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Dummelinchen

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Es war einmal ein Bauer und seine Frau, die hatten sieben Töchter, aber keinen Sohn. Drei Töchter waren bereits erwachsen und sollten heiraten, doch die Eltern waren so bettelarm, dass sie sie nicht ausreichend ausstatten konnten. Die jüngste Tochter jedoch wurde von den anderen Dummelinchen genannt, denn als Kleinste lernte sie alles später als ihre Schwestern. Da kam eine große Dürre über das Land und bald war die Familie so arm, dass sie sich nicht einmal mehr
eine Suppe gegen den Hunger kochen konnte. In dieser Zeit erfuhren die Bauersleute, dass die Hexe Baba Jaga, die in der Nähe wohnte, ein kleines Mädchen für Hausarbeit suchte und demjenigen viel Gold bot, der ein Mägdlein in ihren Dienst geben würde. Erst wollten sie keine ihrer Töchter schicken, denn die alte Hexe stand in dem Ruf sehr böse zu sein. Doch irgendwann war ihr Hunger so groß, dass sie beschlossen, Dummelinchen in die Dienste der Hexe zu geben. So ging der Bauer hin zur Hexenhütte, holte sich das Gold und versprach, am nächsten Tag das Mädchen zu ihr zu schicken.

Voller Angst lief Dummelinchen am folgenden Morgen los, um fortan bei Baba Jaga zu leben und zu arbeiten. Unterwegs kam sie durch einen Wald, denn die Hexe lebte weitab vom Dorf auf einer einsamen Lichtung. Da begegnete ihr eine schöne Frau in einem prächtigen blauen Kleid, die sie freundlich ansah und sprach: „Sag mir Mädchen. Wohin gehst du durch diesen düsteren Wald?“ „Ich muss zur Hexe Baba Jaga. Meine Eltern haben mich ihr in den Dienst gegeben, da wir sonst elendig verhungert wären.“ Darauf machte die Frau eine sorgenvolle Miene. Dann nahm sie ein kleines Püppchen aus ihrer Tasche, reichte es dem Kind und sprach: „Nimm es, es wird dich vor bösem Zauber schützen. Es ist ein besonderes Püppchen, das Baba Jaga früher selbst einmal meinem Vater raubte.“ Dummelinchen betrachtete die kleine Puppe. Sie war ganz weich und aus Stoff gemacht, mit einem feinen blauen Kleidchen an. Die Frau sprach weiter: „Höre. Dieses Püppchen warnt und schützt. Wenn sich jemand nähert, der sich auf böse Magie versteht, so fängt es an zu zittern. Wenn jemand in der Nähe einen bösen Zauber spricht, so zittert es stärker und macht zusätzlich ein Geräusch wie von dem Geklapper von kleinen Zähnchen. Wenn man es jedoch dreimal drückt, so hören Zittern und Klappern auf und man ist vor allen Folgen des Zaubers in diesem Moment geschützt.“ Nach diesen Worten verabschiedete sich die Frau und ehe sich Dummelinchen versah, war sie wieder im Wald verschwunden.

Dummelinchen steckte das Püppchen in ihre Tasche. Dann setzte sie ihren Weg zur Hexenhütte fort. Nach einer Weile kam sie auf eine Lichtung. Dort befand sich eine Hütte, die auf zwei Hühnerbeinen stand und sich auf ihnen in einem fort drehte – das Haus der Baba Jaga. Das Mädchen sprach

„Hüttchen, Hüttchen, stehe still,
wie ich es jetzt gerne will.
Dreh den Rücken zu dem Wald
Und die Türe zu mir bald.“

