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Märchenbasar

Von der schönen Angiola

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Es waren einmal sieben Nachbarinnen, die waren alle sieben zu gleicher Zeit guter Hoffnung. Da sie nun eines Tages beisammen saßen, sagte die Eine: »Ach, Gevatterinnen, ich habe ein solches Gelüste nach Brustbeeren und es sind doch nirgends welche zu haben.« »Ich sehne mich auch nach Brustbeeren,« sprach eine Zweite. »Ich auch, ich auch,« riefen sie Alle. Die Eine aber sagte: »Wisset ihr, wo die schönsten Brustbeeren wachsen? Dort gegenüber in dem Garten, welcher der Hexe gehört. Aber wir können dort keine nehmen, denn wenn sie uns ertappt, so frißt sie uns, und sie hat überdieß einen Esel, der bewacht den Garten und wird uns gleich verrathen.« Da rief die Erste wieder: »Ich habe aber ein solches Verlangen darnach; kommt nur mit, die Hexe ist jetzt nicht zu Haus und wird es nicht gleich merken wenn wir auch einige Brustbeeren nehmen; und dem Esel wollen wir so saftiges Gras vorwerfen, daß er nicht weiter auf uns achtet.« Die Andern ließen sich bereden, und so schlichen sie alle sieben in den Garten der Hexe, warfen dem Esel schönes, saftiges Gras vor, und pflückten sich ihre Schürzen voll Brustbeeren. Sie entkamen auch glücklich, ehe die Hexe erschien.
Am andern Abend aber, da die sieben Nachbarinnen wieder bei einander saßen, erwachte von Neuem in ihnen das Gelüste nach den schönen Brustbeeren, und ob sie sich gleich vor der Hexe fürchteten, so konnten sie doch nicht dem Verlangen widerstehen und schlichen sich zum zweiten Mal in den Garten. Sie warfen dem Esel frisches Gras vor, pflückten sich die Schürzen voll Brustbeeren und entwischten glücklich, ehe die Hexe zurückkam.
Die Hexe aber merkte wohl, daß Jemand im Garten gewesen war, denn es fehlten ihr viele Brustbeeren. Da frug sie den Esel, der aber hatte das schöne, saftige Gras gefressen und hatte auf Nichts geachtet. Also beschloß sie, am dritten Tag selbst im Garten zu bleiben. In der Mitte des Gartens war aber eine Grube, da hinein versteckte sie sich und deckte sich mit Blättern und Zweigen zu, und nur ein langes Ohr schaute heraus.
Die sieben Nachbarinnen saßen wieder bei einander und als sie an die schönen Brustbeeren dachten, erwachte von Neuem das Gelüste darnach. Die Eine aber sagte: »Wir wollen lieber heute nicht hingehen, die Hexe könnte uns doch einmal ertappen und dann geht es uns schlecht.« Die Andern aber lachten und sagten: »Es ist uns ja zweimal geglückt, warum sollte uns heute ein Unglück begegnen? Komm nur mit.« Also ließ sie sich bereden und sie schlichen sich wieder alle Sieben in den Garten. Da sie nun die Brustbeeren pflückten, bemerkte die Eine das lange Ohr der Hexe, das aus den Blättern hervorschaute. Sie glaubte aber, es wäre ein Pilz, ging hin und wollte ihn pflücken. Da sprang die Hexe aus der Grube hervor, und die sieben Frauen liefen schreiend davon. Die Eine aber konnte nicht so schnell entwischen, und die Hexe fing sie und wollte sie fressen. »Ach,« bat sie »freßt mich nicht; ich hatte ein solches Gelüste nach einigen Brustbeeren und konnte sonst nirgends welche bekommen. Ich will auch gewiß nie wieder in euren Garten dringen.« »Nun gut,« sagte endlich die Hexe, »für diesesmal will ich dir verzeihen, aber nur unter der Bedingung, daß du mir das Kind versprichst, welches zur Welt kommen soll. Sei es ein Knabe oder ein Mädchen, wenn es sieben Jahre alt ist, mußt du es mir abgeben.« Da versprach es die Frau in ihrer Herzensangst und die Hexe ließ sie los.
Zu Hause warteten die sechs Nachbarinnen auf sie und frugen, wie es ihr ergangen sei. »Ach,« antwortete sie, »ich habe ihr das Kind versprechen müssen, das ich zur Welt bringen werde, sonst hätte sie mich gefressen.« Als nun ihre Stunde kam, gebar die Frau ein wunderschönes Mädchen und nannte es Angiola. Das Kind wuchs und gedieh und wurde mit jedem Tage schöner.
