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Der Feuervogel

2.2
(53)
Es war einmal ein König, der hatte einen wunderbaren Garten mit vielen seltenen Bäumen.
Der kostbarste von ihnen war ein Apfelbaum, der in der Mitte des Gartens stand. Jeden Tag trug er einen goldenen Apfel. Am Morgen warf er seine Blüten ab; während des Tages wuchs der Apfel und wurde reif, bevor der Abend kam. Aber in der Nacht darauf, verschwand der Apfel jedes Mal, und niemand wusste, wie es zuging. Das verdross den König sehr. Eines Tages ließ er seinen ältesten Sohn zu sich kommen und sprach zu ihm: „Mein lieber Sohn, heute nacht sollst du in meinem Garten wachen. Wenn du herausbekommst, wer meine Äpfel stiehlt, wirst du reich belohnt werden. Gelingt es dir, den Dieb zu fangen, gebe ich die Hälfte meines Königreiches.“ Der Prinz gürtete sein Schwert, schulterte seinen Bogen, steckte sich einige Pfeile in den Gürtel und begab sich, als es Abend wurde, in den Garten. Er ließ sich unter einem Apfelbaum nieder und wartete. Nach einiger Zeit übermannte ihn die Müdigkeit, ob er wollte oder nicht, er konnte sich ihrer nicht erwehren. Seine Hände fielen ins Gras, er schloss die Augen und schlief wie ein Klotz bis zum Tagesanbruch. Als er erwachte, war der Apfel verschwunden.
„Nun“, sagt der König, „ich möchte wissen, ob du den Dieb gesehen hast.“ – „Es war niemand da“, entgegnete der Prinz. „Der Apfel löst sich in Luft auf.“ Der König schüttelte den Kopf, ihm kam es unglaubwürdig vor. Er wandte sich an den zweiten Sohn: „Heute Nacht“, sagte er, „sollst du wachen. Wenn du den Dieb entlarven kannst, sollst du reich belohnt werden.“ Als es Abend war, bewaffnete sich der zweite Prinz wie sein Bruder und ging in den Garten, um Wache zu halten. Aber auch er schlief unter dem Apfelbaum ein, und als er am nächsten Morgen erwachte, war der Apfel verschwunden.
Als sein Vater ihn fragte, wer den Apfel genommen hätte, erwiderte er: „Niemand, der Apfel verschwand einfach.“ Jetzt meldete sich der jüngste Prinz zu Wort. „Vater“, sagte er, „heute nacht will ich wachen, denn ich möchte herausfinden, wer die goldenen Äpfel stiehlt.“ – „Mein lieber Junge“, sagte der König zu ihm, „du wirst auch kein Glück haben.
Wie kannst du hoffen – jung und unerfahren wie du bist -, mehr Erfolg zu haben als deine Brüder? Wenn es aber dein Wunsch ist, magst du es versuchen.“ Am Abend begab sich der jüngste Sohn in den Garten, um zu wachen. Er nahm ein Schwert, einen Bogen und einige Pfeile mit und außerdem noch seine Igelhaut. er setzte sich unter den Apfelbaum und legte die Haut auf seinen Schoß. Um Mitternacht kam ein goldener Vogel und ließ sich in dem Apfelbaum nieder. Er begann am Apfel zu picken, aber der Prinz hob den Bogen, und sein Pfeil taf eine Schwinge des Vogels. Der Vogel flog fort, eine seiner goldenen Federn fiel aber zur Erde. Der Apfel hing noch am Baum. „Nun“, erkundigte sich der Vater am nächsten Morgen, „hast du den Dieb gefangen?“
„Nein“, antwortete der Prinz, aber es wird schon werden. Zunächst habe ich dir ein Stück von seinem Gewand mitgebracht.“ Der Prinz zeigte seinem Vater die goldene Feder und erzählte ihm sein nächtliches Erlebnis. Dem König gefiel die Feder über alle Maßen, denn sie war so schön und erstrahlte in so hellem Glanze, dass man abends in den königlichen Gemächern keine Kerzen anzünden brauchte. Diejenigen unter den Hofleuten, die davon erfuhren, behaupteten, die Feder stamme von einem Vogel, den man Feuervogel hieße und der von viel, viel größerem Wert sei als alle Schätze, die der König besaß.
Von da an erschien der Feuervogel nicht mehr im Garten, und auch die Äpfel verschwanden nicht mehr. Doch der König konnte keine Freude mehr darüber empfinden, denn er dachte beständig an den Vogel, und sein sehnlichster Wunsch war, ihn zu besitzen. Dieses Verlangen quälte ihn und nagte so an seinem Herzen, dass er darüber krank wurde.
