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Soria-Moria-Schloß

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(1)

Es war einmal ein Ehepaar, das hatte einen Sohn, der hieß Halvor. Von seiner Kindheit an wollte der Knabe überhaupt nichts tun, sondern saß immer nur da und wühlte in der Asche. Die Eltern gaben ihn bei verschiedenen Meistern in die Lehre; aber Halvor hielt es nirgends aus, sondern lief nach ein paar Tagen immer wieder fort, kehrte heim und setzte sich auf den Feuerherd und wühlte in der Asche. Da geschah es einmal, dass ein Schiffer zu seinen Eltern kam; der sah Halvor und fragte ihn, ob er nicht Lust hätte, zur See zu fahren und fremde Länder zu sehen. Ja, dazu hatte Halvor große Lust, und er ging sogleich mit dem Schiffer mit.
Nun weiß ich nicht recht, wie lange sie schon gesegelt waren, aber schließlich erhob sich ein heftiger Sturm, und als der vorüber war und es wieder ruhig wurde, da wussten die Seeleute nicht mehr, wo sie sich befanden; sie waren an eine fremde Küste getrieben, die keiner von ihnen kannte. Weil nun gar kein Wind wehte und sie stilliegen mussten, bat Halvor den Schiffer um Erlaubnis, an Land zu gehen, um sich dort umzusehen; denn er konnte es nicht aushalten, immer nur still zu liegen und zu schlafen. „Glaubst du, dass du dich vor den Leuten sehen lassen kannst?“ sagte der Schiffer. „Du hast ja keine anderen Kleider als die Lumpen.“ Halvor aber bat so lange, bis ihm der Schiffer endlich die Erlaubnis gab; nur musste er ihm versprechen, dass er wieder zurückkehren würde, wenn Wind aufkäme.
Darauf ging er an Land. Hier waren überall große, schöne Ebenen und Wiesen, aber nirgends war eine Spur von Menschen. Bald darauf fing es an zu wehen; aber Halvor wollte noch gern mehr von dem Land sehen und ging daher weiter, in der Hoffnung, dass er auch Menschen dort antreffen würde.
Nach einer Weile gelangte er auf einen großen, breiten Weg, der war so flach und so eben, dass man ein Ei darauf fortrollen konnte. Halvor ging diesen Weg weiter, bis er endlich gegen Abend ein großes schimmerndes Schloss in der Ferne erblickte. Weil er aber den ganzen Tag gegangen war und keinen Mundvorrat mitgenommen hatte, war er entsetzlich hungrig, und je näher er dem Schloss kam, desto unheimlicher wurde ihm zumute.
Als er endlich das Schloss erreicht hatte, ging er hinein und kam zuerst in die Küche, wo ein helles Feuer im Herd brannte. In der Küche war alles so schön und prachtvoll, wie er es nie zuvor in einer Küche gesehen hatte; da standen Gefäße von Gold und Silber, aber Menschen waren nicht da. Als nun Halvor eine Zeitlang gewartet hatte und niemand kam, öffnete er eine Tür und trat in ein großes Zimmer. Dort saß eine Prinzessin, die spann an einem Rocken. „Wie“, rief sie, „darf denn eine Christenseele hierher kommen? Aber du machst am besten, dass du gleich wieder fort kommst, wenn dich nicht der Troll verschlingen soll; denn hier wohnt ein abscheulicher Troll mit drei Köpfen. – „Mir sollt’s recht sein, wenn er vier hätte“, sagte der Bursche. „Ich habe große Lust, den Kerl zu sehen; und ich gehe nicht weg, denn ich habe nichts Böses getan. Erst aber musst du mir etwas zu essen geben, denn ich bin verdammt hungrig.“ Als Halvor sich nun satt gegessen hatte, sagte die Prinzessin zu ihm, er solle versuchen, ob er das Schwert zu schwingen vermöchte, das an der Wand hing. Aber er konnte es nicht schwingen, ja, er konnte es nicht einmal aufheben. „So musst du einen Trunk aus der Flasche tun, die daneben hängt“, sagte die Prinzessin, „denn das tut der Troll immer, wenn er es gebrauchen will.“ Halvor tat darauf einen guten Trunk aus der Flasche, und da konnte er das Schwert schwingen wie gar nichts. Nun, meinte er, sollte der Troll nur kommen.
