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Märchenbasar

Sarah-Su, eine Elfenprinzessin verliebt sich

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Im Schutze ihrer Familie wächst Sarah-Su zu einer bildhübschen Elfe heran. Und nun, im heiratsfähigen Alter, wünschen sich ihre Eltern nichts sehnlicher als einen liebevollen Elfenmann für ihre jüngste Tochter. Doch Sarah-Su will davon nichts wissen. Sie möchte lieber frei sein und das tun, was sie immer macht: Das Leben ringsumher genießen. Mit den ersten Sonnenstrahlen aufstehen und, ein fröhliches Lied auf den Lippen, durch den Wald spazieren. Frische Kräuter sammeln und ihre Freunde besuchen. Den kleinen, listigen Kobold Fips zum Beispiel, Waldgeist Tarus, der sie oft auf ihren Streifzügen begleitet und Lotus, das Einhorn. Mit ihm verbindet sie eine ganz besonders tiefe Freundschaft.
Eines Tages trifft die Prinzessin ihn zufällig an einer Lichtung. Sie will ihm gerade einen freundlichen Gruß zurufen, als er auf sie zueilt. Seine Stimme ist aufgeregt: „Sarah-Su, dich schickt der Himmel. Komm schnell, ich habe unten am Moor einen Verwundeten gefunden.“

Sarah-Su weiß, dass diese Gegend gefährlich ist. Schon als kleine Elfe hatten ihr die Eltern verboten, diesen Ort aufzusuchen und auch heute noch warnen sie davor. Doch Sarah-Sus Samariterherz ist diesmal stärker als die Vernunft und immerhin ist sie heute erwachsen genug, um Gefahren erkennen zu können. So lässt sie sich von Lotus rasch zu dem Verletzten bringen.

Regungslos liegt er auf dem Rücken. Seine Kleider sind schmutzig und zerrissen. Am rechten Bein und an der linken Schulter sieht Sarah-Su Verwundungen, von bereits verkrustetem Blut umgeben.
„Er ist nicht von unserem Volk, seine Hautfarbe ist dunkler als die unsrige, und sein Kinn ist spitzer“, denkt Sarah-Su, während sie ihn nach weiteren Verletzungen untersucht. Außer einer Beule am Hinterkopf kann sie nichts mehr finden.
Rasch wendet sie sich von ihm ab und winkt Lotus heran. Dieser neigt den Körper zur Erde und mit großem Kräfteaufwand schafft die Prinzessin es, den Verletzten auf den Rücken des Einhorns zu bekommen.
Obwohl Sarah-Sus Eltern Fremden gegenüber etwas misstrauisch sind, schlagen sie ihre Bitte, den Verwundeten aufzunehmen, nicht ab.

In einem Seitenflügel des Schlosses wird er untergebracht und Sarah-Su lässt es sich weder nehmen noch verbieten, ihn gesund zu pflegen. Aus frisch gesammelten Kräutern kocht sie ihm täglich Tee und bereitet eine schmerzlindernde Salbe zu. Außerdem noch einen Brei, den sie dick auf seine Wunden aufträgt. Allmählich geht das Fieber zurück, die Verletzungen heilen und dann ist es geschafft.

