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Märchenbasar

Tauperlen-Janos

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Wo war’s, wo war’s nicht, jenseit von siebenmal sieben Königreichen war’s; ich bin fortgezogen nach Pereg, zu den Märchen; dort waren die Märchen an die Krippe gebunden. Ich band ein schmuckes los, ich erzähle ein kurzes. Ich fuhr über die Theiss, jenseit der Theiss waren Peter Jambor, Paul Jambor und der Schönste der Welt.
Es war einmal auf der Welt eine Königin; diese Königin hatte kein Kind und hätte doch so gern eins gehabt. Was nur möglich war, alles tat sie; aber Gott segnete sie nicht. Einstmals ging sie hinaus in den kleinen Garten, auf und ab zu spazieren, roch an den allerschönsten Blumen; neben einem Rosenstrauch blieb sie auch stehen, wollte eine abpflücken. Sie pflückte sie auch; doch wie sie an dem Strauch schüttelte, rollte ein Tautropfen auf sie herab; davon wurde sie guter Hoffnung. Sie war glücklich, denn sie wusste schon, dass sie einen so schönen kleinen Sohn bekommen würde, dass alle kommen und ihn bewundern würden. Sie wartete auf seine Geburt; doch der kleine Knabe wollte nicht zur Welt kommen. Schon dreizehn Jahre trug sie ihre Bürde, und der Knabe war immer noch nicht auf der Welt. Schon ging auch das vierzehnte zu Ende, als die Wunderschöne Örzsebet zur Königin kam. Sprach die Wunderschöne Örzsebet also:
»Mein schönes Herzlieb, Tauperlen-Janos, komm heraus! Ich, die Wunderschöne Örzsebet, harre deiner!«
Als das der Knabe dort drinnen hörte, begann er sich zu regen, und schon nach ein paar Augenblicken sprang er hinaus, mit Tschako und Schwert bewaffnet.
»Nun, hier bin ich, Wunderschöne Örzsebet! Warum hast du gerufen?«
Doch die Wunderschöne Örzsebet war eine Fee; keine Spur war mehr von ihr da; sie war von dannen gezogen.
Da sprach Tauperlen-Janos – denn so wurde der Knabe genannt – zu seiner Mutter:
»Mutter, backe mir Wegzehrung, und dann gehe ich; ich werde die Wunderschöne Örzsebet aufsuchen, und wenn sie auch am andern Ende der Welt wäre!«
So geschah es auch. Die Mutter versorgte Janos mit allem reichlich, und Janos machte sich auf den Weg, zog in die Welt hinaus.
Er geht, wandert und wandert, langt bei einem Hause an. Dort schliefen zwei Königssöhne ganz fest auf dem Lager mit Schwert und Tschako. Janos kümmerte sich auch nicht weiter um sie, warf sich auf ein anderes Lager und schlief wie die süsse Milch. Plötzlich wacht einer der beiden Prinzen auf, sieht, dass sie nicht allein sind, weckt den andern auch.
»Höre, steh auf, hier ist ein Königssohn; sicherlich ist er auch um der Wunderschönen Örzsebet willen ausgezogen. Weisst du was? Wir töten ihn; er schläft jetzt gerade fest.«
Spricht der andere drauf:
»Wie kannst du nur so sprechen! Hätte er nicht vielmehr uns töten können, wenn er ein böser Mensch gewesen wäre? Dann würden weder du noch ich jetzt atmen. Und dann wer weiss, wer das sein mag und welchen Nutzen wir noch von ihm haben können!«
Darauf sagte dann der andere nichts.
Tauperlen-Janos war von dem Gespräch aufgewacht. Er wusste nicht, was sie sprachen; er hörte nur Worte. Er sah, dass jene auch auf waren. Sogleich machte er auch ihre Bekanntschaft.