Eines Tages ließ er seine drei Söhne zu sich rufen: „Meine lieben Kinder“, sagte er zu ihnen, „ihr seht selbst, dass ich wieder meine Gesundheit zurückerhalten würde, wenn ich den Feuervogel singen höre. Wer mir den Vogel bringt, dem werde ich die Hälfte meines Königreiches geben, und nach meinem Tode soll er mein Nachfolger sein.“
Ohne zu zögern nahmen die Söhne Abschied von ihrem Vater, bestiegen ihre Pferde und machten sich auf die Suche nach dem Vogel. Sie gelangten bald an eine Wegkreuzung mitten im Wald. „Welchen Weg wollen wir wählen?“ fragte der älteste Bruder. „Wir sind drei“, erwiderte der zweite, „und vor uns sind drei Wege. Wenn wir in drei Richtungen reiten, wird einer von uns den Feuervogel finden.“
„Und welchen Weg soll jeder von uns nehmen?“ wollte der Älteste wissen. „Jeder sucht sich einen aus“, schlug der Jüngste vor. „Ich werde den nehmen, der übrigbleibt.“ Die älteren Brüder waren damit einverstanden, und jeder wählte eine Straße. Einer von ihnen schlug vor: „Lasst uns hier ein Zeichen setzen, so dass derjenige, der zuerst zurückkommt, weiß, wie es den anderen ergangen ist. Wir wollen jeder einen Zweig in die Erde pflanzen, und dies soll ein Zeichen sein: Wessen Zweig Wurzeln schlägt, der hat den Feuervogel gefunden.“ Dieser Gedanke gefiel allen, und bevor sie voneinander Abschied nahmen, pflanzte jeder einen Zweig ein an die Stelle, wo er sich befand. Dann trennten sie sich. Der älteste Prinz ritt so lange, bis er den Gipfel eines Berges erreicht hatte.
Dort sprang er vom Pferde und ließ es grasen. Er selbst ließ sich im Gras nieder, holte seine Wegzehrung hervor und begann zu essen. Da ließ sich neben ihm die kleine Füchsin Ryska nieder.
„Ach, du meine Güte“, sagte sie. „Was bin ich hungrig! Gib mir etwas zu essen!“
Aber der Prinz griff nach seiner Armbrust und schoss einige Pfeile auf sie ab. Er war sich nicht sicher, ob er sie getroffen hatte, denn die Füchsin lief fort. Dem zweiten Bruder erging es ebenso. Als er sich auf einem freien Feld niedergelassen hatte und zu essen begann, kam die hungrige Füchsin zu ihm und bat um etwas Essen. Aber als er einen Pfeil abschoss, verschwand sie aus seinem Blickfeld. Der jüngere Bruder ritt, bis er an einen Fluss kam. Er sprang müde und hungrig von seinem Pferd und ließ sich im Gras nieder, um zu rasten. Als er zu essen anfing, bemerkte es auch die Füchsin Ryska. Sie kam näher und näher und blieb dicht vor ihm stehen. „Ich bin so hungrig“, sagte sie. „Gibst du mir etwas zu essen?“
„Komm her, kleine Füchsin Ryska“, rief der Prinz, und legte ein Stück Schinken vor sie hin. „Ich sehe, du bist noch hungriger als ich, und es reicht auch für uns beide.“ Er teilte seinen Mundvorrat in zwei gleiche Teile, einen für sich, den anderen für die Füchsin.
Ryska aß sich satt, und dann sagte sie: „Du hast dein Essen mit mir geteilt. Ich will mich dafür erkenntlich zeigen. Besteige dein Pferd und folge mir! Wenn du alles tust, was ich dir sage, wirst du bald den Feuervogel besitzen.“ Sie lief vor dem Prinzen her, und mit ihrem buschigen Schwanz ebnete sie Hügel ein, füllte sie Täler aus und bildete sie Brücken über die Flüsse. Mit großer Geschwindigkeit galoppierte der Prinz hinter ihr her, bis sich vor ihren Blicken ein Schloss aus schimmerndem Kupfer erhob.
„In diesem Schloss wirst du den Feuervogel finden“, sprach Ryska zu dem Prinzen. „Betritt das Schloss genau zur Mittagsstunde, denn das ist die Zeit, da die Wache schläft, und niemand steht auf Posten. In dem ersten Saal wirst du zwölf goldene Vögel in hölzernen Käfigen sehen. Im dritten Saal wird der Feuervogel auf einer Stange sitzen. Neben dem Vogel hängen zwei Käfige, einer aus Gold und einer aus Holz.
