Es war einmal vor langer Zeit, da wohnte Willibald gemeinsam mit einem Engelchen am Waldrand des Märchenwaldes.
Das Holzhäuschen, indem sie wohnten, war einfach, aber wunderschön eingerichtet.
Eines Abends, es war schon stockdunkel, kamen drei Weihnachtsengel des Weges und klopften an die Haustür. Willibald bat die Engel freundlich herein und ließ sie am warmen Kamin Platz nehmen.
„Wir haben uns verlaufen“, sagte einer der Engel, „wir finden den Weg zum Weihnachtsmann in dieser Dunkelheit nicht mehr.“
Da der Engel von Willibald noch zu klein war um ein Weihnachtsengel zu sein, war er auch noch nie beim Weihnachtsmann gewesen.
„Jetzt wärmt euch erst einmal auf“, sagte Willibald und reichte den Gästen Tee und leckeren Gewürzkuchen. „Und danach überlegen wir gemeinsam, was wir tun können.“ Willibald ging an den Kamin und nahm die Teekanne vom Sims. Sein kleiner Engel verteilte Tassen und fragte neugierig: „Was wollt ihr denn beim Weihnachtsmann?“
„Wir helfen ihm jedes Jahr beim Verpacken der Geschenke und es wird diesmal höchste Zeit“, antwortete einer der Weihnachtsengel.
„Könntet ihr noch Hilfe brauchen? Ich würde den Weihnachtsmann liebend gerne mal besuchen. Willibald könnte doch auch helfen!“, plapperte das Englein aufgeregt drauflos. Willibald schmunzelte, trank versonnen einen großen Schluck aus seiner Teetasse und sagte: „Hol mal lieber die große Wegekarte!“
Das Engelchen schmollte, tat aber, was Willibald angeordnet hatte.
„Tagsüber war der Wald wunderschön, doch des Nachts lauern Gefahren. Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als bis zum nächsten Morgen zu warten“, sagte ein Weihnachtsengel.
Es war gemütlich bei Willibald. Überall Tannenzweige und es duftete nach Orangen. Da klopfte es laut an der Tür. Willibald und die Engelschar fuhren erschrocken zusammen.
„Wer könnte das denn jetzt noch sein?“, fragte sich Willibald leise. Ängstlich ging er zur Tür und öffnete sie einen kleinen Spalt. Er lugte vorsichtig hinaus. Die anderen folgten ihm. Es schneite noch immer. Draußen stand ein Schlitten mit sechs Renntieren davor. Und aus dem Schlitten stieg eine Gestalt in einem roten, wallenden Mantel. Um diese herum war die Nacht erhellt.
Während Willibald und sein kleiner Engel mit großen Augen in der Tür standen, riefen die drei Weihnachtsengel voller Freude: „Hallo! Na, wenn das nicht der Weihnachtsmann ist! Was machst du denn hier?“
„Ja“, antwortete der Weihnachtsmann, “ ich hörte Stimmen der Verzweiflung und wusste, ihr seid in Not geraten. Der Weg zum Nordpol ist in der Dunkelheit nicht leicht zu finden.“
Willibald, der langsam seine Fassung wiedergewann, bat den Weihnachtsmann erst einmal in sein bescheidenes Heim einzutreten, sich mit Tee und Gewürzkuchen zu stärken und vor dem Kamin zu wärmen.
Plötzlich klopfte es wieder an der Tür. Willibald machte auf und staunte nicht schlecht. Vor der Tür stand der Nikolaus, schaute um Willibald herum in die Stube und fragte augenzwinkernd: „Darf ich zu euch an den Kamin kommen? Wie ich sehe, ist der Weihnachtsmann schneller gewesen als ich.“ Er trat ein und ließ sich in Willibalds Sessel am wärmenden Feuer nieder.
