jener ihm einen Rat erteilen möchte. Der fragte ihn nun: »Wohin gehst du, Ali?« Er erwiderte: »Ich will zur Sineddur, über sieben Meere, auf Geierrücken!« Jener entgegnete ihm: »Wer dir diese Worte gesagt hat, der hat Böses gegen dich beabsichtigt und dich ins Verderben gebracht!« Ali erwiderte: »Ich muss mein Glück versuchen, und was Gott mit mir thut, das ist gut!« Jener sprach darauf: »Ich will dir raten. Zieh weiter: dann wirst du zu meiner Schwester gelangen, die ist um eine Nacht älter als ich und hat mehr Verstand als ich! Die wirst du in einem Zelte wohnen sehen. Wenn du sie mahlen siehst, während schwarze Hühner um sie laufen, dann geh nicht zu ihr heran, sondern verbirg dich! Siehst du sie aber mahlen, während weisse Hühner um sie herumlaufen, dann tritt an sie heran und erfasse ihre rechte Brust, sauge an derselben und sprich: ›Ich komme als dein Sohn!‹« Jener Menschenfresser gab ihm ferner sieben Haare aus seinem Barte und sprach zu ihm: »Wenn du in eine schlimme Lage kommen solltest, so räuchere mit einem solchen Haare!«
Prinz Ali reiste weiter und gelangte schliesslich zur Schwester des Menschenfressers; er sah sie mahlen, während weisse Hühner um sie umherliefen. Er sprach zu sich: »Ali, Gott hat dich recht geleitet!« Er begann sich heranzuschleichen und stürzte sich schliesslich auf ihre Brust, hielt sie fest und saugte an ihr. Sie blickte hin und sprach: »Was ist’s mit dir?« Ali entgegnete: »Ich bin als dein Sohn gekommen!« Sie fragte: »Mein Bruder hat dir dies mitgeteilt?« Ali entgegnete: »Jawohl.« Sie sprach zu ihm: »Gottes Schutz sei mit dir!« Sie bewirtete ihn nun drei Tage; nach drei Tagen sprach sie: »Ich werde dir einen Gefallen thun und werde dich über jene Gegend hier vor dir hinwegbringen; in derselben hausen sieben Menschenfresser, die erkennen weder Gott noch die Menschen an; wer ihnen in den Weg kommt, den fressen sie auf!« Jene nahm nun Ali mit sich und brachte ihn sicher durch die Gegend, in der die Menschenfresser hausten. Als sie ihn durch diese Gegend gebracht hatte, sprach sie zu ihm: »Nun, mein Sohn, mir und dir sei Gott gnädig!«
Ali wanderte weiter, und schliesslich zeigte sich vor ihm eine Stadt. Er begab sich in diese Stadt; er bemerkte, dass die Mauer dieser Stadt mit Menschenköpfen besetzt war. Er ging in die Stadt hinein, stellte sein Pferd in den Khan und wanderte dann in der Stadt umher. Da kam ihm ein Mann entgegen, den fragte er: »Was bedeuten diese Köpfe auf der Mauer?« Der Mann entgegnete: »Wenn du mich über den Weg nach den Basaren befragst, so musst du hier weitergehen!« Ali begab sich dann zu einem Krämer und fragte denselben: »Was ist’s mit den Köpfen, die ringsum an der Mauer aufgehängt sind?« Jener entgegnete: »Das Brötchen kostet eine Karrube und die Unze zwei; ferner kann ich schöne Oliven und gutes Salzeingemachtes empfehlen, sowie duftige Apfelsinen.« Ali sagte weiter nichts über jene Köpfe; er dachte bei sich: »Es ist gewiss verboten, über die Köpfe zu sprechen.« Dann ging er weiter und sah einen alten Mann, der war ein Flickschuster. Dem folgte er bis an seine Wohnung. Da sah sich der Greis um und fragte: »Warum gehst du mir nach?« Er entgegnete: »Ich bin fremd und habe niemanden hier in der Stadt.« Der Alte erwiderte: »Komm mit herein, mein Söhnchen, ich wohne mit meiner alten Gemahlin ganz allein im Hause!« Der Alte nahm ihn mit ins Haus und liess ihn bei sich wohnen; er sprach zu seiner Frau: »Wir haben einen Glast bekommen; geh du und sieh zu, wo du uns etwas Geld borgen kannst, damit wir dem Gaste Abendbrot vorsetzen!« Ali hörte, was jene sprachen und sagte: »Was ist mit dir, mein Vater? Wenn du kein Geld hast, so kann ich dir welches geben!« Er griff in die Tasche und übergab ihm einen Beutel mit fünfhundert Goldstücken. Der Greis sah Ali an und sprach: »Die Bewirtung soll dem Gaste Kosten verursachen?« Ali entgegnete: »Das ist gleichgültig! Du seist mein Vater, und ich sei dein Sohn! Du hast kein Geld, du bist unbemittelt und einer, der sich ordentlich abplagen muss.« Der Greis nahm das Geld an und ging einkaufen; er kaufte für das Abendessen ein und bereitete Ali eine Tafel, die mit allem Möglichen besetzt war; da gab es Fleisch, Paradiesäpfel, Fleischbrühe und Kuskus, ferner gefüllte Pfefferschoten; kurz, alles vom salzigen ersten bis zum süssen letzten Gerichte. Man ass zu Abend, lobte und pries Gott und ruhte jene Nacht wohl und gesund. – Ali war bei jenem nun schon drei Tage zu Gast; jeden Tag gab er ihm einen Beutel mit fünfhundert Goldstücken.