Die Hütte hörte sich auf zu drehen, als die Tür in Richtung zu Dummelinchen zeigte und sie ging in das Hexenhaus hinein. Drinnen saß die alte Baba Jaga Knochenbein und rührte in einem riesigen Kochtopf, in dem eine übelriechende, zähflüssige Masse brodelte. Als Dummelinchen in das Zimmer kam, bemerkte sie sogleich, dass ihr Püppchen zu zittern anfing. Doch nicht nur sie sah das Vibrieren in ihrer Tasche, sondern auch die alte Hexe. „Ah, die neue Magd. Komm herein.“ Kaum hatte Dummelinchen ihre Sachen abgelegte, kramte Baba Jaga schon ungefragt in deren Tasche herum. Sie sah das Püppchen und wurde sehr wütend. „Das ist mein schönes Zitterpüppchen! Das gehört mir! Tag und Nacht hat es für mich so schön gezittert und geklappert, doch dann hat ihn mir diese hinterlistige Wasilisa geraubt.“ Sie wollte das Püppchen packen, doch es rutschte ihr aus den Fingern und Dummelinchen fing es auf. Zunächst wollte die Hexe nach dem Püppchen greifen, doch dann ließ sie von ihm ab und sprach: „Nimm den Besen dort, feg hier ordentlich durch, bis ich wieder komme und bereite ein Abendessen.“ Darauf verließ sie die Hütte. Das Püppchen ließ ein kurzes Geklapper vernehmen und wurde danach wieder still. Das Mädchen wartete eine Weile voller Angst. Sie konnte hier nicht bleiben. Ihre Hände zitterten, ihre Beine schlotterten. Dann ging sie zur Tür und versuchte sie zu öffnen, doch sie war fest verschlossen. So reinigte sie die Stube. Von innen wirkte die Hütte viel größer als von außen und sie hatte den ganzen Tag zu tun. Bis zum Abend war alles sauber, Dummelinchen bereitete noch eine Suppe und wartete ängstlich auf Baba Jagas Rückkehr.

Als es gerade dunkel geworden war, kam die Hexe herein. Das Püppchen fing im selben Moment wieder zu zittern an. Sie hatte einen Hasen in der Hand, den sie an den Ohren trug und in einer Ecke der Stube in einen kleinen Käfig sperrte. Darauf setzte sie sich zu Tisch und aß mürrisch die Suppe, die Dummelinchen für sie gekocht hatte. Nachdem das Mädchen das Geschirr gewaschen hatte, schickte Baba Jaga sie in eine kleine Kammer, wo ihr auf dem Boden ein karges Lager bereitet war. Doch wegen ihrer Furcht konnte Dummelinchen nicht schlafen. Tief in der Nacht schließlich hörte sie die Tür knarren und Baba Jaga schaute leise und vorsichtig herein. In der Hand hatte sie ein Messer und murmelte etwas, während das Püppchen ein heftiges Geklapper hören ließ. Eine große Müdigkeit überfiel das Kind. Doch es erinnerte sich an die Worte der schönen Frau aus dem Wald und drückte die Puppe drei mal. Da erstarb das Zittern und Klappern und die Hexe fluchte. Wütend stürmte sie in das Zimmer.

“Was hast du gemacht. Du hast es kaputt gemacht! Es klappert nicht mehr!“ Fest umschloss sie mit ihren Fingern das Püppchen und zog daran, aber wieder rutsche es aus ihrem knochigen Griff. Baba Jaga zückte das Messer und umfasste Dummelinchens Handgelenk. Sie setzte das Messer an und versuchte, die Hand abzuschneiden, doch es rutschte ab, als wäre sie aus Eisen und Dummelinchen bekam von dem Schnitt nicht einmal einen Kratzer. Das Püppchen ließ wieder ein leises Zittern vernehmen und die Hexe schien irgendwie beruhigt, ließ vom Mädchen ab und verließ die Kammer. Den Rest von der Nacht kehrte sie nicht zurück und Dummelinchen fiel in einen unruhigen Schlaf. Früh am nächsten Morgen musste sie das Frühstück bereiten und wurde dann in der verschlossenen Hütte wieder von Baba Jaga mit viel Arbeit alleine gelassen. Sie streifte umher, tat ihre Dienste und stieß auf herumliegende Zauberbücher. Sie las die verblichenen Titel und sogleich fiel ihr ein Büchlein auf, das anders als die übrigen mit der Hand geschrieben war. „Die Geheimnisse der Baba Jaga“ stand darauf und Dummelinchen witterte eine Chance, aus ihrem Joch zu entkommen und versteckte es in ihrer Schlafstatt.