„Ja, da staunt ihr“, lachte der Nikolaus. „Auch ich vernahm im Weihnachtshimmel, dass ihr euch verlaufen habt und bin herbeigeeilt, um euch abzuholen. Und wie ich sehe, wartet hier sogar noch ein Neuling, der uns gerne helfen möchte, oder?“
„Oh jaaa!“, rief Willibalds Englein aufgeregt. „Nur zu gerne möchte ich mit euch gehen.“
„Na“, sagte der Weihnachtsmann, „somit wäre alles geklärt. Lasst uns alle gemeinsam aufbrechen, wir haben viel zu tun. Hab dank, Willibald, für deine Gastfreundschaft.“
„Halt, halt! Moment noch!“, rief Willibald, flitzte in die Schlafkammer und kramte im Kleiderschrank.
„Was denn noch!“, rief Nikolaus. „Mein Wunschzettel!“, rief Willibald aufgeregt. „Den könntet ihr doch mitnehmen. Oder? Ich habe ihn hier oben auf die Hutablage gelegt und nun finde ich ihn nicht mehr.“ Und dann kullerte auch noch eine kleine Träne die Wange herab. „Und von meinem Engelchen habe ich mich auch noch nicht verabschiedet! Ich hab es doch großgezogen, mich immer liebevoll gekümmert und nun wird er ein Weihnachtsengel und geht so weit fort!“
Engelchen kam zu Willibald und drückte ihn fest an sich.
„Komm doch einfach mit uns“, sagte der Weihnachtsmann, „wir haben noch Platz im Schlitten! Hier langweilst du dich doch nur so allein.“
„Darf ich wirklich?“, fragte Willibald und schaute ungläubig von einem zum anderen. Was er sah, waren lächelnde Gesichter.
„Ja, komm mit uns. Jede helfende Hand wird gebraucht. Im Frühling bringen wir dich zurück, damit du dich um dein Häuschen kümmern kannst. Und ein jedes Jahr zum Winter kommst du wieder zu uns!“, schlug Nikolaus vor.
Willibald strahlte. Er würde ein Teil vom weihnachtlichen Gedanken sein, er würde mithelfen, viele Kinder glücklich zu machen, ja, er würde vielleicht sogar ein Weihnachtself werden.
Schnell waren die Sachen gepackt, das Kaminfeuer gelöscht. Das Englein saß schon auf dem ersten Rentier und wartete, dass es endlich losging. Die Peitsche knallte und der Schlitten setzte sich in Bewegung. „Ho, ho, ho!“, rief der Weihnachtsmann und plötzlich hob der Schlitten von der Erde ab.
Vor lauter Freude merkte Willibald die Kälte überhaupt nicht. Er war nun ein Teil der Weihnachtsschar und nur das zählte. Noch nie war er glücklicher gewesen. Und auch das Engelchen sah nun seiner eigentlichen Bestimmung entgegen. Es würde ein Weihnachtsengel werden.
Der Flug war viel zu schnell vorbei.
„Hey! Ho!“, rief der Weihnachtsmann, die Rentiere wurden langsamer und gingen tiefer. Willibald sah nur Schnee. Doch plötzlich, ein helles Licht, dann noch eines und dann gingen nach und nach immer mehr kleine Lichter an – die Landebahn und dahinter: Wie aus dem Nichts entstand plötzlich eine Stadt. Die Weihnachtsstadt. Der Schlitten flog eine Kurve und setzte zur Landung an. Engelchen starrte auf die bunte Stadt. „Hier werde ich nun zu Hause sein!“, hauchte es.
Willibald hatte Tränen in den Augen. Ob vor Kälte oder vor Ehrfurcht? Willibald in der Weihnachtsstadt! Er kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. So etwas hatte er noch nie gesehen. Was heißt gesehen? So was hatte er noch nicht gesehen, gerochen, gehört! Es war einfach großartig! Und auch das Engelchen stand staunend da und hielt sich überwältigt an Willibalds Jackenzipfel fest.
