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Märchenbasar

Von einem muthigen Königssohn, der viele Abenteuer erlebte

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Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten drei Söhne, die sie über die Maßen lieb hatten. Eines Tages wollte der König über Land gehen, und sprach zu seinem ältesten Sohne: »Morgen will ich über Land gehen, willst du mit mir kommen?« »Ja wohl, Vater,« antwortete der Sohn, und so zogen sie am nächsten Morgen aus, nahmen ein gutes Mittagsessen mit und großes Gefolge.
Als sie nun weit weg vom Hause waren, kamen sie an ein wunderschönes Hochthal, das war so schön, daß der Königssohn ganz entzückt war, und sprach: »Lieber Vater, wie schön ist es hier; bleiben wir hier, und essen wir zu Mittag.« »Gehen wir noch ein wenig weiter,« sprach der König, »wir kommen gleich an einen viel schönern Ort.« Da gingen sie noch weiter, und kamen in eine ganz öde, fremde Gegend, und als sie da durchgegangen waren, kamen sie an ein zweites Hochthal, das strahlte ganz von lauterem Gold; der Boden, die Berge, Alles war von Gold. »O, lieber Vater, wie schön ist es hier,« sprach der Königssohn, »nun müßt ihr mir aber auch die Gnade erweisen, und müßt mir hier ein kleines Haus hinbauen lassen, denn ich will nicht zur Stadt zurückkehren.« »O, mein Sohn, bist du toll?« rief der König. »Wie kannst du denn hier bleiben, so fern von deiner Mutter, und von mir, und wer soll denn bei dir bleiben?« »Nein, Vater, ich verlange es als eine Gnade, und ihr müßt sie mir zugestehen.« Um nun den Sohn zufrieden zu stellen, ließ der Vater sogleich Maurer und Schreiner aus der Stadt rufen, und befahl ihnen, binnen dreien Tagen ein Landhaus zu bauen. Als es fertig war, zog der König nach Hause, und der Königssohn blieb allein in seiner neuen Wohnung. Er aß und trank voller Freude, und als es spät geworden war, legte er sich zu Bett. Um Mitternacht aber hörte er auf einmal ein furchtbares Getöse, Kettengerassel und Donnern, so daß ihm ganz bang zu Muthe wurde und er zum Hause hinauslief. Kaum hatte er das Haus verlassen, so stürzte es mit großem Gepolter zusammen. Da erschrak er noch viel mehr, und lief in die Stadt zurück, so schnell er laufen konnte.
Die Mutter hatte immerfort geweint über ihren armen verlorenen Sohn. Als er nun auf einmal wiederkam, war sie hoch erfreut. »Nun, bist du wieder da?« frug der König seinen Sohn; der antwortete: »Es war nicht möglich, auszuhalten; wenn ihr wüßtet, welch ein Lärm und Getöse auf einmal losbrach.«
Der zweite Sohn aber spottete über seinen ältesten Bruder, und rief: »Seht einmal den Helden, der sich vor etwas Lärm gefürchtet hat! Lieber Vater, nun müßt ihr auch mir die Gnade erweisen, und mir ein Landhaus an denselben Ort hinbauen lassen.« »Mein Sohn, was fällt dir ein! nein, du darfst nicht von mir fortziehen,« jammerte die Mutter, und auch der König sagte: »Was habt ihr denn für Einfälle! bleibe doch bei uns, und schlage dir die Sache aus dem Sinn.« Der Königssohn aber war eigensinnig, und bat so lange, bis der König endlich nachgab, und ihm in dasselbe Hochthal ein Landhaus bauen ließ, das war noch fester als das erste. Dann begleitete er seinen zweiten Sohn hin, nahm Abschied von ihm, und ließ ihn allein zurück. Der Königssohn aß und trank, und freute sich über sein schönes Haus, und als es Nacht wurde, legte er sich hin und schlief ein. Um Mitternacht aber erwachte er von einem furchtbaren Lärm, ebenso wie sein Bruder, und als er erschrocken zum Hause hinauslief, stürzte dasselbe hinter ihm zusammen, also daß er so schnell als möglich nach der Stadt zurückkehrte.