Als Baba Jaga am Abend erneut zurück kehrte, hatte sie wieder einen Hasen dabei und sperrte ihn zum anderen in den Käfig. Dummelinchen hatte eine Suppe bereitet und musste nach dem Abwasch gleich zu Bett gehen. Wieder kam tief in der Nacht die Hexe zu ihr, doch wie zuvor war sie wach, beendete mit dreifachem Drücken auf das Püppchen deren böse Zauber und blieb alleine zurück. Vor dem Einschlafen las sie das Buch bis zur Hälfte, doch außer bösen Gedanken und Giftrezepten stand nichts darin.

Auch am dritten Tag ging Baba Jaga morgens in den Wald und kehrte abends erneut mit einem Hasen in der Hand zurück, so dass nun drei im Käfig eingesperrt waren. Doch sie hatte nicht nur den Hasen dabei, sondern auch einen langen, schmalen Gegenstand, der in ein Tuch eingeschlagen war. Dummelinchen wurde wie üblich nach dem Abendessen ins Bett geschickt und harrte voller Furcht der Dinge, die kommen würden. Tief in der Nacht kam leise auf Zehenspitzen die Hexe herein. Doch dieses mal blieb das Püppchen beim Zittern, Baba Jaga jedoch hatte ein mächtiges Schwert in der Hand, das sie ächzend über dem Kopf schwang. Dummelinchen sprang auf und kauerte sich ängstlich an die Wand. „Du bist so ein zarter Happen, kleines Kind. Morgen wirst du mein Abendbrot sein und keine deiner kümmerlichen Suppen.“ Das Schwert sauste hernieder und im letzten Moment konnte das Mädchen ausweichen und die Spitze stieß knapp neben ihr in den Holzboden. Baba Jaga wollte es wieder hoch heben, doch sie steckte fest. Sie zerrte und zog und murmelte etwas in einer fremden Sprache. Das Klappern von Puppenzähnchen ertönte und das Kind beeilte sich, es dreimal zu drücken, woraufhin das Gemurmel erstarb. Wütend drohte die Hexe dem Mädchen mit ihrer knorrigen Faust, ließ das Schwert nun jedoch im Boden stecken und stürmte hinaus.

Nachdem sie nicht mehr zurückkam, atmete das Kind auf und besah sich das Schwert. Es war reich mit Gold und Ornamenten verziert, wie von einem König oder Prinzen, doch es war ansonsten aus ganz normalem Stahl gemacht. So ließ sie es im Boden stecken, kauerte sich in eine Ecke ihres Kämmerchens und fuhr hastig fort, das geraubte Buch zu lesen. Es war schon früher Morgen, als sie endlich auf der letzten Seite angekommen war. Sie hatte kaum noch Hoffnung, etwas Hilfreiches darin zu finden, um der Hexe zu entkommen, es war nur angefüllt mit deren bösen Reden und Rezepten. Doch auf der letzten Seite fand sie ganz am Ende einen Text, der „Die Kraft der Baba Jaga“ hieß. Dort stand, dass sich die Zauberkraft der Hexe in einem Kistchen befand, das in einer anderen Kiste verborgen war. Dieses jedoch lag in einer großen Truhe in der Stube und zu ihrem Schutz befand sich in jeder Kiste ein Tier: In der großen ein schwarzer Wolf, in der mittleren eine Schlange und in der kleinen eine giftige Spinne. Dummelinchen hatte den Absatz gerade gelesen, als die Tür mit lautem Knall zuflog. Baba Jaga war wieder in den Wald aufgebrochen.