Aber du darfst den Vogel nicht in den goldenen Käfig setzen! Nimm den hölzernen, sonst wirst du es bereuen!“ Der Prinz betrat das kupferne Schloss und fand alles genau so, wie Ryska ihm gesagt hatte. Im dritten Saal saß der Feuervogel auf einer kleinen Stange und schien zu schlummern. Er war so schön, dass des Prinzen Herz vor Freude bei seinem Anblick hüpfte. Er ergriff den Vogel und setze ihn in den hölzernen Käfig. Aber dann kamen ihm Bedenken.
„Dieser Käfig ist wirklich nicht gut genug, für einen so schönen Vogel“, sprach er zu sich selbst. „Der Feuervogel gehört in einen goldenen Käfig.“
Mit diesen Worten nahm der Prinz den Vogel aus dem hölzernen Käfig und setzte ihn in den goldenen. Kaum hatte der Prinz den Feuervogel eingesperrt, wurde er wach. Im gleichen Augenblick begannen die Vögel in den anderen zwei Sälen so laut zu pfeifen und zu krächzen, dass alles aus dem Schlaf fuhr.
Die Wachposten kamen herbei und ergriffen den Prinzen. Sie schleppten ihn vor den König, der sehr zornig auf ihn war.
„Wer bist du, du Dieb“, wollte er wissen, „wie kannst du es wagen, an meiner Wache vorbeizuschleichen und den Feuervogel zu stehlen?“ – „Ich bin kein Dieb“, widersprach der Prinz. „Ich bin gekommen, den Dieb zu holen, den Ihr hier habt. Daheim in meines Vaters Garten haben wir einen Apfelbaum, der goldene Äpfel trägt. Jeden Tag wächst ein Apfel und wird reif, aber Euer Vogel kam jede Nacht und holte ihn weg.
Und nun ist mein Vater, krank am Herzen und kann nur wieder gesund werden, wenn er Euren Vogel singen hört. Darum bitte ich Euch, gebt mir den Feuervogel.“ – „Du sollst ihn haben“, antwortete der König, „wenn du mir das Pferd mit der goldenen Mähne bringst.“
Als der Prinz die Füchsin Ryska wiedertraf, war sie sehr böse auf ihn. „Warum hast du nicht getan, was ich dir gesagt habe?“ schalt sie ihn. „Warum hast du den goldenen Käfig genommen?“
„Ja, ich habe es falsch gemacht“, gab der Prinz zu, „aber es führt sie nichts, wenn man über vergossene Milch jammert. Sag mir lieber, ob du etwas über das Pferd Goldmähne weißt?“ – „Ich weiß etwas“, erwiderte die Füchsin, „und ich werde dir helfen, es zu finden. Besteige dein Pferd und folge mir.“
Wieder lief sie vor dem Prinzen auf seinem Pferd her und bahnte ihm mit dem Schwanz den Weg. In vollem Galopp folgte der Prinz bis sie vor einem Schloss aus Silber, das sich in einiger Entfernung vor ihnen erhob, haltmachten. „In diesem Schloss wirst du das Pferd Goldmähne finden“, sagte die Füchsin.
„Betritt es zur Mittagsstunde, wenn alle Wächter schlafen. Im ersten Stall wirst du zwölf schwarze Pferde mit goldenen Zügeln finden, im zweiten Stall zwölf weiße Pferde mit schwarzen Zügeln, und im dritten Stall steht das Pferd Goldmähne an seinem Trog. An der Wand über ihm wirst du zwei Zügel sehen, einen goldenen und einen ledernen. Aber ich warne dich, greif nicht nach dem goldenen!
Leg dem Pferd den ledernen an, oder du wirst es bereuen.“ – Als der Prinz das Schloss betrat, fand er alles so, wie es die Füchsin Ryska gesagt hatte.
Im dritten Stall stand das Pferd Goldmähne an einem silbernen Trog und fraß loderndes Feuer. Der Prinz hob den ledernen Zügel von der Wand und zäumte das Pferd. Goldmähne stand ganz still wie ein Lamm.
An der Wand hing aber auch der goldene Zügel, mit kostbaren Edelsteinen geschmückt, und er gefiel dem Prinzen sehr. „Es ist nicht recht“, sprach er zu sich, „dass ein so schönes Pferd einen so hässlichen Zügel hat. Goldmähne soll den goldenen Zügel haben!“
Mit diesen Worten wechselte der Prinz das lederne Zaumzeug gegen das goldene aus.