Der König und die Königin empfingen ihn mit großer Freude, der jüngste Bruder aber fing an zu spotten: »Nun seid ihr zu zweien! Ist es denn möglich, daß ihr nicht im Stande gewesen seid, auszuhalten? Vater, nun müßt ihr mir die Gnade erweisen, und müßt mir auch ein Häuschen hinbauen lassen.« Nun fing die Königin aber laut an zu jammern und zu klagen, denn der jüngste Sohn war ihr Liebling, und auch der König war zornig und sprach: »Ich möchte doch wissen, was ihr für ein Vergnügen an diesem Abenteuer findet! deine Brüder sind glücklich entkommen, wer weiß, wie es dir ergehen kann. Ich will und will nicht, daß du auch hinziehst!« Der Königssohn aber antwortete: »Meinen Brüdern habt ihr ihren Wunsch erfüllt, und mir wollt ihr nun nicht die Gnade erweisen?« Und ließ ihm keine Ruhe, bis der König endlich den Befehl gab, die Baumeister sollten an demselben Ort ein drittes Landhaus bauen. Als es fertig war, begleitete der König seinen dritten Sohn hin, nahm Abschied von ihm, und ließ ihn allein zurück.
Der Königssohn aß und trank, als es aber dunkel wurde, legte er sich nicht schlafen, sondern zündete ein Licht an, und stellte es auf einen Tisch; davor stellte er einen Sessel, setzte sich hinein, und zündete sich seine lange Pfeife an, und rauchte nun ganz ruhig und behaglich. Um Mitternacht ging dasselbe furchtbare Getöse wieder an, er ließ sich aber nicht stören, sondern rauchte ruhig weiter. »Bum! bum!« ging es durch das ganze Haus; die Thüren sprangen von selbst auf, und ein wilder Mann trat herein. »Was unterstehst du dich, auf meinem Grund und Boden dein Haus zu bauen?« brüllte er den Königssohn an, der aber antwortete gar nichts, sondern rauchte ruhig weiter, und was der wilde Mann auch sagen mochte, so ließ er sich nicht aus seiner Ruhe bringen. Der wilde Mann fuhr in der Stube herum, schaute Alles an, und drohte dazwischen wieder dem Königssohn. Als es aber ein Uhr schlug, verschwand er, und Alles wurde ruhig. Da legte der Königssohn sich zu Bette, und schlief ruhig bis zum Morgen. Als er aber erwachte, sah er, daß das ganze Haus golden geworden war. Die Wände, der Boden, das Dach, Alles war von lauterm Golde und strahlte in der Sonne.
Unterdessen warteten der König und die Königin auf ihren Sohn, und da er nicht kam, sprachen sie: »Wir wollen uns Alle zusammen aufmachen, und sehen, was aus ihm geworden ist.«
Also machten sie sich mit ihren beiden ältesten Söhnen auf den Weg, als sie aber das goldne Haus von weitem leuchten sahen, und den Königssohn wohlbehalten am Fenster stehen, waren sie sehr erfreut, und umarmten und küßten ihn. Da führte er sie im ganzen Hause herum, und sie aßen und tranken mit einander, und nach dem Essen sprach der Jüngste zu seinen Brüdern: »Wir wollen nun ein wenig spazieren gehen.« Das waren sie zufrieden, und so zogen sie alle drei zusammen aus. Da sie nun ein Weilchen gegangen waren, kamen sie an einen tiefen, tiefen Brunnen, in dem war kein Wasser. »Das ist doch merkwürdig,« sprach Einer von ihnen, »da ist ja ein Brunnen ohne Wasser; wir wollen hinuntersteigen, und sehen, was es da unten gibt.« »Ja,« riefen die andern, »und wir wollen das Loos ziehen, um zu sehen, wer zuerst hinunter soll.« Da zogen sie das Loos, und da es den Aeltesten traf, so band er sich einen Strick um den Leib, nahm ein Glöckchen mit, und ließ sich hinunter. Immer tiefer und tiefer ging es, auf einmal erhob sich ein solcher Lärm und Kettengerassel, mit Blitz und Donner, daß er erschrak, sein Glöckchen läutete, und sich eiligst hinaufziehen ließ.
Nun war die Reihe am Zweiten; es ging ihm aber nicht besser; als er den Lärm hörte, erschrak er so sehr, daß er das Glöckchen läutete, und sich wieder hinaufziehen ließ.
