Als nun die Königin ein schönes Töchterchen gebar, ließ er es mit der Amme in den Thurm sperren, und da wuchs das Kind auf, gedieh, und wurde mit jedem Tage schöner. Da es nun beinah vierzehn Jahr alt geworden war, schickten ihm eines Tages die Eltern einen Zicklein-Braten, und da die Königstochter den aß, fand sie darin einen spitzen Knochen. Den nahm sie und fing an zum Zeitvertreib die Mauer abzukratzen, und da ein keines Löchlein entstand, grub sie immer weiter. Auf einmal fiel ein Sonnenstrahl in das Gemach und auf sie, und da sie gerade in ihrem vierzehnten Jahre war, so erfüllte sich auch alsbald die Prophezeiung des Wahrsagers. Die Amme konnte sich nicht genug darüber verwundern, und als eines Tages der König zum Besuch kam, so erzählte sie ihm mit Furcht und Zittern, was mit der Königstochter vorgefallen sei. Der König aber sprach: »Es war ihr Schicksal und sie konnte ihm nicht entgehen.«
Als nun ihre Stunde kam, gebar die Königstochter ein Töchterchen, das war so schön, so schön, daß man nichts schöneres sehen konnte; wie konnte es auch anders sein, da es die Tochter der Sonne war. Da wickelten sie das Kind in Windeln, und setzten es in dem Garten aus, der neben dem Thurm war; seine Tochter aber nahm der König auf sein Schloß. Da lag nun das arme Kindlein im Garten, und wäre gewiß bald verschmachtet.
Es begab sich aber glücklicherweise, daß der Königssohn eines benachbarten Landes eben an dem Tage auf die Jagd gegangen war, und dabei in diese einsame Gegend gerieth. Da er nun an dem Garten vorbeikam, schaute er hinein, und sah, daß wunderschöner Lattich darin wuchs, und bekam Lust ein wenig davon zu nehmen. Also ging er in den Garten hinein, aber als er an den Lattich kam, sah er ein wunderschönes Kind dazwischen liegen. Da nahm er es mitleidig auf, und rief sein Gefolge herbei, und sprach zu ihnen: »Seht doch dieses wunderschöne Kind. O die niederträchtige Mutter, die es hat dahin werfen können!« Da nahm er es in seine Arme, und brachte es zu seiner Mutter in das königliche Schloß, und bat sie, es aufziehen zu lassen, und weil es im Lattich gelegen hatte, so nannte er es Lattughina.
Lattughina wurde mit jedem Tage schöner, und war bald so schön, daß ihr niemand gram sein konnte; als sie aber älter wurde, entbrannte der Königssohn in heftiger Liebe zu ihr, und wollte sie gerne zu seiner Gemahlin haben. Da frug er sie: »Lattughina, wessen Kind bist du eigentlich?« Lattughina antwortete:
»Ich bin die Tochter von Hund und Katze,
Wenn du mich nicht willst, so stirb und zerplatze.«
»Willst du mich denn heirathen?« frug er weiter. »Nein,« antwortete Lattughina. »Aber warum nicht?« »Weil ich nicht will.« Da ging der Königssohn betrübt zu seiner Mutter, und klagte: »Ach, liebe Mutter, ich habe die Lattughina gefragt, ob sie meine Gemahlin werden will, und sie hat mir mit nein geantwortet. Wenn ich sie aber frage, wessen Kind sie denn sei, so antwortet sie mir immer: Ich bin die Tochter von Hund und Katze, und wenn du mich nicht willst, so stirb und zerplatze.« »Was kann ich denn dafür, mein Sohn,« antwortete die Mutter, »warte noch ein wenig und frage sie zum zweitenmal.« Das that der Königssohn, aber Lattughina antwortete immer kurzweg: »Nein.« »So sage mir doch wenigstens, wessen Kind du bist,« bat der Königssohn. »Ich bin die Tochter von Hund und Katze, und wenn du mich nicht willst, so stirb und zerplatze.«
Da nun die Königin sah, daß ihr Sohn ganz krank wurde aus Liebe zu der schönen Lattughina, so sprach sie: »Das Mädchen muß mir aus dem Haus, sonst hat mein Sohn keine Ruhe mehr.« Also ließ sie dem königlichen Palast gegenüber ein schönes Haus bauen, darin mußte Lattughina wohnen. Der Königssohn kam aber dennoch immer zu ihr, und frug sie: »Lattughina, willst du mich zu deinem Gemahl?« Sie aber antwortete immer: »Nein,« und der Königssohn ging traurig zu seiner Mutter, und klagte ihr sein Leid. Endlich verlor die Königin die Geduld und rief: »Wenn sie dich nicht will, so laß sie doch laufen; es gibt noch andre hübsche Mädchen in der Welt.« Da schickte sie an alle Höfe und Fürstenhäuser, und ließ Bilder kommen von den schönsten Königstöchtern, aber so viele sie auch dem Königssohn zeigen mochte, es wollte ihm keine gefallen.