Sobald das Pferd den goldenen Zügel spürte, bäumte es sich auf und wieherte laut. In den anderen Ställen begannen die Pferde ebenfalls zu wiehern, und die Soldaten fuhren aus dem Schlaf. Sie kamen gelaufen, ergriffen den Prinzen und schleppten ihn vor den König. „Wer bist du, du Dieb“, fragte der König streng, „wie kannst du es wagen, an meiner Wache vorbeizuschleichen und mein Pferd Goldmähne zu stehlen?“ – „Ich bin kein Dieb“, erwiderte der Prinz.
„Ich tat es nicht ohne Grund, aber es blieb mir nichts anderes übrig.“ Und er erzählte dem König die ganze Geschichte und dass der König vom kupfernen Schloss ihm erst dann den Feuervogel geben wollte, wenn er ihm das Pferd Goldmähne brachte, und er beschwor den König, ihm das Pferd zu geben.
„Du sollst es haben“, sagte der König, „wenn du mir das Mädchen mit den goldenen Haaren bringst, das in einem goldenen Schloss im schwarzen See lebt.“
Die Füchsin Ryska wartete im Wald auf den Prinzen, aber sie war sehr böse, als sie ihn ohne Goldmähne kommen sah. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst den goldenen Zügel nicht anrühren?“ schimpfte sie. „Habe ich nicht ausdrücklich gesagt, du sollst den ledernen nehmen?“ Ach, du machst mir viel Kummer. In der Tat, wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen.“
„Sei nicht mehr böse mit mir, Ryska“, bat der Prinz.
„Ich weiß, ich habe es wieder falsch gemacht, aber hilf mir nur noch dieses eine Mal.“
„Ich werde dir noch mal helfen“ ,sagte die Füchsin, „aber es ist wirklich das letzte Mal. Wenn du tust, was ich dir sage, kannst du alles wieder gutmachen, was du durch deine Dummheit verdorben hast.“
Wieder lief vor ihm und bahnte mit ihrem Schwanz den Weg, bis sie vor dem goldenen Schloss im schwarzen See haltmachten. „Hier in diesem Schloss“, sagte die Füchsin, „lebt die Königin der Meere. Sie hat drei Töchter, ist die jüngste ist das Mädchen mit den goldenen Haaren. Geh und erbitte dir eine von ihnen zur Frau. Wenn sie dich fragt, welche du willst, dann nimm die mit dem schlichten Gewand.“
Die Königin der Meere hieß den Prinzen herzlich willkommen. Als sie den Grund seines Besuches erfuhr, führte sie ihn in einen Raum, in dem ihre drei Töchter saßen und spannen. Sie sahen einander so ähnlich, dass sie niemand auseinanderhalten konnte.
Sie waren so liebreizend, dass dem Prinzen schon beim bloßen Anblick der Atem stockte. Das Haar einer jeder war mit einem Schleier bedeckt, so dass man nicht seine Farbe erkennen konnte. Sie waren unterschiedlich gekleidet; die eine trug einen Schleier und ein Kleid mit eingewebten Goldfäden, und hatte eine goldene Spindel. Die zweite saß vor einem silbernen Spiegel und trug zu ihrem Schleier ein Kleid mit silberner Stickerei. Die dritte hatte ein weißes Kleid an, ihr Haar war mit einem weißen Tuch bedeckt, und sie saß vor einer gewöhnlichen Spindel.
„Wähle, welche du magst“, sagte die Königin zu dem Prinzen, und dieser zeigte auf das weißgekleidete Mädchen. „Gebt mir diese“, bat er.
„Oh“, dachte die Königin, „jemand muss ihn beraten haben, denn darauf kann er nicht von allein gekommen sein. Nun, wir werden abwarten und sehen, was der morgige Tag bringt.“ Und zum Prinzen gewandt, sagte sie: „Bevor du meine Tochter bekommst, musst du eine Aufgabe lösen. Ich werde sie dir morgen stellen.“ In dieser Nacht konnte der Prinz kein Auge zutun. Er war unruhig und voller Erwartung, was ihm der kommende Tag bringen würde. Sobald sich die Sonne erhob, ging er im Garten spazieren. Plötzlich stand das weißgekleidete Mädchen vor ihm: „Wenn du mich heute erkennen willst“, sprach sie zu ihm, „dann achte auf die kleine Fliege, die eine von uns umschwirren wird.“ Nach diesen Worten verschwand sie wieder. Am Vormittag führte die Königin den Prinzen noch einmal in das Zimmer ihrer Töchter. „Wenn du das Mädchen wiedererkennst, das du gestern gewählt hast, so soll sie dein sein. Irrst du dich aber, so sollst du deinen Kopf verlieren.“ Die Töchter standen in einer Reihe und trugen alle die gleichen kostbaren Kleider, so dass es unmöglich war, sie zu unterscheiden. Alle drei hatten goldenes Haar, das leuchtete in so hellem Glanze, dass es dem Prinzen die Augen blendete.
