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Märchenbasar

Prinz Setna und das Zauberbuch

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Es war einmal ein König, der hieß Ramses II.; er hatte zwei Söhne, die ihm ein und dieselbe Frau geboren hatte, der ältere hieß Setna-Chamoïs, der jüngere An-Hor-erru. Chamoïs war in allen Dingen wohl unterrichtet und verbrachte seine Zeit damit, daß er die Gräberstadt bei Memphis durchstreifte um ihre Inschriften zu lesen und daß er in den Tempeln die Papyrusrollen las. So lernte er die alten Zauberformeln kennen, konnte auch selbst derartige Beschwörungen herstellen und hatte als Zauberer im ganzen Lande nirgends seinesgleichen. Als er eines Tages in dem Tempel des Ptah Inschriften las, da stand ein Mann dabei und lachte. Auf die Frage, warum er lache, antwortete er: »Weil du da Inschriften liest, die keinen Wert haben. Wärest du gut beraten, so könntest du in den Besitz eines Buches gelangen, das der Gott der Weisheit Thoth selbst geschrieben hat. Dasselbe enthält zwei Formeln, vermittelst der ersten kann man Himmel und Erde und alles, was darin ist, bezaubern; vermittelst der zweiten auch noch nach dem Tode seine irdische Gestalt wieder annehmen und Sonne und Mond erblicken.« Setna sagte darauf: »Wo ist das Buch? Wenn du mir es verschaffst, werde ich dir alle deine Wünsche erfüllen.« Der Mann entgegnete: »Das Buch befindet sich in der Totenstadt, in dem Grabe des Ne-nefer-ka-Ptah, eines Sohnes des Königs Mer-neb-Ptah.«
Kaum hatte Setna dies gehört, so eilte er zum Könige und bat um die Erlaubnis, mit seinem Bruder An-Hor-erru in die Totenstadt zu gehen und nach dem Buche zu suchen. Die Erlaubnis wurde erteilt, sie suchten mehrere Tage lang bis sie die Grabkapelle fanden. Nun sprach Setna seine Zauberformeln, die Erde öffnete sich und sie gelangten bis zu einer großen Steinplatte. Setna hob diese auf, und sie betraten die unterirdische Kammer, in der Ne-nefer-ka-Ptah ruhte. Es war in der Kammer hell, denn ein Lichtglanz ging von dem hier befindlichen Zauberbuche aus. In dem Grabe waren außer dem Leibe des Ne- nefer-ka-Ptah die Doppelgänger seiner Frau Ahure und ihres Sohnes Mer-ab, die Mumien der beiden letzteren waren aber nicht dort, denn man hatte sie bei der Stadt Koptos in Oberägypten begraben.
Als Setna in die Grabkammer eintrat, erhob sich Ahure und frug: »Wer bist du?« Setna sagte: »Ich bin Setna, der Sohn des Königs Ramses II., und will mir das Zauberbuch holen, das ihr bei euch habt.« Da sagte Ahure: »Raube es uns nicht! Höre vielmehr das Unglück an, das uns wegen dieses Buches betraf, seinetwegen traf uns ein früher Tod. Ich heiße Ahure, die Tochter des Königs Mer-neb-Ptah, und dies hier ist mein Bruder Ne-nefer-ka-Ptah. Wir wurden von einem Vater und von einer Mutter geboren, und diese hatten außer uns keine Kinder. Ich liebte meinen Bruder sehr und hatte keinen anderen Wunsch als den mit ihm vermählt zu werden.« Das sagte ich meiner Mutter, und diese sagte es dem Könige. Der König aber sagte: »Du hast nur zwei Kinder geboren, und nun willst du dieselben auch noch miteinander vermählen. Besser wäre es, wir suchten unsere Familie zu vergrößern und vermählten zu dem Zwecke Ahure mit dem Sohne eines Offiziers und Ne-nefer-ka-Ptah mit der Tochter eines anderen Offiziers«. Da sagte meine Mutter: »Du handelst ungerecht gegen mich. Wenn ich auch nach diesen beiden Kindern kein weiteres geboren habe, ist es dann nicht doch richtig (der alten, in dem Königshause herrschenden Sitte zu folgen und) die beiden Kinder miteinander zu vermählen?« Der König aber sagte: »Ich werde den Ne-nefer-ka-Ptah mit der Tochter eines Offiziers vermählen und die Ahure mit dem Sohne eines andern Offiziers, das möge zur Vergrößerung unserer Familie beitragen«.