Es dauerte auch nicht lange, da kam er dahergesaust. Halvor versteckte sich hinter der Tür. „Hutetu! Hier riecht’s so nach Menschenfleisch!“ sagte der Troll, als er den Kopf zur Tür hereinsteckte. „Ja, das sollst du schon merken!“ sagte Halvor und hieb ihm alle Köpfe auf einmal herunter. Da wurde die Prinzessin so froh, dass sie sang und sprang; aber wie sie nun an ihre Schwestern dachte, sagte sie: „Ach, wären doch meine Schwestern auch erlöst!“ – „Wo sind die?“ fragte Halvor. Da erzählte sie ihm, dass die eine von einem Troll auf einem Schloss festgehalten werde, das sechs Meilen entfernt sei, und die andere auf einem Schloss, das noch neun Meilen weiter sei. „Aber jetzt“, sagte sie, „musst du mir erst helfen, diesen Rumpf hinauszuschaffen.“ Dazu war Halvor sogleich bereit; er warf den Rumpf hinaus und machte alles rein und sauber, und darauf waren sie lustig und vergnügt.
Am nächsten Morgen aber machte Halvor sich in der Dämmerung auf. Er gönnte sich keinen Augenblick Ruhe, sondern ging und lief den ganzen Tag. Als er aber endlich das Schloss vor sich sah, wurde ihm doch wieder etwas unheimlich zumute. Es war noch viel schöner und prächtiger als das vorige, aber auch hier war keine Menschenseele zu sehen. Halvor ging zuerst in die Küche und von da aus ins Zimmer. „Wie darf denn eine Christenseele hierher kommen?“ rief die Prinzessin. „Ich weiß nicht, wie lange ich nun schon hier bin“, sagte sie, „aber in all der Zeit habe ich noch nie einen Menschen hier gesehen. Es ist aber wohl am besten für dich, du siehst zu, dass du wieder fort kommst, denn hier wohnt ein Troll, der hat sechs Köpfe.“ – „Nein, ich gehe nicht“, sagte Halvor, „und wenn er noch sechs dazu hätte.“ – „Er packt dich und frisst dich lebendig auf“, sagte die Prinzessin.
Aber es half nichts, Halvor wollte nicht wieder fortgehen, denn er hatte keine Angst vor dem Troll, aber zu essen und zu trinken wollte er haben, weil er so entsetzlich hungrig war von der Reise. Ja, das bekam er, soviel er nur wollte. Danach aber bat die Prinzessin ihn wieder, er solle doch gehen. „Nein“, sagte Halvor, „ich gehe nicht, denn ich habe nichts Böses getan und brauche mich nicht zu fürchten.“
Da nun Halvor durchaus nicht gehen wollte, sagte die Prinzessin zu ihm: „Versuche denn, ob du das Schwert schwingen kannst, das dort an der Wand hängt und das der Troll immer im Kriege gebraucht.“ Aber Halvor konnte das Schwert nicht schwingen. Da sagte sie zu ihm, er solle einen Trunk aus der Flasche tun, die daneben hing; und als Halvor das getan hatte, konnte er das Schwert ohne Mühe schwingen.
Nun dauerte es nicht lange, da kam der Troll; er war so groß und breit, dass er seitwärts durch die Tür gehen musste. Als er den ersten Kopf hereinsteckte, rief er: „Hutetu! Es riecht hier so nach Menschenfleisch!“ Im selben Augenblick aber hieb Halvor ihm den Kopf ab und danach all die anderen dazu. Da wurde die Prinzessin über alle Maßen froh. Als sie aber an ihre Schwestern dachte, wünschte sie sich, dass auch die erlöst sein möchten. Halvor meinte, da ließe sich schon Rat finden, und wollte sogleich wieder fort; aber erst musste er der Prinzessin helfen, den Rumpf des Trolls hinauszuschaffen.
