Den dritten Tag ihrer Seefahrt schwamm bei ihnen ein Sarg mit eisernen Reifen vorüber. Die zwei ältesten Brüder sahen ihn, doch befahlen sie nicht, ihn aufzufangen; aber sobald ihn Sila Zarewitsch erblickte, gebot er sogleich seinen Matrosen, denselben aufzufangen, auf das Schiff zu bringen und an einen schicklichen Ort zu stellen. Den andern Tag erhob sich ein heftiger Sturm, von welchem das Schiff des Sila Zarewitsch vom rechten Wege verschlagen, und in eine unbekannte Gegend an ein steiles Ufer getrieben wurde. Da befahl Sila Zarewitsch seinen Matrosen, den Sarg vom Schiff zu nehmen und an‘s Ufer zu bringen, wohin er auch selbst ihnen folgte. Hier ließ er ihn in die Erde eingraben.
Darauf sagte Silo Zarewitsch zu seinem Schiffshauptmann, er solle auf derselbigen Stelle, wo das Schiff stehe, drei Jahre lang auf ihn warten, und wenn er nach Verlauf dieser Zeit noch nicht zurückgekommen wäre, so möchte er seiner nicht mehr harren, sondern in sein Reich zurückfahren. Darauf nahm er Abschied von ihm und seinen Leuten und ging, wohin gerade seine Augen sahen, und so wanderte er eine lange Zeit allein und sah keinen Menschen, weder vor sich noch hinter sich. Den dritten Tag endlich hörte er einen Menschen hinter sich laufen in weißem Kleide. Sila Zarewitsch sah sich um und sah, daß er ihm schon nachgekommen sei, und er zog sogleich sein Schwert heraus, denn er befürchtete, daß es ein Bösewicht sein möchte. Sobald aber der Mensch ihn eingeholt hatte, warf er sich ihm zu Füßen und dankte ihm für seine Rettung. Sila Zarewitsch fragte ihn, wofür er ihm danke, und für welche Gnade. Da sprang der Unbekannte auf die Füße und begann zu sprechen: »Ach, du junger Fant Sila Zarewitsch, wie sollte ich dir nicht danken? Ich lag ja in dem Sarge, welchen du im Meere auffangen und am Ufer begraben ließest, und wenn du nicht wärest, so wäre ich vielleicht ewig auf dem Meere herumgeschwommen.« — »Aber wie kamst du in diesen Sarg?« fragte Sila Zarewitsch. »Ich will dir Alles erzählen,« antwortete Iwaschka. »Ich war ein großer Zauberer; meine Mutter erfuhr, daß ich durch meine Zaubereien den Menschen großen Schaden thue, und befahl deßhalb, mich in jenen Sarg zu legen und auf‘s Meer zu treiben; und über hundert Jahre bin ich geschwommen, und Niemand hat mich aufgehoben; aber euch danke ich meine Rettung, und ich will dir dafür dienen und in allen Fällen behülflich sein. Noch frage ich dich, ob du nicht Lust hast zu heirathen: ich kenne die schöne Königin Truda, welche verdient, deine Gemahlin zu sein.« — Sila Zarewitsch antwortete ihm, wenn diese Königin schön sei, so wolle er sie wol heirathen. Iwaschka mit dem weißen Hemde sagte zu ihm, daß sie die erste Schönheit in der Welt sei. Als Sila Zarewitsch dies vernahm, bat er Iwaschka, mit ihm in das Reich zu gehen. Und so machten sie sich auf den Weg und kamen an das Reich. Dieses Reich war umgeben von einem Zaune, wie von Pallisaden, und auf jeder Zaunstange stak ein Menschenkopf, nur auf einer war kein Kopf aufgesteckt. Als dies Sila Zarewitsch sah, entsetzte er sich und fragte Iwaschka, was dies zu bedeuten habe, und Iwaschka sagte zu ihm, dies seien lauter Köpfe von Helden, welche um die Königin Truda geworben. Sila Zarewitsch erschrak, als er dies Wunder vernahm, und wollte schon in seine Heimath zurückkehren, ohne sich dem Vater der Truda zu zeigen; aber Iwaschka sagte zu ihm, er solle nichts fürchten und dreist mit ihm zusammen gehn. Sila Zarewitsch folgte ihm, und sie gingen mit einander.
