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Märchenbasar

Sonne, Mond und Morgenstern

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Es war einmal ein alter Mann und eine alte Frau, und die hatten drei Töchter und waren dabei sehr arm. Die Mädchen mußten daher, um ihren Unterhalt zu verdienen, bis tief in die Nacht hinein arbeiten, und gleichwohl hatten sie oft nicht satt zu essen. Daher sagte eines Abends, als sie bei der Arbeit saßen, die Älteste zu den beiden andern: »ich wollte, ich hätte den Koch des Königs zum Mann, um von allen guten Sachen seiner Tafel zu essen.« Da sprach die zweite: »da wollte ich lieber seinen Schatzmeister haben, damit ich Geld vollauf hätte.« Die jüngste aber sagte: »wenn ich den Sohn des Königs zum Manne hätte, so würde ich ihm drei Kinder gebären, die Sonne, den Mond und den Morgenstern.«
Grade an jenem Abend hatte sich aber der Königssohn zur Kurzweil verkleidet, und durchzog so, nur von einem Diener begleitet, die Stadt, um zu hören, was die Leute redeten, und er stand grade vor dem Hause der drei Schwestern, als diese von ihren Wünschen sprachen, und erstaunte über die Schönheit der Jüngsten. Er drückte also sein Siegel an die Türe, um das Haus am Tage wiederzuerkennen, und ließ am andern Morgen die drei Mädchen holen und fragte sie, was sie am Abend vorher mit einander gesprochen hätten. Diese schämten sich anfangs und wollten es nicht gestehen, aber er setzte ihnen so lange zu, bis eine jede ihren Wunsch wiederholte, und darauf verheiratete er die eine mit seinem Koche, die andere mit seinem Schatzmeister, und die jüngste wollte er selbst nehmen, doch seine Mutter war sehr dagegen und tat, was sie konnte, um ihn davon abzuhalten. Endlich aber vermählte er sich doch mit ihr, und als sie im achten Monate schwanger war, mußte er in den Krieg gehn und zog fort. Als nun die Zeit kam, daß die junge Frau niederkommen sollte, da holte die Schwiegermutter ein Hündchen, ein Kätzchen und ein Mäuschen, und gab, als die Schwiegertochter gebar, die Tiere der Hebamme und befahl ihr, das erste Kind mit dem Hündchen, das zweite mit dem Kätzchen und das dritte mit dem Mäuschen zu vertauschen, und die drei Kinder in den Fluß zu werfen. Unterwegs aber empfand die Amme Mitleid mit den armen Würmern und legte sie also in einen Binsenstrauch. In dieser Gegend lebte ein Hirt, der keine Kinder hatte, und der bemerkte, daß jeden Morgen, wenn er mit seiner Herde ausfuhr, eine Ziege abseits ging und mit leerem Euter wiederkam. Da wollte der Hirt sehen, was sie mit ihrer Milch anfinge; er ging ihr also nach und fand, daß sie drei Kinder säuge, die wunderschön waren. Er freute sich sehr über diesen Fund und brachte die Kinder zu seiner Frau, und diese pflegte sie mit großer Sorge. Als aber die Kinder heranwuchsen, baute ihnen der Hirt einen Turm und setzte sie hinein.