Als Angiola sechs Jahre alt geworden war, sandte ihre Mutter sie in die Schule, zu einer Lehrerin, bei der sie nähen und stricken lernte. Wenn Angiola in die Schule ging, mußte sie aber an dem Garten der Hexe vorbei. Als sie nun beinahe sieben Jahr alt war, stand eines Tages die Hexe vor dem Garten, winkte ihr und schenkte ihr schöne Früchte und sprach: »Weißt du, schöne Angiola, ich bin deine Tante. Sage deiner Mutter, du hättest die Tante gesehen, und sie solle ihr Versprechen nicht vergessen.« Angiola ging hin und sagte das der Mutter. Die war sehr erschrocken und sprach: »Ach, jetzt ist die Zeit gekommen, wo ich mein armes Kind von mir geben muß! Weißt du was, Angiola? Wenn die Tante dich morgen nach der Antwort fragt, so sage ihr nur, du habest vergessen den Auftrag auszurichten.« Als nun Angiola am andern Tag in die Schule ging, war die Hexe auch schon da und frug sie: »Nun, was hat deine Mutter gesagt?« »Ach, liebe Tante,« antwortete das Kind, »ich habe vergessen es ihr zu sagen.« »Nun gut, so sage es ihr heute,« sprach die Hexe, »aber vergiß es nicht.« So vergingen einige Tage. Die Hexe lauerte der schönen Angiola immer auf, wenn sie zur Schule ging, und wollte wissen, welche Antwort die Mutter gegeben habe. Angiola jedoch behauptete immer, sie habe vergessen, den Auftrag auszurichten. Eines Tages aber wurde die Hexe böse, und sprach: »Wenn du so vergeßlich bist, so muß ich dir eben ein Zeichen mitgeben, das dich an meinen Auftrag erinnert.« Da packte sie ihren kleinen Finger und biß tief hinein, so daß sie ein ganzes Stück abbiß und sagte dann: »So, jetzt geh nach Haus und vergiß nicht, es deiner Mutter zu sagen.« Weinend ging Angiola nach Hause und zeigte der Mutter das verwundete Fingerlein. »Ach,« dachte die Mutter, »jetzt hilft Nichts, jetzt muß ich mein armes Kind der Hexe geben, sonst frißt sie es noch in ihrem Zorn.« Als nun Angiola am nächsten Morgen zur Schule ging, sprach die Mutter zu ihr: »Sage der Tante, sie solle mit dir machen, was ihr gut dünke.« Das that Angiola, und die Hexe sprach: »Gut, so komm mit mir, denn du gehörst mir an.«
Also nahm die Hexe die schöne Angiola mit und führte sie weit weg in einen Thurm, der hatte keine Thüren und nur ein einziges Fenster. Da lebte Angiola mit der Hexe und hatte es gut bei ihr, denn die Hexe liebte sie wie ihr eigenes Kind. Wenn nun die Hexe von ihren Ausgängen nach Hause kam, so stellte sie sich unter das Fenster und rief: »Angiola, schöne Angiola, laß deine schönen Flechten herunter und nimm mich hinauf.« Angiola aber hatte wunderschöne, lange Flechten, die ließ sie herunter und zog die Hexe daran hinauf.
Nun begab es sich eines Tages, als Angiola ein großes, schönes Mädchen geworden war, daß der Königssohn auf die Jagd ging und dabei in die Gegend gerieth, wo der Thurm stand. Er verwunderte sich über das Haus ohne Thür und dachte: »Wie kommen denn die Leute da hinein?« Da kam eben die alte Hexe von einem Ausgang zurück, stellte sich unter das Fenster und rief: »Angiola, schöne Angiola, laß deine schönen Flechten herunter und nimm mich hinauf.« Sogleich fielen die langen Flechten herunter und die Hexe kletterte daran hinauf. Das gefiel dem Königssohn gar wohl und er blieb in der Nähe versteckt, bis die Hexe wieder fort ging. Dann stellte er sich unter das Fenster und rief: »Angiola, schöne Angiola, laß deine schönen Flechten herunter und nimm mich hinauf.« Da warf Angiola ihre schönen Flechten hinunter und zog den Königssohn herauf, denn sie glaubte, es wäre die Hexe. Als sie nun den Königssohn sah, war sie anfangs sehr erschrocken, er aber redete ihr mit freundlichen Worten zu und bat sie, mit ihm zu entfliehen und seine Gemahlin zu werden. Da ließ sie sich überreden, damit aber die Hexe nicht erfahren sollte, wohin sie gegangen wäre, so gab sie allen Stühlen und Tischen und Schränken im Hause zu essen, denn das waren alles lebendige Wesen und konnten sie verrathen. Der Besen aber stand hinter der Thüre, den beachtete sie nicht und gab ihm Nichts zu essen. Dann nahm sie aus der Kammer der Hexe drei Zauberknäuel fort und entfloh mit dem Königssohn. Die Hexe aber hatte ein Hündlein, das hatte die schöne Angiola so lieb, daß es ihr folgte.