Die dritte Nacht fragte ihn der Greis: »Was suchst du hier in der Stadt, mein Sohn?« Ali entgegnete: »Ich möchte dich wegen der Stadtmauer befragen, – weshalb sie nämlich mit Menschenköpfen geschmückt ist.« Da entgegnete ihm der Alte: »Jetzt hast du bei mir Wasser und Salz genossen, und nun muss ich dich aus meiner Wohnung fortjagen! Aber deine Wohlthat ist nun einmal schon in meinen Magen hinab gelangt!« Hiermit wandte er sich an seine alte Gemahlin und sprach zu ihr: »Dieser Mensch ist so gut wie einer von unsrer Familie!« Die Alte entgegnete: »Ich will es ihm jetzt erzählen.« Ali sprach: »Ja, erzähle mir Alles, Mutter!« Sie begann: »Richtig, der Sultan hat eine Tochter. Wer nun kommt und bei ihm um sie wirbt, dem stellt er sieben1 Bedingungen; ferner lässt er Weizen, Gerste, Bohnen, Kichererbsen und Wicken untereinander mischen und erklärt jenem: ›Wenn ich morgen früh komme und nicht alles auseinandergelesen finde, so lasse ich dir den Kopf abschneiden!‹« Ali erwiderte hierauf: »Morgen begebe ich mich zum Sultan und werbe um seine Tochter!« Da begann die Alte zu weinen und sprach: »Mein Söhnchen, bei Gott, warum willst du deinen Tod verursachen?« Er entgegnete: »Was gehe ich dich weiter an? Morgen will ich zum Sultan!«
Er begab sich am folgenden Tage zum Sultan. Der Sultan wandte sich an den Wesir mit den Worten: »Was will jener da?« Der Wesir entgegnete: »Lass ihn seine Klage vorbringen; denn das wird er wollen!« Ali trat auf den Sultan zu und begann: »Ich komme als ein Werbender und begehre deine Tochter!« Der Wesir blickte Prinz Ali an und sprach zu ihm: »Mein Sohn, lass diese Rede fallen! Du thust mir leid; ich fürchte, du möchtest sterben müssen, und du bist doch noch schön und jung!« Ali entgegnete: »Fürchte nichts für mich! Mit Gottes gnädigem Willen werde ich schon die Sache erreichen!« Der Wesir fragte: »Kennst du auch ihre Bedingung und nimmst du dieselbe an?« Ali entgegnete: »Ich nehme sie an!« Da blickte der Sultan den Wesir an und sprach zu ihm: »Führe ihn durch den Palast und bringe ihn nach dem bewussten Zimmer und mische Weizen, Gerste, Bohnen, Kichererbsen und Wicken für ihn unter einander!« Man brachte Ali in jenes Haus und schloss ihn ein. Jetzt dachte er bei sich nach und sprach: »Da bin ich in eine sehr schlimme Lage geraten! Was soll ich beginnen? Morgen werde ich sterben müssen!« Er dachte gar nicht an die Haare, die ihm der Menschenfresser gegeben hatte. Dann kam ihm dies in den Sinn, er erinnerte sich wieder derselben und sprach bei sich: »Der Menschenfresser gab mir doch einst sieben Haare und sprach zu mir: ›Wenn du einmal in eine schlimme Lage kommst, so räuchere ein Haar!‹ Ali zog nun ein Haar von jenen Haaren hervor und verbrannte es.« Sogleich erschien der Menschenfresser in eigener Person und rief: »Was bedarfst du, mein Herr?« Ali entgegnete: »Du siehst ja meine Lage!« Jener sprach: »Nimm noch ein Haar hervor und verbrenne es!« Ali verbrannte demgemäss das Haar, da begann das Zimmer von Ameisen zu wimmeln. Der Menschenfresser befahl denselben: »Leset dies Gemenge, jede Art für sich!« In zwei Stunden hatten die Ameisen alles gelesen. Da fragte ihn der Menschenfresser: »Mein Herr, bist du jetzt zufrieden? Ja, das Mädchen wird man dir jetzt geben, du wirst sie heiraten! Wenn du aber wieder einmal in eine schlimme Lage kommst, so räuchere mir wieder!«
Man öffnete die Thür am folgenden Morgen, und der Sultan trat mit dem Wesir und dem Gefolge ein. Sie traten ein und fanden die verschiedenen Körner richtig auseinander gelesen! Der Sultan wandte sich an den Wesir und sprach zu ihm: »Was ist das? Wer hat ihm das gelesen?« Der Wesir entgegnete: »Mein Herr, du hast viele Menschen wegen deiner Tochter töten lassen; diesem aber hat der Herr Glück geschenkt; da du ihm nun dein Versprechen gegeben hast, und er jene Bedingungen angenommen (und nun erfüllt) hat, so musst du sie ihm geben; es gehört ja auch zur Frau der Mann, und zum Manne die Frau!« Der Sultan entgegnete: »Ja, bei Gott!« Dann bereitete man die Hochzeit für Ali und rief in der Stadt aus: »Heute Nacht findet die Hochzeitsfeier (der Prinzessin) statt!« Ali heiratete die Prinzessin; sie bewillkommte ihn und er sie, und er brachte bei ihr die ganze Nacht zu. Doch nachdem die Hochzeit vorüber war, sprach er bei sich: »Ich bin wegen der Sineddur ausgezogen; dies ist sie aber nicht!« Er ward unzufrieden mit sich. Seine Gemahlin sah ihn an und sprach zu ihm: »Was ist mit dir, mein Herr, doch nichts Schlimmes?« Er entgegnete: »Ich zog aus, um einen Auftrag meines Vaters zu erfüllen.« Seine Frau entgegnete: »Worin besteht der Auftrag deines Vaters?« Ali sprach: »Mein Vater trug mir auf, Sineddur zu bringen.« Jene begann wieder: »Gieb mir zunächst dein Wort, dass du wieder zu mir kommen willst, wenn du die Rückreise antrittst!« Ali versprach dies seiner Gemahlin. Es erwiderte dieselbe: »Da will ich dir einen Hat geben! Begieb dich also zum Hirten meines Vaters, zum Kuhhirten. Bei dem wirst du einen schwarzen Stier finden; treib denselben an das Seeufer, schlachte ihn, zieh ihm das Fell ab und schneide aus der Fleischmasse vierzehn Stück Fleisch heraus; verstecke dieselben in einiger Entfernung und verbirg dich selbst, zeige dein Gesicht nicht! Nun werden Geier kommen und schreien: ›Der du dies gethan hast, wir wollen dich reich machen!‹ Schweig und sprich nicht, bis jene gefressen haben und satt geworden sind! Dann werden sie schreien: ›Der du dies gethan hast, Gottes Schutz sei über dir!‹ Alsdann antworte ihnen!«
