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Gunderich der Pfaffenfreund, Graf von Brabant, lebte um die Zeit der Kreuzzüge mit so exemplarischer Frömmigkeit, dass er den Namen des Heiligen so gut verdient hätte, als Kaiser Heinrich der Hinker; seine Hofburg sah einem Kloster ähnlich, man hörte da keine Sporen klirren, keine Rosse wiehern, keine Waffen rauschen, aber die Litaneien andächtiger Mönche und das Geklingel der Silberglocken tönten ohne Unterlass durch die Hallen seines Palastes. Der Graf versäumte keine Messe, wohnte fleißig den Prozessionen bei und trug eine geweihte Wachskerze, wallfahrte auch an alle heilige Örter, wo Ablass erteilt wurde, auf drei Tagereisen weit rings um sein Hoflager. Dadurch erhielt er die Politur seines Gewissens so rein und unbefleckt, dass auch kein sündlicher Hauch daran haften konnte; dennoch wohnte bei dieser großen Gewissensruhe keine Zufriedenheit in seinem Herzen, denn er lebte in kinderloser Ehe und besaß gleichwohl große Schätze und Renten. Diese Unfruchtbarkeit nahm er für eine Strafe des Himmels an, weil, wie er sagte, seine Gemahlin zuviel eiteln Weltsinn habe.
Die Gräfin grämte sich innerlich über diesen frommen Wahn. Obgleich die Andächtelei eben nicht ihre Passion war, so wusste sie doch nicht eigentlich, wodurch sie das Strafgericht der Unfruchtbarkeit verdienet haben sollte, denn die Fruchtbarkeit ist ja nicht eben eine Prämie der weiblichen Tugend. Indessen verabsäumte sie nichts, den Himmel, wenn die Vermutung ihres Gemahls allenfalls Grund haben sollte, durch Fasten und Kasteien zu versöhnen, aber diese Bußübungen wollten nicht anschlagen, und ihre Taille wurde bei dem strengen Regime nur immer schlanker. Zufälligerweise traf sich’s, dass Albertus Magnus, als er auf Befehl Gregor des Zehnten von Köln aufs Konzilium nach Lyon zog, seinen Weg durch Brabant nahm, und beim Grafen einsprach, dessen Gastfreigebigkeit gegen die Klerisei keine Grenzen hatte. Er empfing seinen Gast nach Standesgebühr und Würden, ließ sich auch von ihm eine Messe lesen, für die er hundert Goldstücke zahlte, die Gräfin wollte ihrem Gemahl an Freigebigkeit nicht nachstehen, darum ließ sie sich gleichfalls eine Messe lesen und zahlte dafür hundert Goldgulden, nicht minder begehrte sie an den ehrwürdigen Dominikaner, dass er sie Beicht hören möchte, wo sie ihm das Anliegen wegen ihrer Unfruchtbarkeit offenbarte und getröstet von ihm hinwegging. Er untersagte der betrübten Beichttochter alle Pönitenz und ferneres Kasteien, schrieb ihrem Herrn und ihr eine reichlichere Diät vor und verhieß mit prophetischem Geiste, dass sie, eh er noch vom Konzilium zurückkehrte, mit Leibesfrucht würde gesegnet sein. Die Prophezeiung traf ein: bei der Wiederkehr von Lyon fand Albertus in den Armen der erfreuten Gräfin ein zartes Fräulein, der holden Mutter Ebenbild, welche allen Heiligen dankte, dass ihre Schmach nun von ihr genommen war. Vater Gunderich hätte zwar einen männlichen Erben lieber ankommen sehen, aber weil das kleine Geschöpf so niedlich und freundlich war und ihm so unschuldsvoll entgegenlachte, trug er’s oft auf den Armen und hatte große Freude daran. Weil nun der Graf in den Gedanken stund, der fromme Albertus habe ihm diesen Ehesegen vom Himmel erbeten, so erdrückt‘ er ihn schier mit Wohltaten, und bei seinem Abzug verehrt‘ er ihm ein prächtiges Messgewand, wie der Erzbischof von Toledo keins in seiner geistlichen Garderobe haben mag. Die Gräfin bat um Albens Benediktion für ihr Töchterlein, und er erteilte solche mit einer Inbrunst und Teilnehmung, dass die Lästerchronik des Hofs dadurch Anlass nahm, allerlei zu munkeln, was die Genealogisten über die Abkunft des Fräuleins hätte irreführen können; doch Vater Gunderich nahm keine Notiz von dem Gerede und ließ alles gutmütig beim gleichen bewenden.