 
Aber nach einer Weile, als sich seine Augen an die Heligkeit gewönt hatten, bemerkte er eine kleine Fliege, die eines der Mädchen umschwirrte. „Das ist mein Mädchen“, rief er , „das ist die, die ich mir erwählt habe!“ Die Königin war überrascht, dass es dem Prinzen gelungen war, das junge Mädchen unter seinen Schwestern herauszufinden. „Es ist nicht so leicht, wie du denkst, sie zu gewinnen“, bemerkte sie. Morgen werde ich dir eine neue Aufgabe geben, die du noch lösen musst.“
Am nächsten Morgen zeigte die Königin dem Prinzen einen großen See, gab ihm ein kleines Sieb und sprach zu ihm: „Du sollst Goldhaar haben, wenn du mit diesem Sieb bis morgen Abend den ganzen See ausgeschöpft hast. Wenn es dir nicht gelingt, sollst du deinen Kopf verlieren.“ Der Prinz nahm das Sieb und machte sich schweren Herzens auf den Weg zum Wasser an den See zurück. Er sah ein, dass dies eine unauflösbare Antwort war.
So setzte er sich am Ufer nieder und überlegte, wie er aus dieser schwierigen Lage herauskommen könnte. Plötzlich stand das weißgekleidete Mädchen vor ihm: „Warum bist du so traurig?“
„Wie sollte ich nicht traurig sein“, entgegenete der Prinz, „Wenn ich sehe, dass ich dich niemals gewinnen werde. Deine Mutter verlangt Unmögliches von mir.“
„Sei ohne Sorge“, sagte das Mädchen, „es wird alles gut werden.“ Während sie sprach, ergriff sie das Sieb und warf es mitten in den See. Sogleich begann das Wasser zu brodeln und zu kochen, dichter Nebel zog über die Wasserfläche und legte sich auf das Ufer, so dass man nicht drei Schritte weit sehen konnte. Der Prinz vernahm ein Geräusch von stampfenden Hufen, und als er sich umwandte, stand die Füchsin Ryksa mit seinem Pferd vor ihm. „Verliere keine Zeit“, drängte die Füchsin. „Setz das Mädchen vor dich auf dein Pferd und reite mit ihr fort, so schnell du kannst.“
Das Pferd peitschte los. Wie zuvor bahnte sich Ryksa mit ihrem buschigen Schwanz den Weg, füllte Täler und baute Brücken. Der Prinz war glücklich, dass er Goldhaar errungen hatte, aber der Gedanke, dass er sich wieder von ihr trennen musste, machte ihn traurig. Denn er musste sie ja dem König mit dem silbernen Schloss geben, um von ihm das Pferd Goldmähne zu bekommen.
Je näher sie dem Palast kamen, desto niedergeschlagener wurde er. „Ich weiß, was dich bedrückt“, sagte Ryska zu dem Prinzen. „Du möchtest nicht Goldhaar hergeben für das Pferd Goldmähne. Nun, habe ich dir bisher geholfen, so will ich dir auch weiter beistehen.“ Als sie diese Worte gesprochen hatte, sprang die Füchsin über einen umgefallenen Baum und schlug einen Purzelbaum. Im nächsten augenblick stand dort, wo die kleine Füchsin gewesen war, noch ein goldhaariges Mädchen, das dem aufs Haar glich, das auf dem Pferd des Prinzen saß.
„Lass Goldhaar hier im Walde warten“, riet die Füchsin dem Prinzen. Nimm an ihrer Stelle mich zum König in das silberne Schloss und tausche mich gegen das Pferd Goldmähne ein. Wenn du es hast, dann mach dich mit dem Mädchen aus dem Staube, so schnell du kannst.“
Der König des silbernen Schlosses war erfreut, Goldhaar zu bekommen, und gab das Pferd Goldmähne für sie. Zu Ehren von Goldhaar ließ er sofort Vorbereitungen treffen für ein großes Fest, zu dem alle Hofleute geladen wurden. Als diese Edelleute schon ein ordentlichen Tropfen getrunken hatten und föhlich wurden, fragte sie der König, wie ihnen die Braut gefiele.
