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Märchenbasar

Von Maruzzedda

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Es war einmal ein armer Schuster, der hatte drei schöne Töchter; aber die jüngste war die schönste, die hieß Maruzzedda. Die älteren Schwestern aber hatten Maruzzedda nicht gern, weil sie so überaus schön war. Der Schuster war arm, und mußte oft Tage lang herumziehen, ohne etwas zu verdienen.
Eines Tages nun sprach er zu seiner ältesten Tochter: Begleite mich morgen, wenn ich ausziehe, Arbeit zu suchen, vielleicht ist mir dann das Glück günstiger. Da ging die älteste Tochter mit ihm, und er verdiente einen Tarì. Da sprach er: »Höre, ich bin so hungrig; wir wollen zehn Grani verzehren, und zehn Grani den Anderen mitbringen. Das thaten sie, kauften sich etwas zu essen, und brachten den Anderen nur die Hälfte des Geldes. Den nächsten Morgen nahm der Schuster die zweite Tochter mit, und verdiente drei Carlini.« Da sprach er: »Wir wollen 15 Grani verzehren, und 15 Grani den Anderen mitbringen.« Das thaten sie, und brachten nur die Hälfte des Geldes mit nach Hause. Am dritten Tage nahm der Schuster die Maruzzedda mit, und dieses Mal verdiente er zwei Tarì. Da sprach er: »Höre, Maruzzedda, wir wollen einen Tarì verzehren, und deinen Schwestern nur einen Tarì nach Hause bringen.« Sie aber antwortete: »Nein, Vater, wir wollen lieber gleich nach Hause gehen, und Alle mit einander essen.« Als nun der Vater nach Hause kam, erzählte er es den zwei Schwestern, die sprachen: »Nein, seht doch einmal diese ungerathene Tochter, sollte sie nicht immer thun, was ihr wollt?« Mit solchen Worten hetzten sie den Vater gegen die unschuldige Maruzzedda auf. Den nächsten Morgen aber nahm er sie doch wieder mit, und verdiente drei Tarì. Da sprach er wieder: »Höre, Maruzzedda, wir wollen drei Carlini verzehren, und den Schwestern die anderen drei Carlini mitbringen.« Sie aber antwortete: »Nein, lieber Vater, wir wollen lieber gleich nach Hause gehn; warum sollten wir nicht zusammen essen?« Als der Vater nach Hause kam, erzählte er es wieder seinen anderen Töchtern, die sprachen noch härtere Worte über die arme Schwester: »Was wollt ihr das unverschämte Mädchen noch länger im Hause behalten? Jagt sie fort, so seid ihr sie los.« Der Vater aber wollte nicht. Da sprachen die Schwestern. »Nehmt sie morgen mit, und laßt sie in irgend einer einsamen Gegend allein zurück, daß sie den Weg nach Hause nicht finden kann.« Da ward der Vater verblendet, und ließ sich von den Schwestern bethören, und nahm am nächsten Morgen seine Maruzzedda mit.
Als er aber weit gewandert war, und in eine ganz unbekannte Gegend kam, sprach er zu ihr: »Warte einen Augenblick auf mich und ruhe dich unterdessen aus, ich komme gleich wieder.« Da setzte sich Maruzzedda hin, und der Schuster ging fort. Sie wartete und wartete, aber ihr Vater kam nicht wieder. Die Sonne neigte sich und der Vater kam immer noch nicht. Da dachte sie endlich ganz traurig: »Mein Vater hat mich gewiß verstoßen wollen; so will ich denn in die weite Welt wandern.« So wanderte sie denn fort, und wanderte bis sie müde ward, und es schon anfing Abend zu werden. Wie sie nun gar nicht wußte, wo sie ein Obdach finden sollte, sah sie in der Ferne ein prachtvolles Schloß stehen. Da ging sie darauf zu, trat hinein, und stieg die Treppe hinauf, sie begegnete aber Niemanden. Da ging sie durch die Zimmer, die waren kostbar geschmückt, und in dem einen stand eine wohlbesetzte Tafel, aber Menschen waren keine da. Endlich gelangte sie in das letzte Zimmer, da sah sie auf einem Katafalk eine schöne Jungfrau liegen, die war todt. »Es ist ja Niemand hier, so will ich hier bleiben, bis Jemand kommt, und mich fortjagt.« Also setzte sie sich an die Tafel, aß und trank, so viel ihr Herz begehrte, und legte sich dann in ein schönes Bett schlafen. So lebte sie da eine lange Zeit und kein Mensch störte sie.
