Vor langer Zeit lebte einmal ein Schäfer, der hatte eine riesige Schafherde. Fast jeden Tag wurden einige Lämmer geboren und so wusste er bald nicht mehr, wie viele Tiere er besaß.
Dieser Schäfer war ständig zu lustigen Streichen aufgelegt. So kam es, dass er bald im ganzen Land als fröhlicher Spaßvogel bekannt war. Obwohl er nur selten mit Menschen zusammen kam, wusste er doch immer die neuesten Ereignisse.
Als er eines Tages seine Schafe vor den Toren der Hauptstadt weidete, kam ihm plötzlich ein seltsamer Gedanke. Er dachte, wie wäre es, wenn ich die trägen Bewohner der Hauptstadt einmal richtig in Angst und Schrecken versetzte. Er trieb deshalb seine Herde ganz nahe an die Stadtmauer heran und rief plötzlich um Hilfe.
„Ein Löwe will mich fressen! Helft mir aus meiner Not!“
Als die am Stadttor wachenden Königssoldaten die Hilferufe des Schäfers hörten, schlugen sie mit ihren großen Trommeln Alarm. Schon nach kurzer Zeit tauchten aus allen Stadttoren bis an die Zähne bewaffnete Männer auf, die glaubten, einen feindlichen Angriff auf ihre Vaterstadt abwehren zu müssen. Als sie zu ihrem Ärger jedoch auf der Hochebene vor der Stadt keinen einzigen feindlichen Krieger entdecken konnten, enstand bald ein heilloses Durcheinander. In das erregte Schreien der Stadtbewohner mischte sich das ängstlichen Blöken der auseinanderstiebenden Schafe. Die Männer der Hauptstadt waren über den üblichen Streich des Schäfers so zornig, dass sie beschlossen, ihn dem König vorzuführen.
Einige besonders wütenden jungen Männer fesselten den sich heftig wehrenden Spaßvogel und schleppten ihn zum Königspalast, wo er sogleich dem Herrscher vorgeführt wurde. Nachdem sich die Diener auf einen Wink ihres Herrn zurückgezogen hatten, sprach der König zu dem mit dicken Stricken gebundenen Schäfer: „Ich habe gehört, dass du unsere Hauptstadt zum Narren halten wolltest. Für deine schändliche Tat müsste ich dich für einige Tage ins Gefängnis werfen.“
„Habt Gnade mit Eurem untertänigsten Diener“, jammerte der Spaßvogel, „ich wollte die Bewohner der Stadt gar nicht ängstigen! Ich wollte nur wissen, ob die beiden am Haupttor wachenden Krieger wieder einmal schlafen, anstatt nach Feinden Ausschau zu halten. Dass die beiden dummen Kerle gleich Alarm geschlagen haben, ohne nachzusehen, ob überhaupt Gefahr droht, kann mir gerechtigerweise nicht zum Vorwurf gemacht werden.“
„Wenn du wirklich nur die beiden Schlafmützen am Haupttor aufwecken wolltest, dann will ich dich aus deinen Fesseln befreien lassen“, sprach der König und rief seine Diener herbei. Als der Schäfer sich wieder frei bewegen konnte, dankte er seinem Herrn für seine Großmut und verließ vergnügt den königlichen Palast. Es kostete ihn viel Mut, die nach allen Richtungen geflohenen Schafe wieder zusammenzutreiben.
Quelle: afrikanisches Märchen