Prinz Ali begab sich nun zum Hirten, nahm den schwarzen Stier, schlachtete ihn, zog ihm das Fell ab, schnitt aus der Fleischmasse vierzehn Stücke Fleisch heraus und versteckte dieselben und verbarg sich selbst. Dann kamen die Geier und begannen zu schreien: »Der du dies gethan hast, wir wollen dich reich machen, dich beschenken und kleiden!« Er aber verhielt sich still, bis jene gefressen hatten und satt waren. Da schrieen sie wieder: »Der du dies gethan, Gottes Schutz sei über dir!« Ali verliess nun sein Versteck. Jene Geier sahen ihn und sprachen zu ihm: »Verlange, was du begehrst!« Ali entgegnete: »Ich möchte zu Sineddur ziehen, über sieben Meere, auf Geierrücken!« Jene fragten sich gegenseitig: »Kennst du dies Land?« Die allgemeine Antwort hiess: »Ich kenne es nicht!« Einer blickte auf und sprach: »Wir haben noch einen altersschwachen, bejahrten Geier in seinem Neste, der nicht mehr fliegen kann; zu dem müssen zwei hinfliegen und ihn herbringen.« Als jene ihn herbeigeschleppt, da fragte man ihn: »Kennst du das Land der Sineddur über sieben Meeren, auf Geierrücken?« Der alte Geier erwiderte: »Ich kenne es und habe genugsam in ihren Gärten gehaust und auf ihrem Schlosse genistet!«
Man sprach nun: »Wir wollen eine Fatiha lesen, dann wird er wieder jung wie wir!« Man las eine Fatiha; Gott erhörte ihren Wunsch und machte den alten Geier jung wie die übrigen. Nun forderten ihn die übrigen Geier auf: »Wohlan, lass Prinz Ali auf deinen Rücken steigen und bringe ihn (nach jenem Lande), damit er sein Vorhaben ausführe; alsdann bring ihn wieder zurück!« Der Geier entgegnete: »Gott befohlen!« Er liess Ali aufsteigen und sagte zu ihm: »Nimm das Futter für mich in die Hand!« Ali rief: »Fertig!« –, und jener flog mit ihm hinauf in den Äther; er flog mit ihm zum ersten Meere, da sprach er zu ihm: »Gieb mir jetzt mein Futter, sonst werfe ich dich ins Meer!« Ali gab ihm das erste Fleischstück von seinem Vorrate. Nun flog jener über das zweite Meer, da gab ihm Ali das zweite Fleischstück. Dann flog jener mit ihm über das dritte Meer, da gab er ihm das dritte Fleischstück, – und schliesslich, über dem siebenten Meere, gab er ihm das siebente Fleischstück. Hierauf setzte jener Ali ans Ufer hin und sagte zu ihm: »Dort ist der Garten und dort ist das Schloss; geh hin und führe dein Vorhaben aus! Ich werde dich hier erwarten.«
Ali verliess den Geier und schritt auf das Schloss zu; schliesslich gelangte er an das Schloss und fand das Schlossthor offen. Er trat ein und suchte und wanderte im Schloss umher. Da fand er einen Bettvorhang und ein Prachtbett. Er schlug den Bettvorhang zurück, guckte hinein und sah drinnen etwas Schwarzes, Er trat näher heran, schlug die Vorhänge ganz auseinander und hob jene schwarze Masse auf; da sah er, dass es das Haar von einem Mädchen war, und dies Haar war auch über ihr Gesicht gebreitet. Als er diesem Mädchen nun das Gesicht aufdeckte, sah er, dass ihr Gesicht wie ein Licht leuchtete, ob ihrer grossen Schönheit. Ali rief aus: »Gott! Lob sei Dir über dieses schöne Weib!« Er pries die Einheit des Schöpfers. Dann dachte er bei sich nach und sprach zu sich: »Eine Frau wie diese verlasse ich nicht so ohne weiteres! Doch es ist mir verwehrt, sie zu küssen, ohne einen Ehekontrakt zu besitzen.« Darauf zog er ein Tintenfass und ein Schreibrohr aus seiner Tasche und schrieb seinen Ehebund mit ihr mit eigner Hand. Dann stieg er zu ihr ins Bett und küsste sie. Als er sich sattgeküsst, legte er den Ehekontrakt neben ihr Haupt; sie aber schlief während aller dieser Vorgänge, denn ihre Gewohnheit war, drei Monate beständig zu schlafen und drei Monate beständig wach zu sein. Dann zog er seinen Fingerring ab und steckte ihn ihr an und den ihrigen steckte er sich an den Finger. Hierauf dachte er weiter bei sich nach und sprach zu sich: »Es ist nicht nötig, dass ich sie in Person bringe; jetzt habe ich das erreicht, was ich wollte; da genügt es, wenn ich jenen daheim ein Beweisstück bringen werde, etwa den Ring!«
Hierauf begab sich Ali wieder zu dem Geier, der ihn hierher gebracht hatte. Dem stieg er auf den Rücken. Jener flog mit ihm über das erste Meer, da sprach er zu ihm: »Gieb mir ein Stück Fleisch, mein Herr!« So hatte Ali dem Geier, als man über das sechste Meer gekommen war, sechs Fleischstücke gegeben. Hierauf wollte er ihm das siebente Fleischstück reichen, da entglitt ihm das und fiel ins Meer. Ali zog sofort das Dolchmesser, schnitt sich ein Stück Fleisch aus dem Oberarme, gab es dem Geier, und der frass es. Er sprach zu Ali: »Mein Herr, wie süss schmeckte doch gerade dieses letzte Stück Fleisch!« Schliesslich setzte der Geier den Prinzen wieder am Ufer nieder. Die anderen Geier kamen und begrüssten ihn; sie sprachen zu ihm: »Mein Herr, hast du dein Vorhaben ausgeführt?« Sie fragten ihn ferner: »Hat der Geier dich gut behandelt?« Ali entgegnete: »Er behandelte mich gut und brachte mich in Sicherheit hin und zurück.« Darauf sahen sie Ali’s Kleider an und bemerkten, dass dieselben mit Blut befleckt waren. Die Geier sprachen zu ihm: »Dir fehlt doch nichts, mein Sohn?« Er entgegnete: »Mir fehlt weiter nichts!« Jene aber sprachen: »Sage uns die Wahrheit!« Ali entgegnete: »Ich werde euch die Wahrheit sagen! Über dem siebenten Meere entglitt mir ein Stück Fleisch, da schnitt ich aus meinem Oberarm ein Stück heraus, gab es jenem, und er frass es.« Jetzt sahen die Geier einander an, und es hiess: »Du musst jetzt das Stück Menschenfleisch ausspeien, das du gefressen hast.« Der Geier spie dasselbe wieder aus; jene legten dasselbe auf die Stelle, wo es hingehörte, und strichen mit Speichel darüber hin und spuckten darauf, bis es wieder angeheilt war.