»Wonach seid Ihr ausgezogen?«
»Wir suchen die Wunderschöne Örzsebet!«
»Traun, das ist auch mein Ziel! Nun, so wollen wir zusammenhalten!«
So geschah’s auch; sie wanderten mitsammen. Nicht lange darauf kamen sie zu einem Berg, auf dem war ein grosser Baum; kaum hatten sie den Berg betreten, im selben Augenblick verwandelte der sich in einen furchtbaren grossen bepelzten Mann. Die beiden Prinzen erschraken; sie sagten, sie gingen keinen Schritt weiter, denn sie fürchteten sich vor dem bepelzten Mann. Tauperlen-Janos sprach drauf zu sich: »Ei nun, steht’s so mit unserer Tapferkeit!« – damit riss er das Schwert heraus, stellte sich vor sie und sprach: »Wer ohne Furcht ist, folge mir nach!«
Die zwei Prinzen gingen hinter ihm. Je näher sie dem bepelzten Manne kamen, desto grösser wurde er. Doch Janos schaute jenen garnicht an. Als sie ganz dicht bei ihm angelangt waren, hieb er tüchtig mit dem Schwert auf ihn ein, und dann zogen sie fürbass. Der Weg führte zum Eingang einer Höhle. Dort blieben die drei Prinzen stehen und beratschlagten, wer zuerst da hineingehen sollte. Die beiden Prinzen sagten, das beste wäre, Tauperlen-Janos ginge hinein, denn er wäre der tapferste.
Janos war’s zufrieden; er schritt guten Mutes hinein. Doch vorher machte er auf der Erde ein kleines Beet, in dieses Beet steckte er Veilchensamen.
»Wenn dieser Veilchensamen aufgeht, dann kommt mir nach, Gefährten, denn dann ist’s aus mit mir.«
Das gelobten sie und blieben draussen, und Janos ging.
So dunkel war’s dort, wie’s hier bei uns nachts in der Wildnis zu sein pflegt; Janos sah kaum ein paar Schritte weit. Er schritt tiefer hinein, da begann es sich aufzuhellen. Bald darauf sah er eine Frau, die sass an einem Webstuhl und webte Soldaten. Je geschickter sie das Weberschiffchen warf, desto mehr Soldaten webte sie. Und die fielen über Janos her. Doch jene Frau hätte nicht so viele Soldaten aus ihrem Webstuhl da herausweben können, wie Janos hätte niederhauen können.
Als er schon hinaus gelangt war, wurde es ganz hell. Er sah sich inmitten einer wunderschönen, grünen Wiese. Mittendrin stand ein schönes kleines Haus, nicht weit davon floss die Donau, das Ufer war dicht bewachsen mit breiten grossen Weidenbäumen.
Was sollte er in dieser Einöde machen? Er fasste sich ein Herz, trat in das Haus. Dort wohnte eine schöne junge Frau. Janos wandte sich gleich an sie, wo er wohl die Wunderschöne Örzsebet finden könnte, denn sie müsste sein werden um jeden Preis.
»Eine grosse Sache hast du unternommen, Tauperlen-Janos! Ich weiss nicht, ob daraus etwas werden wird. Doch wenn du willst, ich gebe dir guten Rat. Die Wunderschöne Örzsebet kommt täglich zu zwölft hierher, in der Donau zu baden, doch stets nur am hellen Mittag. Ehe sie noch zum baden kommen, mache dich auf zum Gestade, verbirg dich zwischen dem Weidenlaub, und wenn sie die Gewänder abgelegt haben, raffe der Wunderschönen Örzsebet Gewand zusammen und eile damit hierher. Doch wie sie auch flehen, auch bitten mag, dass du zurückschauen sollst, schau du nicht zurück, denn dann ist’s aus mit dir!«
So geschah’s auch. Janos hatte sich schon vorher gut zwischen den Weidenzweigen versteckt; dort erwartete er die Wunderschöne Örzsebet. Just Mittag war’s, als sie zu zwölft kamen. Die andern legten die Gewänder ab; doch die Wunderschöne Örzsebet schaute aufmerksam rings umher.
»Hier ist ja nirgends jemand, was schaust du? Wer sollte wohl hierher kommen, wo selbst der Vogel nicht fliegt?« sagten ihr die Feengespielinnen.