Als nun die Zeit gekommen war und man vor dem Pharao ein Fest feierte, da kam man zu mir und führte mich zu dem Feste. Ich war sehr betrübt und war nicht so heiter wie ich am vorigen Tage gewesen war. Da sagte der König zu mir: Ahure! Hast du nicht in dieser unangenehmen Angelegenheit zu mir geschickt und gesagt: »Man möge mich mit meinem altern Bruder vermählen?« Ich sagte zu ihm: »Man vermähle mich mit dem Sohne eines Offiziers und er, mein Bruder, möge sich mit der Tochter eines andern Offiziers vermählen, das möge zur Vergrößerung unserer Familie beitragen.« Ich lachte, als ich dies sagte, und der König lachte, dann befahl der König dem Palastvorsteher: »Man soll Ahure heute Nacht in das Haus des Neneferkaptah bringen und mit ihr soll man allerhand schöne Dinge dorthin bringen.« So brachte man mich in das Haus des Neneferkaptah und der König ließ mir Geschenke an Gold und Silber bringen, und der ganze Haushalt des Königs ließ mir Geschenke bringen.
Neneferkaptah brachte einen vergnügten Tag mit mir zu, er empfing (als Besuch) den ganzen Haushalt des Königs, er schlief in dieser Nacht mit mir und fand mich schön und freute sich wiederum mit mir, denn wir liebten einander. Und als die Zeit meiner Reinigung kam, da trat sie nicht ein. Man teilte es dem Pharao mit, und er war darüber sehr erfreut. Er ließ allerhand schöne Dinge, die zu dem Königlichen Besitze gehörten, mir bringen und ließ mir ein sehr schönes Geschenk, Silber, Gold und feine Leinewand bringen. Als die Zeit meiner Entbindung gekommen war, da gebar ich das Kind, das hier vor dir liegt und dessen Name Mer-ab ist. Man trug seinen Namen in das Buch des Lebenshauses ein.
Mein Bruder Neneferkaptah tat aber auf Erden nichts anderes als daß er in die Gräberstadt von Memphis ging. Dort las er in den Schriften, welche in den Gräbern der Könige und auf den Grabsteinen der Schreiber des Lebenshauses standen, und in den Inschriften, welche er in den Grabkammern fand, und er beschäftigte sich eifrig mit derartigen Schriftstücken. Nach einiger Zeit fand eine Prozession zu Ehren des Gottes Ptah statt und Neneferkaptah trat in den Tempel, um zu beten. Er ging hinter der Prozession her und las die Schriftzeichen, die auf den Kapellen der Götter standen. Da erblickte ihn ein alter Priester und lachte. Neneferkaptah sagte ihm: »Warum lachst du über mich?« Der Priester sagte: »Ich lache nicht über dich, aber ich lache, weil du hier wertlose Schriften liest. Wenn du wirklich brauchbare Schriften lesen willst, so komme zu mir, dann werde ich dich an die Stelle bringen lassen, an der sich das Buch befindet, das der Gott Thoth selbst mit eigener Hand geschrieben hat, als er einst im Gefolge der Götter hier auf die Erde herabgestiegen war. Zwei Formeln stehen in diesem Buche. Wenn du von diesen die erste liest, dann bezauberst du den Himmel, die Erde, die Unterwelt, die Berge, die Gewässer. Du wirst alles verstehen was die Vögel des Himmels und die Reptilien sprechen. Du wirst die Fische der Tiefe sehen, denn eine göttliche Kraft wird in dem Wasser über ihnen herrschen. Und wenn du die zweite Formel liest und wenn du dabei auch im Totenreiche weiltest, so wirst du wieder die Gestalt annehmen, die du auf Erden hattest, du wirst den Sonnengott Râ sehen, wie er sich mit seinem Götterkreise am Himmel erhebt, und wirst den Mond in der Gestalt sehen, die er bei seinem Aufgange besitzt.«
Neneferkaptah sagte zu dem Priester: »Beim Leben des Königs! Wenn man mir irgend etwas Gutes sagt, was du dir wünschest, dann werde ich dafür sorgen, daß man es dir gibt, damit du mich dann an den Ort gelangen läßt, an dem sich dieses Buch befindet.« Der Priester sagte zu Neneferkaptah: »Wenn du wünschest, daß ich dich an den Ort gelangen lasse, an dem sich dieses Buch befindet, so gib mir einhundert Teben Silber für mein Begräbnis und lasse mir zwei Särge machen, wie das für einen reichen Priester üblich ist.« Neneferkaptah rief einen Knaben und veranlaßte, daß man dem Priester einhundert Teben Silber gab und ihm die beiden Särge herstellte, die er gewünscht hatte.