Albertus Magnus war ein sonderbarer Mann, der bei seinen Zeitgenossen in zweideutigem Rufe stund. Einige hielten ihn für einen Heiligen, als irgendeiner im Kalender zu finden ist, andre schrieen ihn für einen Schwarzkünstler und Teufelsbanner aus, noch andre sprachen, er sei keins von beiden, sondern ein hochgelehrter Philosophus, der die Natur beschlichen und ihr alle Geheimnisse abgewonnen habe. Er verrichtet‘ auch wunderbare Dinge, darob männiglich erstaunte; denn als Kaiser Friedrich der Zweite begehrte, seine Künste zu schauen, lud er ihn im Eismonat zu Köln am Rhein auf ein Frühstück in den Klostergarten ein und gab ihm ein Schauspiel, das seinesgleichen nicht hatte. Hyazinthen und Tulpen stunden da im schönsten Flor, einige Obstbäume blühten, andre trugen reife Früchte, die Nachtigallen ließen sich nebst der Grasmücke im Gebüsche hören, und die fröhlichen Stechschwalben schwirrten hoch in der Luft um den Klosterturm. Wie der Kaiser das alles genug bewundert hatte, führt‘ er ihn nebst seinen Höflingen an ein Traubengeländer, gab jedem Gast ein Messer in die Hand, sich eine reife Traube abzuschneiden, doch gebot er’s nicht eher zu tun, bis er’s ansagen würde; aber plötzlich nahm er die künstliche Täuschung hinweg, da ergab sich, dass jeder Gast seine eigne Nase erfasst und das Messer angesetzt hatte, sie abzuschneiden, welcher Schwank Friedrichen so zu lachen machte, dass er den kaiserlichen Bauch halten musste. Wenn das mit rechten Dingen zuging, so war’s traun ein Stück, welches weder der postische Professor Pinetti, noch Philadelphia der Jud dem Tausendkünstler Albertus nachzutun vermochten.
Nachdem der ehrwürdige Dominikaner der kleinen Richilde die geistliche Benediktion erteilt hatte und nun von hinnen ziehen wollte, begehrte die Gräfin noch ein Andenken für ihr Töchterlein, eine Reliquie, ein Agnus Dei, ein Amulett oder einen Segen fürs Fräsch und Herzgespann. Albertus schlug sich vor die Stirn und sprach: „Ihr erinnert wohl, edle Frau, schier hätte ich es aus der Acht gelassen, Euer Fräulein mit einer Gabe zu bedenken; aber lasst mich allein und saget mir genau an, zu welcher Stunde das Fräulein zuerst die vier Wände beschrieen hat.“ Darauf verschloss er sich neun Tage lang in eine einsame Klause und laboriert‘ fleißig, dass er ein Kunststück zuwege brächte, dabei sich die kleine Richilde seiner erinnern möchte.