Früh am nächsten Morgen machte er sich dann auf den Weg. Er hatte eine weite Reise vor sich, und er ging und lief abwechselnd, damit er noch zur rechten Zeit ankäme. Gegen Abend erblickte er endlich das Schloss, das noch weit schöner und prachtvoller war als die beiden ersten. Nun fürchtete er sich nicht im Geringsten mehr, sondern schritt geradewegs durch die Küche ins Zimmer. Hier saß eine Prinzessin, die war so schön, dass es gar nicht zu beschreiben ist; die sagte nun ebenso wie die anderen, dass sie noch keine Menschenseele gesehen habe, solange sie bei dem Troll sei, und bat ihn, nur schnell wieder zu gehen, denn sonst fräße ihn der Troll mit seinen neun Köpfen lebendig auf. „Und wenn er noch neun dazu hätte – ich gehe doch nicht“, sagte Halvor. Die Prinzessin bat ihn flehentlich, er möchte doch wieder fortgehen, damit ihn der Troll nicht auffräße; aber Halvor sagte: „Mag er nur kommen, wenn es ihm gefällt.“ Da gab die Prinzessin ihm das Trollschwert und ließ ihn einen Trunk aus der Flasche tun, so dass er’s schwingen konnte.
Nun dauerte es gar nicht lange, da kam der Troll dahergesaust, der war aber noch viel größer und breiter als die beiden anderen und musste ebenfalls seitwärts durch die Tür gehen. Als er den ersten Kopf hereinsteckte, sagte er ebenso wie die anderen: „Hutetu! Hier riecht’s so nach Menschenfleisch!“ Im selben Augenblick aber hieb Halvor ihm den Kopf herunter, und danach auch all die anderen, aber der letzte war am zähesten; den abzuhauen war die schwerste Arbeit, die Halvor je verrichtet hatte, obgleich er doch meinte, dass er Kräfte hätte.
Als Halvor nun auch den dritten Troll getötet hatte, kamen alle Prinzessinnen auf dem Schloss zusammen und waren so heiter und vergnügt, wie sie es noch nie in ihrem Leben gewesen waren, alle waren sie in Halvor verliebt, aber er durfte nur diejenige von ihnen wählen, die er am liebsten mochte, und die jüngste Prinzessin liebte ihn am meisten. Halvor aber war ganz still und betrübt. Da fragte die jüngste Prinzessin ihn, warum er so traurig sei, und ob es ihm nicht bei ihnen gefalle. „Ja“, sagte Halvor, „es gefällt mir sehr gut bei euch, denn ihr habt ja genug zu leben, und ich habe hier gute Tage. Aber ich habe so große Sehnsucht nach zu Hause, denn meine Eltern sind noch am Leben, und die möchte ich so gern einmal wieder sehen.“ Die Prinzessinnen meinten, das ließe sich wohl machen, und sagten zu ihm: „Du sollst ohne Schaden hin- und zurückkommen, wenn du nur genau unsern Rat befolgst.“ Ja, Halvor wollte ihn genau befolgen. Da gaben sie ihm herrliche Kleider, so dass er aussah wie ein Königssohn, und steckten einen Ring an seinen Finger, der hatte die Eigenschaft, dass man sich damit hin und wieder zurück wünschen konnte. Die Prinzessinnen warnten ihn aber, den Ring ja nicht zu verlieren und ja nicht ihren Namen zu nennen, denn dann wäre es aus mit der ganzen Herrlichkeit, sagten sie, und er würde sie dann nie wieder sehen. „Wäre ich jetzt zu Hause, dann wäre ich froh!“ sagte Halvor, und wie er das gewünscht hatte, ging es sogleich in Erfüllung.
Halvor stand plötzlich vor dem Haus seiner Eltern. Es war eben um die Dämmerstunde, und als seine Eltern einen so vornehmen, stattlichen Herrn eintreten sahen, waren sie ganz erschrocken und bückten und verneigten sich. Halvor fragte, ob er nicht Nachtherberge bei ihnen bekommen könnte. Nein, das könne er wahrhaftig nicht. „Wir sind nicht so eingerichtet“, sagten sie, „denn wir haben nichts, womit einem solchen Herrn gedient sein könnte.“ Und sie rieten ihm, auf das Schloss zu gehen, dessen Schornstein er da sähe, da hätten sie alles vollauf. Halvor aber gefiel das gar nicht, er wollte durchaus bei ihnen Herberge haben; doch die Leute blieben dabei – er solle aufs Schloss gehen, da könne er zu essen und zu trinken bekommen, während sie ihm nicht einmal einen Stuhl anzubieten hätten. „Nein“, sagte Halvor, „aufs Schloss will ich erst morgen früh; lasst mich nur die Nacht bei euch bleiben, ich kann mich ja auf den Herd setzen.“ Dagegen konnten sie denn nichts einwenden, und Halvor setzte sich nun auf den Herd und fing an, in der Asche zu wühlen, wie er es immer getan hatte, als er noch zu Hause faulenzte.