Hierauf begab sich Ali wieder zu seiner Frau; die begrüsste ihn und sprach: »Was hast du ausgerichtet, hast du dein Vorhaben erreicht?« Ali entgegnete: »Gott führt die Pläne zu glücklichem Ausgange!« Jene Nacht verbrachte Ali bei seiner Frau, am folgenden Morgen aber begab er sich in den Palast des Sultans. Der sprach zu ihm: »Diese lange Abwesenheit, mein Herr, bedeutete doch nichts Schlimmes?« Ali verlebte drei Tage mit dem Sultan zusammen. Dann sprach er: »Ich möchte nach meiner Heimat zurückkehren!« Der Sultan entgegnete: »Ich will dich nicht abhalten, in die Heimat zu ziehen, aber was willst du mit deiner Frau beginnen, willst du sie mitnehmen oder hierlassen?« Ali entgegnete: »Ich werde sie mitnehmen.« Ali begann nun seine Habe und seine Koffer zu packen, machte sich reisefertig, empfahl sich Gottes Schutz und reiste ab. Er war erst drei Meilen oder ein wenig mehr von der Stadt entfernt, da bereute es schon der Sultan, dass er seine Tochter hergegeben hatte. Er sprach: »Da kommt so ein Landstreicher zu mir, ein Stück von einem Stricke, den ein Fluss angeschwemmt hat; da kommt zu mir so ein Mensch, und dem muss ich meine Tochter geben, ohne zu wissen, ob sein Vater ein Tagelöhner oder ein Stockmeister ist!« Er wandte sich an den Wesir mit den Worten: »Du musst ihn einholen, ihn töten und mir meine Tochter zurückbringen!«
Eines Tages hatte dies die Dienerin, deren Geschäft das war, vergessen und brachte ihm Fleisch mit Knochen und Brot mit Rinde. Er sah dies und fragte: »Was ist das?« Die Dienerin entgegnete ihm: »Das Brot ist nur nahrhaft mit seiner Rinde, und das Fleisch nur mit den Knochen, wenn man das Knochenmark trinken kann.« Als er gespeist hatte, da begann er das Mark herauszuklopfen; dabei schlug er an die Glaskuppel und zerbrach eine Glasscheibe von derselben. Er sah auf die Strasse hinunter, sah Leute hin- und hergehen und einen Basar und einen Ausrufer. Er rief die Dienerin herbei und fragte sie: »Was sind das für Wesen?« Jene entgegnete: »Mein Herr, das sind Menschen wie wir.« Er sprach: »Ich dachte, ich wäre ganz allein auf der Welt, und es gäbe sonst keine Menschen.« Jene erwiderte: »Nein, mein Herr, es giebt noch mehr!« Er sprach zu ihr: »Verlass mich jetzt!« Als sie ihm am folgenden Tage das Mittagessen brachte, da wollte er es nicht essen; ebensowenig das Abendbrot. Er bestieg sein Bett und legte sich hin. Da begab sich die Dienerin zu seiner Mutter und berichtete ihr alles. Seine Mutter kam zu ihm und sprach: »Mein Sohn, was ist mit dir, es fehlt dir doch nichts Schlimmes? Wir wollen dir die Ärzte rufen lassen!« Er entgegnete ihr: »Nein, ich will die Ärzte nicht, rufe mir zunächst meinen Vater!«
Sein Vater kam und sprach zu ihm: »Mein Herr, wenn du krank bist, so sage es mir ja!« Er entgegnete seinem Vater: »Sage du mir zuerst, ob ich eine Frau oder ein Mann bin!« Sein Vater sprach: »Was soll diese Rede bedeuten, mein Sohn?« Dieser entgegnete: »Die Menschen gehen hier auf der Strasse hin und her, und ich sitze hier eingesperrt!« Sein Vater sagte: »Mein Sohn, ich habe Angst, dass irgend jemand dir etwas anthun könnte, oder dass du irgend jemandem ein Leid anthun könntest!« Der Prinz entgegnete: »Ich will spazieren gehen wie alle Leute; warum sollte mir jemand etwas anthun? Ich will ausgehen und umhergehen wie meine Altersgenossen.« Sein Vater entgegnete ihm: »Nun gut, so geh aus!« Der Prinz ging aus; das geschah an zwei Tagen; am dritten Tage führte ihn das Schicksal an einen Pferdestall. Er betrat den Stall; die Reitknechte hewillkommten ihn und küssten ihm die Hand. Er befahl ihnen: »Bringt mir jenes Ross dort und sattelt es!« Dann bestieg er es und ritt spazieren. Ein Reitknecht ritt mit ihm aus. Den ersten und den zweiten Tag ritt der mit ihm aus; am dritten Tage aber sprach der Prinz: »Es soll niemand mit mir ausreiten, ich will allein sein!« So ritt nun der Prinz den ersten und den zweiten Tag allein aus; dabei stiess er die Leute an und rief nicht: »Achtung!« Einem Manne verursachte er ein gebrochenes Glied und ein altes Weib überritt er. Die Stadt ward dies von ihm überdrüssig, und es begann zu heissen: »Ja, der Prinz ruft nicht Achtung, er beschädigt die Bürger!«
Eines Tages sass nun auch eine Anzahl Leute da und unterhielt sich über ihn, da kam die Alte, die er überritten hatte, heran. Sie trat an diese Leute heran und sprach zu ihnen: »Ihr redet über den Prinzen! Ich werde zu seinem Vater gehen und euch verklagen; der lässt euch dann den Kopf abschneiden!« Jene Leute erwiderten: »Wir reden durchaus nicht über ihn!« Sie entgegnete: »So? Ich habe es ja gehört!« Sie sagte weiter zu ihnen: »Nun, werdet nur mit mir handelseinig, dann verursache ich, dass er eure Stadt verlässt!« Man kam mit ihr über zehntausend Piaster überein. Sie sagte: »Bringt mir jetzt das Geld!« Man schaffte es ihr, und sie brachte es nach Hause und verschloss es in einem Kasten. Dann sprach sie zu jenen: »Seid guten Mutes! Ihr wisst eben nur das: ich werde bewirken, dass der Prinz die Stadt verlässt!«
Am folgenden Morgen stand die Alte auf und wanderte genau mitten in den Weg, auf dem der Prinz herzukommen pflegte, und kauerte hin. Der Prinz kam und begann zu rufen: »Achtung, alte Mutter, Achtung, altes Weib!« Sie aber blieb mit Willen ihm gerade im Wege sitzen. Da stiess das Pferd sie an. Sie rief: »Was für ein Ungestüm ist in dir, Prinz! Du hast wohl die Sineddur heimgeholt, über sieben Meere auf Geierrücken?« Als sie ihm diese Worte gesagt, da kehrte er um. Er legte sich zu Bette. Man brachte ihm das Mittagsbrot, er ass es aber nicht; man brachte ihm das Abendbrot, er ass es auch nicht. Die Dienerin begab sich zu ihrer Herrin und sagte: »Herrin, der junge Herr hat nun schon seit drei Tagen keine Speise zu sich genommen!« Seine Mutter kam zu ihm und fragte: »Mein Herr, dir ist doch nichts Schlimmes geschehen, dir fehlt doch nichts?« Er entgegnete: »Mutter, ich möchte, dass alle alten Frauen hier in der Stadt zu mir kämen!« Seine Mutter entgegnete: »Gott befohlen!«
