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Der Kobolde Rache

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In einem der verflossenen Jahrhunderte lebte ein Landmann mit Weib und Kind auf der Farm von Pantannas. Zu jener Zeit pflegten die Kobolde häufig einzelne Wiesen aufzusuchen, die zu seinem Besitz gehörten. Er aber hegte in seiner Brust einen gewaltigen Groll gegen diese »lärmende, ungestüme und verderbliche Sippe«, wie er sie nannte, und oftmals sann er einem Mittel nach, um sie von seinen Wiesen zu verjagen.
Schließlich erfuhr er von einer alten Hexe, daß das Mittel, sich ihrer zu entledigen, einfach genug wäre und daß sie es ihm angeben würde, wenn er ihr die Milch, welche an einem Abend und einem Morgen auf seiner Farm gemelkt werde, überlassen wolle.
Er willigte in diese Bedingung und erhielt nun von ihr die Weisung, alle jene Wiesen, die sie mit Vorliebe aufzusuchen pflegten, umzupflügen, denn wenn sie den grünen Rasen nimmer fänden, würden sie aus Verdruß abziehen, um nicht wiederzukehren und durch ihr Treiben ihn zu belästigen.
Der Landmann folgte dem Rate der Hexe und sein Unternehmen hatte auch Erfolg. Nicht ein einziger Kobold ließ sich mehr auf den Feldern blicken und an Stelle der freudetollen Musik, die von den Ländereien des Farmers zu ertönen pflegte, herrschte nun völlige Stille auf ihrem geliebten Versammlungsort.
Der Farmer besäte seine Äcker mit Korn und anderem Getreide; der erwachende Lenz hatte den Winter von seinem Throne verdrängt und die Felder prangten herrlich in ihrem grünen Frühlingsgewande.
Da eines Abends, als die Sonne im Westen zur Ruhe gegangen und der Farmer von Pantannas sich auf den Heimweg machte, begegnete er einem winzig kleinen Wesen in Menschengestalt, mit einem roten Röcklein angetan. Als es an ihn herankam, zog es sein kleines Schwert aus der Scheide, und indem es dessen Spitze gegen den Landmann richtete, sagte es:
– – »Rache kommt, schon naht sie sich!«
Der Farmer versuchte zu lachen; doch da war irgend etwas in dem ergrimmten und tief ernsten Blick des winzigen Knirpses, was in ihm ein heimliches Unbehagen erweckte.
Wenige Nächte später, als die Familie des Farmers sich schon zur Ruhe begeben, wurde sie mit einem Male durch einen Lärm aufgeschreckt, der sich anhörte, als ob das Haus in Trümmer stürzen wollte. Und kaum daß das Geräusch verstummt war, vernahmen sie eine Stimme, welche laut die drohenden Worte – und nichts weiter als diese – ausrief:
– – »Rache kommt!«
Als dann das Korn reif geworden und bereit stand, nach der Scheune gebracht zu werden, da geschah es, daß es eines Nachts plötzlich in Flammen aufging, so daß nicht eine Ähre, noch selbst ein Hälmchen auf all den Feldern übrig blieb. Niemand sonst konnte das Korn in Brand gesteckt haben, als die Kobolde.