Doch die Wunderschöne Örzsebet schaute umher, bis sie sicher war, dass wirklich nirgends jemand war. Dann legte sie ihr Gewand ab und ging zu baden. Janos fielen fast die Augen aus dem Kopf, so schaute er. Als er sah, dass sie mitten beim baden waren, sprang er plötzlich aus dem Gebüsch hervor, raffte der Wunderschönen Örzsebet Gewand zusammen, und heidi, hast du nicht gesehen! eilte er damit dem Hause zu.
Die Wunderschöne Örzsebet sah es sogleich:
»Mein süsses Herz, mein schönes Lieb, Tauperlen- Janos, komm zurück, dass ich dich herze, dass ich dich küsse!«
Doch Janos eilte nur von dannen.
»So schau dich doch nur ein bischen um! Mein süsses Herz, mein schönes Lieb, tu mir das eine!«
Dem konnte er nicht länger widerstehen, er schaute sich um. Auf der Stelle war er in einen Ball verwandelt. Die Wunderschöne Örzsebet und die Feen kamen aus dem Wasser heraus, begannen, mit ihm Ball zu spielen. Sie schlugen ihn gar zur Erde, fast wäre er geborsten. Als sie des Spielens müde waren, schleuderten sie ihn in die Donau. Dort wurde er in eine wunderschöne goldene Ente verwandelt.
Droben vor der Höhle keimten die Veilchen auf. Das sahen die beiden Prinzen.
»Nun, Gefährte, auf! Unserer Kamerad ist in Not!«
Sie gingen geradewegs in das Haus, wo Tauperlen- Janos Nachfrage gehalten hatte. Die junge Frau sagte ihnen:
»Ich weiss nicht, ob er zu retten ist«, sagte die junge Frau, weil die beiden Prinzen danach fragten. »Ein Mittel gibt’s; wenn ihr das richtig ausführt, dann kann vielleicht noch alles gut werden. Tauperlen- Janos schwimmt jetzt als goldene Ente in der Donau. Die Wunderschöne Örzsebet hat ihn darein verwandelt. Ihr könnt ihn nur erlösen, wenn ihr ihm den Kopf so abschiesst, dass er aufs Ufer niederfällt und der Leib drinnen im Wasser bleibt. Doch schiesst geschickt, denn sonst ist’s aus mit allem!«
Die beiden gingen hin zum Donauufer, der eine nahm seine Büchse vor und zielte auf den Kopf der Goldente, die unterdessen schon am andern Rande der Donau schwamm. Kaum hatte er die Büchse abgefeuert, da überschlug sich die Ente im Wasser und ihr Kopf flog hinaus aufs Ufer, dort wurde sogleich Tauperlen-Janos daraus.
Da freuten sich alle drei, als sie sich wiedersahen. Sie gingen hinein ins Haus der jungen Frau; dort unterhielten sie sich. Die junge Frau schalt Janos, dass sie ihm doch gesagt hätte, er sollte sich nicht umschauen, und dass er es doch nicht ausgehalten hätte! Was blieb dem armen Janos übrig als zu versprechen, dass er es nicht wieder tun würde.
Am anderen Tag vormittags verbarg sich Janos wiederum im Weidengebüsch. Heller Mittag war’s, als die Feen zum Baden kamen. Die Wunderschöne Örzsebet hatte wiederum Verdacht, denn sie blieb am Ufer stehen, schaute rings umher, ob nicht jemand in der Nähe wäre. Doch die Feen beruhigten sie.
»Wahrlich, wie sollte hier jemand sein! Tauperlen- Janos sind wir los, und wer anders sollte hierher kommen?« Die Wunderschöne Örzsebet ging darauf ein. Wirklich, wer sollte auch herkommen? Sie legte ihr Gewand ab.
Tauperlen-Janos wartete kaum, bis die schöne Fee ins Wasser stieg, sie war auch noch nicht richtig untergetaucht, da raffte er schon ihr Gewand zusammen und eilte damit geradewegs dem Hause zu.