Die alten Weiber kamen nun und traten zusammen ein, allemal drei oder vier zusammen in einer Reihe. So zogen sie vor ihm vorüber. Jeder einzelnen, in der er nicht die gewünschte erkannte, gab er ein Geschenk für den gehabten Schrecken. Schliesslich hatte er alle gesehen ausser der Alten, welche ihm jene Worte von der Sineddur gesagt hatte. Die war nicht erschienen. Er sprach: »Die Alte, die ich brauche, ist nicht hier, sie ist nicht erschienen.« Man erwiderte ihm: »Herr, da ist noch eine altersschwache Frau übrig, der müssen wir eine Kutsche oder einen leichteren Wagen schicken.« Er sandte ihr einen leichten Wagen, und man brachte sie her. Man führte sie in den Palast hinauf. Sie liess sich neben ihm nieder, und man setzte ihr das Frühstück vor. Als die Alte gefrühstückt hatte, zog der Prinz sein Schwert und rief: »Beim allmächtigen Gotte, wenn du mir jetzt nicht die Wahrheit redest und mir nicht die Bedeutung der Worte sagst, die du mir gesagt hast, schlage ich dir den Kopf herunter!« Sie entgegnete ihm: »Mein Herr, da giebt es ein fremdes Land, ein Land voll von Menschenfressern und Schrecknissen; das ist das Land, in welchem Sineddur wohnt; es liegt hinter sieben Meeren, auf Geierrücken zu überfliegen.« »Mein Sohn,« fuhr die Alte fort, »jene Sineddur ist eine Geisterprinzessin.« Der Prinz gab der Alten hierauf eine Summe Geld, das man zum Leben auf dieser Welt so nötig braucht, und jene ging nach Hause. Er aber wandte sich an seine Mutter und sprach: »Ich muss verreisen!« Sie entgegnete ihm: »Wohin willst du ziehen? Wer dir jene Worte von der Sineddur gesagt hat, der hat Böses gegen dich geplant!« Er aber sprach: »Ich muss verreisen!« Sie versetzte: »Wir müssen erst deinen Vater befragen!«
Seine Mutter begab sich zu seinem Vater und sprach zu ihm: »Sieh, dein Sohn will verreisen!« Sein Vater kam und sagte zu ihm: »Verreise nicht; ich habe ja nur dich, du lässt mich dann ganz allein!« Der Prinz erwiderte: »Ich muss fort!« Sein Vater sprach: »Dann geh wenigstens nicht allein; ich will jemand mit dir reisen lassen!« Er entgegnete: »Gut, mein Vater!« Letzterer sprach weiter: »Ich werde deinen Vetter, den Sohn des Wesirs, mit dir schicken.« Der König sandte zum Wesir und liess ihm sagen: »Dein Sohn muss sich reisefertig machen, er soll mit meinem Sohne verreisen!« Der Wesir entgegnete: »Ich gehorche.« Er begab sich zu seinem Sohne und sprach zu ihm: »Mein Sohn, du sollst also mit dem Prinzen verreisen! Sei höflich und zeige keinen Hochmut, erachte dich für seinen Diener, und gebt gegenseitig hübsch Achtung aufeinander!« Der Sohn entgegnete: »Gott befohlen, Vater!« Der Wesir begab sich nun zum Sultan und sprach zu ihm: »Mein Sohn ist reisefertig; hat sich dein Sohn auch reisefertig gemacht?« Man brachte nun dem Prinzen sein Ross, er legte seine Rüstung an, bestieg sein Ross, nahm seinen Reisesack mit der Reisekost und füllte seine Taschen mit Goldstücken. Man brachte dem Wesirsohn dasselbe; er nahm auch einen Reisesack und eine Summe Geld mit. Dann reisten sie ab und zogen in die offne Gegend und ins freie Land, und der Herr der Führung leitete alles so, wie er bestimmt und beschlossen.
So hatten sie eine Strecke von zehn oder zwölf Tagen zurückgelegt; da kamen sie an einen Scheideweg. Daselbst befand sich ein Stein mit einer Inschrift. Die Inschrift besagte: »Der du rechts gehst, wirst Gewinn haben; der du links ziehst, wirst Verlust erleiden!« Der Prinz wandte sich an den Wesirsohn und sprach zu ihm: »Lass uns hier absteigen!« Sie stiegen ab, assen und tranken. Muhammed der Wesirsohn sprach jetzt zum Prinzen Ali: »Bruder, ich muss mich hier offenbar von dir trennen!« Der Prinz entgegnete: »Bruder, wir sind doch zusammen ausgezogen, da wollen wir auch zusammen heimkehren!« Jener aber entgegnete: »Nein, wenn wir uns trennen, wird es besser für uns sein!« Der Prinz fragte: »Wer soll denn nach rechts, und wer nach links reiten?« Jener entgegnete: »Wir wollen das Loos ziehen!« Der Prinz sprach: »Gut, entscheiden wir durch dasselbe!« Das Loos bestimmte rechts für Prinz Ali und links für Muhammed, den Sohn des Wesirs. So zogen sie weiter, einer nach rechts und einer nach links.
Muhammed, der Sohn des Wesirs, zog also nach links. Er reiste zehn oder fünfzehn Tage, da zeigte sich vor ihm eine Stadt; Er betrat diese Stadt, stellte sein Pferd in den Khan und mietete für sich ein Zimmer in der Herberge. Er fand, dass die Bürger sehr lustige Gesellen waren; jetzt hiess es bei ihm: nimm nur immer und thu nichts wieder hinzu, dann fällt schliesslich das Gebirge ein! Da ging ihm denn das Geld gründlich aus. Er verkaufte das Pferd, den Sattel und die Waffen; alles verkaufte er. Er verkaufte auch seinen Anzug und hatte schliesslich nur noch einen Schurz um. So war er nun ohne Kleider, der Arme; eine Nacht hatte er etwas zu essen, die andere Nacht bekam er nichts. Eines Tages gelangte er vor den Laden eines Ringelbäckers und setzte sich hin. Die Leute kauften Ringel; er aber sass da und hungerte. Der Ringelbäcker sprach zu sich: »Was ist’s mit jenem Menschen? Die Leute gehen und kommen, er aber sitzt dort beständig an ein und derselben Stelle!« Der Ringelbäcker wandte sich an Muhammed und fragte ihn: »Was ist’s mit dir, mein Sohn?« Er entgegnete: »Ich bin hier fremd!« Der Bäcker sprach: »Willst du arbeiten, wenn dir jemand Arbeit giebt?« Muhammed entgegnete: »Wer Gutes thun will, braucht nicht erst zu fragen!« Da stellte ihn jener in seinem Laden an, um das Feuer zu unterhalten und den Laden zu fegen; dafür gab man ihm Abendbrot und Frühstück.