Als sie in das Reich eintraten, sagte Iwaschka zu ihm: »Höre, Sila Zarewitsch, ich werde bei dir als Diener bleiben, und wenn du in die königlichen Gemächer kommen wirst, so grüße den König Salom demüthig, dann wird er dich fragen, woher du kommst, aus welchem Reiche, und welches Vaters Sohn du bist, wie du dich nennest, und wornach du gekommen. Da sage ihm Alles und verhehle ihm nichts, selbst nicht, daß du gekommen, um seine Tochter zu werben, welche du zur Gemahlin haben wollest: er wird sie dir mit großer Freude geben.« — Sila Zarewitsch ging in das Schloß, und sobald ihn der König Salom erblickte, kam er ihm selbst entgegen, nahm ihn bei den weißen Händen, führte ihn in seine weißsteinernen Zimmer und begann ihn zu fragen: »Ach! du guter Jüngling, woher bist du, aus welchem Reiche, welches Vaters Sohn, wie nennest du dich, und wornach bist du gekommen?« — »Ich bin aus dem Reiche des Zaren Chotei, ich werde Sila Zarewitsch genannt, und bin zu dir gekommen, um deine Tochter, die schöne Königin Truda, zu werben.«
Der König Salom war sehr froh, daß so eines berühmten Zaren Sohn sein Eidam werden wolle, und befahl sogleich seiner Tochter, sich zur Hochzeit zu bereiten. Und als der Tag kam, wo Sila Zarewitsch getraut werden sollte, da gebot der König allen seinen Fürsten und Bojaren, sich im Schlosse zu versammeln, und als sich alle versammelt hatten, fuhren sie in die Kirche, und Sila Zarewitsch wurde mit der schönen Königin Truda getraut. Dann kehrten sie zurück, setzten sich an die Tische und aßen und belustigten sich mit allerlei Kurzweil. Als aber die Zeit kam, wo Sila Zarewitsch in die Brautkammer gehen sollte, da führte ihn Iwaschka auf die Seite, und sagte leise zu ihm: »Höre, Sila Zarewitsch, wenn du dich mit deiner Gemahlin zu Bette legest, so berühre sie nicht, denn wenn du sie berührest, so wirst du nicht am Leben bleiben, und dein Kopf wird auf den leer gebliebenen Pfahl gesteckt werden. Sie wird dich küssen und liebkosen, aber du darfst nichts mit ihr sprechen.« Sila Zarewitsch fragte ihn, weßhalb er ihm alles dies beföhle? »Deßhalb,« antwortete Iwaschka, »weil sie mit einem Geiste Bekanntschaft hat, welcher jede Nacht in Gestalt eines Menschen zu ihr kommt; aber in der Luft fliegt er in Gestalt eines sechsköpfigen Drachen; und wenn sie ihre Hand auf deine Brust legt und dir beklommen wird, so springe auf und schlage sie so lange mit einem Stocke, bis sie alle Kräfte verliert. Ich werde um diese Zeit bei der Thüre deiner Schlafkammer auf der Wache stehen.«
Als Sila Zarewitsch diese Worte gehört hatte, ging er in die Brautkammer mit der Königin Truda und legte sich mit ihr auf‘s Bette. Die Königin Truda fing an, ihn zu küssen, aber Sila Zarewitsch sprach nicht mit ihr und lag still. Da legte Truda ihre Hand auf seine Brust und drückte ihn so gewaltig, dass er kaum Atem holen konnte. Sila Zarewitsch sprang von seinem Bette auf und ergriff den Stock, den ihm Iwaschka dazu bereit gelegt hatte, und fing an, sie tüchtig zu schlagen. Bald darauf erhob sich ein Sturm, und in ihre Schlafkammer flog ein sechsköpfiger Drache und wollte Sila Zarewitsch auffressen; aber Iwaschka ließ ihn nicht bis zu ihm, ergriff ein scharfes Schwert und fing an, mit dem Drachen zu kämpfen, und sie kämpften gerade drei Stunden, und Iwaschka hieb dem Drachen zwei Köpfe ab; da flog der Drache fort von ihnen. Darauf befahl Iwaschka Sila Zarewitschen zu schlafen, und sich vor nichts zu fürchten. Sila Zarewitsch gehorchte ihm, legte sich nieder und schlief bis zum Morgen.
Früh morgens schickte der König Salom und ließ sich erkundigen, ob sein geliebter Sohn noch lebe, und als man ihm meldete, daß er noch am Leben und gesund sei, da freute sich der König sehr, daß er der erste war, der sich vor seiner Tochter gerettet habe, und befahl, ihn sogleich zu sich zu rufen, und der ganze Tag wurde in Lustbarkeiten zugebracht.