Eines Tages aber begab es sich, daß eben ihr Vater des Weges daherkam, als sie zum Fenster hinausschaute. Als er sie sah, begrüßte er sie freudig, denn es that ihm leid, sie verlassen zu haben, und frug sie, wie es ihr gehe. »O, es geht mir gut,« antwortete Maruzzedda, »ich habe hier einen Dienst angenommen, und ich habe es gut.« »Darf ich ein wenig heraufkommen?« frug der Vater. »Nein, nein,« erwiederte sie, »meine Herrschaft ist in diesem Punkt sehr streng und erlaubt mir nicht, irgend Jemand hereinzulassen. Lebt wohl, und grüßt mir meine Schwestern.« Der Schuster ging nach Haus und erzählte seinen Töchtern, daß er Maruzzedda wiedergefunden hätte. Da bethörten sie ihn wieder mit falschen Worten, daß er der unschuldigen Maruzzedda gram ward, und nach einigen Tagen backten die neidischen Schwestern einen Kuchen, in den thaten sie viel Gift hinein und gaben ihn dem Vater, daß er ihn dem armen Mädchen bringen sollte.
In der Nacht aber, als Maruzzedda schlief, erschien ihr die todte Jungfrau im Traum, und rief sie: »Maruzzedda! Maruzzedda!« »Was wollt ihr?« frug Maruzzedda halb im Schlaf und halb im Wachen. »Morgen wird dir dein Vater einen wunderschönen Kuchen bringen, hüte dich aber davon zu essen, denn er ist vergiftet, sondern gieb erst der Katze ein Stück.« Da erwachte Maruzzedda und sah sich allein. Also dachte sie: »Ich werde wohl geträumt haben,« und schlief wieder ruhig ein. Am nächsten Morgeu sah sie ihren Vater kommen. Da ließ sie ihn zwar die Treppe heraufkommen, wollte ihn aber nicht einlassen. »Wenn euch meine Herrschaft sieht, so wird sie mich aus dem Dienst jagen.« »Nun denn, mein Kind,« antwortete der Schuster, »deine Schwestern lassen dich schön grüßen und schicken dir diesen Kuchen.« »Antwortet meinen Schwestern, der Kuchen sei sehr schön,« erwiederte Maruzzedda, »und ich dankte ihnen vielmals dafür.« »Willst du denn nicht ein Stückchen versuchen?« frug der Vater. »Nein, ich kann nicht,« antwortete sie, »denn ich habe jetzt zu arbeiten. Später, wenn meine Arbeit fertig ist, will ich ihn versuchen.« Da gab sie ihm etwas Geld und hieß ihn gehen. Als er aber fort war, gab sie der Katze ein Stück von dem Kuchen, und nach einigen Augenblicken starb die Katze. Da erkannte sie, wie treu die todte Jungfrau sie gewarnt hatte und warf den Kuchen weg.
Die neidischen Schwestern aber hatten zu Hause keine Ruhe, und wollten gern wissen, was aus ihr geworden sei. Also begab sich der Schuster eines Morgens wieder auf den Weg nach dem Schloß. Als er aber dort anklopfte, kam ihm Maruzzedda ganz gesund und munter entgegen. »Wie geht es dir denn, liebes Kind?« frug er. »Mir geht es ganz gut, lieber Vater,« antwortete sie. »Laß mich doch einmal das Schloß besehen,« bat er. »Wo denkt ihr hin!« sagte sie, »das würde mir meinen Dienst kosten.« Da gab sie ihm etwas Geld und schickte ihn fort. Als aber der Vater zu seinen Töchtern kam, und ihnen erzählte, Maruzzedda sei ganz gesund, haßten sie ihre arme Schwester noch mehr als bisher. Da verfertigten sie einen schönen Hut, der war verzaubert, also daß wer ihn aufsetzte, starr und bewegungslos blieb, und diesen Hut mußte der Schuster seiner Tochter bringen.