Die Wunderschöne Örzsebet begann wiederum ihr weltengrosses Flehen:
»Mein süsses Herz, mein schönes Lieb, Tauperlen-Janos, kehre zurück auf ein Wort, eine Liebkosung! Schau nur, so herze ich dich, so küsse ich dich! Oder blicke wenigstens zurück!«
Wie fest auch Janos bei sich beschlossen hatte, sich nicht umzuwenden, er liebte die schöne Fee so sehr, dass er sich nicht beherrschen konnte – er schaute zurück. Allsogleich war er in einen Ball verwandelt.
Das hatte die Wunderschöne Örzsebet nur gewollt, weiter nichts! Heraus aus dem Wasser allesamt! Sie begannen erbarmungslos mit ihm Ball zu spielen, und als sie schon tüchtig müde waren, warfen sie den Ball ins Wasser; dann kleideten sie sich an, gingen von dannen. Aus dem Ball wurde ein herrlicher goldener Rosenstrauch, der breitete seine Zweige dort unter dem Wasserspiegel.
Drinnen im Hause hatten sie schon gesehen, dass Unheil geschehen war. Die beiden Prinzen verzehrten sich schier, dass Janos wieder nicht Acht gegeben. Sie wandten sich an die junge Frau: »Nun was machen wir jetzt?«
»Ja, das weiss ich jetzt selbst nicht«, sagte die junge Frau. »Doch wenn Ihr wollt, versucht, die schönste Knospe von dem goldenen Rosenstrauch herunter zu schiessen. Wenn das glückt, wird vielleicht noch alles gut.«
Die beiden Prinzen gingen zum Ufer, schössen die schönste Rosenknospe herunter, allsogleich stand Tauperlen-Janos vor ihnen.
»Nun, Kamerad, dies eine mal haben wir dich noch erretten können, aber wenn du ein drittes mal nicht Acht gibst, musst du’s auf dich nehmen; wir können dann nichts mehr für dich tun.«
Doch Janos sagte nichts, freute sich, dass die Sache so stand. Sie gingen wieder ins Haus und unterhielten sich.
Am dritten Tag war’s wieder wie vordem. Janos verbarg sich im Weidengebüsch, und im strahlenden Mittag kam die Wunderschöne Örzsebet zu zwölft zum Bade. Doch jetzt hatte Janos beschlossen, sich nicht umzuschauen und wenn die Wunderschöne Örzsebet mit Engelszungen krähte. Geschwind raffte er die Gewänder zusammen und eilte damit von dannen wie der Wind. Die Wunderschöne Örzsebet rief, was sie nur konnte; doch das war alles eins, Janos schaute nicht zurück. Gerade vor der Haustür war er schon, da hätte er fast den Kopf gewandt, und wenn ihn der eine Prinz nicht flugs hereingerissen hätte, hätte er sich auch umgeschaut; aber sie zogen ihn so hastig hinein, dass nicht viel gefehlt hätte, sie hätten ihm die Nase abgeklemmt. Der Wunderschönen Örzsebet Gewand hatte er auch bei sich.
Kaum war er zur Tür hinein, kam die Wunderschöne Örzsebet.
»Mein süsses Herz, mein schönes Lieb, Tauperlen- Janos! Du siehst, ich bin nackt; wenn du ein Herz hast, gib mir mein Gewand heraus!«
Doch Janos wollte es nicht hergeben. Die Fee flehte, beschwor ihn immer mehr, doch Janos gab das Gewand nicht her, denn die junge Frau im Hause hatte ihm bedeutet, dass der Wunderschönen Örzsebet Kleid ein Federkleid wäre; wenn sie es anlege, fliege sie von dannen; dann könnte er ihre Spur nimmer finden. Die Wunderschöne Örzsebet gab sich drein, vermählte sich mit Janos, und sie zogen heim zum alten König, zu Janos‘ Vater. Die beiden Prinzen zogen auch in ihr eigenes Reich.
Daheim lebte das junge Paar glücklich und in Liebe. Doch das Federkleid war gut verwahrt; niemand wusste, wo es war, nur Janos und seine Mutter. Der alten Königin war auch noch eingeschärft worden, dass sie es niemandem verrate.