Die folgende Nacht sagte Iwaschka zu Sila Zarewitsch, daß er auch diese Nacht mit seiner Gemahlin eben so verfahren solle, und stellte sich wie vorher als Wache an die Thüre. Als sich Sila Zarewitsch mit der Königin auf‘s Bette gelegt hatte, legte die Königin wieder ihre Hand auf ihn, da stand Sila Zarewitsch abermals auf, und fing an, sie zu schlagen. Bald darauf kam der Drache wieder, und wollte Sila Zarewitsch auffressen. Iwaschka aber sprang hinter der Thüre hervor, mit dem Schwerte und fing wieder an, mit ihm zu kämpfen, und haute ihm noch zwei Köpfe ab. Da flog der Drache von dannen, und Sila Zarewitsch legte sich schlafen. Früh morgens befahl der König, Sila Zarewitschen zu sich zu bitten, und sie brachten auch diesen Tag in Ergötzlichkeiten zu. Auch die dritte Nacht gebot Iwaschka dasselbe zu thun, und Sila Zarewitsch that, wie ihm geboten war. Iwaschka hieb dem Drachen die beiden lezten Köpfe ab, und er verbrannte die Köpfe sammt dem Rumpfe, und zerstreute die Asche auf dem Felde.
Die vierte Nacht fragte Sila Zarewitsch den Iwaschka, ob er jezt seiner ehelichen Liebe genügen könne; aber Iwaschka sagte zu ihm, er solle es nicht thun, bis er es ihm befohlen. Und so lebte Sila Zarewitsch bei seinem Schwiegervater ein ganzes Jahr, ohne seiner ehelichen Liebe zu genügen. Darauf sagte Iwaschka zu ihm, er solle sich bei seinem Schwiegervater Erlaubnis erbitten, in sein Vaterland zurückzukehren. Sila Zarewitsch gehorchte ihm, und ging zu dem Zaren Salom, sich dies auszubitten. Der König Salom entließ ihn, und gab ihm zur Begleitung zwei Abtheilungen aus seinem Heere mit. Da nahm Sila Zarewitsch Abschied von seinem Schwiegervater und reiste mit seiner Gemahlin ab nach seinem Vaterlande.
Auf der Hälfte des Weges sprach Iwaschka zu Sila Zarewitsch, er solle Halt machen und ein Lager aufschlagen. Sila Zarewitsch gehorchte ihm, und befahl, die Zelte zu errichten. Den andern Tag legte Iwaschka Stöcke Holz vor das Zelt des Sila Zarewitsch und brannte sie an. Dann führte er die Königin Truda aus dem Zelte, zog sie nackend aus, entblößte sein Schwert und hieb sie von einander. Sila Zarewitsch erschrak sehr, und fing an zu weinen. »Weine nicht,« sagte er zu ihm, »sie wird wieder lebendig werden.« Sobald die Königin Truda getrennt war, kroch aus ihrem Leibe allerlei Ungeziefer hervor, und Iwaschka warf alles in das Feuer. Darauf sprach er zu Sila Zarewitsch: »Siehst du, was für Ungeziefer sich im Leibe deiner Gemahlin befunden hat? Das sind alles böse Geister, die in ihr aufgewachsen sind.« Nachdem nun alles dieses Ungeziefer aus ihrem Bauche gekrochen war, und Iwaschka alles verbrannt hatte, da legte er den Leib Truda‘s zusammen, bespritzte ihn mit lebendigem Wasser, und die Königin wurde sogleich gesund, und war so mild, wie sie vorher böse gewesen war. Da sagte Iwaschka zu Sila Zarewitsch: »Jezt gebe ich dir die Freiheit, mit deiner Gemahlin zu leben, wie es Eheleuten geziemt, denn du hast jezt nichts zu fürchten.« Dann sprach er noch: »Lebe wohl, Sila Zarewitsch! Du wirst mich nun nie wieder sehen.« Indem er diese Worte sprach, verschwand er.
Und Sila Zarewitsch befahl, die Zelte abzubrechen, und fuhr seinem Vaterlande zu. Und als er an die Stelle kam, wo ihn sein Schiff erwartete, bestieg er es mit der schönen Königin Truda, entließ die Heer-Abtheilungen und segelte ab. Sobald er in sein Reich zurückkam, wurde er mit Kanonenschüssen begrüßt, und Zar Chotei kam aus seinem Gemach und nahm ihn und die schöne Königin Truda bei den weißen Händen, führte sie in die weißsteinernen Zimmer, setzte sie an die Tische, und sie aßen und tranken und belustigten sich an verschiedener Kurzweil. Und Sila Zarewitsch lebte bei seinem Vater zwei Jahre. Alsdann fuhr er in das Reich seines Schwiegervaters, des Königs Salom, erhielt von ihm die Krone, und fing an, in diesem Königreiche zu herrschen mit der schönen Königin Truda in großer Liebe und Freundschaft.
Anton Gotthelf Dietrich (Russische Volksmärchen)