Endlich, weil er sah daß seine Mutter ganz traurig war, und weil ihn Lattughina doch nicht haben wollte, wählte er eine schöne Königstochter, und sprach: »Lasset diese kommen, so will ich sie heirathen.« Also wurde eine glänzende Hochzeit veranstaltet, und die Königstochter kam an den Hof, und wurde mit dem Königssohn getraut. Da sie nun aus der Kirche kamen, sah die junge Braut, daß der Königssohn verstimmt war, und gar nicht vergnügt aussah. »Was fehlt euch?« frug sie ihn. »Ach,« antwortete er, »ich habe eine Schwester, die ist schöner als die Sonne. Ich habe mich aber mit ihr überworfen, und deßhalb hat sie nicht bei meiner Hochzeit erscheinen wollen, und das betrübt mich.« »O wenn es weiter nichts ist,« sprach die Braut, »so gebt euch zufrieden, Morgen schicken wir ihr einen großen Teller voll Süßigkeiten, so wird diese Artigkeit sie wieder versöhnen.« Das thaten sie denn auch, und schickten am nächsten Morgen einen Bedienten zur schönen Lattughina, mit einem großen Präsentirteller voll Süßigkeiten. »Wartet einen Augenbick,« antwortete Lattughina, »und kommet mit in die Küche.« In der Küche aber fing sie an zu rufen: »Feuer, zünde dich an,« und alsobald brannte ein helles Feuer auf dem Heerd. »Pfanne, komm herbei,« und eine goldne Pfanne kam, und stellte sich von selbst auf das Feuer; »Oel, komm herbei,« und auch das Oel kam und goß sich von selbst in die Pfanne. Als es nun recht heiß aufbrodelte, legte Lattughina ihre schönen, weißen Hände in die Pfanne, und hielt sie ein wenig darinnen, und als sie sie wieder herausnahm, lagen da zwei schöne goldne Fische, ihre Hände aber waren ganz unversehrt. Da legte sie die Fische auf den Präsentirteller, gab sie dem Diener und sprach: »Bringet diese Fische dem Königssohn, und saget ihm, er möge sie annehmen, seiner Schwester Lattughina zu Liebe.« Der Diener kam in das Schloß zurück, sprachlos vor Erstaunen, und mit offnem Munde. »Nun, was ist denn geschehen?« frug der Königssohn. »Ach, Majestät, was habe ich gesehen!« und erzählte, wie Lattughina die goldnen Fische bereitet habe. »Ach, ist das Alles?« rief die junge Königin, »das kann ich auch.« »Nun, wenn du es kannst, so führe es auch aus,« antwortete ihr Mann. Da ging sie in die Küche, und rief: »Feuer, zünde dich an!« aber es entzündete sich kein Feuer auf dem Heerd. »Es will mir heute nicht folgen,« sprach sie, und rief dem Koch zu: »Nun, zünde du mir das Feuer an.« Als nun das Feuer brannte, rief sie die Pfanne, aber die Pfanne kam nicht. »Sie sind heute alle eigensinnig,« meinte die junge Königin, »reiche mir einmal die Pfanne her.« Eben so erging es mit dem Oel, ob sie es gleich rief, wollte es doch nicht kommen, und der Koch mußte es in die Pfanne gießen. Als es nun recht brodelte, wollte sie auch ihre Hände hinein stecken, aber sie verbrannte sich so jämmerlich, daß sie daran starb. Da ging der Königssohn zu Lattughina und sprach zu ihr: »Lattughina, warum hast du meine Frau ermordet?« »Was habe ich ihr denn gethan?« frug Lattughina. »Sie hat gehört, wie du die schönen goldnen Fische bereitet hast,« antwortete der Königssohn, und wollte es auch so machen; sie hat sich aber so verbrannt, daß sie gestorben ist. »Wer heißt sie denn etwas versuchen, was sie nicht kann?« sprach Lattughina, »ich habe ihr nichts gesagt.« »Ach, Lattughina,« bat er, »willst du mich nun zu deinem Gemahl haben?« »Nein,« antwortete sie. »So sage mir wenigstens, wessen Kind du bist.« »Ich bin die Tochter von Hund und Katze, wenn du mich nicht willst, so stirb und zerplatze.« Eine andere Antwort wollte sie ihm nicht geben, und er kehrte wieder betrübt zu seiner Mutter zurück, und klagte ihr sein Leid. »Wenn sie dich nicht will, so laß sie laufen,« sprach die Königin, und redete ihm so lange zu, bis er sich wieder eine Braut auswählte, und Hochzeit mit ihr hielt.