Sie sprachen nun von mancherlei, und Halvor erzählte von diesem und jenem, und endlich fragte er sie, ob sie niemals Kinder gehabt hätten. Ja, sagten sie, sie hätten einen Burschen gehabt mit Namen Halvor, der sei aber fortgewandert, und sie wüssten nicht, ob er noch am Leben oder schon tot sei. „Könnt‘ ich es denn nicht sein?“ fragte Halvor. – „Nein, das weiß ich genau“, sagte die Frau, „der Halvor war immer so faul und träge und mochte nie das geringste tun, und dann ging er so zerlumpt, dass bei seinen Kleidern ein Lappen immer auf den anderen schlug; aus ihm hätte nie ein solcher Herr werden können, wie Ihr es seid!“
Als aber die Frau die Glut auf dem Herd anschürte und der helle Schein davon auf Halvor fiel, da erkannte sie ihn wieder. „Ja, wahrhaftig, bist du es, Halvor!“ rief sie, und die alten Eltern freuten sich so sehr, dass es gar nicht zu sagen ist. Halvor musste ihnen nun erzählen, wie es ihm ergangen war. und seine Mutter wollte durchaus, er solle sogleich aufs Schloss gehen und sich den Dienstmädchen zeigen, die immer so stolz getan hatten. Sie lief selber voraus und erzählte ihnen, dass Halvor nach Hause gekommen sei, und jetzt sollten sie nur sehen, wie stattlich er wäre, ersähe aus wie ein Prinz. „Das wissen wir freilich“, sagten die Mädchen und rümpften die Nasen, „er ist wohl noch derselbe Lump, der er immer gewesen ist.“ Im selben Augenblick aber trat Halvor ein, und da erschraken die Mädchen so gewaltig, dass sie das Feuer im Herd vergaßen und vor Schreck im bloßen Unterrock auf und davon liefen. Als sie zurückkamen, waren sie so beschämt, dass sie gar nicht wagten, Halvor anzusehen, gegen den sie früher immer so stolz und übermütig gewesen waren. „Ihr habt euch immer für so fein und so hübsch gehalten“, sagte Halvor, „und habt geglaubt, so etwas wie euch gäbe es nicht noch einmal; ihr solltet aber nur die älteste Prinzessin sehen, die ich befreit habe, gegen die seht ihr aus wie wahre Viehmägde! Die zweite ist noch schöner, und die jüngste, die meine Braut ist, die ist schöner als Sonne und Mond. Ich wünschte nur, sie wären hier, dann solltet ihr sehen!“
Kaum aber hatte er das gesagt, so standen die Prinzessinnen vor ihm; das betrübte ihn sehr, denn er erinnerte sich nun an die Worte, die sie gesprochen hatten. Auf dem Schloss wurde ein herrliches Gastmahl für die Prinzessinnen angerichtet und großer Aufwand gemacht. Aber sie blieben nicht lange da. „Wir wollen zu deinen Eltern gehen“, sagten sie, „und uns ein wenig die Umgegend ansehen.“
Sie gingen darauf fort, und nicht weit vom Schloss kamen sie zu einem großen See, in dem es von Fischen wimmelte, die aber niemals gefangen wurden. Dicht am Wasser war ein schöner grüner Hügel. Da wollten die Prinzessinnen sich niedersetzen und sich ein Weilchen ausruhen; denn die Aussicht über das Wasser gefiel ihnen so sehr, sagten sie.