Wie der Kunstmeister das Werk vollendet hatte und merkte, dass es wohl gediehen sei, bracht er’s insgeheim zur Gräfin, sagt‘ ihr an alle Tugend und Wirkung seines Machwerks, gab ihr Bescheid und Unterricht, wie’s zu gebrauchen sei und wie sie die Tochter, wenn sie heranwuchs, von Nutz und Brauch des Werks belehren sollt, nahm freundlichen Abschied und ritt davon. Die Gräfin, hocherfreut über die Gabe, nahm die magische Heimlichkeit und verbarg sie in der Schublade, wo sie ihre Kleinodien verwahrte. Gunderich der Pfaffenfreund lebte noch einige Jahre in weltentflohner Abgeschiedenheit in seiner Burg, stiftete viel Klöster und Kapellen und legte dennoch einen großen Teil seiner Renten zum Brautschatz des lieben Töchterleins bei, denn das Lehn war einem Agnaten verschrieben. Wie er spürte, dass es mit ihm bald zu Ende gehen würde, ließ er sich ein Mönchskleid anlegen und verschied darin mit den hoffnungsvollsten Ansprüchen auf das Recht der Maskenfreiheit im ewigen Leben. Die Gräfin wählte ein Nonnenkloster zum Witwenaufenthalt und wendete ihre ganze Tätigkeit auf die Erziehung ihrer Tochter, welche sie, sobald sie volljährig sein würde, selbst in die große Welt einführen wollte. Ehe sie das bewerkstelligen konnte, wurde sie vom Tode übereilt, eben zu der Zeit, da das Fräulein mit dem fünfzehnten Jahre ihres Lebens im Blütenmond der weiblichen Schönheitsepoche eintrat.
Die gute Mutter sträubte sich anfangs mit einigem Unwillen gegen die ungelegene Trennung von der schönen Richilde, in der sie noch einmal aufzuleben gedachte; doch als sie vermerkte, dass ihr Stündlein vorhanden sei, unterwarf sie sich standhaft dem Gesetz des alten Bundes und schickte sich zur Heimfahrt. Sie rief ihre Tochter beiseite, hieß ihr die milden Zährlein trocknen und redete zum Valet also: „Ich verlasse Euch, geliebte Richilde, zu einer Zeit, wo Euch der mütterliche Beistand am nötigsten tut; aber kümmert Euch nicht, der Verlust einer guten Mutter soll Euch durch einen treuen Freund und Ratgeber ersetzt werden, der, wenn Ihr weise und klug seid. Eure Schritte leiten wird, dass Ihr nie irre gehet. Dort in der Schublade, die meine Juwelen aufbewahrt, befindet sich ein natürlich Geheimnis, welches Ihr nach meinem Ableben in Empfang nehmen sollt. Ein hocherfahrner Philosophus, genannt Albertus Magnus, der an der Freude über Eure Geburt großen Anteil nahm, hat solches unter einer gewissen Konstellation verfertiget und mir anvertraut. Euch den Gebrauch desselben zu lehren. Dieses Kunstwerk ist ein metallischer Spiegel, in einen Rahmen von gediegenem Golde gefasst. Er hat für die, welche hineinschauen, alle Eigenschaften eines gemeinen Spiegels, die Gestalten getreu zurückzugeben, die er empfängt. Aber für Euch ist ihm außer diesem Gebrauch noch die Gabe verliehen, alles, warum Ihr ihn befragt, in deutlichen, redenden Bildern darzustellen, sobald Ihr den Spruch aussprecht, welchen Euch dieses Gedankentäflein, dass Ihr hier empfangt, nachweisen wird. Hütet Euch, ihn nie aus Vorwitz und Neugier zu konsultieren oder ihm unbesonnen das zukünftige Schicksal Eures Lebens abzufragen. Betrachtet diesen wunderbaren Spiegel als einen achtungswerten Freund, den man mit nichtswürdigen Fragen zu ermüden sich scheuet; an dem man aber in den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens immer einen treuen Ratgeber findet. Darum seid weise und vorsichtig beim Gebrauch und wandelt auf den Wegen der Tugend, damit der blanke Spiegel nicht, durch den vergifteten Hauch des Lasters angeweht, vor Eurem Angesicht erblinde.“
Nachdem die sterbende Mutter diesen Schwanengesang vollendet hatte, umfasste sie die jammernde Richilde, empfing den heiligen Chrisam, kämpfte flugs ihren Todeskampf und verschied.