Von überall strömten Weihnachtselfen in bunten Gewändern heran und Engel, soweit das Auge reichte. Alle wollten den Weihnachtsmann und die Neuankömmlinge begrüßen. Was für ein fröhlicher Tumult. Allen voran, Kunz, der Oberweihnachtself. Mit langen Schritten, wobei die Glöckchen an seinen Schuhen ordentlich bimmelten, und wehender Jacke eilte er wild gestikulierend herbei und schloss Willibald in seine Arme. „Seid willkommen, willkommen! Und ein neues Engelchen ist auch dabei“, lachte er und schnappte sich nun auch das Engelchen in großväterlicher Art der Umarmung. Das Engelchen fühlte sich sofort daheim und wurde von den anderen aufgeregt nach dem Leben auf der Erde befragt.
Willibald fühlte sich sehr wohl, war aber immer noch von den Eindrücken bewegt. Kunz lachte, zog ihn am Arm und sagte aufmunternd: „Komm! Ich führe dich erst einmal herum! Du wirst sehen, es ist alles gar nicht so groß, wie es dir jetzt erscheint.“
Willibald drehte sich noch mal zum Schlitten um, bevor Kunz ihn völlig in Beschlag nahm. Die Rentiere waren bereits abgeschirrt. Der Weihnachtsmann und Nikolaus sprachen mit einigen Engeln und sein kleiner Engel war mitten drin. „Bis später!“, rief Willibald. „Habt vielen Dank!“ Er winkte der Gruppe noch einmal zu, bevor er mit Kunz in der Menge der Elfen verschwand. Das Englein hatte ihn gar nicht mehr gehört. Viel zu aufgeregt war es und wartete gespannt auf seine Aufgaben. Der Weihnachtsmann jedoch hatte Willibald gehört und ein liebevolles Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Er hatte eine gute Wahl getroffen und sie gerade den Seinen kurz mitgeteilt. Willibald sollte der Nachfolger für Kunz werden, der nach einhundert Dienstjahren in den Ruhestand gehen wollte. Doch das wusste Willibald noch nicht.
Nun hieß es jedoch erst einmal Willibald die Scheu vor der unendlichen Pracht des Weihnachtshimmels zu nehmen. All die herrlichen Gerüche, das Klingeln der vielen, vielen Glöckchen, der Lichterglanz….. Kunz nahm sich viel Zeit für Willibald, denn ihm gefiel die Ehrfurcht und Bescheidenheit, die von seinem Wesen ausging.
So lernte Willibald nach und nach die Stadt kennen. Die vielen kleinen Handwerksstuben, die vielen fleißigen Helfer, den Ablauf der Weihnachtspost. Welche Aufgabe dürfte wohl er übernehmen? Er würde gerne beim Holzspielzeug mitarbeiten und teilte es Kunz auch mit. Doch Kunz erwiderte: „Warte es ab, Willibald, bis du alles gesehen hast und dann treffen wir uns im Zimmer des Weihnachtsmannes und schauen, was du tun magst.“ So gingen beide noch weitere Handwerksstuben durch und landeten zuguterletzt in der Weihnachtsbäckerei, in der ebenfalls Schokolade und Pralinen anfertigt wurden. Welch ein Duft kam Willibald entgegen. Und die vielen Zutaten, die er dort sah. Es war einfach phantastisch. Danach gingen Kunz und Willibald in den großen Verkostungsraum. Hier wurden die schönen Schokoladen, Pralinen und andere Leckereien erst einmal dem strengen Geschmackstest unterzogen. Willibald wurde ein riesengroßer Teller gebracht. Auf ihm lagen wunderschöne Plätzchen, reichlich verziert mit Schokolade, Mandeln, Nüssen und noch vieles mehr. Willibald kostet vorsichtig mal hier, mal da und war sprachlos vor Staunen. So etwas Erlesenes hatte er noch nie gegessen. Er schaute sich um und entdeckte sein Englein. Mit hochrotem Kopf, voller Eifer stand es an einer großen Schüssel und rührte leckere Zutaten in den Teig. Es sah Willibald nicht und er wollte es auch nicht stören. Er schmunzelte nur und machte Kunz auf das emsige Treiben seines ehemaligen Schützlings aufmerksam.