Dann sprach der Priester zu Neneferkaptah; »Das genannte Buch befindet sich inmitten des Gewässers bei Koptos in einer Kiste von Eisen. Die eiserne Kiste ist in einer Kiste von Bronze, die bronzene Kiste ist in einer Kiste von Zimmtbaumholz, die Kiste von Zimmtbaumholz ist in einer Kiste von Elfenbein und Ebenholz, die Kiste von Elfenbein und Ebenholz ist in einer Kiste von Silber, die silberne Kiste ist in einer Kiste von Gold, und in dieser ist das Buch. Um die Kiste aber, in der das Buch liegt, ist ein Schönus von Schlangen, Skorpionen und allerhand Reptilien erfüllt, und um die genannte Kiste liegt eine ewig lebende Schlange.«
Seit der Stunde, in der der Priester mit Neneferkaptah gesprochen hatte, wußte dieser nicht mehr, an welchem Orte der Erde er sich befand. Er kam aus dem Tempel heraus, erzählte mir alles, was ihm begegnet war und sagte mir: »Ich gehe nach Koptos, ich werde dieses Buch holen, und dann wird mich nichts mehr vom Norden, also von der Rückkehr nach Memphis, das nördlich von Koptos gelegen war, abhalten.« Da war ich über den Priester entrüstet und sagte: »Möge ihn der Gott Amon für das, was er dir gesagt hat, bestrafen, denn er brachte mir Unangenehmes, er brachte mir Streit, das Land der Thebais, in der Koptos lag, ist mir widerwärtig.« Ich reichte dem Neneferkaptah meine Hand, damit er nicht nach Koptos ginge, aber er hörte nicht auf mich, sondern ging zum Könige und berichtete dem Könige alle die Dinge, die ihm der Priester gesagt hatte. Da sagte ihm der König: »Was ist nun der Wunsch deines Herzens?« Er sagte dem Könige: »Man möge mir die Königliche Barke mit ihrer ganzen Bemannung überlassen. Ich werde Ahure und ihren Sohn Merab mit mir nach dem Süden nehmen und werde dieses Buch zurückbringen und mich nicht weiter aufhalten.«
Man überließ ihm die Königliche Barke mit ihrer Bemannung, wir schifften uns auf ihr ein, wir segelten fort, wir erreichten Koptos. Als dies den Priestern der Göttin Isis von Koptos und dem Oberpriester der Isis gemeldet wurde, da kamen sie an das Ufer herab uns entgegen, ohne zu zögern gingen sie Neneferkaptah entgegen, und ihre Frauen kamen zum Flusse herab mir entgegen. Wir gingen an das Ufer und gingen in den Tempel der Göttin Isis und ihres Sohnes Harpocrates. Neneferkaptah ließ einen Stier, eine Gans und Wein kommen und brachte vor Isis von Koptos und vor Harpocrates ein Opfer und eine Weihespende von Flüssigkeiten dar. Dann führte man uns in ein sehr schönes Haus und Neneferkaptah brachte vier Tage damit zu, daß er mit den Priestern der Isis Feste feierte, und die Frauen der Priester der Isis von Koptos feierten mit mir ein Fest.
Als der Morgen des folgenden, des fünften Tages kam, da ließ sich Neneferkaptah eine große Menge reines Wachs bringen. Er formte daraus eine Barke, die von ihren Ruderern und Matrosen erfüllt war, er las eine Zauberformel über diesen Bildwerken, er gab ihnen Atem, er warf die Barke in das Wasser. Dann füllte er die Königliche Barke mit Sand, machte sie fahrtbereit und ging an Bord, ich aber setzte mich an das Ufer des Niles bei Koptos und sagte: »Ich will wissen, was ihm geschehen wird.« Er aber sagte: »Ruderer! rudert für mich bis an die Stelle, an der dieses Buch ist.« Und sie ruderten für ihn bei Tag und bei Nacht. Nach drei Tagen war er an die Stelle gekommen, da warf er den Sand vor sich her in die Tiefe des Flusses und so entstand eine wasserleere Stelle in dem Flusse.