Nicht lange, so kam die Hexe nach Haus und rief: »Angiola, schöne Angiola, laß deine schönen Flechten herunter und nimm mich herauf,« aber die Flechten fielen nicht herunter, so viel sie auch rufen mochte, und sie mußte endlich eine lange Leiter herbeiholen und durch das Fenster hineinsteigen. Als sie nun die schöne Angiola nirgends fand, frug sie die Tische und die Stühle und die Schränke: »Wo ist sie hingeflohen?« Die antworteten: »Wir wissen es nicht.« Nur der Besen rief aus seiner Ecke hervor: »Die schöne Angiola ist mit dem Königssohn entflohen, der will sie zu seiner Gemahlin erheben.« Da machte die Hexe sich auf, sie zu verfolgen, und hatte sie auch beinahe eingeholt. Angiola aber warf ein Zauberknäuel hinter sich, und es entstand ein großer Berg von Seife. Wie nun die Hexe darüber klettern wollte, glitt sie immer wieder zurück. Sie arbeitete aber doch so lange, bis sie glücklich darüber kam und eilte ihnen wieder nach. Da warf die schöne Angiola auch das zweite Zauberknäuel hinter sich und es entstand ein großer Berg, der war mit großen und kleinen Nägeln gespickt. Da mußte die Hexe wieder lange arbeiten, bis sie endlich ganz zerschunden darüber kam. Als nun Angiola sah, daß die Hexe sie schon wieder beinahe eingeholt hatte, warf sie auch das dritte Knäuel hinter sich, aus dem entstand ein reißender Strom. Die Hexe wollte hinüberschwimmen, aber der Strom wurde immer reißender, also daß sie endlich umkehren mußte. Da rief sie im Zorn der schönen Angiola noch eine Verwünschung nach und sprach: »So möge denn dein schönes Gesicht in ein Hundegesicht verwandelt werden!« In demselben Augenblick wurde Angiola’s schönes Gesicht in ein Hundegesicht verwandelt. Der Königssohn aber war sehr betrübt und sprach: »Wie soll ich dich nun zu meinen Eltern bringen? Die werden niemals erlauben, daß ich ein Mädchen mit einem Hundegesicht heirathe.« Also führte er sie in ein kleines Häuschen, darin sollte sie wohnen, bis der böse Zauber von ihr genommen wäre. Er selbst kehrte zu seinen Eltern zurück und wohnte bei ihnen, wenn er aber auf die Jagd ging, dann kam er und besuchte die arme Angiola. Die weinte oft bitterlich über ihr Unglück, bis eines Tages das Hündlein zu ihr sprach: »Weine nicht, schöne Angiola. Ich will mich aufmachen und zur Hexe gehen und sie bitten, daß sie den Zauber von dir nimmt.« Also machte sich das Hündlein auf den Weg und kehrte zur Hexe zurück, sprang an ihr hinauf und schmeichelte ihr. »Bist du wieder da, undankbares Thier?« rief die Hexe und stieß das Hündlein von sich. »Hast mich verlassen, um der undankbaren Angiola zu folgen.« Da schmeichele ihr das Hündlein, bis sie wieder freundlich wurde und es auf ihren Schoß nahm. »Mutter,« sprach nun das Hündlein, »die arme Angiola läßt euch die Hände küssen; sie ist sehr traurig, denn sie darf mit dem Hundegesicht nicht in das Schloß, und kann nicht den Königssohn heirathen.« »Das geschieht ihr Recht,« sprach die Hexe, »warum hat sie mich betrogen. Nun kann sie auch ihr Hundegesicht behalten.« Da bat aber das Hündlein so freundlich und meinte, die arme Angiola sei genug gestraft, bis ihm die Hexe endlich ein Fläschchen mit Wasser gab und sprach: »Bringe ihr das, so wird sie wieder die schöne Angiola werden.« Das Hündlein dankte, sprang mit dem Fläschchen davon und brachte es glücklich zur armen Angiola. Als die sich mit dem Wasser wusch, verschwand das Hundegesicht, und sie wurde wieder schön, noch schöner als sie bis dahin gewesen war. Der Königssohn aber brachte sie voll Freuden auf sein Schloß, und der König und die Königin waren so entzückt von ihrer Schönheit, daß sie sie mit Freuden willkommen hießen und eine glänzende Hochzeit veranstalteten. Da blieben sie glücklich und zufrieden, wir aber haben das Nachsehen.

[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]

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