In der Nacht aber erschien die todte Jungfrau wieder der Maruzzedda im Traum und rief sie: »Maruzzedda! Maruzzedda!« »Was wollt ihr?« frug sie. »Morgen früh wird dir dein Vater einen schönen, feinen Hut bringen,« sagte die Todte. »Hüte dich aber ihn aufzusetzen, sonst wirst du starr und bewegungslos.« Am andern Morgen kam richtig der Schuster und brachte seiner Tochter den schönen Hut mit. »Saget meinen Schwestern, der Hut sei sehr schön, und ich dankte ihnen vielmals,« sagte sie ihrem Vater. »Willst du ihn nicht eben aufsetzen, daß ich sehe, wie er dir steht?« frug er. »Nein, nein, ich muß jetzt arbeiten,« antwortete sie, »später, wenn ich in die Messe gehe, will ich mich damit schmücken.« Damit gab sie ihm etwas Geld und hieß ihn gehen. Den Hut aber steckte sie in einen Kasten, und zerriß ihn nicht, wie sie hätte thun sollen. Die Schwestern aber waren nun überzeugt, Maruzzedda hätte sich mit dem Hut einen Schaden angethan, und bekümmerten sich nicht weiter um sie.
Durch Gottes Gnade ward es nun der todten Jungfrau vergönnt, in die himmlische Herrlichkeit einzugehen. Da erschien sie zum letzten Mal der Maruzzedda im Traum und sprach: »Gott vergönnt mir zu meiner Ruhe einzugehen. Dir lasse ich dies Schloß und Alles was darinnen ist. Lebe glücklich und genieße diese Reichthümer.« Damit verschwand sie und der Katafalk blieb leer stehen.
Nun war eine geraume Zeit verstrichen, da fiel es eines Tages der Maruzzedda ein, ihre Kisten und Kasten aufzuräumen. Dabei fiel ihr auch der verzauberte Hut in die Hände, und weil es so lange her war, vergaß sie wer ihn ihr geschickt hatte, und dachte: »Ei, der hübsche Hut! Den will ich doch anprobiren.« Kaum aber hatte sie den Hut aufgesetzt, so blieb sie starr und bewegungslos und konnte sich gar nicht mehr rühren. In der Nacht aber erschien die todte Jungfrau, denn der Herr hatte ihr vergönnt auf die Erde zu kommen; sie nahm die arme Maruzzedda und legte sie auf den Katafalk, dann flog sie wieder in’s Paradies. Da lag nun Maruzzedda wie todt; sie wurde aber nicht blaß und auch nicht kalt.
Als sie aber schon eine lange Zeit so gelegen hatte, begab es sich, daß eines Tages der König auf die Jagd ging und in die Gegend des Schlosses kam. Da er nun einen schönen Vogel sah, schoß er danach und traf ihn auch, aber der Vogel fiel gerade in das Zimmer hinein, wo Maruzzedda auf dem Katafalk lag. Nun wollte der König in das Schloß eindringen, es waren aber alle Thüren verschlossen und auf sein Klopfen antwortete Niemand. Also blieb nichts übrig, als durch das Fenster hineinzusteigen, und weil das Fenster nicht sehr hoch war, so gelang es zweien von seinen Jägern hineinzusteigen. Als sie aber das wunderschöne Mädchen sahen, vergaßen sie den Vogel und den König und schauten nur immer die todte Maruzzedda an. Der König wurde ungeduldig, und rief endlich: »Was macht ihr denn da drinnen? Eilt euch doch!« Da kamen sie an’s Fenster und baten den König auch hereinzusteigen, es sei da ein Mädchen von so wunderbarer Schönheit, wie sie nie etwas Aehnliches gesehen hätten. Da stieg der König durch das Fenster in das Zimmer, und da er Maruzzedda erblickte, konnte er auch seine Augen nicht mehr von ihr abwenden. Als er sich aber über sie beugte, merkte er, daß sie noch warm war, und rief: »Das Mädchen ist nicht todt, sondern nur ohnmächtig, wir wollen sie in’s Leben zurückrufen.« Da versuchten sie, sie zu erwecken, rieben sie, schnürten ihr Kleid auf, aber es war Alles vergebens, Maruzzedda blieb starr. Da streifte der König endlich den Hut ab, um ihre Stirn zu kühlen, und sogleich schlug sie die Augen auf und erwachte aus ihrem Schlummer. Da rief der König: »Du sollst meine Gemahlin sein,« und umarmte sie. Der König aber hatte eine Mutter, die war eine böse Zauberin. Er fürchtete sich also, Maruzzedda mit in sein Schloß zu nehmen und sprach: »Bleibe hier; ich werde kommen, so oft ich kann.« Also lebte Maruzzedda in dem Schloß und wurde heimlich mit dem König getraut, und der König kam und besuchte sie, so oft er auf die Jagd ging.