Das Fräulein empfand tief in ihrem Herzen den Verlust der zärtlichen Mutter, hüllte sich in Trauerkleider und verweinte eins der schönsten Lebensjahre zwischen den Mauren der klösterlichen Klausur in Gesellschaft der ehrwürdigen Domina und der frommen Klosterschwestern, ohne einmal den zeitlichen Nachlass ihrer Mutter nachzusehen oder in den geheimnisvollen Spiegel zu schauen. Die Zeit milderte nach und nach diese kindlichen Schmerzensgefühle, der Tränenquell versiegte, und wie das Herz des Fräuleins durch Leidensergießung keine Beschäftigung mehr fand, fühlte sie in der einsamen Zelle das Ungemächliche der Langenweile. Sie besuchte oft das Sprachgemach, fand unvermerkt Geschmack, mit den Tanten und Vettern der Nonnen zu kosen, und die letztern waren so eifrig, den frommen Cousinen aufzuwarten, dass sie sich scharenweise ans Gitter drängten, wenn die schöne Richilde im Sprachzimmer war. Es fanden sich viel stattliche Ritter ein, die der ungeschleierten Kostgängerin viel Schönes sagten, und in diesen Schmeicheleien lag das erste Samenkorn der Eitelkeit, welches hier auf kein unfruchtbar Land fiel, sondern bald Wurzel schlug und aufkeimte. Fräulein Richilde bedachte, dass es draußen im Freien besser sei als in dem Käfig hinter dem eisernen Gitter, sie verließ das Kloster, richtete ihre Hofstatt zu, nahm wohlstandshalber eine Aja zur Ehrenhüterin an und trat mit Glanz in die große Welt ein. Der Ruf ihrer Schönheit und Sittsamkeit breitete sich aus gegen die vier Winde des Himmels. Viel Prinzen und Grafen kamen von fernen Landen, ihr den Hof zu machen. Der Tagus, die Seine, der Po, die Themse, und der Vater Rhein schickten ihre Heldensöhne nach Brabant, der schönen Richilde zu huldigen. Ihr Palast schien ein Feenschloss zu sein; die Fremden genossen da der besten Aufnahme und unterließen nicht, die Höflichkeiten der reizenden Besitzerin mit den feinsten Schmeicheleien zu erwidern. Es verging kein Tag, wo nicht die Hofstechbahn mit einigen wohlgerüsteten Rittern besetzt war, die durch ihre Wappenkönige auf den Märkten und an den Eckhäusern der Stadt die Herausforderung verkünden ließen: wer die Gräfin von Brabant nicht für die schönste Dame ihrer Zeitgenossenschaft erkenne oder das Gegenteil zu behaupten sich erdreiste, solle sich in den Schranken des Turnierplatzes einfinden und mit den Waffen seine Behauptung gegen die Paladins der schönen Richilde erhärten. Gemeiniglich meldete sich niemand oder, wenn man ja an einem Hoffeste gern stechen wollte und einige Ritter sich bereden ließen, die Ausforderung anzunehmen und der Dame ihres Herzens den Preis der Schönheit zuzueignen, so geschah das nur zum Schein; die Delikatesse der Ritter erlaubte ihnen nie, den Champion der Gräfin aus dem Sattel zu heben; sie brachen ihre Lanzen, erkannten sich überwunden und gestanden der jungen Gräfin den Preis der Schönheit zu, welches Opfer sie mit jungfräulicher Sittsamkeit anzunehmen pflegte.