»Ihr seid Helden!« rief der Jüngste, »ich sehe schon, ich muß selbst hinunter.« Da band er sich den Strick um den Leib, nahm das Glöckchen mit, und stieg hinunter. Er hörte wohl den furchtbaren Lärm, den Donner und das Kettengerassel, aber er kümmerte sich nicht darum, sondern setzte seinen Weg ruhig weiter fort. Als er nun auf dem Grunde des Brunnens ankam, band er sich los, und sah sich um; da sah er, daß er in einem herrlichen Garten war, und vor ihm stand ein wunderschönes Mädchen, das sprach leise zu ihm: »O, unglückseliger Jüngling, willst du hier dein Leben verlieren? Fliehe so schnell du kannst.« »Warum sollte ich fliehen?« frug der Königssohn. »Ach,« antwortete sie, »hier wohnt ein wilder Mann, der hält mich und meine beiden älteren Schwestern gefangen, und wenn er dich sieht, so frißt er dich.« »Sei ohne Sorge,« sprach er, »ich will dich und deine Schwestern erlösen. Sage mir nur, wenn der wilde Mann schläft, so will ich herzuschleichen und ihn tödten.« Da ward das schöne Mädchen sehr froh, und zeigte dem Jüngling, wo er sich verstecken sollte, und sagte ihm, sie wäre eine Königstochter. Als aber der wilde Mann schlief, rief sie den Königssohn, der zog sein gutes Schwert, und schlich hinzu, und haute dem wilden Mann den Kopf ab. Die drei Schwestern dankten ihm, und dann gingen sie alle vier an den Grund des Brunnens, um sich wieder hinaufziehen zu lassen. Da band er zuerst die älteste Königstochter fest, und läutete mit dem Glöckchen, und als die Brüder das Zeichen hörten, zogen sie an dem Strick, und meinten, ihren Bruder herauszuziehen. Als sie aber das schöne Mädchen sahen, das ihnen sagte, wie der Königssohn sie und ihre Schwestern erlöst hatte, wurden sie sehr froh, und warfen gleich den Strick hinunter, und zogen auch die zweite Königstochter heraus. »Höre,« sprach nun die jüngste Königstochter zum jüngsten Königssohn, »laß dich zuerst hinaufziehen, denn deine Brüder möchten sonst Verrath an dir üben.« »Ach nein, das werden sie nicht thun,« antwortete er, »wie kann ich dich auch hier unten allein lassen?« »Ach, thu es mir zu Liebe, und steige zuerst hinauf,« bat sie immer wieder, er aber wollte nicht, so daß sie sich endlich an den Strick binden lassen mußte. Vorher aber gab sie ihm eine Zaubergerte und sprach: »Im schlimmsten Falle wird dir diese Gerte heraushelfen.« Da nahm er die Gerte, und gab ihr einen Ring mit einem Stein: »Bewahre diesen Ring wohl,« sprach er, »denn wenn der Stein anfängt zu leuchten, so ist es ein Zeichen, daß ich dir nahe bin.« Als nun die Brüder die dritte Königstochter auch herausgezogen hatten, wurden sie von Neid erfüllt gegen ihren jüngsten Bruder, der so Vieles vollbracht hatte. Da drohten sie den Schwestern und sprachen: »Wenn ihr uns nicht schwöret, daß ihr unsern Eltern sagen wollet, wir hätten euch erlöst, so bringen wir euch um. Und wenn sie nach unserm jüngsten Bruder fragen, so müsset ihr sagen, ihr hättet ihn nie gesehen.« Die drei Schwestern wollten nicht, und baten die bösen neidischen Brüder: »Ach, verrathet doch euren unglücklichen Bruder nicht. Seht, wir sind drei, und ihr seid drei, weßhalb also wollet ihr ihn verlassen?« Die beiden Brüder aber antworteten: »Wenn ihr nicht schwören wollt, so tödten wir euch.« Also mußten die armen Mädchen schwören, und die beiden Brüder brachten sie zu ihren Eltern. »Seht, lieber Vater und liebe Mutter, diese Mädchen haben wir aus der Gewalt eines wilden Mannes errettet,« sprachen sie, und der König und die Königin waren hoch erfreut, und sagten: »So sollen auch zwei von ihnen eure Gemahlinnen werden. Wo aber ist euer jüngster Bruder?« »Der hat sich von uns getrennt,« antworteten sie, »und wir haben ihn nicht wieder gesehen.«
Als nun der jüngste Sohn nicht mehr nach Hause kam, fing die Königin an zu jammern und zu klagen, und es war große Trauer im ganzen Land.