„Sie ist voller Liebreiz“, entgegnete einer der Edelleute. „Keine andere könnte sie überteffen. Aber mir will scheinen, als habe sie Augen wie ein Fuchs.“ Kaum hatte er diese Äußerung getan, als sich das goldhaarige Mädchen wieder in die Füchsin Ryska verwandelte. Mit einem großen Sprung war sie an der Tür und verschwand.
Sie beeilte sich, den Prinzen und Goldhaar einzuholen. Mit ihrem buschigen Schwanz fegte sie die Hügel fort, füllte sie Täler aus und baute sie Brücken, wie sie es zuvor getan hatte. Als sie endlich das Paar erreicht hatte, näherten sie sich bereits dem kupfernen Schlosse, das den Feuervogel beherbergte. Da wandte sich die Füchsin an den Prinzen: „Wie herrlich Goldhaar und Goldmähne aussehen“, sagte sie. „Bedauerst du nicht, dich von dem Pferd trennen zu müssen, um den Feuervogel zu bekommen?“
„Ich würde es wirklich sehr bedauern“, sagte er, aber es tut mir nicht mehr leid, wenn ich an meinen kranken Vater denke, denn der Vogel wird ihm seine Gesundheit wiederbringen.“ Aber das Füchslein fuhr fort zu sprechen: „Der Feuervogel sollte dort sein, wo Goldhaar und Goldmähne sind. Nun habe ich dir bisher geholfen, so will ich dir auch weiter beistehen.“ Dann sprang sie über einen umgefallenen Baum und schoss einen Purzelbaum. Schon stand an derselben Stelle, wo Ryska gestanden hatte, ein Pferd mit einer Goldmähne, das dem anderen aufs Haar glich.
„Bring mich zum König auf das kupferne Schloss“, sagte Ryska zu dem Prinzen, „und tausch mich gegen den Feuervogel ein. Sobald du den Vogel hast, reite davon, so schnell du kannst.“
Der König des kupfernen Schlosses war voller Freude über das Pferd mit der Goldmähne und gab sogleich den Feuervogel mitsamt dem goldenen Käfig gegen das Pferd Goldmähne her. Er lud seine Edelleute ein, denen er Goldmähne zeigte, und fragte sie, wie es ihnen gefiele.
„Es ist ein edles Pferd“, bemerkte einer der Höflinge, „man wird so leicht kein besseres finden. Aber mir will scheinen, als habe es Augen wie ein Fuchs.“ Mit einem großen Sprung war sie aus dem Tor und verschwand. Sie beeilte sich, den Prinzen und seine Braut einzuholen, und bewegte sich dabei auf ihre gewöhnliche Art fort. Mit dem buschigen Schwanz fegte sie Hügel fort, füllte sie Täler aus und baute sie Brücken. Sie erreichte das Paar schließlich an einem Fluss, wo sie zum erstenmal mit dem Prinzen zusammengetroffen war. „Nun hast du den Feuervogel bekommen“, sagte sie zu dem Prinzen, „du hast sogar mehr, als du wolltest. Jetzt brauchst du mich nicht mehr. Geh in Frieden heim, aber verweile unterwegs nicht, oder du wirst es bereuen.“ Damit verschwand sie.
Der Prinz setzte seinen Weg fort, in der Hand hielt er den goldenen Käfig mit dem Feuervogel, an seiner Seite ritt das liebliche Mädchen Goldhaar auf dem Pferd von Goldmähne.
Als sie zu dem Kreuzweg kamen, wo sich der Prinz von seinen Brüdern getrennt hatte, erinnerte er sich der Zweige, die sie gepflanzt hatten, Die seiner Brüder waren verdorrt, aber sein eigener war zu einem schönen schattenspendenden Baum herangewachsen. Der Prinz freute sich darüber, und da sie beide von der Reise ermüdet waren, beschloss er, mit seiner Braut unter dem Baim zu rasten. Er sprang von seinem Pferd und half seiner goldhaarigen Liebsten von dem Pferd Goldmähne herabzusteigen. Er band die beiden Pferde an den Baum, den er gepflanzt hatte, und hing den Käfig mit Feuervogel an einen Zweig. Es dauerte nicht lange, so schlummerten sie ein.