Wie dies nur zu begreiflich ist, grämte sich der Landmann gar sehr über dieses Verhängnis. Er bereute es nun in seinem Herzen, nach der Weisung der Hexe gehandelt und dadurch den Zorn und Haß der Kobolde sich zugezogen zu haben.
Am Tage nach jener furchtbaren Nacht, da das Korn verbrannt war, hatte er sich auf die Äcker begeben, um die Verwüstung zu betrachten, die dort durch das Feuer angerichtet worden. Dabei erblickte er plötzlich den winzigen Knirps, dem er schon vor wenigen Tagen begegnet. Er kam mit einem herausfordernden Blick auf ihn zu, zückte sein Schwert und sagte:
– – »Rache begann!«
Des Farmers Antlitz wurde wie Marmor so weiß, und er rief dem kleinen Knirps – der sich entfernen wollte – nach, er möge doch umkehren. Aber der Zwerg zeigte sich unbeugsam und weigerte sich, ihn anzuhören.
Endlich, nach langem Zureden, kehrte er zurück und fragte in einem barschen Tone den Farmer, was er von ihm begehre. Darauf sagte dieser, daß er gewillt sei, die Felder, in denen die Kobolde ihre Lieblingsplätze hatten, ihnen wieder freizugeben und sie in grüne Wiesen zurückzuverwandeln. Er würde sie diese besuchen lassen, so oft sie nur wollten, gegen die einzige Bedingung, daß sie nicht mehr an ihm ihren Zorn ausließen.
»Nein!« war die bestimmte Antwort des Zwerges. »Unser König hat sein Wort verpfändet, daß er an dir sich rächen wolle, soweit es nur in seiner Macht stände! Und da ist keine Gewalt in der Welt, die es zuwege brächte, dieses Wort rückgängig zu machen.«
Auf dieses begann der Landmann in Tränen auszubrechen. Daraufhin versprach ihm denn – nach einiger Weile – der kleine Bursche, mit seinem Gebieter über sein Anliegen sprechen zu wollen und die Entscheidung ihm bekannt zu geben, wenn er nach drei Tagen zur Dämmerstunde wieder am Orte erschiene, um sich mit ihm zu begegnen.
Der Landmann versprach, pünktlich zur Stelle zu sein. Und als die Zeit der Zusammenkunft mit dem kleinen Manne herankam, fand ihn jener auch schon seiner harrend. Er berichtete ihm, daß sein Gebieter die Bitte ernstlich erwogen, jedoch, da des Königs Wort stets unwiderruflich wäre, die angedrohte Rache die Familie ereilen müßte. Mit Rücksicht aber auf seine Reue, sollte sie weder zu seinen Lebzeiten, noch auch seiner Kinder in Erfüllung gehen.
Dies beruhigte einigermaßen die Erregung des Landmannes wieder.
Die Kobolde begannen neuerdings ihre Lieblingsplätze zu besuchen und ihr melodischer Gesang ward wiederum zur Nachtzeit ringsher auf den Feldern vernommen.