Als jedoch einige Zeit vergangen war, heiratheten die beiden Brüder die beiden älteren Königstöchter; die Jüngste aber wollte sich nicht verheirathen, obgleich der König und die Königin sie immer baten, sich einen Mann auszuwählen. – Lassen wir sie nun, und sehen uns nach dem armen jüngsten Königssohne um.
Er wartete eine lange Zeit, ob der Strick nicht wieder herunterkommen würde; endlich aber mußte er sich überzeugen, daß seine Brüder ihn verrathen hatten. »Sie hatte recht, daß sie mich zuerst hinauflassen wollte,« dachte er, verlor aber den Muth nicht, sondern zog sogleich seine Zaubergerte hervor, und sprach: »Ich befehle!« »Was befiehlst du?« »Einen Adler!« Sogleich senkte sich ein Adler herab, und frug nach seinem Begehr. »Nimm mich auf deinen Rücken, und trage mich an die Oberwelt.« »Gut,« antwortete der Adler, »aber nimm Fleisch mit.« Da ging der Königssohn in den Garten, wo eine ganze Heerde Ochsen war, schlachtete einen davon, schnitt ihn in tausend Stücke, und steckte sie in seinen Sack. Dann setzte er sich dem Adler auf den Rücken, und der Adler flog mit ihm auf. Während des Fliegens aber verlangte er immer Fleisch, und der Königssohn gab ihm jedesmal ein Stück von dem Ochsen. Nun war aber der Brunnen sehr tief, und das Fleisch ging zu Ende, noch ehe sie oben angekommen waren. Da nun der Adler wieder mit lauter Stimme nach Fleisch verlangte, dachte der Königssohn: »Wenn ich ihm nichts gebe, so läßt er mich fallen, und ich stürze mich zu Tode.« Und da er nichts anderes hatte, so schnitt er sich die beiden Beine ab, und gab sie ihm, und als der Adler immer wieder nach Fleisch schrie, so schnitt er sich auch noch die beiden Arme ab, und gab sie ihm, und blieb ihm also nur der Rumpf übrig. Als sie nun oben ankamen, legte ihn der Adler nieder, und sprach: »Nun geh nach Haus.« »Wie kann ich gehen, in diesem Zustand?« antwortete der Arme. Da der Adler ihn so verstümmelt sah, frug er: »Warum hast du dich denn so zugerichtet?« »Ihr verlangtet ja fortwährend nach Fleisch, und da der Ochse fertig war, blieb mir nichts anderes übrig, als euch mein eigenes Fleisch zu geben.« Da ward der Adler ganz gerührt, und brach die Glieder wieder aus, und heilte ihn. Der Königssohn aber legte unscheinbare Kleider an, schwärzte sein Gesicht, und wanderte so nach der Stadt, wo der König und die Königin wohnten.
Wie er sich nun der Stadt näherte, fing der Ring der Königstochter an zu leuchten, und sie dachte: »Was ist denn das? mein Ring fängt an zu leuchten, nun kann auch mein Freund nicht fern sein.« Und obgleich der König und die Königin immer wieder in sie drangen, sich einen Mann auszusuchen, antwortete sie doch nur: »Ich habe keine Lust mich zu verheirathen, und von allen den Freiern gefällt mir keiner.«
Als der Königssohn nun in die Stadt kam, ging er zu dem Hofschneider der Königin, und sprach zu ihm: »Ich bin hier fremd, und bin ein armer Bursche; wollt ihr mich als euren Burschen behalten, so will ich euch treu dienen.« »Ich kann dir aber nichts geben als zu essen, und ein Zimmerchen zum Schlafen,« antwortete der Schneider. »Das ist mir auch genug,« sprach der Königssohn, und blieb bei dem Schneider und diente ihm. Er wollte sich aber niemals waschen und ordentlich kleiden, also daß er bald ganz schmutzig aussah.