Die Erzählung möge sich wieder zu Prinz Ali wenden. Er war also nach rechts gereist und war zehn oder fünfzehn Tage schon durch die Gegend gezogen; da erblickte er einen Mann, der hatte vor sich ein totes Kameel liegen und nagte an dem Fleische des toten Tieres herum, an dem rohen Fleische. Prinz Ali trat auf ihn zu und sagte ihm dreimal seinen Gruss. Jener entgegnete: »Hätte ich nicht deinen Gruss eher gehört, als ich dich sah, so hätten die Berge das Knirschen deiner Knochen vernommen!« Ali stieg vom Pferde ab und band es an einen Baum, dann sprach er zu jenem: »Weswegen Vater?« Jener entgegnete: »Des Hungers und Durstes wegen!« Prinz Ali sprach: »Warte!« Er nahm sein Dolchmesser und zog das tote Kameel ab, zündete ein Feuer an, zerlegte und briet das Fleisch und gab es dem Riesen zu essen, der schliesslich satt wurde. Dann nahm er sein Schermesser und schor jenem den Kopf, schnitt ihm das zottige Haar ab, verschnitt ihm die Nägel und wusch ihm seine Kleider, damit jener ihm einen Rat erteilen möchte. Der fragte ihn nun: »Wohin gehst du, Ali?« Er erwiderte: »Ich will zur Sineddur, über sieben Meere, auf Geierrücken!« Jener entgegnete ihm: »Wer dir diese Worte gesagt hat, der hat Böses gegen dich beabsichtigt und dich ins Verderben gebracht!« Ali erwiderte: »Ich muss mein Glück versuchen, und was Gott mit mir thut, das ist gut!« Jener sprach darauf: »Ich will dir raten. Zieh weiter: dann wirst du zu meiner Schwester gelangen, die ist um eine Nacht älter als ich und hat mehr Verstand als ich! Die wirst du in einem Zelte wohnen sehen. Wenn du sie mahlen siehst, während schwarze Hühner um sie laufen, dann geh nicht zu ihr heran, sondern verbirg dich! Siehst du sie aber mahlen, während weisse Hühner um sie herumlaufen, dann tritt an sie heran und erfasse ihre rechte Brust, sauge an derselben und sprich: ›Ich komme als dein Sohn!‹« Jener Menschenfresser gab ihm ferner sieben Haare aus seinem Barte und sprach zu ihm: »Wenn du in eine schlimme Lage kommen solltest, so räuchere mit einem solchen Haare!«
Prinz Ali reiste weiter und gelangte schliesslich zur Schwester des Menschenfressers; er sah sie mahlen, während weisse Hühner um sie umherliefen. Er sprach zu sich: »Ali, Gott hat dich recht geleitet!« Er begann sich heranzuschleichen und stürzte sich schliesslich auf ihre Brust, hielt sie fest und saugte an ihr. Sie blickte hin und sprach: »Was ist’s mit dir?« Ali entgegnete: »Ich bin als dein Sohn gekommen!« Sie fragte: »Mein Bruder hat dir dies mitgeteilt?« Ali entgegnete: »Jawohl.« Sie sprach zu ihm: »Gottes Schutz sei mit dir!« Sie bewirtete ihn nun drei Tage; nach drei Tagen sprach sie: »Ich werde dir einen Gefallen thun und werde dich über jene Gegend hier vor dir hinwegbringen; in derselben hausen sieben Menschenfresser, die erkennen weder Gott noch die Menschen an; wer ihnen in den Weg kommt, den fressen sie auf!« Jene nahm nun Ali mit sich und brachte ihn sicher durch die Gegend, in der die Menschenfresser hausten. Als sie ihn durch diese Gegend gebracht hatte, sprach sie zu ihm: »Nun, mein Sohn, mir und dir sei Gott gnädig!«
Ali wanderte weiter, und schliesslich zeigte sich vor ihm eine Stadt. Er begab sich in diese Stadt; er bemerkte, dass die Mauer dieser Stadt mit Menschenköpfen besetzt war. Er ging in die Stadt hinein, stellte sein Pferd in den Khan und wanderte dann in der Stadt umher. Da kam ihm ein Mann entgegen, den fragte er: »Was bedeuten diese Köpfe auf der Mauer?« Der Mann entgegnete: »Wenn du mich über den Weg nach den Basaren befragst, so musst du hier weitergehen!« Ali begab sich dann zu einem Krämer und fragte denselben: »Was ist’s mit den Köpfen, die ringsum an der Mauer aufgehängt sind?« Jener entgegnete: »Das Brötchen kostet eine Karrube und die Unze zwei; ferner kann ich schöne Oliven und gutes Salzeingemachtes empfehlen, sowie duftige Apfelsinen.« Ali sagte weiter nichts über jene Köpfe; er dachte bei sich: »Es ist gewiss verboten, über die Köpfe zu sprechen.« Dann ging er weiter und sah einen alten Mann, der war ein Flickschuster. Dem folgte er bis an seine Wohnung. Da sah sich der Greis um und fragte: »Warum gehst du mir nach?« Er entgegnete: »Ich bin fremd und habe niemanden hier in der Stadt.« Der Alte erwiderte: »Komm mit herein, mein Söhnchen, ich wohne mit meiner alten Gemahlin ganz allein im Hause!« Der Alte nahm ihn mit ins Haus und liess ihn bei sich wohnen; er sprach zu seiner Frau: »Wir haben einen Glast bekommen; geh du und sieh zu, wo du uns etwas Geld borgen kannst, damit wir dem Gaste Abendbrot vorsetzen!« Ali hörte, was jene sprachen und sagte: »Was ist mit dir, mein Vater? Wenn du kein Geld hast, so kann ich dir welches geben!« Er griff in die Tasche und übergab ihm einen Beutel mit fünfhundert Goldstücken. Der Greis sah Ali an und sprach: »Die Bewirtung soll dem Gaste Kosten verursachen?« Ali entgegnete: »Das ist gleichgültig! Du seist mein Vater, und ich sei dein Sohn! Du hast kein Geld, du bist unbemittelt und einer, der sich ordentlich abplagen muss.« Der Greis nahm das Geld an und ging einkaufen; er kaufte für das Abendessen ein und bereitete Ali eine Tafel, die mit allem Möglichen besetzt war; da gab es Fleisch, Paradiesäpfel, Fleischbrühe und Kuskus, ferner gefüllte Pfefferschoten; kurz, alles vom salzigen ersten bis zum süssen letzten Gerichte. Man ass zu Abend, lobte und pries Gott und ruhte jene Nacht wohl und gesund. – Ali war bei jenem nun schon drei Tage zu Gast; jeden Tag gab er ihm einen Beutel mit fünfhundert Goldstücken.