* * *

Ein volles Jahrhundert verstrich, ohne daß die angedrohte Rache in Erfüllung gegangen wäre. Und obgleich die Familie zu Pantannas dann und wann erinnert wurde, daß solche früher oder später eintreffen würde, hatte jene nichtsdestoweniger durch das wiederholte Vernehmen der Stimme, welche sagte:
– – »Rache harret!«
dermaßen sich daran gewöhnt, daß sie zu glauben bereit war, es würde niemals etwas von dem Angedrohten in Erfüllung gehen.
Der Erbe von Pantannas, des Alten Urenkel, hatte um die Tochter eines benachbarten Grundbesitzers geworben, der in einem Farmhause lebte, das Pen Craig Daf genannt wurde. Die Hochzeit des glücklichen Brautpaares sollte in wenigen Wochen stattfinden, und die beiderseitigen Verwandten zeigten sich außerordentlich zufrieden mit dieser Eheschließung, welche die beiden Familien verbinden sollte.
Es war gerade Weihnachtszeit, und die künftige Gattin war zur Familie ihres Bräutigams zu Besuch gekommen. Man hatte ein Festmahl veranstaltet und gebratene Gans aufgetragen, in besonders köstlicher Weise eigens für diese Gelegenheit zubereitet.
Nach dem Mahle setzte sich die Gesellschaft um das Feuer herum, und man begann heitere Geschichten sich zu erzählen, um die Zeit angenehm auszufüllen, als urplötzlich alle von einer durchdringenden Stimme aufgeschreckt wurden, die aus dem Flußbett zu kommen schien und kreischend verkündete:
– – »Die Zeit der Rache ist gekommen!«
Nachdem sie sich etwas gefaßt hatten, eilten alle hinaus, um zu horchen, ob sie die Stimme noch einmal vernehmen würden. Doch nichts war zu hören, außer das zornige Brausen des Wassers, welches in Kaskaden über die fürchterlichen Klippen von Kerwyni herniederstürzte.
Indessen, sie hatten nicht lange zu warten, bis sie dieselbe Stimme wieder vernahmen, die das Brausen des Wassers, das auf die Felsrücken auffiel, übertönte und also schrie:
– – »Die Zeit ist gekommen!«
Sie vermochten sich nicht zu erklären, was dies bedeuten sollte, und so groß war ihre Furcht und ihr Erstaunen, daß keiner ein Wort zum Nächststehenden zu äußern wagte. Schließlich begaben sich alle wieder nach dem Hause zurück.
Alsbald verspürten sie, wie das Gebäude, durch irgendeine geheimnisvolle Kraft erschüttert, in allen seinen Fundamenten erbebte. Und während vor Furcht alle wie gelähmt dastanden, erschien plötzlich ein winziges Weiblein auf dem Tische, der in der Nähe des Fensters stand.
»Was suchst du bei uns hier, häßliches kleines Ding?« fragte einer der Gäste.
»Ich habe mit dir nichts zu schaffen, o Mann mit der vorwitzigen Zunge«, sagte das Weiblein. »Ich bin vielmehr hierhergesandt worden, um einige Dinge zu erzählen, die sich in dieser Familie und einer zweiten in der Nachbarschaft zutragen sollen; Dinge, die für sie von Interesse sein würden. Allein, weil ich von jenem schmutzigen Gesellen dort im Winkel solche Beleidigung erfahren, will ich den Schleier nicht lüften, der ihre Zukunft verhüllt.«
»Bitte dich«, sprach darauf ein anderer von den Anwesenden, »wenn du über irgendeine Kenntnis verfügst, welche für die Zukunft irgend jemands unter uns von Bedeutung wäre, so bringe sie vor!«
»Nein! Aber ich will euch so viel sagen, daß eines bestimmten Mädchens Herz einem Schiffe gleichet, das schon an die Küste gelangt ist, jedoch unfähig wird, in den Hafen einzulaufen, weil es seinen Lotsen verloren hat.«
Und sowie das Weiblein das letzte Wort gesprochen, verschwand es auch schon, ohne daß man wußte, wohin.
Während dessen Anwesenheit hatte das Rufen aus dem Flusse innegehalten, doch gleich darauf begann es wieder zu verkünden:
– – »Die Zeit der Rache ist gekommen!«
Und für geraume Zeit hielt es nicht mehr inne.
Die Gesellschaft hatte solch ein Schrecken ergriffen, daß einer den anderen nicht anzureden wagte und wie ein Laken der Düsterkeit lagerte es sich auf jedermanns Antlitz.
Die Zeit des Abschiednehmens kam heran und Rhyderch, der junge Erbe, machte sich mit seiner Verlobten Gwerfyl auf, um sie heim nach Pen Craig Daf zu geleiten – ein Weg, von dem er niemals wiederkehrte!
Bevor sie voneinander Abschied genommen, hatten sie sich ewige Treue zugeschworen, selbst wenn sie sich von diesem Augenblick an niemals wiedersehen sollten, und daß nichts es vermögen solle, daß einer des anderen jemals vergäße.
Es galt bald bei jedermann als wahrscheinlich, daß der junge Rhyderch auf seinem Heimwege in einen Ring der Kobolde geraten war und daß sie ihn in eine ihrer Höhlen zu Ravens‘ Rift gelockt und daselbst eingeschlossen hatten.