Einstmals ging der Königssohn, nämlich Tauperlen-Janos, in den Wald zu jagen. Er befahl seiner Mutter, sie dürfe das Federkleid nicht hergeben, wie sehr auch die Wunderschöne Örzsebet flehen würde, denn dann fliege sie von dannen, und wer weiss, ob sie dann jemals wieder sein würde. Die Königin versprach auch, dass die Wunderschöne Örzsebet das sicherlich nicht erleben würde.
Kaum war Janos fortgegangen, da versank die Wunderschöne Örzsebet in grosse Betrübnis. Sie weinte und klagte immerfort.
»Was fehlt dir, liebe Tochter, Wunderschöne Örzsebet?« fragte ihre Schwiegermutter.
»Was mir fehlt? Wie könnt Ihr da noch fragen! Wie sollte ich nicht traurig sein, wenn doch andern jungen Frauen jeder Wunsch erfüllt wird, alle ihr zu Willen sind, und mir wird nicht einmal das eine, dass ich mein liebstes Kleid, mein Federkleid tragen darf, in dem ich am schönsten bin.« Darauf weinte sie, weinte wie der strömende Regen.
Der Königin kam in den Sinn, was ihr Sohn gesagt hatte. Doch die Wunderschöne Örzsebet vollführte ein so bitterliches Weinen, dass sie sie schliesslich dauerte; sie nahm das Federkleid aus der Kleiderkammer, gab es der weinenden jungen Frau.
Die brauchte nichts weiter! Sie legte es an, und wie der Vogel flog sie davon, sagte nicht einmal so viel wie: holla!
Der arme Tauperlen-Janos! Wenn er gewusst hätte, was zu Hause vorging! Aber er verliess sich auf seine Mutter, streifte fröhlich den ganzen Tag im Walde umher, schoss viele Hirsche und Hasen. Just wie er unter einem hohen breiten Baum steht, spricht jemand zu ihm herunter: »Gott sei mit dir, Tauperlen-Janos!«
Er schaut hin, und da fliegt dort über ihm die Wunderschöne Örzsebet. Er hätte nach ihr geschossen, aber unterdessen war sie schon weit fort über Wald und Feld.
Da kränkte er sich aber sehr! Was sollte er jetzt tun? Er meinte, das wäre sein Tod. Öffne dich, Erde, und verschlinge mich! – sagte er immer wieder bei sich. Schliesslich ging er heim, gab sich dem Kummer hin, ass nicht, trank nicht, nur das Gebet hielt ihn am Leben.
Einstmals sagte er zu seiner Mutter:
»Nun, liebe Mutter, da ich mich in nichts auf dich verlassen kann, hast du doch die Wunderschöne Örzsebet von mir gehen lassen, so wisse, dass ich auch fortgehen werde! Ich gehe fort und kehre nicht wieder, bis die Wunderschöne Örzsebet auf ewig mein ist! Gott sei mit dir!«
Das sagte er und zog von dannen.
Er wanderte und wanderte, wanderte durch siebenmal sieben Königreiche; solange wanderte er, bis er in einer Stadt anlangte. In dieser Stadt wohnte ein berühmter Gastwirt. Der brauchte gerade ein Stubenmädchen. Tauperlen-Janos hatte kein Brot; er legte Mädchenkleider an und verdingte sich dort als Stubenmädchen. Er hatte dort schon einen Nachmittag und eine Nacht gedient, als er anderntags hört, dass jeden Tag, den Gott werden lässt, zwölf Kraniche zum Mittagsmahl in dieses Gasthaus kommen, die sind zwölf Feen. Der Wirt hatte ihm auch schon gesagt, er solle sich rechte Mühe geben, denn jene seien stolze Fräulein, und wenn etwas nicht gut wäre, würden sie nicht wieder hinkommen.
So geschah’s auch. Tauperlen-Janos putzte sich heraus, und da er auch ganz rund und voll war, sah er aus wie die schönste junge Frau. Es kam ihm aber garnicht in den Sinn, wer jene Fräulein wohl sein könnten.