Eines Morgens, als Sarah-Su wieder in das kleine Zimmer kommt, sitzt ihr Patient bereits aufrecht im Bett und schaut ihr aus großen Augen entgegen. In ihren Händen trägt sie eine Schale dampfende Hühnersuppe mit Kräutern. Als sie seinen Blick auf sich ruhen sieht, schlägt sie ihre Lider verlegen nieder und eine zarte Röte legt sich auf ihre Wangen. „Warum schaut er mich so durchdringend an?“, fragt sie sich und stellt die Suppe auf das niedrige Tischchen neben dem Bett.
„Die Kräuter habe ich selbst gesammelt, lass es dir schmecken“, sagt sie schüchtern und wagt es nicht, ihn anzublicken.
„Danke dir. Wie heißt du?“
„Sarah-Su“, erwidert sie leise. „Iss die Suppe, bevor sie abkühlt, denn sonst schmecken die Kräuter etwas bitter.“
„Sarah-Su.“ Er lässt den Namen auf seiner Zunge zerfließen wie Schokolade. „Welch lieblicher Name für eine so zauberhafte Elfe. Mich nennt man Brendon-Li und du wirst längst erkannt haben, dass ich nicht aus dieser Gegend komme.“
Die Prinzessin nickt. „Wo kommst du her, Brendon-Li?“
„Von den „Hohen Bergen““.
„Dann bist du ein Bergelf. Ich habe zwar schon von ihnen gehört, doch noch niemals einen gesehen. Weit bist du von zuhause fort.“
„Ja, das ist richtig. Ich soll ein Mädchen heiraten, das ich nicht mag und so hat mich mein Vater des Hauses verwiesen. Ich bin sehr lange unterwegs gewesen. Auf meiner Reise kam ich durch den „Kühlen Grund“, eine verrufene Gegend, und wurde von üblen Kreaturen verfolgt. Sie jagten mich, bis mir der Atem ausblieb, und schlugen mit Stöcken auf mich ein. Ein Messer traf mein Bein und die Schulter. Verletzt wie ich war, wanderte ich weiter. Irgendwann kam ich an einen See, trank und kühlte meine schmerzenden Wunden, die aber immer wieder begannen zu bluten. Dann kam ich auf meinem weiteren Weg in den Wald, schon vom Fieber heimgesucht. Der Durst plagte mich, da sah ich das Wasser und dann wurde es Nacht um mich herum.“
„Das Moor hast du gesehen. Zum Glück bist du zusammengebrochen, bevor du dich vielleicht noch hineingestürzt hättest, vor lauter Durst. Lotus fand dich dort.“
„Wer ist Lotus?“
„Mein bester Freund, das Einhorn.“
Die Schale mit der Suppe ist mittlerweile leer und Sarah-Su nimmt sie ihm aus der Hand. „Jetzt schlaf etwas, Brendon-Li, damit du ganz gesund wirst.“
„Du hast mich gepflegt?“, fragt er, obwohl er die Antwort bereits zu kennen schien. Sie nickt und geht zur Tür. „Ich schaue später noch mal herein.“ Rasch zieht sie die Tür hinter sich zu, bevor er sie mit weiteren Worten am Gehen hindern kann.

Als Sarah-Su nach dem Mittagessen in den Wald spaziert, kommt sie sich vor, als schwebe sie auf Wolken. „Was ist nur los mit mir?“ fragt sie sich. „Immerzu muss ich an Brendon-Li denken. Und wie er mich heute Morgen angeschaut hat, als ich ins Zimmer kam.“ Ein seltsames Gefühl verspürte sie im Bauch und sie konnte am Mittagstisch kaum einen Bissen runterbringen.

„He, Sarah-Su!“ Eine vertraute Stimme holt sie aus ihren Gedanken. „Was ist los mit dir? Hättest mich um ein Haar umgerannt.“ Es ist Fips.
„Oh, Fips, ich habe dich wirklich nicht bemerkt, tut mir leid.“
Fips lächelt. „Wie geht es deinem Patienten? Lotus hat mir davon erzählt.“
Sarah-Su wird rot und sie stottert etwas, als sie Fips von Brendon-Li erzählt.
„Weißt du, was ich glaube?“, fragt Fips, „Du bist verliebt.“
Die Prinzessin sieht ihn mit ihren großen Augen an. „Verliebt?“, wiederholt sie. An das Naheliegende hat sie noch gar nicht gedacht.
„Ja, richtig verliebt.“ Und Fips hüpft plötzlich auf seinen dürren Beinchen hin und her, vollführt einen richtigen Tanz und ruft fortwährend: „Verliebt, verliebt, verliebt. Sarah-Su ist verliebt.“
„Wirst du wohl still sein, muss doch nicht jeder wissen“, schimpft sie, doch der Kobold denkt nicht daran, ruhig zu bleiben.
Erst als Sarah-Sus Stimme etwas lauter wird, lässt er sich ins Laub fallen.
„Liebt er dich auch?“, will der Kobold noch wissen.
„Das weiß ich nicht und fragen werde ich nicht.“ Sie will jetzt allein sein und geht zurück zum Schloss. Dort sucht sie sich im Garten ein einsames Plätzchen, um sich über ihre Gefühle klar zu werden.