Bisher war es ihr noch nicht eingefallen, den magischen Spiegel zu konsultieren, sie brauchte ihn nur als einen gemeinen Spiegel, um ihren Kopfputz dadurch zu prüfen, ob die Jungfrauen sie zu ihrem Vorteil aufgesetzt hätten. Keine Frage hatte sie sich noch nicht erlaubt, entweder weil ihr zurzeit noch kein kritischer Umstand vorgekommen war, der eines Ratgebers bedurft hätte, oder weil sie zu scheu war und befürchtete, ihre Frage könnte vorwitzig und unbesonnen sein, und der blanke Spiegel dürfe darüber erblinden. Unterdessen machte die Stimme der Schmeichelei ihre Eitelkeit immer mehr rege und erzeugte in ihrem Herzen den Wunsch, das in der Tat zu sein, was das Gerüchte ihr tagtäglich laut in die Ohren gellte; denn sie besaß die so seltne Penetration der Großen, in die Sprache ihrer Höflinge ein gerechtes Misstrauen zu setzen. Einem aufblühenden Mädchen, wes Standes und Würden sie sei, ist die Frage über ihre Wohl- oder Missgestalt ein so wichtiges Problem, als einem orthodoxen Kirchenlehrer die Frage über die vier letzten Dinge. Daher war eben nicht zu verwundern, dass die schöne Richilde Lehr und Unterricht begehrte über eine Materie, die ihrer Wissbegierde so interessant war; und von wem konnte sie hierüber sichrere und ungezweifeltere Auskunft erwarten, als von ihrem unbestechlichen Freunde, dem Spiegel? Nach einiger Überlegung fand sie die Anfrage so gerecht und billig, dass sie kein Bedenken trug, solche an die Behörde gelangen zu lassen. Sie verschloss sich eines Tages in ihr Gemach, trat vor den magischen Spiegel und hob ihren Spruch an:
Spiegel blink,
Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig mir an die schönste Dirn
in Brabant.
Behänd zog sie den seidenen Vorhang auf, blickte hinein und sah darinnen mit großer Zufriedenheit ihre eigne Gestalt, welche ihr der Spiegel unbefragt schon gar oft gezeigt hatte. Darüber war sie hocherfreut in ihrer Seele, ihre Wangen färbten sich höher, und die Augen funkelten vor Vergnügen, aber ihr Herz wurde stolz und hoffärtig wie das Herz der Königin Vasthi. Die Lobsprüche über ihre Wohlgestalt, die sie vorher mit Bescheidenheit und sanftem Erröten angenommen hatte, begehrte sie nun als einen rechtmäßigen Tribut. Auf alle Jungfrauen des Landes sah sie mit Stolz und Verachtung herab, und wenn von ausländischen Fürstentöchtern die Rede war und irgendeine ihrer Schönheit wegen gepriesen wurde, fuhrs ihr durchs Herz, sie verzog den Mund und bekam Vapeurs. Die Höflinge, die bald die Schwachheit ihrer Gebieterin wahrnahmen, schmeichelten und heuchelten ihr aufs unverschämteste und medisierten über die ganze weibliche Welt, dass sie außer ihrer Herrschaft keiner Dame für einen Deut Ehre ließen, wenn sie im Rufe der Schönheit war. Selbst die berühmten Schönheiten der Vorwelt, die doch seit vielen hundert Jahren verblüht waren, wurden nicht verschont, und sie mussten sich auf das schärfste kritisieren lassen.
Die schöne Judith war zu plump und vierschrötig, wenigstens nach dem Malerkostüm, das ihr von undenklichen Zeiten her die robuste Gestalt eines Schlächterweibes attribuiert, wenn sie den krausbärtigen Kapitän Holofernes entgurgelt; die schöne Esther war ihnen zu rachsüchtig, weil sie die zehn hübschen Jungen des Exminister Hamans, die doch nichts verschuldet hatten, henken ließ; von der schönen Helena hieß es, sie sei ein artiger Rotkopf gewesen und habe aller Vermutung nach Sommersprossen gehabt; an der Königin Kleopatra wurde der kleine Mund gelobt, aber die wulstig aufgeworfenen Lippen und die hoch stehenden ägyptischen Ohren, die Professor Blumbach noch vor kurzem an den Mumien bemerkt haben will, getadelt; die Königin Thalestris musste bei aller Gelegenheit wegen der nach amazonischer Gewohnheit zerstörten rechten Brust herhalten, und ihre schiefe Taille, welche sich bei diesem wesentlichen Schönheitsmangel nicht verhehlen ließ, wollte kein Höfling goutieren, weil der künstliche Panzer der ausgepolsterten Schnürbrüste, die so manchen weiblichen Mangel bedecken, damals noch nicht erfunden war.
