Vor vielen, vielen Jahren lebte einmal in einem großen Meer, das zwei Königreiche teilte, ein gar grausiges Geschöpf. Erblickte es ein Schiff, lärmte das Ungetüm so ohrenbetäubend, dass die ängstliche Mannschaft eiligst das Schiff verließ. Auf Menschen hatte es das Monster wohl nicht abgesehen, vielmehr aber auf die Fracht. Waren alle Leute von Bord, machte es Beute und zerschlug das Deck zu Kleinholz. Anschließend krallte sich das Ungeheuer den Bug des Schiffes, ließ das Wrack in einem Strudel immer schneller kreisen und riss es kurz darauf in die Tiefe. Seit drei Jahren hauste das Strudelmonster nun schon in diesem Gewässer und war nicht nur bei den Seeleuten äußerst gefürchtet.
König Franz verlor so unzählige wertvolle Ladungen. Doch das war nicht sein einziges Problem. Seine über alles geliebte Tochter, Prinzessin Karolin, bestand auf einer Heirat mit Prinz Stefan aus dem Nachbarreich. Aber zum Leidwesen des Königs hatte der Prinz beim letzten Besuch sein Herz an die wunderschöne Kaufmannstochter Elisabeth verloren, die den Schneider des Königs regelmäßig mit feinen, handgewebten Stoffen belieferte.
Der König grübelte Tag und Nacht, wie er dieses Mädchen aus dem Weg schaffen könnte. „Tu etwas, diese Elisabeth muss verschwinden“, flehte der König händeringend seinen Zauberer Kardobat an.
„Tja nun, mit einem Zauber kann man in Liebesdingen nicht viel ausrichten“, murmelte Kardobat ratlos, kaute an seinen schmutzigen Fingernägeln und überlegte angestrengt. „Ich hab’s! Elisabeth trifft sich doch jeden Sonntagnachmittag mit dem Prinzen. Vielleicht kann uns das Strudelmonster helfen.“ Hinterlistig rollte der Zauberer mit seinen kleinen blutunterlaufenen Augen.
„Das gefürchtete Strudelmonster? Ja, aber wie?“ Neugierig schaute der König in Kardobats hämisch grinsendes Gesicht.
„Oh, großer König. Ich hörte, dass es seit geraumer Zeit eine Frau sucht, und eine Schönere wie Elisabeth kann es doch nirgends finden, oder?“
„Hör auf! Ich weiß, dass dieses Mädchen schöner ist als mein Prinzesschen!“, grollte der König zornig.
„Aber, aber, Herr König! So hab ich es doch gar nicht gemeint. Passt auf! Ich habe folgenden Plan.“
Der König hörte zu und rieb sich zufrieden die Hände. „Wenn dir das gelingt, wirst du mein erster Berater!“
Es war am nächsten Morgen in aller Frühe. Da stand der Zauberer am Ufer und spielte auf einer schwarzen Flöte eine scheußliche Melodie. Das Meer begann zu schäumen. Hohe Wellen teilten sich und schlugen Kardobat ins Gesicht. Da kam das Strudelmonster angerauscht. Sein Körper ragte wie eine übergroße grüne Spirale mit hochrotem Kopf aus dem Wasser. Riesige Ohren standen wie bunte Stachelfächer links und rechts ab. Doch durch seine großen, blauen Kulleraugen und dem gewaltigen Entenschnabel mitten im Gesicht sah er von Nahem gar nicht mehr so fürchterlich aus.
„Ach, sieh an! Wenn das nicht mein alter Freund Kardobat ist? Genügen dir die Schiffsladungen des Königs nicht mehr? Was hast du denn diesmal für eine Schlechtigkeit ausgeheckt, hm? Oder bekomme ich mal endlich eine Belohnung für all meine Mühen?“
„Sag mal, Schnaks, musst du solche Wellen machen? Bin pitschnass.“ Der Zauberer war sichtlich sauer, seine Garderobe schien ruiniert.
„Tja, mein Lieber, klappern gehört zum Handwerk. Käme ich leise wie ein Nixlein, würde mir doch keiner das schreckliche Strudelmonster abkaufen.“ Schnaks lachte, dass sich Kardobat die Ohren zuhalten musste.
„Halt deinen Schnabel und hör mir zu!“, schrie er in das blecherne Gelächter.
Gehorsam verstummte das Monster, drückte mit einer Kralle auf seinen Bauchnabel und war nun nicht viel größer als Kardobat.
Der Zauberer schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Ja, ich habe eine Belohnung für dich. Pass auf! Du möchtest doch heiraten, nicht wahr?“
Schnaks stellte seine Ohren steil auf. „Heiraten? Oh ja! Ist sie schön? Und lieben muss sie mich.“ Er malte ein Herz in den Sand und träumte vor sich hin. „Da muss ich noch meine Krallen schneiden und den Schnabel polieren. Meine Schuppen sind noch schön glitschig. Ob ich ihr gefallen werde?“
Kardobat grinste hämisch und sagte wohlwollend: „Alles zu seiner Zeit, mein Freund. Du bekommst das schönste Mädchen des Landes. Du kennst sie. Es ist Elisabeth. Der König und ich möchten, dass du sie zur Frau nimmst. Das ist ein Befehl!“
Das Strudelmonster bekam vor lauter Staunen den Schnabel kaum noch zu, schluckte und rief hocherfreut: „Befehl ist Befehl! Wo ist sie? Hast du vergessen sie mitzubringen?“
Kardobat schnaufte leise aufs Äußerste gereizt, rang sich jedoch trotz allem ein Lächeln ab. „Elisabeth kommt am Nachmittag. Da kannst du sie gleich mitnehmen.“
Schnaks war überglücklich und umarmte den Zauberer so heftig, dass er ihm fast die Rippen brach. Platsch, ließ sich Schnaks ins Wasser fallen, streichelte verliebt über die sanften Wellen und malte Herzchen hinein wie zuvor in den Sand.