Als sie nun aus der Kirche kamen, war der Königssohn wieder so verstimmt, und die Braut frug ihn, was ihm fehle. »Ich habe eine Schwester Lattughina,« sprach er, »die ist schöner als die Sonne, und ich habe mich mit ihr gestritten, darum hat sie nicht zu meiner Hochzeit kommen wollen, und das betrübt mich.« »O,« antwortete die Braut, »morgen wollen wir ihr einen Teller voll Süßigkeiten und Canellini schicken, das wird sie schon versöhnen.« Den nächsten Morgen also schickten sie wieder einen Diener zu Lattughina, mit einem Teller voll Süßigkeiten. Lattughina aber hieß den Diener in die Küche kommen und dort warten, und sprach: »Feuer, zünde dich an, und heize den Ofen.« Alsobald brannte ein helles Feuer im Ofen, und als er ganz heiß war, kroch sie hinein, und blieb ein wenig drinnen. Als sie aber wieder heraus kam, war sie noch viel schöner geworden, und da sie ihre schönen Flechten aufmachte, fielen Perlen und Edelsteine auf den Boden. Damit füllte sie den Präsentirteller, und hieß den Diener ihn zum Königssohn tragen: »Er möge diese Perlen annehmen, seiner Schwester Lattughina zur Liebe.« Der Diener kam wieder mit offnem Mund in das Schloß. »Nun, wie ist es heute ergangen?« sprach der Königssohn.
Als aber der Diener erzählte, was Lattughina gethan habe, rief die junge Braut: »O, das ist gar nichts, das kann ich auch.« »Wenn du es kannst, so zeige uns deine Kunst,« sprach der Königssohn. Da ging sie in die Küche und rief: »Feuer, zünde dich an, und heize mir den Ofen.« Aber es entzündete sich kein Feuer. »Wie eigensinnig das Feuer heute ist,« sprach sie, »Koch, heize du mir den Ofen.« Als nun der Ofen ordentlich durchgeheizt war, kroch sie hinein, aber sie verbrannte sich jämmerlich, und als sie sie herauszogen, war sie todt. Da ging der Königssohn zu Lattughina, und klagte sie an, daß sie ihm seine Frauen tödte, indem sie diese Künste ausübe, die die andern nachmachen wollten. Lattughina aber antwortete: »Ich habe es ihnen nicht gesagt; sie sind selbst schuld daran, wenn sie etwas nachmachen wollen, was sie nicht können.« »Ach, Lattughina,« bat der Königssohn, »willst du mich denn nun noch immer nicht zu deinem Gemahl?« »Nein,« antwortete sie. »So sage mir doch wenigstens, wessen Kind du bist!« »Ich bin die Tochter von Hund und Katze, wenn du mich nicht willst, so stirb und zerplatze.« So gab sie ihm immer dieselbe Antwort, und der Königssohn ging traurig zu seiner Mutter und klagte ihr sein Leid. Da beredete ihn die alte Königin, daß er sich wieder eine Braut auswähle, und ließ eine schöne Königstochter kommen, mit der wurde er getraut.