Einige Tage später steht Brendon-Li wieder auf seinen Beinen. Sarah-Sus Eltern, die anfangs etwas skeptisch waren, erlauben dem jungen Elfen, so lange bei ihnen im Schloss zu bleiben, wie er möchte, und bald hat man ihn als Freund der Familie akzeptiert. Nur eines gefällt ihnen nicht so ganz: Die beiden jungen Elfen sind mittlerweile unzertrennlich geworden und verstehen sich mehr als nur freundschaftlich.

Sarah-Su, die täglich mit Brendon-Li im Wald umherstreift und ihm ihr Reich zeigt, ist bis über die Ohren in ihn verliebt. Dass Brendon-Li genauso fühlt, ist ein Wunsch, der tief in ihrem Herzen auf Erfüllung hofft. Sie kann ihre Liebe vor der Familie bisher noch geheim halten. Lediglich ihre engsten Freunde wissen davon.

Auch heute sind die beiden wieder unterwegs und kommen diesmal zu der Höhle, die in Sarah-Sus Leben einmal eine Rolle gespielt hatte. Sie bleiben eine Weile davor stehen und Brendon-Li erfährt die Geschichte von dem Drachenkönig, der sie von den Hexen entführen ließ und denen sie im letzten Moment entkam.
Brendon-Li steht vor Sarah-Su, die einen Kopf kleiner ist als er. Zärtlich nimmt er ihr Gesicht in seine Hände und lächelt ihr zu. „Was für ein Glück für mich, dass du nicht die Frau eines Drachenkönigs wirst, Sarah-Su. Ich habe dich sehr, sehr lieb und möchte für immer mit dir zusammen sein.“ Er beugt sich zu ihr und küsst ihre Stirn, die Wangen und den Mund. Sarah-Sus Herz schlägt Purzelbäume und sie ist die glücklichste Prinzessin der Welt.

König Milan und seine Frau fallen aus allen Wolken, als sie von der zarten Liebe zwischen ihrer Tochter und dem Bergelfen erfahren. Sie hatten dem jungen Brendon-Li ihre Gastlichkeit und Freundschaft angeboten, nicht aber die Hand ihrer Tochter. Einer Hochzeit zwischen Sarah-Su und ihm wird das Königspaar niemals zustimmen. Sie bitten ihn zu gehen und rufen ihre Tochter zu sich.