Während sie lagen und schliefen, kehrten die Brüder des Prinzen zurück. Sie kamen gleichzeitig, jeder aus einer anderen Richtung und beide mit leeren Händen. Sie sahen, dass ihre Zweige verdorrt waren und der des Bruders zu einem schönen Schatten spendenden Baum herangewachsen war.
Schließlich entdeckten sie auch ihren Bruder schlafend unter dem Baum, neben sich ein goldhaariges Mädchen. Auch der Feuervogel, der in seinem goldenen Käfig in dem Baum über dem schlafenden Paar hing, entging ihnen nicht.
Böse Gedanken erfüllten sie. „Unser Bruder wird die Hälfte des Königreichs bekommen“, so sprachen sie zueinander. Es wäre besser für uns, wenn wir ihn umbrächten. Du kannst das Mädchen mit den goldenen Haaren haben, ich werde mir das Pferd mit der goldenen Mähne nehmen, und den Feuervogel geben wir unserem Vater, damit er ihn mit seinem Gesang wieder gesund macht. Später werden wir uns das Königreich teilen.“
 
Kaum gesagt, schon getan. Sie töteten ihren Bruder und drohten Goldhaar, sie auch umzubringen, wenn sie ein Wort von dem verriete, was geschehen war.
Als sie in das Schloss des Vaters zurückgekehrt waren, brachten sie Goldmähne in einen Stall aus Marmor und setzten den Feuervogel mit seinem Käfig in das Zimmer, in dem der König lag. Goldhaar bekam ein prächtiges Gemach und viele Zofen, die ihr aufwarten sollten.
Bekümmert schaute der alte kranke König auf den Feuervogel und fragte seine Söhne, ob sie nicht wüssten, was aus ihrem jüngsten Bruder geworden sei. „Wir haben nichts von ihm gehört“, erwiderten die Brüder. „Wahrscheinlich ist er umgekommen.“
Der Vater blieb so schwach, wie er war, der Feuervogel sang nicht, das Pferd Goldmähne ließ den Kopf hängen, und das Mädchen Goldhaar sprach kein einziges Wort. Sie kämmte nicht ihr goldenes Haar, sie weinte nur unaufhörlich.
Als der tote Prinz zerstückelt im Wald lag, kam die Füchsin Ryska herbeigeeilt. Sie sammelte alle Stücke und fügte sie zusammen. Natürlich hätte die kleine Füchsin Ryska den Prinzen auch gerne wieder zum Leben erweckt, aber das vermochte sie nicht. Da sah sie plötzlich einen Raben mit zwei seiner Jungen über den Körper des Prinzen kreisen. Ryska versteckte sich im Gebüsch, und als einer der jungen Raben sich auf dem Körper niederließ, schoss sie hervor, griff den Vogel bei den Flügeln und tat so, als wollte sie ihn in Stücke zerreißen. Sogleich kam der alte Rabe geflogen.
Er setzte sich auf einen Zweig und sagte zur Füchsin: „Krackra, habe Mitleid mit einem armen Kind, es hat dir doch nichts getan. Wenn du es freigibst, will ich dir immer helfen, wenn du mich brauchst.“ – „Ich brauche deine Hilfe sofort“, sagte die Füchsin. „Ich gebe dein Kind frei, wenn du mir das Wasser des Lebens von dem schwarzen See bringst.“ Nachdem der Vogel versprochen hatte, das Wasser zu holen, flog er fort. Drei Tage und drei Nächte lang flog er ohne Unterbrechung.
Als er zurückkehrte, hatte er in einer Fischblase das Wasser des Lebens mitgebracht. Die Füchsin nahm die Blase und besprengte den Prinzen mit dem Wasser. Da erwachte er wie aus einem tiefen Traum. „Oh“, rief er aus, „wie lange habe ich geschlafen!“
„Du hast tatsächlich sehr lange geschlafen“, sagte die Füchsin, „aber wenn ich nicht gekommen wäre, würdest du nie wieder aufgewacht sein. Warum hörst du auch nie auf mich? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst ohne Säumen nach Hause reiten?“
Während sie ihm erzählte was sich zugetragen hatte, begleitete sie ihn bis an den Rand des Waldes, nahe beim königlichen Schloss. Bevor sie sich trennten, gab sie ihm noch einfache Kleider, dann sagte sie ihm Lebewohl und verschwand.
Der Prinz begab sich ins Schloss, aber niemand erkannte ihn, weil er die einfachen Kleider trug, die ihm die Füchsin gegeben hatte. Er fragte nach Arbeit und wurde als Stallbursche angestellt. In den Ställen belauschte er ein Gespräch, das zwei Stallburschen miteinander führten.