Die Mutter dieser Kinder hatte es unterdessen viel schlechter; denn sobald die Kinder bei Seite geschafft waren, nahm sie die Schwiegermutter und setzte sie in den Hühnerstall, und als der König von dem Feldzug zurückkehrte und nach seiner Frau fragte, da rief sie: »o Jammer, mein Sohn! anstatt der Sonne, des Mondes und des Morgensternes, die sie dir versprochen, hat sie einen Hund, eine Katze und eine Maus geboren.« Darüber wurde der Mann so traurig, daß er gar nicht fragte, was aus seiner Frau geworden sei, und härmte sich so sehr, daß er siech wurde und lange Zeit nicht genesen wollte. Eines Tages raffte er sich auf und machte einen Spazierritt, und da erblickte er von ferne den Turm, worin die Kinder wohnten, und vor demselben die beiden Jünglinge, wie sie ihre Pferde tummelten, und ihre Schwester, die am Fenster stand und ihnen zusah. Als sie aber der König erblickte, rief er: »ach! diese Kinder sind wie jene, welche mir meine Frau versprochen hatte«, und sah ihnen zu, so lange sie spielten; als es aber Abend wurde, verbeugten sich die Jünglinge vor dem Könige und gingen in den Turm, und der König ritt zu seinem Pallaste, und das war nach langer Zeit seine erste Freude; darum erzählte er auch, als er heimkam, seiner Mutter von den Kindern und sprach: »o Mutter! heute habe ich zwei Jünglinge gesehen, welche ganz denjenigen glichen, die mir meine Frau versprochen hatte.« Diese aber erwiderte: »hüte dich vor ihnen, mein Sohn, damit du keinen Schaden von ihnen hast, denn das sind ja keine Menschen, sondern Elfen.«
Am andern Morgen rief die alte Königin die Hebamme zu sich und sagte zu ihr: »o du Hündin! was hast du mit den drei Kindern gemacht? denn diese hat mein Sohn gesehen und ist wie bezaubert von ihnen.« Da antwortete diese: »kümmere dich nicht deswegen, ich werde sie aus dem Wege räumen.« Darauf verkleidete sich die Hebamme in eine alte Bettlerin und ging zu dem Turme, als es dunkel wurde, und jammerte dort so lange, bis das Gesinde fragte, was ihr fehle, und da klagte sie, daß sie sich verirrt habe und nun die Nacht hereingebrochen sei und sie nicht wisse, wo sie bleiben solle. Da erbarmten sie sich ihrer und behielten sie über Nacht, und am andern Morgen bat sie die Mägde, sie zu ihrer Herrin zu führen, um sich bei dieser für das Genossene zu bedanken. Sie führten sie also zu der Jungfrau auf den Turm, und nachdem sie deren Schönheit und alles bewundert und gelobt hatte, was sie besaß, sagte sie zu ihr: »du führst deinen Namen mit Recht, denn du bist so schön wie der Mond, aber um ganz glücklich zu sein, fehlt dir noch ein Ding.« Da fragte sie, was das sei, und die Alte antwortete: »der Zweig, welcher Musik macht«, und damit nahm die Alte Abschied und ging ihrer Wege. Von nun an dachte die Jungfrau nur noch an den Zweig, welcher Musik macht, und sehnte sich so sehr danach, daß sie krank wurde und sich ins Bett legen mußte. Da kamen ihre Brüder und fragten sie, was ihr fehle; sie wollte es aber nicht eingestehen, und nur mit vieler Mühe konnten die Brüder aus ihr herausbringen, daß sie sich nach dem Zweige sehnte, der Musik macht. Die Brüder aber bedachten sich nicht lange und machten sich auf, um diesen zu holen. Auf ihrem Wege begegneten sie einem Mönche; sie begrüßten ihn und erzählten ihm im Gespräche, daß sie nach dem Zweige ausseien, der Musik macht. Als der Mönch das hörte, rief er: »ach, ihr lieben Kinder, Schade um eure Schönheit, denn dabei müßt ihr zu Grunde gehen; danach sind schon viele Helden und Prinzen ausgezogen und sind dabei sämmtlich verunglückt.« Die Brüder aber antworteten: »unserer Schwester zu Liebe wollen wir es versuchen, und sollten wir auch darüber zu Grunde gehen.« Da dauerte den Mönch das junge Blut und er sprach: »wenn es denn nicht anders ist, so will ich euch wenigstens sagen, wie ihr es zu machen habt. Dieser Zweig wird von zwei Draken bewacht, und diesen dürft ihr bei Tage nicht nahe kommen, denn sonst verschlucken sie euch, indem sie den Atem einziehen. Ihr müßt bis Mitternacht warten, und wenn sie dann schlafen, so schnarchen sie und haben dabei den Rachen auf; dann müßt ihr euch herbeischleichen und ihnen in den Rachen hineinschießen, davon werden sie verenden, und ihr könnt dann den Zweig brechen.« Da machten es die Jünglinge, wie ihnen der Mönch gesagt hatte, brachen den Zweig, nachdem sie die Draken erschossen hatten, und brachten ihn ihrer Schwester, und diese wurde vor Freuden wieder gesund.