„Du wirst diesen Mann nicht heiraten, Sarah-Su. Er kommt aus einem fremden Land, dessen Kulturen wir hier nicht kennen“, sagt König Milan in ernstem Ton zu Sarah-Su. „Auch wissen wir nichts über seine Familie. Er ist nett und hat Manieren, aber wer sagt uns, dass es nach eurer Heirat so bleibt? Er wird dich mitnehmen in sein Reich und dort musst du dich ihm fügen. Vielleicht ist seine Familie nicht so gastfreundlich eingestellt. Du wirst den Wald vermissen, deine Freunde und nicht zuletzt deine Familie.“
„Brendon-Li wird mich immer beschützen, auch vor seinen Leuten“, trumpft Sarah-Su auf und ihre großen Augen sprühen Funken. „Einen anderen kann und will ich niemals so lieb haben wie ihn. Außerdem hat er gar nicht die Absicht, jemals wieder zu seinem Volk zurückzugehen.“
„Selbst wenn er jetzt hier bleibt, wird es ihn eines Tages wieder in die Berge ziehen. Sei vernünftig, Sarah-Su, es ist besser für dich“, fügt die Mutter nun noch hinzu. „Wir meinen es doch nur gut.“
„Dann will ich lieber sterben, als von ihm lassen!“, ruft die Prinzessin und läuft aus dem Zimmer. Nein! Niemals will sie sich von Brendon-Li trennen, dass schwört sie sich. Sie eilt zu ihrem Liebsten und weint bitterlich. Nachdem ihre Tränen versiegt sind, erzählt sie ihm das, was der Vater gesagt hat.
Brendon-Li schaut sie traurig an. „Das habe ich befürchtet, Sarah-Su. Wir Bergelfen reagieren genauso, haben es auch am liebsten, wenn die Völker nicht untereinander heiraten. Zu meiner Familie gehe ich allerdings nicht zurück, ich suche mir woanders eine neue Heimat. Du würdest deinen Wald vermissen, wenn du mit mir gingst. Und hier darf ich nicht bleiben als dein Mann.“
Sarah-Sus Augen werden immer trauriger und füllen sich erneut mit Tränen. Dann läuft sie aus dem Zimmer. Später klopft der König an Brendon-Lis Tür und fragt nach seiner Tochter, die er nirgends im Schloss finden kann. Als die Prinzessin zwei Stunden später immer noch nicht zu sehen ist, durchsuchen alle gemeinsam den großen Garten. Auch hier bleibt die Suche ergebnislos. Als Brendon-Li den Schlosspark verlässt, um im Wald mit seiner Suche fortzufahren, begegnet ihm kurze Zeit später Lotus. Brendon-Li winkt ihn zu sich heran und fragt, ob er Sarah-Su gesehen hat.
„Ja“, sagt das Einhorn, „vor kurzem begegnete sie mir. Sie hat geweint und erklärte mir, dass sie allein sein will.“
„Und in welche Richtung ist sie gegangen?“, will der Elf ungeduldig wissen.
„In diese.“ Lotus drehte sich nach Osten.
„Nach Osten. Ist dort nicht auch das Moor?“, fragt Brendon-Li.
„Ja,“, entgegnet Lotus. Brendon-Li wird blass und bevor Lotus weiß, wie ihm geschah, hat der Elf sich auf seinen Rücken geschwungen. „Los, Lotus, bring mich sofort zum Moor! wenn sie sich nur nichts antut!“ Das Einhorn begreift sofort und seine Hufe fliegen nur so über den Boden.

Sarah-Su sieht in die brodelnde, schwarze Masse des Moores. Es ist bestimmt kein leichter Tod, wenn ich mich hineinstürze, denkt sie schon zum wiederholten Male. Aber ein Leben ohne Brendon-Li kann sie sich auch nicht mehr vorstellen. Was also soll sie tun? Lange Zeit steht sie hier und kann sich nicht entschließen. Wieder vergehen Minuten und plötzlich setzt sich ihre zierliche Gestalt wie unter Trance in Gang, ein Fuß vor den anderen, bis … ja, bis eine ihr nur zu gut vertraute Stimme sie in ihrer Bewegung innehalten lässt.
Überglücklich zieht Brendon-Li seine Liebste zu sich auf Lotus Rücken. Genauso glücklich ist aber auch bald darauf die Familie, als sie ihre Tochter unverletzt in die Arme schließen.

Und jetzt, nachdem der Schrecken vorüber ist, stellen sich Sarah-Sus Eltern nicht mehr gegen eine Heirat ihrer Tochter mit dem Bergelfen. Sie sind viel zu glücklich darüber, dass der Prinzessin nichts geschehen ist und nochmals wollen sie das Schicksal in keiner Weise mehr herausfordern.

Quelle: Brigitte

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