Unterdessen wünschten der König und die Königin immer die jüngste Königstochter zu verheirathen, und führten ihr täglich neue Freier zu, sie aber wollte Keinen. Da sprach eines Tages der König zu ihr: »Sieh, mein Kind, wir sind Beide alt, und Leben und Tod sind in Gottes Hand. Wenn uns etwas zustoßen sollte, so würdest du ganz allein zurückbleiben. Darum thu es uns zu Liebe, und wähle dir einen Mann aus. Morgen werde ich verkünden lassen, alle Königssöhne, Fürstensöhne und reiche Herren sollen sich hier einfinden, um drei Tage lang ein großes Turnier1 zu halten. Da soll Jeder zu Pferd an deinem Balkon vorbeireiten, und der dir am besten gefällt, dem wirfst du dein Taschentuch hinunter.« Die Königstochter willigte endlich nach vielem Ueberreden ein, und der König ließ überall verkündigen, er werde ein großes Turnier halten, und alle Söhne von Königen, oder Fürsten, oder Baronen sollten sich einfinden, damit die Königstochter Einen davon zu ihrem Mann erwähle. Zugleich sprach er zur Königin: »Laß ihr königliche Kleider anfertigen, denn wenn sie einen Mann gewählt hat, so soll noch denselben Tag die Hochzeit sein.«
Da ließ die Königin ihren Hofschneider kommen, und befahl ihm, die Kleider für die Königstochter zu machen, »und binnen drei Tagen müssen sie fertig sein,« sprach sie, »sonst gilt es deinen Kopf.« Der Schneider versprach es, da er aber noch viele andre Kleider zu nähen hatte, so konnte er die Kleider für die Königstochter nicht machen. Der erste und zweite Tag vergingen, der dritte brach an, und noch waren die Kleider nicht einmal angefangen. Seine Frau fing an laut zu jammern: »Ach, warum sagtest du es nicht, daß du die Kleider nicht machen könntest? nun wirst du morgen deinen Kopf verlieren.«
Als der Königssohn das Jammern hörte, frug er, was da sei. »Ach Peppe, lieber Peppe,« klagte die Frau, »kannst du uns nicht helfen? Morgen früh muß mein Mann diese Kleider fertig haben, sonst kostet es ihm sein Leben, und nun sind sie nicht einmal angefangen.« »Was geht mich das an?« brummte Peppe, »da seht ihr selbst zu.« Weil aber die Frau nicht nachließ mit Jammern und Klagen, sagte er endlich: »Was ihr für einen Lärm macht! Bringet die Kleider in meine Kammer, so will ich sehen, ob ich euch helfen kann.« Da brachten sie die Kleider in seine Kammer, und er legte sich schlafen. Der Schneider aber und seine Frau konnten vor Angst nicht schlafen, und liefen an seine Thür, und die Frau schaute durchs Schlüsselloch, und sprach: »Ach, er schläft, er hat sich noch nicht an die Arbeit gesetzt.« Da klopften sie und riefen: »Peppe, lieber Peppe, setze dich doch an die Arbeit.« »Wollt ihr mich wohl in Ruhe schlafen lassen?« brummte Peppe, und sie mußten wieder zu Bette gehen. Nach einer Stunde liefen sie wieder hin, und sahen, daß die Kleider immer noch nicht angefangen waren. »Peppe, du Unglückskind, du wirst uns noch verderben!« »Was macht ihr denn für einen schrecklichen Lärm,« brummte Peppe, »nicht einmal schlafen kann ich.« So trieben sie es die ganze Nacht.
Am Morgen aber, als der Schneider und seine Frau eben nicht hinter der Thüre standen, zog der Königssohn seine Zaubergerte hervor, und sprach: »Ich befehle!« »Was befiehlst du?« »Ein wunderschönes königliches Kleid, wie es kein schöneres auf der Welt gibt!« Sogleich lag da ein wunderschönes Kleid, wie kein Schneider es hätte machen können, und als der Schneider und seine Frau wieder an die Thüre klopften, machte er ihnen auf, und gab ihnen das wunderschöne Kleid. Da waren sie voller Freude, und umarmten ihn, und dankten ihm, und die Frau brachte ihm eine schöne Tasse warmen Kaffee. »Jetzt bringe ich das Kleid sogleich zur Königstochter,« rief der Schneider, »und du sollst es hintragen, und das Geschenk dafür in Empfang nehmen.« »Laßt mich doch in Ruhe,« sprach der Peppe, »was soll ich bei der Königstochter? Ich will gar kein Geld.« »Komm doch mit,« sagte der Schneider, »warum sollte ein andrer das Geschenk bekommen, das dir doch gebührt.«
Da ließ sich Peppe bereden, nahm das Kleid und ging mit dem Schneider in den königlichen Palast.
