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Märchenbasar

Von den fliegenden Sklaven

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Im Süden gab es einmal einen weißen Plantagenbesitzer, der kein Mitleid kannte. Lange vor Sonnenaufgang ließ er seine Sklaven mit Stöcken an die Arbeit treiben, und am späten Abend trieb er sie wieder mit Stockschlägen in die Hütte zurück. Manche Plantagenbesitzer gönnten ihren Sklaven über Mittag, wenn die Sonnenglut schier unerträglich war, eine Ruhepause. Aber dieser Plantagenbesitzer zwang die Sklaven ( stand Neger wurde verändert von mir), auch in der größten Hitze zu arbeiten. Am Rande seiner Plantagen wuchsen alte, dicht belaubte Maulbeerbäume. Doch hatte sich einer der Arbeiter auch nur für ein Weilchen unter einen Baum gesetzt, rief der Plantagenbesitzer gleich nach den Aufsehern, und die sprangen mit ihren Stöcken herbei und prügelten den von der glühenden Hitze erschöpften Sklaven wieder auf die Plantage zurück. Unter den Sklaven war aber eine Frau, der hatte der Plantagenbesitzer, obwohl sie erst vor wenigen Tagen ein Kind geboren hatte und darum noch schwach war, befohlen, wie die anderen an die Arbeit zu gehen. Die Frau band sich einen Sack um die Hüften, legte ihr Kind hinein und hackte mit den übrigen Sklaven die Erde um die Baumwollstauden auf. Das Kind begann bald zu schreien, aber jedes Mal wenn die Frau ihm zu trinken geben wollte, sprang der Aufseher herbei und zwang sie, weiterzuarbeiten.
Wie ein glühender Kupferdeckel lag die Hitze über die Plantage. Die junge Frau wurde plötzlich von einem Schwindel befallen, vor ihren Augen kreisten feurige Räder. Sie fiel mit ihrem Kind zwischen die Baumwollstauden. Der Aufseher sprang herzu, er schrie sie an, er befahl ihr, sofort aufzustehen und schlug mit dem Stock auf sie ein. Die Frau erhob sich und wandte sich einem weißhaarigen Greis, dem ältesten unter den Sklaven, zu. Es schien, als ob sie ihn etwas fragte. Der Alte lächelte die Frau an, schüttelte aber verneinend den Kopf. Da beugte sich die Frau wieder zu den Baumwollstauden hin und arbeitete weiter. Nach einer Weile fiel sie aber erneut vor Schwäche. Und wieder war der Aufseher neben ihr und zwang sie mit Stockschlägen aufzustehen. Und wieder wandte sie sich mit einer stummen Frage an den Greis. „ Noch, nicht, Töchterchen“, sagte der Alte in einer Sprache, die der Aufseher nicht verstand. Also beugte die junge Frau abermals den Kopf, um die Arbeit zu tun. Als die junge Frau zum dritten Mal vor Schwäche hinfiel,
und der Aufseher sie auch dieses Mal mit Stockschlägen zum Aufstehen zwang, wandte die junge Mutter dem weißen Greis die Augen zu und fragte leise: „ Ist es denn noch nicht an der Zeit, Väterchen?“
„ Doch, Töchterchen, jetzt ist es Zeit. Mach dich auf den Weg, Friede
sei mit dir!“ Und die junge Frau wusste nicht, wie es geschah. Sie breitete ihre Arme aus, erhob sich von der glühend heißen Erde und stieg höher und immer höher. Sie flog über die Plantage wie ein Vogel dahin. Der Aufseher lief und weckte den Plantagenbesitzer, und der konnte gerade noch sehen, wie die junge Frau mit ihrem Kind über dem Wald in der Ferne verschwand. Wutentbrannt befahl er dem Aufseher, auf die Sklaven einzuprügeln, und der Aufseher kam dem Befehl nur allzu gerne nach. Es dauerte nicht lange, und einer der Sklaven brach unter den Stockschlägen zusammen. Da flüsterte der weißhaarige Alte ein paar Worte, und der Sklave stand auf, lächelte, breitete die Arme aus und erhob sich in die Luft, flog höher und immer höher und verschwand wie die junge Frau hinter dem Wald. Jedesmal, wenn ein Mann oder eine Frau hinstürzte, flüsterte der weißhaarige Greis nun ein paar Worte. Und die Sklaven breiteten einer nach dem andern die Arme aus, erhoben sich in die Luft, höher und immer höher. Benommen lief der Plantagenbesitzer über die Felder und schrie dem Aufseher zu: „ Schlag ihn tot, den Alten mit den weißen Haaren, töte ihn!“ Der Aufseher hob den Stock, und die Hiebe prasselten auf den gebeugten Rücken des Sklaven herunter. Aber der Greis mit den weißen Haaren hörte nicht auf zu lächeln. Er flüsterte den Sklaven, die noch bei ihm waren, eben die Worte zu, die er schon den anderen zugeflüstert hatte. Und alle Sklaven erinnerten sich wieder an die Kraft, die sie einst besessen hatten. Sie drängten sich zusammen, und Junge und Alte, Männer, Frauen und Kinder, alle Sklaven erhoben sich in die Lüfte, kreisten über den Feldern, stiegen höher und immer höher und verschwanden jenseits des Waldes. Als letzter breitete der Greis mit den weißen Haaren seine Arme aus. Der Plantagenbesitzer riß dem Aufseher den Stock aus den Händen und hob ihn drohend zum Himmel empor. Aber jetzt war er machtlos, jetzt konnte er nichts mehr ausrichten, und so schlug er zornig den Stock in den Boden.

Quelle:
Nordamerika

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