Die schöne Richilde galt an ihrem Hofe für das einige und höchste Ideal der weiblichen Schönheit, und weil sie laut Zeugnis des magischen Spiegels in der Tat die schönste Dame in Brabant war und überdem großen Reichtum besaß nebst vielen Städten und Schlössern, so gebrach es ihr nicht an illüstern Ehewerbern; sie zählte deren mehr als weiland Dame Penelope und wusste sie so fein und trüglich mit süßer Hoffnung hinzuhalten, als nachher die Königin Elisabeth. Alle Wünsche, die sich die Töchter Teuts in unseren Tagen zu erträumen pflegen, bewundert, fetiert, angebetet zu sein, in der Reihe ihrer Gespielen hervorzustechen und über alle andre wegzuglänzen, wie der liebliche Mond unter den kleinen Sternen, einen Nimbus von Bewunderern und Anbetern um sich zu haben, die bereit sind, für ihre Dame nach alter Sitte auf der Stechbahn das Leben aufzuopfern und auf ihr Geheiß auf Abenteuer auszuziehen und Riesen und Zwerge für sie einzuhaschen, oder nach heutigem Brauch zu weinen, zu girren, zu winseln, trübsinnig in den Mond zu schauen, zu rasen, vor Liebeswut Gift zu fressen, sich den Hals abzustürzen, ins Wasser zu rennen, sich aufzuhängen, die Gurgel abzuschneiden, oder ehrsamer eine Kugel sich durchs Hirn zu jagen: alle diese Träume schwindelnder Mädchen wurden bei der Gräfin Richilde realisiert. Ihre Reize hatten schon manchem jungen Rittersmann das Leben gekostet, und bei manchem unglücklichen Prinzen hing das Hochgefühl geheimer Liebesqual nur noch zwischen Haut und Knochen. Die grausame Schöne weidete sich insgeheim an den Opfern, die sie ihrer Eitelkeit täglich schlachtete, und die Martern dieser Unglücklichen ergötzten sie mehr als die sanften Gefühle der beglückenden Liebe. Ihr Herz hatte bisher nur leichte Eindrücke einer überhingehenden Leidenschaft empfunden; sie wusste eigentlich selbst nicht, wem es angehörte, es stund jedem seufzenden Dämon offen, aber nach der Regel des Gastrechts gemeiniglich nicht länger als drei Tage. Wenn ein neuer Ankömmling davon Besitz nahm, so wurde der zeitige Inhaber kaltsinnig dimittieret. Der Graf von Artois, der von Flandern, von Brabant, von Hennegau, der von Namur, von Geldern, von Gröningen, kurz alle siebenzehn niederländische Grafen, mit Ausnahme einiger, die bereits vermählt oder schon Greise waren, buhlten um das Herz der schönen Richilde und begehrten sie zur Gemahlin.