„Es ist ein Jammer mit dem schönen Pferd“, sagte der eine Bursche. „Es wird wohl sterben, denn es will nicht fressen.“ – „Gebt ihm ein Bund Erbsenstroh“, riet der Prinz, „ich wette mit euch, das Pferd wird es fressen.“
„Haha“, lachten die Burschen, „hat man so etwas schon mal gehört? Erbsenstroh, ich sage dir, nicht einmal unsere Ackergäule würden es anrühren.“ Einerlei, der Prinz nahm ein Bund Erbsenstroh und legte es dem Pferd in die Futterkrippe aus Marmor. Er strich dem Pferd über die goldene Mähne und sagte: „Warum bist du so traurig, mein Pferd Goldmähne?“ Das Pferd erkannte die Stimme seines Herrn. Es schnaubte laut, wieherte vor Freude, beugte dann den Kopf zur Krippe und fraß das Erbsenstroh. Die Neuigkeit verbreitete sich schnell im Schloss, und als der König davon hörte, ließ er den Stallburschen zu sich kommen.
„Ich höre“, sagte er zu ihm, „dass du mein Pferd Goldmähne wieder gesund gemacht hast. Ich wollte, du könntest auch dem Feuervogel helfen, damit er singen kann für mich. Er ist so schwach, lässt seine Flügel hängen und will nichts fressen. „Wenn er stirbt, werde ich auch sterben.“
„Habt keine Furcht, Herr“, entgegnete der Prinz.
„Befehlt nur, einige Graupenkörner zu bringen. Er wird sie fressen und wieder fröhlich werden und singen.“ – „Haha“,lachten die Diener, als sie gingen um die Graupenkörner zu holen. „Er will damit den Feuervogel füttern! Nich einmal unsere Gänse würden so etwas anrühren.“
Aber wie auch darüber denken mochten, sie mussten die Graupenkörner holen. Der Prinz tat einige in den Käfig des Vogels; streichelte ihm das goldene Gefieder und sagte: „Warum bist du so traurig, mein Feuervogel?“
Der Vogel erkannte sofort die Stimme seines Gebieters. Er schüttelte sich, plusterte sich seine Federn auf und begann umherzuhüpfen, zu fressen und zu singen. Er sang so lieblich, dass des Königs Herz überfloss, als er ihn hörte. Kaum, dass der Vogel von neuem seinen Gesang ertönenen ließ, fühlte sich der König schon so kräftig, dass er das Bett verlassen konnte. Er umarmte den Stallburschen und fragte ihn: „Wie kann man aber dem lieben Mädchen helfen, das meine Söhne mitgebracht haben? Sie spricht nicht, sie kämmt sich nicht ihr goldenes Haar, sie isst nicht. Sie weint nur unaufhörlich.“
„Erlaubt mir, Herr König, ein Wort mit ihr zu wechseln“, bat der Bursche. „Vielleicht kann ich ihr Mut zu sprechen!“ Sofort ließ der König das Mädchen holen. Der Prinz packte ihre schneeweiße Hand und sagte: „Warum bist du so traurig, mein liebes Herz?“ Goldhaar erkannte sofort seine Stimme. Weinend vor Freude fiel sie ihm um den Hals. Der König wunderte sich, dass der junge Mann sie „mein liebes Herz“, nannte.
„Mein königlicher Vater“, wandte sich jetzt der Prinz an den König, „erkennt Ihr mich nicht? Ich bin Euer jüngster Sohn! Ich war es und nicht meine Brüder, der den Feuervogel, das Pferd Goldmähne und dieses liebliche junge Mädchen Goldhaar errang.“
Der Prinz berichtete nun dem König alle seine Abenteuer, und seine Braut fügte hinzu, wie seine Brüder gedroht hätten, sie zu töten, wenn sie ihr Geheimnis verraten würde. Da standen sie nun beide und wussten, dass ihr Spiel verloren war. Sie brachten kein einziges Wort heraus und zitterten wie Espenlaub. Der König war so entsetzt über ihre Untat, dass er sie beide hinrichten ließ.
Der junge Prinz nahm das liebreizende goldhaarige Mädchen zur Frau, und sein Vater übergab ihm, wie er versprochen hatte, das halbe Königreich.
Nach dem Tode des alten Königs bestieg er den Thron, und er und sein Weib lebten glücklich für immer.

Quelle: Karol Jaromir Erben

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