Als sie nun eine Weile da gesessen hatten, sagte die jüngste Prinzessin: „Komm, Halvor, ich will dir den Kopf kraulen!“ Halvor legte seinen Kopf in ihren Schoß, und es dauerte nicht lange, so schlief er ein. Da zog die Prinzessin ihm den Ring vom Finger und steckte ihm einen anderen an. Danach sprach sie: „Haltet euch nun alle fest an mir! – Wären wir jetzt auf Soria-Moria-Schloß!“
Als Halvor erwachte und sah, dass die Prinzessinnen verschwunden waren, fing er bitterlich an zu weinen und war so betrübt, dass er sich gar nicht wieder beruhigen konnte. Wie sehr ihn auch die Eltern trösteten und ihn baten, bei ihnen zu bleiben – nichts konnte ihn zurückhalten -, er nahm Abschied von ihnen und sagte, er würde sie wohl nie wieder sehen, denn wenn er die Prinzessinnen nicht wieder finden könnte, hätte sein Leben auch keinen Wert mehr für ihn.
Dreihundert Taler hatte er noch, die steckte er in die Tasche und begab sich damit auf den Weg.
Als er ein Ende gegangen war, begegnete ihm ein Mann mit einem Pferd, das wollte Halvor ihm gern abkaufen, und er verhandelte mit dem Mann. „Ich wollte es eigentlich nicht verkaufen“, sagte der Mann, „aber wenn wir handelseinig werden können, mag es angehen.“ Halvor fragte ihn, was er denn für das Pferd haben wolle. „Viel habe ich nicht dafür gegeben, und viel ist es auch nicht wert“, sagte der Mann, „aber es ist ein braves Pferd zum Reiten, obwohl es zum Ziehen eigentlich nicht taugt, und wenn Ihr mitunter mal wieder absteigt und ein Ende geht, wird es Euch und Euern Ranzen schon tragen können. Sie einigten sich nun über den Preis, und als Halvor das Pferd bekommen hatte, legte er seinen Ranzen darauf und ging und ritt abwechselnd. Gegen Abend kam er zu einem grünen Hügel, auf dem ein großer Baum stand. Da nahm er seinen Ranzen, ließ dem Pferd die Zügel und legte sich unter den Baum schlafen. Sobald es Tag wurde, machte er sich wieder auf den Weg; denn er hatte durchaus keine Ruhe.
Er ging und ritt den ganzen Tag durch einen großen Wald, in dem viel grüne Plätze waren, die herrlich zwischen den Bäumen hindurchschimmerten. Halvor wusste nicht mehr, wo er war und wohin der Weg führte; aber er ließ sich nur Zeit zum Ausruhen, wenn er dem Pferd etwas zu essen gab und er selber auf einem der grünen Plätze seinen Ranzen aufschnürte. Er ging und ritt immerfort, und der Wald schien niemals ein Ende nehmen zu wollen.
Aber am anderen Morgen, als es dämmerte, sah er, dass es zwischen den Bäumen lichter wurde. Ich wollte, ich käme jetzt zu Leuten, wo ich mich ein wenig wärmen und etwas zu essen bekommen könnte, dachte Halvor, und als er noch einige Schritte gegangen war, kam er zu einer armseligen Hütte und sah durch die Fensterscheiben ein paar alte Leute.
Sie waren schon sehr alt und hatten ganz graue Köpfe, so grau wie Tauben, und die Frau hatte eine Nase, die war so lang, dass sie sie als Feuerhaken auf dem Herd gebrauchte. „Guten Abend!“ sagte Halvor, als er eintrat. „Guten Abend!“ sagte die Frau. „Was führt Euch denn hierher? Über hundert Jahre ist jetzt keine Menschenseele hier gewesen.“ Halvor erzählte ihnen, dass er nach Soria-Moria-Schloß wolle und fragte, ob sie nicht den Weg dahin wüssten. „Nein“, sagte die Frau, „den weiß ich nicht, aber nun kommt gleich der Mond, den will ich fragen; denn der scheint auf alles und sieht alles, der mag es wohl wissen.“ Als nun der Mond hell und klar über den Bäumen stand, ging die Frau hinaus und rief: „Du, Mond! Du, Mond! Kannst du mir nicht den Weg nach Soria-Moria-Schloß sagen?“ – „Nein“, sagte der Mond, „das kann ich nicht; denn als ich in der Gegend schien, stand eine Wolke davor.“ – „Warte nur ein wenig“, sagte die Frau zu Halvor, „nun kommt bald der Westwind, der weiß es gewiss; denn der weht und bläst in jeden Winkel. – Ei! Hast du auch ein Pferd?