Die weise Aja fand, dass es mit der Koketterie ihrer jungen Herrschaft nicht lange Bestand haben könne; ihr guter Ruf schien sich zu mindern, und es war zu befürchten, dass die plantierten Freier ihre Schmach an der schönen Spröden rächen möchten. Sie tat ihr deshalb wohlmeinenden Vorhalt und nötigte ihr das Versprechen ab, binnen drei Tagen sich einen Gemahl zu wählen. Über diesen Entschluss, der öffentlich bei Hofe bekannt gemacht wurde, erfreuten sich alle Brautwerber höchlich, jeder Kompetent hoffte, das Los der Liebe werde ihn treffen. Sie vereinigten sich, die Wahl, sie begünstige, wen sie wolle, gutzuheißen und mit gesamter Hand solche aufrecht zu erhalten. Die strenge Aja hätte mit ihrer wohlgemeinten Zudringlichkeit indessen nichts weiter gefruchtet, als der schönen Richilde drei schlaflose Nächte zu machen, ohne dass das Fräulein, da der dritte Morgen herandämmerte, mit ihrer Wahl weitergekommen war als in der ersten Stunde. Sie hatte binnen der dreitägigen Frist unzählige Mal ihre Freierliste durchgemustert, geprüft, verglichen, gesondert, gewählt, verworfen, von neuem gewählt, von neuem verworfen und zehnmal gewählt und zehnmal verworfen; und durch alles Dichten und Denken war nichts erhalten als ein bleicher Teint und ein Paar matte, getrübte Augen.
In Herzensangelegenheiten ist der Verstand immer ein armseliger Schwätzer, der mit seinem kalten Räsonnement das Herz so wenig erwärmt, als ein ungeheizter Kamin ein Gemach. Des Fräuleins Herz nahm keinen Teil an den Beratschlagungen und verweigerte seinen Assent zu allen Motionen des Sprechers im Oberhause des Kopfes, darum konnte auch keine Wahl zu Recht bestehen. Mit großer Aufmerksamkeit wog sie Geburt, Verdienst, Reichtum und Ehre ihrer Eheprätendenten; aber keine dieser rühmlichen Eigenschaften interessierten sie, und ihr Herz schwieg. Sobald sie indessen die Wohlgestalt der Freier mit in Anschlag brachte, gab’s darin einen sanften Anklang. Die menschliche Natur hat sich seit dem halben Jahrtausend, welches von dem Zeitalter der schönen Richilde bis auf uns verflossen ist, nicht um ein Haarbreit geändert. Gebt einem Mädchen aus dem achtzehnten oder aus dem dreizehnten Jahrhundert einen weisen, verständigen, tugendhaften Mann, mit einem Worte einen Sokrates zum Ehewerber, und stellt neben ihn einen schönen Mann, einen Adonis, Ganymed oder Endymion und lasst ihr die Wahl, ihr könnt hundert gegen eins wetten, dass sie an dem ersten kaltsinnig vorbeigehet und einen von den letzten wählt. Gerade so die schöne Richilde! Unter ihren Ehewerbern fanden sich verschiedene wohlgestaltete Männer; es kam darauf an, den schönsten daraus zu wählen. Die Zeit war über diesen Konsultationen verlaufen, der Hof versammelte sich in Gala, die Grafen und edlen Ritter kamen schon im vollen Ornat angeschritten, die Entscheidung ihres Schicksals mit Herzpochen erwartend. Das Fräulein befand sich in keiner geringen Verlegenheit; ihr Herz weigerte sich, ungeachtet der Zudringlichkeiten des Verstandes, zu entscheiden. Ein Weg musste gleichwohl ins Holz gehen. Sie sprang hastig von ihrem Sofa auf, trat vor den Spiegel, solchen also ratfragend:
Spiegel blink,
Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig mir an den schönsten Mann
in Brabant