Wie er sich aber dem Palaste näherte, leuchtete der Stein im Ringe der Königstochter immer heller, also daß sie voll Freude dachte: »Mein Freund ist mir gewiß ganz nahe; ach, wenn er nun doch erscheinen wollte!« Wie sie noch so dachte, kam ein Diener und meldete ihr, der Schneider und sein Bursche seien draußen und hätten das bestellte Kleid mitgebracht. »Lasset sie hereinkommen,« sprach sie, und als sie hereintraten, strahlte der Stein so hell, daß selbst das Gesicht der Königstochter davon wie verklärt wurde. Ihr Herz aber sagte ihr: »Dieser schmutzige Bursche ist dein Freund, und kein anderer.« Da betrachtete sie das Kleid, und es gefiel ihr so wohl, daß sie eine Börse mit Goldstücken nahm, und sie dem Peppe reichte. Der aber sagte: »Was soll ich mit eurem Gold? Ich will nichts.« »Nimm es doch,« sprach der Schneider, »ich kann dir dann einen saubern Anzug machen.« So beredete er ihn endlich, daß er das Geld nahm. Die Königstochter aber dachte: »Wenn er wirklich ein armer Bursche wäre, so würde er das Geld nicht ausgeschlagen haben. Es ist kein Zweifel, dieser Bursche ist mein Freund.« Und als der Schneider und Peppe das Zimmer verließen, verlor der Stein wirklich etwas von seinem Glanz.
Nun kam aber die Zeit heran, daß das Turnier gehalten werden sollte, und am ersten Tage sprach der Schneider zu Peppe: »Komm mit, wir wollen auch das schöne Schauspiel sehen.« »Was frage ich nach euren schönen Schauspielen,« brummte Peppe, »geht ihr nur ohne mich.«
Als nun alle die Freier zu Pferde saßen, ritten sie an dem königlichen Schlosse vorbei zuerst die Königssöhne, dann die Söhne von Fürsten, zuletzt die Söhne von Baronen und anderen reichen Herren. Die Königstochter stand im Balkon, und hielt ein weißes Tuch in der Hand, und Jeder dachte: »Mir wirft sie es gewiß herab.« Sie warf es aber Keinem herunter, und den nächsten Tag mußten die Freier alle zum zweitenmale an ihr vorbeireiten. Es ging ihnen aber ebenso wie den ersten Tag; sie warf ihr Tuch Keinem herunter.
Nun kam der dritte Tag. »Peppe,« sprach der Schneider zu seinem Burschen, »heute mußt du mit mir gehen, du sollst sehen, das Turnier wird dir gewiß gefallen.« »Laßt mich doch in Ruhe,« brummte Peppe, »was soll ich bei eurem Turnier.« Der Schneider aber ließ ihm keine Ruhe, bis Peppe sich bereden ließ, mit ihm zu gehen.
Als sie nun vor das Schloß kamen, waren die meisten Freier schon vorbeigeritten, und die Königstochter hielt noch immer das weiße Tuch in der Hand. Da sie aber ihren Ring plötzlich hell leuchten sah, merkte sie, daß der Königssohn in der Nähe sein müsse, und als sie den Schneider und seinen schmutzigen Burschen erblickte, beugte sie sich herab, und ließ ihr Tuch auf Peppe fallen.
Als der König und die Königin sahen, wen die Königstochter sich zum Mann erwählt hatte, wurden sie sehr zornig und sprachen: »So viele reiche Freier hast du verschmäht, und hast nun deine Augen auf einen schmutzigen Schneidersburschen geworfen? So sollst du ihn auch haben; heute noch aber mußt du den Palast verlassen, und Aussteuer geben wir dir auch keine mit.« »Wie ihr wollt,« sprach sie, »aber dieser soll mein Mann sein, und kein andrer.«
Da wurde die Hochzeit gehalten, und Peppe und die Königstochter mußten sogleich das Schloß verlassen, und in ein kleines Häuschen ziehen, das dem königlichen Palaste gerade gegenüber lag. Peppe aber gab sich seiner Frau nicht zu erkennen, doch leuchtete der Ring und strahlte, daß es eine Pracht war.