Die dritte Nacht fragte ihn der Greis: »Was suchst du hier in der Stadt, mein Sohn?« Ali entgegnete: »Ich möchte dich wegen der Stadtmauer befragen, – weshalb sie nämlich mit Menschenköpfen geschmückt ist.« Da entgegnete ihm der Alte: »Jetzt hast du bei mir Wasser und Salz genossen, und nun muss ich dich aus meiner Wohnung fortjagen! Aber deine Wohlthat ist nun einmal schon in meinen Magen hinab gelangt!« Hiermit wandte er sich an seine alte Gemahlin und sprach zu ihr: »Dieser Mensch ist so gut wie einer von unsrer Familie!« Die Alte entgegnete: »Ich will es ihm jetzt erzählen.« Ali sprach: »Ja, erzähle mir Alles, Mutter!« Sie begann: »Richtig, der Sultan hat eine Tochter. Wer nun kommt und bei ihm um sie wirbt, dem stellt er sieben1 Bedingungen; ferner lässt er Weizen, Gerste, Bohnen, Kichererbsen und Wicken untereinander mischen und erklärt jenem: ›Wenn ich morgen früh komme und nicht alles auseinandergelesen finde, so lasse ich dir den Kopf abschneiden!‹« Ali erwiderte hierauf: »Morgen begebe ich mich zum Sultan und werbe um seine Tochter!« Da begann die Alte zu weinen und sprach: »Mein Söhnchen, bei Gott, warum willst du deinen Tod verursachen?« Er entgegnete: »Was gehe ich dich weiter an? Morgen will ich zum Sultan!«
Er begab sich am folgenden Tage zum Sultan. Der Sultan wandte sich an den Wesir mit den Worten: »Was will jener da?« Der Wesir entgegnete: »Lass ihn seine Klage vorbringen; denn das wird er wollen!« Ali trat auf den Sultan zu und begann: »Ich komme als ein Werbender und begehre deine Tochter!« Der Wesir blickte Prinz Ali an und sprach zu ihm: »Mein Sohn, lass diese Rede fallen! Du thust mir leid; ich fürchte, du möchtest sterben müssen, und du bist doch noch schön und jung!« Ali entgegnete: »Fürchte nichts für mich! Mit Gottes gnädigem Willen werde ich schon die Sache erreichen!« Der Wesir fragte: »Kennst du auch ihre Bedingung und nimmst du dieselbe an?« Ali entgegnete: »Ich nehme sie an!« Da blickte der Sultan den Wesir an und sprach zu ihm: »Führe ihn durch den Palast und bringe ihn nach dem bewussten Zimmer und mische Weizen, Gerste, Bohnen, Kichererbsen und Wicken für ihn unter einander!« Man brachte Ali in jenes Haus und schloss ihn ein. Jetzt dachte er bei sich nach und sprach: »Da bin ich in eine sehr schlimme Lage geraten! Was soll ich beginnen? Morgen werde ich sterben müssen!« Er dachte gar nicht an die Haare, die ihm der Menschenfresser gegeben hatte. Dann kam ihm dies in den Sinn, er erinnerte sich wieder derselben und sprach bei sich: »Der Menschenfresser gab mir doch einst sieben Haare und sprach zu mir: ›Wenn du einmal in eine schlimme Lage kommst, so räuchere ein Haar!‹ Ali zog nun ein Haar von jenen Haaren hervor und verbrannte es.« Sogleich erschien der Menschenfresser in eigener Person und rief: »Was bedarfst du, mein Herr?« Ali entgegnete: »Du siehst ja meine Lage!« Jener sprach: »Nimm noch ein Haar hervor und verbrenne es!« Ali verbrannte demgemäss das Haar, da begann das Zimmer von Ameisen zu wimmeln. Der Menschenfresser befahl denselben: »Leset dies Gemenge, jede Art für sich!« In zwei Stunden hatten die Ameisen alles gelesen. Da fragte ihn der Menschenfresser: »Mein Herr, bist du jetzt zufrieden? Ja, das Mädchen wird man dir jetzt geben, du wirst sie heiraten! Wenn du aber wieder einmal in eine schlimme Lage kommst, so räuchere mir wieder!«
Man öffnete die Thür am folgenden Morgen, und der Sultan trat mit dem Wesir und dem Gefolge ein. Sie traten ein und fanden die verschiedenen Körner richtig auseinander gelesen! Der Sultan wandte sich an den Wesir und sprach zu ihm: »Was ist das? Wer hat ihm das gelesen?« Der Wesir entgegnete: »Mein Herr, du hast viele Menschen wegen deiner Tochter töten lassen; diesem aber hat der Herr Glück geschenkt; da du ihm nun dein Versprechen gegeben hast, und er jene Bedingungen angenommen (und nun erfüllt) hat, so musst du sie ihm geben; es gehört ja auch zur Frau der Mann, und zum Manne die Frau!« Der Sultan entgegnete: »Ja, bei Gott!« Dann bereitete man die Hochzeit für Ali und rief in der Stadt aus: »Heute Nacht findet die Hochzeitsfeier (der Prinzessin) statt!« Ali heiratete die Prinzessin; sie bewillkommte ihn und er sie, und er brachte bei ihr die ganze Nacht zu. Doch nachdem die Hochzeit vorüber war, sprach er bei sich: »Ich bin wegen der Sineddur ausgezogen; dies ist sie aber nicht!« Er ward unzufrieden mit sich. Seine Gemahlin sah ihn an und sprach zu ihm: »Was ist mit dir, mein Herr, doch nichts Schlimmes?« Er entgegnete: »Ich zog aus, um einen Auftrag meines Vaters zu erfüllen.« Seine Frau entgegnete: »Worin besteht der Auftrag deines Vaters?« Ali sprach: »Mein Vater trug mir auf, Sineddur zu bringen.« Jene begann wieder: »Gieb mir zunächst dein Wort, dass du wieder zu mir kommen willst, wenn du die Rückreise antrittst!« Ali versprach dies seiner Gemahlin. Es erwiderte dieselbe: »Da will ich dir einen Hat geben! Begieb dich also zum Hirten meines Vaters, zum Kuhhirten. Bei dem wirst du einen schwarzen Stier finden; treib denselben an das Seeufer, schlachte ihn, zieh ihm das Fell ab und schneide aus der Fleischmasse vierzehn Stück Fleisch heraus; verstecke dieselben in einiger Entfernung und verbirg dich selbst, zeige dein Gesicht nicht! Nun werden Geier kommen und schreien: ›Der du dies gethan hast, wir wollen dich reich machen!‹ Schweig und sprich nicht, bis jene gefressen haben und satt geworden sind! Dann werden sie schreien: ›Der du dies gethan hast, Gottes Schutz sei über dir!‹ Alsdann antworte ihnen!«
Prinz Ali begab sich nun zum Hirten, nahm den schwarzen Stier, schlachtete ihn, zog ihm das Fell ab, schnitt aus der Fleischmasse vierzehn Stücke Fleisch heraus und versteckte dieselben und verbarg sich selbst. Dann kamen die Geier und begannen zu schreien: »Der du dies gethan hast, wir wollen dich reich machen, dich beschenken und kleiden!« Er aber verhielt sich still, bis jene gefressen hatten und satt waren. Da schrieen sie wieder: »Der du dies gethan, Gottes Schutz sei über dir!« Ali verliess nun sein Versteck. Jene Geier sahen ihn und sprachen zu ihm: »Verlange, was du begehrst!« Ali entgegnete: »Ich möchte zu Sineddur ziehen, über sieben Meere, auf Geierrücken!« Jene fragten sich gegenseitig: »Kennst du dies Land?« Die allgemeine Antwort hiess: »Ich kenne es nicht!« Einer blickte auf und sprach: »Wir haben noch einen altersschwachen, bejahrten Geier in seinem Neste, der nicht mehr fliegen kann; zu dem müssen zwei hinfliegen und ihn herbringen.« Als jene ihn herbeigeschleppt, da fragte man ihn: »Kennst du das Land der Sineddur über sieben Meeren, auf Geierrücken?« Der alte Geier erwiderte: »Ich kenne es und habe genugsam in ihren Gärten gehaust und auf ihrem Schlosse genistet!«