Der König aber ritt jeden Abend vergebens nach dem Turme zu spazieren, er konnte die Jünglinge nicht mehr zu Gesicht bekommen, und verfiel darüber von neuem in Schwermut und klagte seiner Mutter, daß er die Jünglinge nicht mehr zu Gesicht bekommen könne. Da sprach diese: »sei doch vernünftig, lieber Sohn, ich habe dir ja gesagt, daß es Elfen seien, du aber wolltest es nicht glauben.« Doch der König konnte die Jünglinge nicht vergessen und ritt stets nach dem Turme zu, und als diese endlich von ihrer Heerfahrt zurückkehrten und am andern Tage wieder vor dem Turme ihre Pferde tummelten, da freute sich der König und erzählte bei seiner Rückkehr der alten Königin, daß die Jünglinge wieder da wären. Diese aber sagte: »da siehst du nun, daß ich Recht hatte, als ich sagte, daß es Elfengeister seien, denn bald erscheinen sie und bald verschwinden sie.«
Am andern Morgen aber ließ sie die Hebamme rufen und zankte sie, daß sie ihr Versprechen nicht gehalten habe, denn die Kinder seien wieder zurückgekehrt. Diese aber sagte: »gräme dich nicht und laß mich machen.« Darauf verkleidete sie sich abermals in eine Alte, ging zu dem Turme, und brachte es wie das erste Mal dahin, daß sie dort schlafen durfte und am andern Morgen zu dem Mädchen geführt wurde. Als diese die Alte erblickte, erkannte sie sie und rief ihr zu: »siehe Alte, da ist der Zweig, der Musik macht, meine Brüder haben ihn mir geholt«, und dabei zeigte sie ihr vom Fenster aus den Baum, der aus dem Zweige geworden, denn sie hatte ihn vor der Türe in die Erde gepflanzt, und er wuchs rasch heran und flötete ohne Unterlaß und trug jeden Morgen eine Schüssel voll Edelsteine. Nachdem die Alte den Baum sattsam bewundert hatte, sprach sie: »du bist die Allerschönste und hast nun auch den Zweig, der Musik macht, es fehlt dir aber noch etwas.« Da fragte das Mädchen, was das sei, und die Alte sagte: »das ist ein Spiegel, in dem du alle Städte, alle Dörfer, alle Länder und alle Prinzen sehen kannst.« Darauf ging die Alte fort, und das Mädchen wurde wieder krank vor lauter Sehnsucht nach dem Spiegel, und ihre Brüder setzten ihr wiederum so lange zu, bis sie zu ihnen sagte, daß sie den Spiegel möchte, in dem man die ganze Welt sehen kann. Da sagten diese, sie solle sich nicht weiter grämen, denn sie wollten ihr denselben schon bringen.
Die Jünglinge machten sich also auf und wanderten einen Monat, zwei Monate, drei Monate, bis sie an den Ort kamen, wo jener Mönch wohnte, und der fragte sie wieder, wo sie hinwollten, und sie erzählten ihm, daß sie nach jenem Spiegel auswären. Da sagte dieser: »ach, liebe Kinder, wie dauert ihr mich! denn dabei werdet ihr unfehlbar zu Grunde gehen.« Die Jünglinge aber meinten, daß sie es darauf ankommen lassen wollten, und der Alte erwiderte: »weil ich euch nicht abhalten kann, so will ich euch wenigstens sagen, wie ihr es machen müßt, um ihn zu bekommen. Dort wo der Spiegel steht, sind vierzig Draken und bewachen ihn, zwanzig von der einen und zwanzig von der andern Seite, bei Tag und bei Nacht, und schlafen auch des Nachts in einer Reihe. Wenn sie nun um Mitternacht schnarchen, daß die Berge davon wiederhallen, da müßt ihr mit großer Vorsicht über einen nach dem andern wegsteigen, so daß ihr keinen berührt.« Darauf kamen die Jünglinge zu dem Orte, wo der Spiegel stand, und machten es, wie ihnen der Mönch gesagt hatte, und während der eine Wache hielt, stieg der andere über die zwanzig Draken und holte den Spiegel und brachte ihn der Schwester.