„Ja“, sagte dieser, „dein Englein wird wohl in der Bäckerei bleiben.“
Bepackt mit den Köstlichkeiten gingen sie weiter, in den Teil der Stadt, wo die kleinen Wohnhäuser standen. Sie lag inmitten der großen Stadt.
„Das dort gehört dem Weihnachtsmann“, erklärte Kunz und zeigte auf ein großes Haus mit einem Riesenschornstein, aus dem Rauchwolken aufstiegen, die sich sofort in Schneewolken verwandelten.
„Lass uns zu ihm gehen, ihm Kekse bringen und Kakao mit ihm trinken. Wir haben etwas zu besprechen.“
Plötzlich hatte Willibald einen Kloß im Hals. Was wollte der Weihnachtsmann mit ihm besprechen? Er gehörte wohl doch nicht hierher. Er war ein Mensch, ein Erdenmensch. Sicher hat es sich der Weihnachtsmann überlegt und schickt ihn wieder nach Hause. Kunz riss ihn aus seinen Gedanken und meinte: „Na komm schon, du musst nicht so ängstlich dreinschauen. Lass uns gehen!“
So standen sie bald vor des Weihnachtsmannes Haus. Kunz klopfte und daraufhin ertönte ein tiefes „Herein“. Kunz öffnete die Tür und schob Willibald hinein. Hinter seinem Schreibtisch saß der Weihnachtsmann, vor sich einen Berg von Weihnachtspost. Post von Kindern aus aller Welt, die gerade frisch eingetroffen war. „Ah, Willibald!“, sagte er. „Schau dir nur mal an, wie viele Kinder geschrieben haben. Jedes Jahr wird es mehr. Kunz schafft das nicht mehr und ich würde mich freuen, wenn du von nun an die Beantwortung der Post und die Auftragserteilung der Geschenke übernehmen würdest. Kunz will in seinen wohlverdienten Ruhestand treten. Außerdem würde ich dich zu einem Weihnachtself machen. Was sagst du dazu?“
Ungläubig guckte Willibald von einem zum anderen. Sein Mund ging auf und zu, er schluckte und sprach mit belegter Stimme: „Ich? Aber das kann ich doch gar nicht. So etwas habe ich noch nie gemacht!“
Kunz grinste: „ Ich werde dir natürlich dabei helfen, ist doch klar. Du wirst das spätesten in zwei bis drei Stunden gelernt haben. Wir haben einen einzigartigen Rechenautomat, der macht vieles ganz von selbst. Das schaffst du schon!“
Willibald hatte sich schnell wieder gefasst, seine schlimmen Gedanken waren verflogen und er sprach mit fester Stimme: „Dann lasst uns an die Arbeit gehen. Das wird mir bestimmt Spaß machen.“
Nach einer ausführlichen Einweisung schaute Willibald sich in der Postamtsstube nun in Ruhe um. Die Engel waren emsig am Sichten und Sortieren von den Briefen. Die Ablagekörbe füllten sich merklich.
„Es wartet viel Arbeit auf mich“, sagte er zu sich, setzte sich an den Schreibtisch und straffte seine Schultern. Sofort kam ein Englein, brachte ihm eine Tasse Tee und hieß ihn willkommen.
Die Arbeit konnte beginnen. Willibald war nun ein Weihnachtself und wurde ein würdiger Vertreter für Kunz. Doch jedes Jahr im Frühling brachte ihn der Weihnachtsmann höchst persönlich in die Holzhütte am Rande des Märchenwaldes und Willibald lebte wohl an die dreihundert Jahre glücklich und zufrieden mit einer netten Elfenfrau.