Gerade läutete es Mittag, als die zwölf Kraniche mit lautem Sausen kamen. Sie liessen sich vor dem Hause nieder, rüttelten sich, und aus jedem wurde ein schönes, ach gar schönes Mädchen. Dann gingen sie ins Zimmer, wo die gedeckte Tafel und das dampfende Essen sie schon erwartete.
Tauperlen-Janos hatte für sie das Essen aufgetragen, er mühte sich, beeiferte sich, dass nichts verkehrt sein sollte. Wie er sich dort tummelt, sieht er, dass unter ihnen ein schönes, ach ein ganz besonders schönes Mädchen ist; das scheint ja die Wunderschöne Örzsebet zu sein! Er ging näher, schaute sie genauer an; wirklich das war sie. Und dann während des Mittagsmahls flüsterten-wisperten sie zusammen, als ob sie ein Geheimnis besprächen. Die Wunderschöne Örzsebet sagte zu Tauperlen-Janos:
»Mein süsses Herz, mein schönes Lieb, jetzt bin ich dein und du bist mein. Grabscheit und Hacke sollen uns scheiden. Ich werde dich schon mit mir nehmen. Wisse, dass diese andern elf Feen meine Geschwister sind. Wenn das Mittagsmahl zu Ende sein wird, machen wir uns zum Wegzug bereit. Klammere dich an meinen Rock, und wenn wir hinausgehen, werden wir plötzlich zu Kranichen und tragen dich davon!«
Das brauchte man Tauperlen-Janos nicht zweimal zu sagen, er hätte am liebsten immerfort an der Wunderschönen Örzsebet Rock gehangen. Doch damit der Wirt nichts merkte, sprang er hierhin und dorthin, aber immer nur um die schönen Feen herum.
Als sie das Mittagsmahl beendet hatten, gingen sie zur Stube hinaus. Draussen in der Tür rüttelten sie sich, wandelten sich allesamt zu Kranichen. Und sie flogen, flogen in die Ferne, Janos unter ihnen. Wenn jemand ihn sah, glaubte er, jene Vögel hätten ihn geraubt. Bald langten sie zu Hause an, bei ihres Vaters Hause. Doch Janos war auch dort nur als Kammermädchen, niemand wusste, dass er ein Mann war, nur die Wunderschöne Örzsebet.
Einstmals sah der alte König, dass seine Tochter anders war, vorn kürzer als hinten.
»Hör mal, meine Tochter, was ist das? Mit wem lebst du?«
»Wirklich, lieber guter Vater, ich gestehe es; jenes Kammermädchen hier ist kein Kammermädchen, sondern ein Mann, Tauperlen-Janos, des Nachbarkönigs Sohn, er ist schuld dran, wenn du etwas siehst.«
»Wenn es denn schon so steht, wenn ihr euch liebt, so seid glücklich.«
Da war Freude über Freude bei der Wunderschönen Örzsebet. Sie lief sogleich zu Janos, erzählte ihm die Neuigkeit. Tauperlen-Janos legte im Augenblick das Mädchenkleid ab, legte sein schönstes Gewand aus Gold und Silber an, so trat er vor seinen Schwiegervater. Doch vorher sagte er zur Wunderschönen Örzsebet:
»Mein süsses Herz, mein schönes Lieb, wenn wir nun einer des andern sind, erfülle mir einen Wunsch, gib das Federkleid her!«
Schier wäre da die Wunderschöne Örzsebet zornig geworden.
»Wie sollte ich das geben, liegt doch einzig darin meine Macht! Ich gebe es wahrlich nicht.«
»Nun denn, so sag es nur,« forschte Janos, »willst du mich denn auf immer betrüben, willst du hier bleiben?«
»Das will ich nicht!«
»Nun, so gib es mir!«
So lange bat er, so lange bat er, bis sie es ihm gab. Tauperlen-Janos schichtete nun ein Feuer, warf das Federkleid darauf, und als es aufflammte, da ertönte es wie eine Kanone.
Dann wurden sie getraut und wurden glücklich, ein, zwei, drei, pinparare pax, sie leben auch jetzt noch, wenn sie nicht gestorben sind.

[Ungarn: Elisabet Róna-Sklarek: Ungarische Volksmärchen]

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