Tags darauf tummelten sie ihre Pferde wiederum vor dem Turme, und als sie der König auf seinem Spazierritte erblickte, hatte er eine große Freude, und erzählte es wiederum seiner Mutter. Diese blieb aber dabei, daß es keine Menschen, sondern Elfengeister wären, und des andern Morgens ließ sie wieder die Hebamme kommen und zankte mit ihr, daß die Jünglinge abermals zurückgekehrt wären. Die Amme aber bat, sie sollte sich beruhigen, denn nun werde sie sie ohne Fehl zugrunde richten. Darauf verkleidete sie sich wiederum in die Alte, ging zum Turme und machte es wiederum so, daß sie dort schlafen und am andern Morgen die Jungfrau sehen durfte, und als diese ihr den neuen Spiegel zeigte, sagte sie: »Ach, liebes Fräulein, du bist so schön, daß sie dich Mond nennen, den Zweig, der Musik macht, hast du, den Spiegel, in dem du die Welt sehn kannst, hast du, nun fehlt dir nur noch eines.« Und als die Jungfrau fragte, was das sei, da sagte sie: »das ist der Vogel Dikjeretto, denn wenn der in den Spiegel sieht, so sagt er dir, was die Menschen auf der ganzen Welt sprechen, weil er alle Sprachen versteht, die es auf der Welt giebt.« Darauf ging die Alte weg, und das Mädchen wurde wiederum krank vor lauter Sehnsucht nach diesem Vogel, und als ihre Brüder sie fragten, was ihr fehle, sagte sie: »mich verlangt nach dem Vogel Dikjeretto.«
Als das die Brüder hörten, da ahnte es ihnen, daß sie bei dieser Aufgabe zu Grunde gehen würden. Sie gaben daher ihrer Schwester zwei Hemden und sagten ihr, »daß sie diese täglich betrachten solle, denn wenn sie schwarz würden, so bedeute das, daß sie auf ihrer Fahrt verunglückt seien.«
Darauf machten sich die Brüder auf, zogen über Berg und Tal und kamen wiederum zu dem Mönche, und der fragte sie, »wo sie hin wollten«; als er aber hörte, daß sie nach dem Vogel Dikjeretto auswären, da wurde er zornig und rief: »für die Launen eurer Schwester wollt ihr euch in den Tod stürzen?« und wollte ihnen durchaus nicht sagen, auf welche Weise sie diesen Vogel fangen könnten. Doch die Brüder ließen sich dadurch nicht abwendig machen, sondern gingen doch an den Ort, wo dieser Vogel lebte, und als sie ihn erblickten, ging der eine hin, um ihn zu greifen; da wandte sich der Vogel nach ihm um und sah ihn an, und sofort wurde er zu Stein. Da kam auch der andere heran und dem ging es grade so.
Sowie aber die Brüder zu Stein geworden, wurden die beiden Hemden, die sie der Schwester gegeben, kohlschwarz, und da rief diese: »o Jammer! meine Brüder sind meinetwegen zu Grunde gegangen, und darum will ich auch nicht länger leben, sondern mit ihnen sterben.« Da stieg das Mädchen auf ihr Pferd und zog einen Monat, zwei Monate, drei Monate, bis daß sie an den Ort kam, wo jener Mönch wohnte. Als sie ihn erblickte, begrüßte sie ihn und sprach: »guten Tag, Väterchen!« und er antwortete: »guten Tag, mein Kind! wo willst du denn hin?« Da rief sie: »ach! ich hatte zwei Brüder und die sind meinetwegen zu Grunde gegangen und darum will ich sie suchen und mit ihnen sterben.« Sie erbarmte den Mönch, weil sie gar so schön war, und er sagte: »Wenn du dorthin kommst, so mußt du dich ausziehen und wie dich Gott erschaffen hat, von hinten an den Vogel heranschleichen und ihn an den Füßen packen, denn wenn du in deinen Kleidern hingehst, so knistern diese in den Sträuchern oder rauschen vom Winde, und wenn der Vogel dich vorher gewahr wird, so wirst du ebenso gut zu Stein wie deine Brüder und viele andere Königs- und Fürstensöhne, die in ihren Kleidern hingingen, um ihn zu packen.«
Da dankte das Mädchen dem Mönche für seinen Rat und zog wieder über Berg und Tal, bis sie an den Ort kam, wo der Vogel lebte. Dort machte sie es, wie ihr der Mönch gesagt hatte, sie zog sich nackt aus, schlich sich von hinten her an den Vogel, ohne daß er es merkte, und packte ihn bei den Füßen, und als sie ihn gefangen hatte, fragte sie ihn, wo ihre Brüder seien, und er sagte: »da steht der eine und dort der andere, und in jenem Berge, der sich jeden Mittag auftut, ist eine Quelle, und wenn du schnell genug bist, aus dieser das Lebenswasser zu schöpfen und wieder heraus zu kommen, bevor sich der Berg schließt, so sind sie alle erlöst, wenn du aber nicht zeitig genug heraus kommst und sich der Berg schließt, bevor du wieder heraus bist, so sind wir beide verloren.«
Da ging am nächsten Mittag das Mädchen mit dem Vogel auf der Hand in den Berg und lief so schnell es konnte zur Quelle, schöpfte das Wasser und lief wieder heraus, und der Berg schloß sich so dicht hinter ihr, daß er ein Stück ihres Kleides packte. Das Mädchen aber besann sich nicht lange, sondern zog sein Schwert und schnitt dieses Stück ab, und ging dahin, wo seine Brüder standen, besprengte sie mit dem Wasser des Lebens und sofort wurden sie wieder lebendig und dehnten und reckten sich, wie einer, der aus dem Schlaf erwacht, und riefen: »ach, wie fest haben wir geschlafen und wie leicht sind wir aufgewacht.« Da erzählte ihnen ihre Schwester, was vorgegangen, und sie herzten und küßten sich und besprengten nun auch alle Andern, welche dort versteinert waren, und machten sie wieder lebendig und zum Danke begleiteten sie diese alle mit einander bis zu dem Turme, in welchem das Mädchen wohnte. Als sie dort ankamen, freute sich der Hirt, welcher der Pflegevater der Kinder war, so sehr über ihre Rückkehr, daß er vierzig Lämmer schlachtete und so viel Wein herbei schaffte, als sie trinken mochten, und da aßen und tranken sie drei Tage und drei Nächte lang.