“ rief sie darauf, als sie Halvors Pferd erblickte. „lass doch das arme Tier ein wenig auf die Koppel hinaus, es braucht hier nicht an der Tür zu stehen und zu hungern! – Aber willst du es mir nicht vertauschen?“ fragte sie, „ich habe hier ein paar alte Stiefel stehen, in denen du sieben Meilen mit einem Schritt machen kannst, die will ich dir für das Pferd geben. Dann kannst du auch viel schneller nach Soria-Moria-Schloß kommen.“ Das war Halvor schon recht, und die Alte freute sich so sehr über das Pferd, dass sie tanzte und sprang. „Nun kann ich doch zur Kirche reiten, wenn ich will!“ sagte sie. Halvor, der keine Ruhe hatte, wollte sogleich mit den Stiefeln fort, aber die Alte sagte: „Es hat nicht so große Eile; lege dich nur erst ein wenig auf die Bank und schlafe, denn ein Bett habe ich dir nicht anzubieten. Ich will indessen aufpassen, wenn der Westwind kommt.“
Als nun Halvor ein wenig geschlafen hatte, kam der Westwind dahergesaust, dass die alte Hütte krachte. Die Alte sprang hinaus. „Du, Westwind! Du, Westwind!“ rief sie. „Weißt du nicht den Weg nach Soria-Moria-Schloß? Hier ist einer, der will gern hin.“ – „Ja, den weiß ich sehr gut“, sagte der Westwind, „ich soll eben jetzt dahin und die Kleider zur Hochzeit trocknen. Wenn er schnell zu Fuß ist, kann er mit mir reisen.“ Halvor ging hinaus. „Du musst schnell sein, wenn du mitkommen willst“, sagte der Westwind, und fort ging’s über Stock und Stein, über Hügel und Tal, so dass Halvor genug zu tun hatte, um schritt zuhalten. Endlich sagte der Westwind: „Jetzt kann ich nicht weiter mit dir reisen; denn ich muss dort erst ein Stück Tannenwald umreißen, eh‘ ich zur Bleiche komme und die Kleider trockne. Wenn du aber an der Bergwand weitergehst, so kommst du zu einigen Mädchen, die dort waschen, und von da ist es nicht mehr weit nach Soria-Moria-Schloß.“
Nach einer Weile kam Halvor zu den Mädchen und sie fragten ihn, ob er nicht den Westwind gesehen hätte, der das Zeug zur Hochzeit trocknen sollte. „Ja, sagte Halvor, „er reißt nur noch ein Stück Tannenwald um; es wird aber nicht mehr lange dauern, dann ist er hier.“ Und nun fragte er sie nach dem Weg nach Soria-Moria-Schloß. Sie gaben ihm Bescheid, und als er zum Schloss kam, wimmelte es dort von Menschen und Pferden. Halvor aber war so zerlumpt und zerrissen, weil er dem Westwind über Berg und Tal und Stock und Stein gefolgt war, dass er sich gar nicht sehen lassen mochte. Erst am letzten Tag, als sich eben die Gäste zur Tafel setzten, trat er hervor.
Als sie nun, wie es Sitte und Brauch ist, auf die Gesundheit des Bräutigams und der Braut tranken und ihnen Glück wünschten und der Mundschenk allen Rittern und Knappen zutrank, da kam der Becher auch zu Halvor. Er brachte nun ebenfalls einen Trinkspruch auf die Gesundheit des Brautpaares aus, danach ließ er den Ring, den die Prinzessin ihm an den Finger gesteckt hatte, als er am Wasser eingeschlafen war, in den Becher fallen und sagte zu dem Mundschenk, er solle die Braut von ihm grüßen und ihr den Becher reichen. Wie nun die Prinzessin ihren Ring erblickte, stand sie sogleich vom Tisch auf und sprach: „Wer hat es wohl mehr verdient, eine von uns zur Gemahlin zu haben, der, der uns befreit hat, oder der, der hier als Bräutigam sitzt?“ Natürlich der erste, sagten alle, da könne es nur eine Meinung geben. Und als Halvor das hörte, säumte er nicht, seine Lumpen abzuwerfen und sich als Bräutigam zu schmücken. „Ja, das ist der Rechte!“ rief die Prinzessin, als sie ihn erblickte, ließ den anderen mit seiner langen Nase abziehen und hielt Hochzeit mit Halvor.

Quelle:
(Unbekannt-Norwegen)

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