Man sprach nun: »Wir wollen eine Fatiha lesen, dann wird er wieder jung wie wir!« Man las eine Fatiha; Gott erhörte ihren Wunsch und machte den alten Geier jung wie die übrigen. Nun forderten ihn die übrigen Geier auf: »Wohlan, lass Prinz Ali auf deinen Rücken steigen und bringe ihn (nach jenem Lande), damit er sein Vorhaben ausführe; alsdann bring ihn wieder zurück!« Der Geier entgegnete: »Gott befohlen!« Er liess Ali aufsteigen und sagte zu ihm: »Nimm das Futter für mich in die Hand!« Ali rief: »Fertig!« –, und jener flog mit ihm hinauf in den Äther; er flog mit ihm zum ersten Meere, da sprach er zu ihm: »Gieb mir jetzt mein Futter, sonst werfe ich dich ins Meer!« Ali gab ihm das erste Fleischstück von seinem Vorrate. Nun flog jener über das zweite Meer, da gab ihm Ali das zweite Fleischstück. Dann flog jener mit ihm über das dritte Meer, da gab er ihm das dritte Fleischstück, – und schliesslich, über dem siebenten Meere, gab er ihm das siebente Fleischstück. Hierauf setzte jener Ali ans Ufer hin und sagte zu ihm: »Dort ist der Garten und dort ist das Schloss; geh hin und führe dein Vorhaben aus! Ich werde dich hier erwarten.«
Ali verliess den Geier und schritt auf das Schloss zu; schliesslich gelangte er an das Schloss und fand das Schlossthor offen. Er trat ein und suchte und wanderte im Schloss umher. Da fand er einen Bettvorhang und ein Prachtbett. Er schlug den Bettvorhang zurück, guckte hinein und sah drinnen etwas Schwarzes, Er trat näher heran, schlug die Vorhänge ganz auseinander und hob jene schwarze Masse auf; da sah er, dass es das Haar von einem Mädchen war, und dies Haar war auch über ihr Gesicht gebreitet. Als er diesem Mädchen nun das Gesicht aufdeckte, sah er, dass ihr Gesicht wie ein Licht leuchtete, ob ihrer grossen Schönheit. Ali rief aus: »Gott! Lob sei Dir über dieses schöne Weib!« Er pries die Einheit des Schöpfers. Dann dachte er bei sich nach und sprach zu sich: »Eine Frau wie diese verlasse ich nicht so ohne weiteres! Doch es ist mir verwehrt, sie zu küssen, ohne einen Ehekontrakt zu besitzen.« Darauf zog er ein Tintenfass und ein Schreibrohr aus seiner Tasche und schrieb seinen Ehebund mit ihr mit eigner Hand. Dann stieg er zu ihr ins Bett und küsste sie. Als er sich sattgeküsst, legte er den Ehekontrakt neben ihr Haupt; sie aber schlief während aller dieser Vorgänge, denn ihre Gewohnheit war, drei Monate beständig zu schlafen und drei Monate beständig wach zu sein. Dann zog er seinen Fingerring ab und steckte ihn ihr an und den ihrigen steckte er sich an den Finger. Hierauf dachte er weiter bei sich nach und sprach zu sich: »Es ist nicht nötig, dass ich sie in Person bringe; jetzt habe ich das erreicht, was ich wollte; da genügt es, wenn ich jenen daheim ein Beweisstück bringen werde, etwa den Ring!«
Hierauf begab sich Ali wieder zu dem Geier, der ihn hierher gebracht hatte. Dem stieg er auf den Rücken. Jener flog mit ihm über das erste Meer, da sprach er zu ihm: »Gieb mir ein Stück Fleisch, mein Herr!« So hatte Ali dem Geier, als man über das sechste Meer gekommen war, sechs Fleischstücke gegeben. Hierauf wollte er ihm das siebente Fleischstück reichen, da entglitt ihm das und fiel ins Meer. Ali zog sofort das Dolchmesser, schnitt sich ein Stück Fleisch aus dem Oberarme, gab es dem Geier, und der frass es. Er sprach zu Ali: »Mein Herr, wie süss schmeckte doch gerade dieses letzte Stück Fleisch!« Schliesslich setzte der Geier den Prinzen wieder am Ufer nieder. Die anderen Geier kamen und begrüssten ihn; sie sprachen zu ihm: »Mein Herr, hast du dein Vorhaben ausgeführt?« Sie fragten ihn ferner: »Hat der Geier dich gut behandelt?« Ali entgegnete: »Er behandelte mich gut und brachte mich in Sicherheit hin und zurück.« Darauf sahen sie Ali’s Kleider an und bemerkten, dass dieselben mit Blut befleckt waren. Die Geier sprachen zu ihm: »Dir fehlt doch nichts, mein Sohn?« Er entgegnete: »Mir fehlt weiter nichts!« Jene aber sprachen: »Sage uns die Wahrheit!« Ali entgegnete: »Ich werde euch die Wahrheit sagen! Über dem siebenten Meere entglitt mir ein Stück Fleisch, da schnitt ich aus meinem Oberarm ein Stück heraus, gab es jenem, und er frass es.« Jetzt sahen die Geier einander an, und es hiess: »Du musst jetzt das Stück Menschenfleisch ausspeien, das du gefressen hast.« Der Geier spie dasselbe wieder aus; jene legten dasselbe auf die Stelle, wo es hingehörte, und strichen mit Speichel darüber hin und spuckten darauf, bis es wieder angeheilt war.
Hierauf begab sich Ali wieder zu seiner Frau; die begrüsste ihn und sprach: »Was hast du ausgerichtet, hast du dein Vorhaben erreicht?« Ali entgegnete: »Gott führt die Pläne zu glücklichem Ausgange!« Jene Nacht verbrachte Ali bei seiner Frau, am folgenden Morgen aber begab er sich in den Palast des Sultans. Der sprach zu ihm: »Diese lange Abwesenheit, mein Herr, bedeutete doch nichts Schlimmes?« Ali verlebte drei Tage mit dem Sultan zusammen. Dann sprach er: »Ich möchte nach meiner Heimat zurückkehren!« Der Sultan entgegnete: »Ich will dich nicht abhalten, in die Heimat zu ziehen, aber was willst du mit deiner Frau beginnen, willst du sie mitnehmen oder hierlassen?« Ali entgegnete: »Ich werde sie mitnehmen.« Ali begann nun seine Habe und seine Koffer zu packen, machte sich reisefertig, empfahl sich Gottes Schutz und reiste ab. Er war erst drei Meilen oder ein wenig mehr von der Stadt entfernt, da bereute es schon der Sultan, dass er seine Tochter hergegeben hatte. Er sprach: »Da kommt so ein Landstreicher zu mir, ein Stück von einem Stricke, den ein Fluss angeschwemmt hat; da kommt zu mir so ein Mensch, und dem muss ich meine Tochter geben, ohne zu wissen, ob sein Vater ein Tagelöhner oder ein Stockmeister ist!« Er wandte sich an den Wesir mit den Worten: »Du musst ihn einholen, ihn töten und mir meine Tochter zurückbringen!«