Nach einem Jahr gebar sie ihren ersten Sohn, und nannte ihn: »Ich liebe dich.« Wieder nach einem Jahr gebar sie ihren zweiten Sohn und nannte ihn: »Ich liebte dich.« Und als sie nach einem Jahr ein drittes Söhnchen bekam, nannte sie es: »Ich werde dich lieben.«
Die alte Königin aber hatte wohl gemerkt, daß ihr Sohn so oft auf die Jagd ging und so lange abwesend blieb; und forschte so lange, bis sie von seiner Heirath hörte. Da rief sie einen vertrauten Diener, und sprach: »Gehe hin in das Schloß, wo des Königs Gemahlin wohnt, und sage zu ihr: Meine Herrin, die Königin, will euch zu Gnaden annehmen, wenn ihr ihr heute euren ältesten Sohn schickt.« Das that der Diener und die arme Maruzzedda ließ sich bethören und gab ihm ihren ältesten Sohn mit. Am nächsten Tag ließ die alte Königin den zweiten Sohn holen, und dann auch noch den dritten. Als sie aber die drei Kinder bei sich hatte, rief sie ihren Koch und sprach zu ihm: »Diese drei Kinder mußt du tödten, und mir die Leber und das Herz zum Wahrzeichen bringen.« Der Koch aber hatte selbst Kinder, und sein Vaterherz erbarmte sich über die armen, unschuldigen Kleinen, also daß er sie nicht tödtete, sondern sie in sein Haus brachte und dort versteckte. Der Königin aber brachte er Herz und Leber von drei Zicklein.
Zu der Zeit aber war der König krank und lag in seinem Bette darnieder. Da schickte die alte Königin wieder einen Boten zu Maruzzedda und ließ ihr sagen: »Euer Gemahl ist krank, kommet ihn zu pflegen.« Da legte Maruzzedda drei Kleider über einander an und ging auf’s Schloß. Als sie aber in den Hof eintrat, brannte da ein großes Feuer und die alte Königin stand dabei und rief: »Werfet die Dirne in’s Feuer!« Da bat Maruzzedda: »Lasset mich erst meine Kleider abwerfen,« und warf das erste Kleid ab und rief mit lauter durchdringender Stimme: »T’amo!« Nun hatte aber die Königin vor des Königs Thür eine ganze Schaar Musikanten aufstellen lassen, die mußten aus Leibeskräften spielen, damit der König Nichts hören sollte von dem was im Hof vorging. Er hörte aber doch den Ruf seiner Frau, wenn auch nur ganz schwach. »Haltet ein mit eurer Musik,« rief er, aber die Musikanten spielten kräftig weiter. Da warf Maruzzedda auch das zweite Kleid ab, und rief noch lauter: »T’amai!« Diesmal hörte es der König schon besser und rief wieder: »Haltet ein mit eurer Musik!« Die Musikanten aber hatten von der Königin den Befehl erhalten, ihm nicht zu gehorchen, und spielten weiter. Da warf Maruzzedda das dritte Kleid ab, und in der Angst ihres Herzens rief sie so laut sie nur konnte: »T’amerò!« Da hörte der König den Schrei, sprang aus dem Bette und lief in den Hof hinunter. Wie er hinkam, waren die Diener im Begriff die arme Maruzzedda in das Feuer zu werfen. Da gebot er ihnen Einhalt, und befahl ihnen, statt ihrer die alte Königin zu binden und in das Feuer zu werfen. Dann umarmte er seine Frau und sprach: »Nun wirst du Königin sein.« »Ach,« erwiederte sie, »führe mich vor Allem zu meinen Kindern.« »Wo sind denn die Kinder?« frug der König. »Wie! sind sie nicht hier?« rief die arme Mutter. »O meine Kinder, meine lieben Kinder!« Da erzählte sie dem König, wie seine Mutter die Kinder alle habe holen lassen, aber es wußte kein Mensch um sie und es war große Trauer im Schloß. Da ließ sich aber der Koch bei dem König melden, und sprach zu ihm: »Majestät, und ihr, Frau Königin, tröstet euch! Die Kindlein sind wohlbehalten in meinem Hause. Die alte Königin hatte mir freilich befohlen sie zu tödten, aber mein Herz erbarmte sich ihrer und ich ließ sie leben.« Da wurden die drei Kinder gebracht, und die Eltern umarmten sie mit großer Freude. Dann feierten der König und die Königin ein schönes Fest, den treuen Koch aber beschenkten sie reichlich. So lebten sie glücklich und zufrieden, wir aber gehen leer aus.

[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]

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