Da sie nun aus der Kirche kamen, sah die Braut, daß er ein trauriges Gesicht machte, und frug ihn, was ihm fehle. Da antwortete er wieder, er habe sich mit seiner Schwester gezankt, also daß sie nicht habe zur Hochzeit kommen wollen. »Laß es gut sein,« sagte die Braut, »morgen schicken wir ihr einen großen Teller voll Süßigkeiten, das wird sie versöhnen.«
Das thaten sie denn auch, und als der Diener zu Lattughina kam, saß sie auf dem Balkon und wärmte sich an den Sonnenstrahlen. »Wartet nur einen Augenblick,« sprach sie, und blieb ruhig sitzen. Als die Sonne nun nicht mehr in das Zimmer schien, sondern nur auf das eiserne Geländer des Balkons, setzte sie ihren Stuhl dort hinauf, und setzte sich drauf, und siehe da, der Stuhl blieb ruhig stehen. Und als die Sonne hinter dem Dach verschwand, setzte sie sich mit ihrem Stuhl gar auf das Ziegeldach hinauf. Der Diener lief ganz entsetzt in das Schloß zurück, und erzählte, was er gesehen habe. »Ach, das kann ich auch,« rief die Braut. »So laß uns einmal sehen,« sprach ihr Mann. Da sie aber den Stuhl auf das Balkongeländer stellte und sich darauf setzen wollte, fiel sie hinunter und brach den Hals.
Nun ging der Königssohn wieder zur Lattughina, aber so viel er sie auch bitten mochte, ihn zum Gemahl zu nehmen, oder ihm wenigstens zu sagen, wessen Kind sie sei, so hatte sie doch nur immer dieselbe Antwort für ihn. Da ging er traurig zu seiner Mutter, und sprach: »Lattughina will mich nicht heirathen, und eine Andre kann ich doch nicht mehr verlangen, sonst heißen sie mich den Frauenmörder. Was soll ich thun?« »Ja, mein Sohn,« antwortete die Königin, »nun kann ich dir nicht mehr helfen. Nun mußt du herauskriegen, wessen Kind Lattughina ist, dann wird sie dich vielleicht heirathen.« Also dachte der Königssohn immer darüber nach, wessen Kind Lattughina wohl sein möchte, und konnte es nicht herausbringen.
Als er nun eines Tages so übers Feld ging, und ganz betrübt seinen Gedanken nachhing, begegnete ihm ein altes Mütterchen, das frug ihn: »Sage mir doch, schöner Jüngling, warum bist du so traurig?« Anfangs wollte er es ihr nicht sagen, endlich aber ließ er sich bewegen, und klagte der Alten sein Leid. Die antwortete »Ich kann dir nur einen Rath geben. Gehe hin zu Lattughina, und sage ihr, du wärest krank, sie möge dir einen kühlenden Trank bereiten. Wenn sie nun ihre Geräthschaften herbeiruft, so nimm ihren goldnen Mörser und halte ihn ganz fest, ohne daß sie es merkt, so wird sie sich vielleicht in ihrem Unmuth verrathen.« Dieser Rath gefiel dem Königssohn gar wohl, und er machte sich auf den Weg zu Lattughina.
»Ach, Lattughina,« sagte er, »ich bin so unwohl, bereite mir doch einen kühlenden Trank.« »Das will ich gern thun,« sprach sie, und fing an zu rufen: »Glas, komm herbei; Zucker, komm herbei; Citronen, kommt herbei;« und alles was sie rief, kam von selbst herbei. Der Königssohn aber hatte auf dem Tisch den goldnen Mörser stehen sehen, den nahm er geschwind, ohne daß Lattughina es merkte, und steckte ihn fest zwischen seine Knie. Der Zucker aber war in gar so großen Stücken, deßhalb rief Lattughina: »Mörser, komm herbei!« Der Mörser aber konnte nicht kommen, denn der Königssohn hielt ihn fest. Da sie nun mehremale den Mörser vergeblich gerufen hatte, verlor sie endlich die Geduld, und rief: »Bin ich doch Tochter der Sonne, und so ein elender Mörser will mir nicht gehorchen!« Der Königssohn aber sprang auf, und rief: »Und bist du denn Tochter der Sonne, so sollst du auch meine Gemahlin sein.« Da sie aber merkte, daß er es herausgebracht hatte, wessen Kind sie sei, sprach sie mit Freuden: »Ja, ich will deine Gemahlin sein.« Also wurde ein schönes Hochzeitsfest gefeiert, und Lattughina lud auch ihre Mutter und ihre Großeltern dazu ein, und es war große Freude im ganzen Land. Da blieben sie reich und getröstet, wir aber sind hier sitzen geblieben.
[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]