Nun sprachen eines Tages die beiden älteren Brüder zu einander: »Heute wollen wir uns mit dem dummen Peppe einen Spaß machen. Wir wollen mit ihm auf die Jagd gehen, und wetten, wer von uns die meisten Vögel schießt.« So thaten sie, und als sie in den Wald kamen, trennten sie sich, und Jeder ging auf eine Seite hinaus. So viel aber die beiden älteren Brüder auch herumlaufen mochten, sie fanden auch nicht einen einzigen Vogel. Peppe hingegen schoß eine solche Menge Vögel, daß er sie gar nicht zu tragen vermochte. Als sie nun wieder zusammen kamen, und die Beiden sahen, wie glücklich der dumme Peppe gewesen war, baten sie ihn: »Ach, lieber Peppe, gib uns doch die geschossenen Vögel, wir geben dir dafür, was du willst.« »Wenn ich euch meine Vögel geben soll,« sprach Peppe, »so müßt ihr es auch geschehen lassen, daß ich Jedem von euch zwei schwarze Flecken auf die Schultern mache.« Weil nun die Brüder so gerne die Vögel haben wollten, so dachten sie: »Es sieht uns hier ja doch niemand,« zogen ihre Kleider von den Schultern, und Peppe machte Jedem zwei schwarze Flecken auf den Rücken und gab ihnen die Vögel. Als sie aber nach Hause kamen, rühmten sie sich, sie hätten so viele Vögel geschossen.
So verging noch einige Zeit, und der Königssohn ließ sich von Allen »der dumme Peppe« nennen, und sie spotteten immer über ihn. Endlich aber dachte er: »Nun ist’s genug.« Da nahm er in der Nacht seine Zaubergerte hervor, und sprach: »Ich befehle!« »Was befiehlst du?« »Daß mein Häuschen zu einem wunderschönen Palast werde, mit Allem, was dazu gehört.«
Als nun die Königstochter am andern Morgen erwachte, lag sie in einem schönen Bette, und ihr einfaches Zimmer war so groß und so schön geworden, und wie sie sich noch darüber wunderte, ging die Thüre auf, und der Königssohn kam herein, hatte sich gewaschen und königliche Kleider angelegt, und war noch viel schöner als früher. Da erkannte sie ihn, umarmte ihn voller Freude, und sprach: »Der Ring sagte es mir ja, daß du mein lieber Gemahl wärest; warum hast du dich denn nicht zu erkennen gegeben?« »Weil ich erst meine Brüder prüfen wollte,« antwortete er.
Als nun die Königin aufwachte, und den schönen Palast sah, ward sie auch ganz verwundert, und sprach: »Was ist denn das? Dort stand ja gestern noch das kleine Häuschen, in welchem Peppe wohnt, und nun steht da ein wunderschöner Palast.« Da schickte sie sogleich einen Diener hin und ließ der Königstochter sagen, die Königin wolle sie heute bei sich zum Essen sehen, und Peppe solle auch kommen. Als die Königstochter nun mit dem schönen Jüngling erschien, sprach die Königin zu ihr: »Hast du deinen Peppe schon satt, daß du mit diesem feinen Herrn kommst?« Sie aber antwortete: »Liebe Mutter, das ist ja Peppe, mein lieber Mann.« Und der Königssohn sagte: »Liebe Mutter, erkennt ihr mich nicht mehr? Ich bin ja euer jüngster Sohn. Meine beiden Brüder haben mich verrathen und im Brunnen zurückgelassen; ich bin aber doch wieder an die Oberwelt gekommen, und bin verkleidet in die Stadt gezogen. Die Königstochter aber hat mich erkannt, und zu ihrem Mann erwählt.«
Als der König und die Königin das hörten, wurden sie hoch erfreut, und umarmten ihren lieben Sohn, und der König sprach: »Nach meinem Tode sollst du König sein. Deine Brüder aber sollen zur Strafe für ihren Verrath mein Reich verlassen.«
Und so geschah es, die beiden neidischen Brüder mußten das Reich verlassen; der König aber hielt eine große Festlichkeit für seinen jüngsten Sohn. Und so blieben sie reich und getröstet, wir aber sind hier sitzen geblieben.

[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]

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