Als der König von der großen Festlichkeit in jenem Turme hörte, wurde er neugierig, was dies zu bedeuten habe, und hoffte die Kinder wieder zu sehn. Er nahm also den Vorwand, daß er sich ein wenig zerstreuen müsse, und ging hin. Dort erwiesen sie ihm als König große Ehre, und als das Fest vorüber war, kehrte von den entzauberten Gästen ein jeder in seine Heimat zurück, der König aber blieb noch im Turme, und das Mädchen führte ihn darin herum und zeigte ihm den Zweig, der Musik macht, den Spiegel, in welchem man die ganze Welt sieht, und den Vogel, der Antwort gab auf Alles, was man ihn fragte; endlich aber konnte auch der König nicht länger mit Anstand im Turme bleiben, er nahm also Abschied und lud die drei Kinder auf den nächsten Sonntag bei sich zu Gast.
Als er nach Hause zurückkam, sagte er seiner Mutter, daß er auf den nächsten Sonntag die Kinder eingeladen habe, und bestellte die besten Speisen für sie. Diese erschrak, als sie das hörte; aber sie wußte nun nicht mehr, was sie dagegen tun sollte. Wie nun am Sonntag die Kinder von Hause gehen wollten, da rief der Vogel: »nehmt mich auch mit, nehmt mich auch mit, denn der König ist euer Vater.« Die Kinder wollten das nicht glauben. Der Vogel aber sprach: »ihr mögt es nun glauben oder nicht, tut, was ich sage. Das Mädchen soll eine Milnzane mit Diamanten füllen, und wenn ihr der König Speise vorlegt, so soll sie die Milnzane auf den Teller des Königs legen und ihn bitten, auch von ihrer Speise zu essen, und wenn ihr dort seid, so laßt alle Türen verschließen.« Die Geschwister taten, wie ihnen der Vogel gesagt hatte, und nahmen ihn mit zum Könige. Dort setzten sie sich zur Tafel mit des Königs Mutter, der Hebamme und allen Hausleuten. Als nun der König dem Mädchen Essen vorlegte, holte diese die Milnzane hervor, legte sie auf des Königs Teller und sprach: »Versuchet auch etwas aus meiner Küche.« Da sagte die Mutter des Königs heimlich zu ihm: »habe ich dir es nicht gesagt, daß es Elfen sind, die dich nun mit ihren Speisen verzaubern wollen?« Der Vogel aber, dessen Käfig sie über der Tafel aufgehängt hatten, fing an zu lachen.
Als nun der König die Milnzane aufschnitt, um davon zu essen, da fand er, daß sie mit lauter Diamanten gefüllt war, und rief aus: »wie ist es möglich, daß eine Milnzane mit lauter Diamanten gefüllt sei?« und sogleich erwiderte der Vogel und sprach: »Es ist freilich nicht möglich, daß es eine mit Diamanten gefüllte Milnzane gebe, ist es aber möglich, daß eine Frau ein Hündchen, ein Kätzchen und ein Mäuschen gebäre?« »Ja wohl, ja wohl«, rief der König, »denn meiner eignen Frau ist das widerfahren.« Als die Königsmutter und die Hebamme dieses Gespräch hörten, wollten sie aufstehen und weggehen, aber der Vogel befahl ihnen zu bleiben und sprach zum König: »siehe hier, o Herr! die Sonne, den Mond und den Morgenstern, welche dir deine Frau geboren hat; deine Mutter aber hat sie mit einem Hündchen, einem Kätzchen und einem Mäuschen vertauscht und deine Frau in den Hühnerstall gesperrt.« Da sprang der König auf und küßte und herzte seine Kinder und ließ auch seine Frau aus dem Hühnerstall holen und mit königlichen Kleidern schmücken und zu ihren Kindern führen. Der Hebamme aber wurde der Kopf abgeschlagen und die Königsmutter aus dem Pallaste verbannt.

[Griechenland: Johann Georg von Hahn: Griechische und Albanesische Märchen]

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