Dummelinchen ging aus ihrer Kammer und rüttelte an der Tür, die wieder verschlossen war. Dann wandte sie sich der Kiste zu. Sie war beschlagen mit Eisen und mit einem mächtigen Schloss gesichert. Das Mädchen lief in ihr Kämmerchen und versuchte das Schwert aus dem Boden zu ziehen, doch es war so schwer, dass es schon später Nachmittag war, als sie endlich schaffte, es aus der Diele zu ziehen und unter großem Ächzen und Stöhnen zur Kiste zu schleppen. Mit ganzer Kraft zog sie die Spitze der Waffe nach oben und ließ sie so fallen, dass sie direkt auf das Schloss an der Kiste fiel. Und wirklich zersprang es unter der mächtigen Kraft des Stahls. Erst wollte Dummelinchen die Kiste gleich öffnen, doch dann dachte sie an den Wolf. Sie holte aus der Küche ein großes Stück Fleisch und ein Messer. Dann öffnete sie die Klappe der Truhe. Darin war wirklich ein Wolf, der sie böse anfletschte und aus der Truhe sprang. Das Püppchen fing sofort heftigst zu zittern und Zähnchen zu klappern an. Voller Panik rannten die Häschen in ihrem Stall herum und blickten mit riesiger Angst in den Augen auf das Raubtier. Dummelinchen jedoch drückte dreimal auf die kleine Puppe, woraufhin der Wolf zerplatzte und in der Truhe etwas aufsprang. Als sie hinein blickte, sah sie, dass es ein Kasten war, wiederum mit einem offenen Kästchen darin. Von einer Schlange oder einer Spinne war nichts zu sehen, im Kästchen jedoch lag etwas wie eine merkwürdig geformte Wurzel, die das Mädchen an sich nahm. Da ging die Tür auf und Baba Jaga stand im Rahmen, während das Püppchen wieder ein leichtes Erbeben vernehmen ließ. Böse funkelte die Hexe das Mädchen an, doch als sie die Wurzel in ihrer Hand sah, schlich sich Angst in ihren Blick. Dummelinchen rannten zum Feuer und warf die Wurzel hinein. Als sie verbrannte, heulte die Hexe auf und das Püppchen wurde wieder still und ruhig. In Panik rannte die Hexe aus der Tür und ward nicht mehr gesehen.

Aus der Ecke der Stube jedoch erklang ein Knacksen wie von zersplittertem Holz und statt der drei Hasen lagen dort nun drei junge Männer in den Trümmern des Hasenstalls. In ihren Augen stand noch die Hasenpanik, doch ihre Kleider waren prächtig wie von Prinzen. Nachdem sie sich ein wenig erholt hatten, sah der eine das Schwert auf dem Boden liegen, kroch unter den anderen hervor und sprach: „Meine Waffe, das Königsschwert“ und nahm es in die Hand. Auch die beiden anderen standen auf und einer sprach: „Hab dank für unsere Rettung. Wir sind Prinzen, die durch die Welt zogen, um uns eine Braut zu suchen und haben uns im Wald verirrt. Wir sind hier der furchtbaren Hexe begegnet, die uns in Hasen verwandelte und in diesen Stall gesteckt hat. Gott weiß, was sie mit uns vorhatte. Wie können wir dir nur danken?“ Dummelinchen dachte an ihre heiratswilligen Schwestern und so wäre ihr sogar etwas eingefallen zum Dank. Doch es schien ihr ein wenig unverschämt und so hielt sie sich nicht lange auf, winkte den Prinzen, ihr zu folgen und lief mit ihnen zu sich nach Hause. Doch als sie am Haus ihrer Familie ankamen, standen tatsächlich gerade die drei ältesten Schwestern in der Stube. Sie sahen die prächtig gekleideten Prinzen und Dummelinchen bemerkte sofort an den Blicken ihrer Schwestern und der Männer, dass hier ebenfalls etwas Magisches vor sich ging. Doch es war kein böser Zauber und das Püppchen blieb ruhig.

Schon wenige Wochen später wurden drei Hochzeiten zwischen den Prinzen und den ältesten Schwestern gehalten und als Verwandte von Prinzessinnen mussten Dummelinchen und ihre Familie nie wieder in Armut leben. Am Abend der Hochzeit verließ Dummelinchen gerade das Fest, um zu Bett zu gehen, da stand da plötzlich wieder die hübsche Frau im blauen Kleid, die sie damals im Wald getroffen hatte, Wasilisa. Sie hielt die Hand auf und sprach: „Nun brauche ich die Puppe zurück. Denn sie gehört meinem Vater Koschej, dem ich sie zurück bringen wollte, als wir uns damals trafen. Das Püppchen ist sein.“ Da gab Dummelinchen Wasilisa das Spielzeug und diese verschwand im Zwielicht des Abends. Dummelinchen jedoch wurde später eine kluge und mächtige Königin und lebte mit ihrer Familie glücklich und zufrieden.

Quelle: nicht angegeben

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