* * *

Was geschah zu Pantannas und was in Pen Craig Daf?
Die Eltern des unglücklichen Jünglings waren schmerzlich bestürzt; sie wußten nicht, wohin sie sich wenden sollten, um nach ihm Ausschau zu halten. Und obgleich sie jedes Fleckchen in der Gegend absuchten, fanden sie dennoch weder ihn noch irgend einen Anhaltspunkt über sein Schicksal.
Drinnen im Hügellande lebte in einer unterirdischen Höhle ein Einsiedler, Gweiryd mit Namen, der als ein kundiger Zauberer galt. Zu ihm gingen Rhyderchs Eltern einige Wochen später, um ihn zu befragen, ob er irgendeine Kunde über ihren verlorenen Sohn ihnen zu geben vermöchte. Allein es war für sie von wenig Gewinn. Was der Mann ihnen mitteilte, vertiefte nur die Wunde und lieh dem Ereignis nur noch trostlosere Aussichten.
Nachdem sie ihm von dem Erscheinen des winzigen Weibleins berichtet und von den drohenden Rufen, die sie in jener Nacht, da sie ihren Sohn verloren, aus dem Flusse vernommen, da offenbarte er ihnen, daß es das Racheurteil gewesen – womit die Kobolde die Familie so lange schon bedroht -, was den Jüngling ereilt, und daß es für sie vergeblich sein würde, sich mit der Hoffnung zu tragen, ihn jemals wiederzusehen. Wahrscheinlich würde er einmal wiederkehren, nachdem Generationen dahingeschwunden, nicht aber zu ihren Lebzeiten.
Die Zeit rollte dahin, Wochen wandelten sich in Monate und Monate in Jahre, dieweil Rhyderchs Vater und Mutter zu ihren Ahnen versammelt wurden. Die Ortschaft blieb nach außen wohl weiter unverändert, allein deren Bewohner wechselten nach und nach, so daß die Erinnerung an das Verschwinden Rhyderchs sich fast zu verlieren drohte.
Dennoch lebte da noch jemand, der all die Zeit hindurch seine Rückkehr erhofft und auch jetzt noch seiner harrte, gleichwohl jede Aussicht geschwunden schien, ihn wiederzusehen. An jeglichem Morgen, wenn die Tore der Dämmerung jenseits der zerklüfteten Höhen im Osten sich öffneten, konnte man sie sehen – mochte das Wetter wie immer auch sein -, wie sie zum Gipfel eines kleinen Hügels emporeilte, um, mit Sehnsuchtstränen in den Augen, nach allen Richtungen auszulugen, ob sie nicht irgendein Zeichen entdecken könnte, das auf die Rückkehr des Herzgeliebten schließen ließe.
Doch vergebens! Zur Mittagszeit konnte man sie auf demselben Platze erblicken und sie war wieder da zu der Stunde, wo die Sonne, gleich einem rotglühenden Feuerball, sich hinter dem Horizont hinabsenkte. Sie hielt Ausschau, bis daß sie schier erblindete, und sie weinte ihre Seele sich aus, von Tag zu Tag, um den Liebling ihres Herzens.
Schließlich begannen auch jene, die an ihrer Statt Ausschau halten mußten, ihr den Dienst zu verweigern, und der Mandelbaum begann ihren Scheitel mit seinen jungfräulichen Blüten zu krönen. Sie fuhr fort, in die Ferne zu starren, doch er kam nicht. Hochbetagt und reif fürs Grab, setzte der Tod all ihren Hoffnungen und Erwartungen schließlich ein Ende. Ihre sterblichen Reste wurden zu Grabe getragen und ruhen nun friedlich auf dem Kirchhof der alten Kapelle am Fan.
Jahre verflüchtigten sich wie Rauch und Generationen gleich den Schatten am Morgen, und da war bald niemand mehr unter den Lebenden, der sich Rhyderchs noch erinnert hätte. Aber die Geschichte von seinem plötzlichen Verschwinden ging noch fort durch des Volkes Mund.
Bemerkenswert ist es, daß seit jenem Begebnis kein Kobold mehr in der Gegend von Pantannas erblickt worden und daß die Töne ihrer Musik seit jenem Abend verstummt waren.
Rhyderch war damals von ihnen angelockt worden und sie hatten ihn in ihre Höhle gebracht. Als er nach einigen Tagen, die er – wie er vermeinte – daselbst verbracht, um die Erlaubnis bat, heimkehren zu dürfen, wurde ihm dies vom König bereitwillig gestattet.
Er verließ die Höhle an einem schönen Mittag, als die Sonne vom Busen eines wolkenlosen Firmaments herniederstrahlte. Er ließ Ravens‘ Rift hinter sich und schritt fürbaß, bis er in die Gegend der Fan-Kapelle kam. Doch wie groß war sein Erstaunen, als er daselbst keine Kapelle mehr vorfand!
Wo mochte sie sein? dachte er bei sich. Und seit wann war sie verschwunden?
Durchdrungen von gemischten Gefühlen, richtete er seine Schritte gegen Pen Craig Daf, dem Heim seiner einzig Geliebten, doch er fand dort weder sie, noch auch irgend jemand, den er gekannt haben würde. Er konnte nicht ein Wort über seine Verlobte erfahren und jene, die am Orte wohnten, vermuteten in ihm einen Irrsinnigen.
So hastete er denn hinüber nach Pantannas, wo seine Verwunderung noch größer ward: weder kannte er jemanden daselbst, noch wußte man irgend etwas über ihn!
Schließlich kam der Besitzer des Hauses herbei und der erinnerte sich, von seinem Großvater gehört zu haben, daß ein Jüngling plötzlich verschwunden wäre und das schon vor etlichen hundert Jahren. Zufällig berührte der Hausherr dabei Rhyderch mit seinem Spazierstabe und dieser stob im Nu in eine Wolke von Staub auseinander.
Nichts ward je mehr über Rhyderch von Pantannas vernommen …

[Keltisch: M. Brusot: Keltische Volkserzählungen]

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