„So ein Narr!“, dachte Kardobat grinsend und machte sich eilends davon.
Am Nachmittag kam Elisabeth. Prinz Stefan war noch nicht da. Schnaks hielt sich hinter einem großen Felsbrocken versteckt. Mit klopfendem Herzen und einem Strauß gelber Seerosen in seinen zitternden, krallenartigen Händen erwartete er voller Ungeduld seine liebliche Braut. Langsam schlenderte sie am Ufer immer näher. Nun gab es kein Halten mehr. Er sauste wie ein Pfeil auf sie zu, drückte ihr die Seerosen in die Hände, gab ihr einen herzhaften Entenschnabelkuss und zog sie ohne ein Wort zu verlieren in sein Reich. Alles ging blitzschnell. Elisabeth hörte Stephan noch rufen. Dann wurde es still.
„Na, meine Liebe, wie gefällt dir dein neues Zuhause, hm?“ Schnaks schaute das vermeintliche Glück seines Lebens zärtlich an. Leblos hing das Mädchen in seinen langen, dünnen Armen. Schnaks schüttelte es, keine Reaktion. Ihre Augen blieben geschlossen.
„Merkwürdig! Höchst seltsam! Dabei habe ich mich doch so schön wie möglich gemacht“, murmelte er enttäuscht.
Gemächlich schwamm der alte Wal Wossi vorbei, stutzte und fragte erstaunt: „Nanu! Ist dieses Mädchen etwa ertrunken?“
„Was sagst du da? Ertrunken? Das ist es! Sie ist doch ein Mensch! Herrje, was hab ich getan? Wossi, schnell, hilf mir!“ Schnaks war verzweifelt. Wossi half ihm und bald lag das Mädchen am Ufer. Die beiden sahen Prinz Stefan und riefen ihn herbei. Er erschrak fürchterlich, als seine Liebste so reglos vor ihm lag und bemühte sich sofort um ihr Leben. Schnaks und Wossi schauten zu. Endlich kam Elisabeth zu sich und öffnete die Augen. „Stefan“, war das erste Wort, das über ihre Lippen kam. Er küsste sie zärtlich. Wossi grinste, nickte zufrieden und robbte zurück ins Wasser. Verlegen zupfte Schnaks an seinen herunterhängenden Ohren, schaute traurig in die fragenden Augen von Elisabeth und Stefan und kam sich hässlich und scheußlich dumm vor. „Ach, wie konnte ich nur glauben, dass so ein schönes Wesen mich lieben könnte. Geht doch auch gar nicht. Elisabeth ist ja keine Nixe. Daran hab ich gar nicht gedacht. Ich glaube, ich wurde ganz böse zum Narren gehalten.“
Plötzlich kochte in ihm eine so schreckliche Wut auf Kardobat, dass er den beiden die ganze Geschichte erzählte. „Ich glaube, dass dieser Kardobat gar kein Zauberer ist. Nicht mal groß oder klein kann er sich machen. Ganz sicher ist er nichts weiter als ein übler Schwindler. Warum sollte ich die Schiffe vernichten und die Ladungen in seine Hände spielen, wenn er das doch alles durch Zauberei hätte haben können?“
„Da sind also die Schiffsladungen von meinem Vater geblieben.“ Prinz Stefan blickte finster in Richtung Schloss.
„Auch die von König Franz“, ergänzte Schnaks schuldbewusst. Er saß da wie ein Häufchen Unglück und dicke Tränen der Reue liefen über seinen Entenschnabel.
Elisabeth bekam Mitleid mit ihm. „Du bist wirklich böse getäuscht worden. Und weißt du, so schlimm wie du denkst, siehst du gar nicht aus. Vor allem hast du lustige Augen und einen süßen Schnabel. Ganz sicher gibt es hier irgendwo eine Nixe, die zu dir passt. Das Äußere ist wirklich nicht entscheidend, vielmehr sind es Liebe und Güte.“
Über die tröstenden Worte freute sich Schnaks wie ein kleines Kind, wischte seine Tränen weg und sagte mit glänzenden Augen: „Niemand mehr soll sich meinetwegen fürchten müssen. Und diesem Kardobat könnt ihr einen schönen Gruß bestellen. Sollte er sich noch einmal zu weit ans Ufer wagen, erteile ich ihm höchstpersönlich eine Wassertaufe, die er sein Lebtag nicht vergessen soll.“
Sie lachten und verabschiedeten sich als gute Freunde.
Drei Wochen später erfreute sich Schnaks an einem zischenden und bunt im Himmel aufgehenden Lichterwerk am gegenüberliegenden Ufer des Meeres, das zu Ehren der Hochzeit von Elisabeth und Prinz Stefan stattfand. Doch Schnaks saß nicht allein am Ufer. In seinen Armen hielt er eine niedliche Schnaksi, die ihm liebevoll in die Augen blinzelte. Strudelmonster gab es seither nicht mehr und niemand hatte je noch etwas von Kardobat gehört.
Quelle: Doris Liese