Er fand einen Schönus, angefüllt von Schlangen, Skorpionen und allerhand Reptilien um die Kiste, in der das Buch war, und fand eine ewiglebende Schlange um die genannte Kiste. Da las er über dem Schönus von Schlangen, Skorpionen und allerhand Reptilien, die rings um die Kiste waren, eine Zauberformel und ließ nicht zu, daß sie zu seinem Schiffe heraufkamen. Da kam er an die Stelle, an der die ewig lebende Schlange war, er kämpfte mit ihr und tötete sie, sie lebte wieder auf und nahm ihre einstige Gestalt wieder an. Er kämpfte ein zweites Mal mit ihr, er tötete sie und sie lebte wieder auf. Er kämpfte zum dritten Male mit ihr und schnitt sie in zwei Stücke, er warf Sand zwischen die beiden Stücke, die Schlange starb und nahm ihre frühere Gestalt nicht wieder an.
Neneferkaptah ging nunmehr an die Stelle, an der sich die Kiste befand. Er fand, daß es eine Kiste von Eisen war. Er öffnete diese und fand eine Kiste von Bronze, er öffnete diese und fand eine Kiste von Zimmtbaumholz, er öffnete diese und fand eine Kiste von Elfenbein und Ebenholz, er öffnete diese und fand eine Kiste von Silber, er öffnete diese und fand eine Kiste von Gold, er öffnete diese und fand in ihr das Buch. Er nahm das Buch aus der goldenen Kiste heraus und las in ihm eine der Formeln der Schrift. Er bezauberte den Himmel, die Erde, die Unterwelt, die Berge, die Gewässer, er verstand alles, was alle Vögel des Himmels, die Fische der Tiefe und die Vierfüßler des Gebirges sagten. Er las die zweite Formel und erblickte den Sonnengott Râ, wie er am Himmel aufging und seinen Götterkreis, und er sah den aufgehenden Mond und die Sterne in ihrer wahren Gestalt; er sah die Fische der Tiefe, denn eine geheimnisvolle Kraft war in dem Wasser, das sich über ihnen befand.
Dann las Neneferkaptah eine Zauberformel über das Wasser und ließ es seine frühere Gestalt wieder annehmen. Hierauf begab er sich wieder an Bord und sagte zu den Ruderern: »Rudert für mich bis zu der Stelle, von der wir ausgefahren sind.« Und sie ruderten für ihn bei Nacht und bei Tag, da kam er an die Stelle, an der ich war. Und er fand mich am Ufer des Niles zu Koptos sitzend. Ich hatte nichts getrunken, ich hatte nichts gegessen, ich hatte nichts in aller Welt getan, ich war wie ein Mensch, der bereits sein gutes Haus, sein Grab, erreicht hat. Ich sagte zu Neneferkaptah: »O mein Bruder und Gatte! Laß mich dieses Buch sehen, um dessentwillen wir uns alle diese Mühe gegeben haben.«
Er gab mir das Buch in die Hand und ich las die eine der Formeln, die in ihm niedergeschrieben waren. Ich bezauberte den Himmel, die Erde, die Unterwelt, die Berge, die Gewässer; ich verstand alles, was die Vögel des Himmels, die Fische der Tiefe und die Vierfüßler sprachen. Ich las eine zweite Formel aus der Schrift, da sah ich den Sonnengott Râ, wie er mit seinem Götterkreise am Himmel aufging, ich erblickte den aufgehenden Mond und alle Sterne des Himmels in ihrer wahren Gestalt, ich sah die Fische in der Tiefe, denn eine göttliche Kraft war über ihnen in dem Wasser. Ich konnte nicht als ein gelehrter Schreiber gelten, wenigstens nicht, wenn man mich mit meinem ältern Bruder Neneferkaptah verglich, der ein vortrefflicher Schreiber und ein ausgezeichneter Gelehrter war. So ließ er sich denn ein Stück frischen Papyrus bringen, auf dieses schrieb er alle Formeln, die in dem Buche standen, er tränkte dieses beschriebene Blatt mit Bier, er löste es in Wasser auf und überzeugte sich, daß alles aufgelöst war. Dann trank er es und wußte alles, was auf ihm gestanden hatte.
An dem gleichen Tage kehrten wir nach Koptos zurück, wir feierten vor der Göttin Isis von Koptos und dem Gotte Harpocrates ein Fest, dann schifften wir uns ein, segelten fort und kamen bis zu einer Stelle, die einen Schönus weit nördlich von Koptos gelegen war. Nun hatte aber der Gott Thoth alles erfahren, was dem Neneferkaptah mit diesem Buche geschehen war. Ohne Verzug klagte er vor dem Sonnengotte Râ und sagte: »Wisse, daß mein Recht und meine Vorschrift sich in den Händen des Neneferkaptah, des Sohnes des Königs Mer-neb-ptah, befinden. Er drang in meine Wohnung ein, er plünderte sie, er nahm die Kiste, die mein Buch enthielt, er tötete den Wächter, der es bewachte.« Da sprach der Gott: »Er ist vor dir (und damit in deiner Gewalt), er und alle die Leute, die zu ihm gehören, sie alle insgesamt.« Man ließ eine göttliche Kraft vom Himmel herabkommen, welche sprach: »Man lasse Neneferkaptah nicht heil nach Memphis kommen, weder ihn noch irgend einen von den Leuten, die zu ihm gehören, von ihnen allen, insgesamt.«
Um diese Stunde kam Merab, der kleine Junge, aus dem Schattendache der Königlichen Barke heraus, er fiel in den Fluß, es erfüllte sich der Willen des Sonnengottes Râ, der ertrank und alle, die an Bord waren, stießen einen Klageruf aus. Neneferkaptah trat aus dem Schattendache heraus, sprach eine Zauberformel über das Kind und ließ es aus der Flut emporsteigen, denn eine göttliche Kraft befand sich in dem Wasser über ihm. Er sprach eine Zauberformel über das Kind, er ließ es alles berichten, was ihm geschehen war, und ließ es von der Anklage erzählen, die der Gott Thoth vor dem Gotte Râ vorgebracht hatte. Wir kehrten mit dem Kinde nach Koptos zurück, wir ließen es in das Grab bringen, wir ließen die Leute sich versammeln, um für das Kind die Grabzeremonien zu vollziehen, wir ließen es einbalsamieren, wie sich das für einen Fürsten und vornehmen Mann gebührt, wir ließen es in seinem Sarge in der Gräberstadt von Koptos beisetzen. Dann sagte mein Bruder Neneferkaptah: »Laß uns stromabwärts fahren, laß uns nicht zögern, damit der König die Dinge vernehme, die uns zugestoßen sind, damit sein Herz über das Unglück mit uns trauern möge.«
Wir schifften uns ein, wir segelten fort, wir kamen ohne Verzug einen Schönus weit nördlich von Koptos, wir gelangten zu der Stelle, an der Merab, das kleine Kind, in das Wasser gefallen war. Da trat ich aus dem Schattendache der Königlichen Barke heraus, ich fiel in das Wasser, ich erfüllte den Willen des Sonnengottes Râ, und alle, die an Bord waren, stießen einen Klageruf aus. Man teilte Neneferkaptah das Geschehene mit, er trat aus dem Schattendache der Königlichen Barke heraus, er sprach eine Zauberformel über mich, er ließ mich emporsteigen, denn eine göttliche Kraft befand sich in dem Wasser über mir. Er ließ mich aus dem Wasser bringen, er sprach eine Zauberformel über mich und ließ mich alles berichten, was mir begegnet war und ließ mich von der Anklage erzählen, die der Gott Thoth vor dem Sonnengotte vorgebracht hatte. Er kehrte mit mir nach Koptos zurück, er ließ mich in das Grab bringen, er sorgte dafür, daß die Leute um mich herumstanden, um für mich die Begräbniszeremonien zu vollziehen. Er ließ mich einbalsamieren, wie es sich für einen Fürsten und sehr vornehmen Menschen gebührt, und ließ mich in dem Grabe beisetzen, in dem Merab, der kleine Junge, bestattet worden war.
Dann schiffte sich Neneferkaptah wieder ein, er fuhr stromabwärts und gelangte ohne Verzug an die Stelle nordwärts von Koptos, an der wir in den Fluß gefallen waren. Da sagte er zu sich selbst: »Soll ich nicht lieber nach Koptos zurückkehren, um mich bei den beiden Verstorbenen niederzulassen? Tue ich es nicht und gehe jetzt nach Memphis und fragt mich der König nach seinen Kindern, was soll ich ihm da sagen? Kann ich ihm etwa sagen: Ich habe deine Kinder mit mir nach dem Gau von Theben genommen, ich habe sie getötet, während ich selbst am Leben blieb, und nun komme ich nach Memphis und bin noch immer lebendig?« Er ließ sich eine Binde von feiner Leinewand bringen und machte aus dieser ein Band. Damit band er das Buch zusammen, legte es auf seinen Leib und befestigte es dort. Dann ging Neneferkaptah aus dem Schattendache der Königlichen Barke heraus, er fiel in den Fluß und erfüllte den Willen des Sonnengottes Râ. Alle, die sich auf dem Schiffe befanden, stießen einen Klageruf aus und sagten: »Welch großer Kummer, welch trauriger Kummer ist über uns gekommen. Er ist dahingegangen, er, der vortreffliche Schreiber, der gelehrte Mann, dessen gleichen es nicht mehr gibt.«

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