Es war also hier nicht die Frage von dem besten, das ist von dem tugendhaftesten, dem treuesten und zärtlichsten Manne, sondern von dem schönsten. Der Spiegel antwortete, wie er gefragt worden war; als sich der seidne Vorhang hob, präsentierte sich gar anschaulich auf der wassergleichen Oberfläche ein stattlicher Ritter in vollem Harnisch, doch ungehelmt, schön wie der jugendliche Adonis, da er der holden Cythere das Herz stahl. Sein Haar wallte in geflammten, kastanienfarbnen Locken die Scheitel herab, die schmalen und dichten Augenbrauen ahmten die Gestalt des Regenbogens nach, aus seinem Feuerauge blitzte Kühnheit und Heldenmut, die männlich braune, mit Rot fingierte Wange glühte von Wärme und Gesundheit; die sanft sich erhebende Oberlippe des Purpurmundes schien einem gefühlvollen Kuss entgegen zu streben, und die volle Wade strotzte von Rüstigkeit und Manneskraft. Sobald das Fräulein den herrlichen Ritter erblickte, wachten auf einmal in ihrer Seele die annoch schlafenden Gefühle der Liebe auf, sie trank aus seinen Augen Wonne und Entzücken und tat das feierliche Gelübde, keinem andern Mann als diesem ihre Hand zu geben. Nur nahm sie groß Wunder, dass die Gestalt des schönen Ritters ihr ganz unbekannt und fremde war; sie hatte ihn nie an ihrem Hofe gesehen, obgleich nicht leicht ein junger Kavalier in Brabant sein mochte, der solchen nicht besucht hatte. Sie beschaute deshalb die Merkzeichen seiner Rüstung und die Livrei derselben genau, stund eine Stunde lang vor dem Spiegel und verwendete kein Auge von der interessanten Gesichtsform, welche sie darin erblickte, jeder Zug, die ganze Attitüde und die kleinste Eigenheit, die sie wahrnahm, ging in ihre Seele über. Unterdessen wurde es laut im Vorgemache, die Aja und das Frauenzimmer harrten, dass ihre Herrschart hervortreten sollte; das Fräulein ließ endlich mit Unwillen den Vorhang fallen, öffnete die Tür und, wie sie die Aja erblickte, umarmte sie die ehrwürdige Dame und sprach mit liebreicher Gebärde: „Ich hab ihn gefunden, den Mann meines Herzens, freuet euch mit mir, ihr Lieben: der schönste Mann in Brabant ist mein! Der heilige Bischof Medardus, mein Schutzpatron, ist mir diese Nacht im Traum erschienen, hat diesen Gemahl, vom Himmel auserkoren, mir zugeführt und im Beisein der heiligen Jungfrau und vieler himmlischen Zeugen mir angetraut.“ Diese fromme Lüge erfand die schlaue Richilde aus dem Stegreif, denn das Geheimnis des magischen Spiegels wollte sie nicht offenbaren, und außer ihr war’s keinem Sterblichen kund. Die Hofmeisterin, hocherfreut über den Entschluss ihrer jungen Herrschaft, fragte mit Begier, wer der glückliche Prinz sei, vom Himmel erkoren, die schöne Braut heimzuführen. Alle edlen Frauen des Hofes spitzten das Ohr und rieten in Gedanken gar scharfsinnig bald auf den, bald auf jenen wackern Ritter, meinten all, sie hätten’s getroffen und raunten eine der anderen den Namen des vermeinten Ehekandidaten etwas vorlaut ins Ohr. Aber die schöne Richilde, nachdem sie ihre Lebensgeister etwas gesammelt hatte, tat ihren Mund auf und sprach: „Meinen Sponsen namentlich euch anzuzeigen oder zu sagen, wo er hause, steht nicht in meiner Macht; er ist nicht unter den Fürsten und Edlen meines Hofes, hab ihn auch nie mit Augen gesehen, aber seine Gestalt schwebt meiner Seele vor, und wenn er kommt, mich heimzuführen, werd ich ihn nicht verkennen.“
Die Gräfin grämte sich innerlich über diesen frommen Wahn. Obgleich die Andächtelei eben nicht ihre Passion war, so wusste sie doch nicht eigentlich, wodurch sie das Strafgericht der Unfruchtbarkeit verdienet haben sollte, denn die Fruchtbarkeit ist ja nicht eben eine Prämie der weiblichen Tugend. Indessen verabsäumte sie nichts, den Himmel, wenn die Vermutung ihres Gemahls allenfalls Grund haben sollte, durch Fasten und Kasteien zu versöhnen, aber diese Bußübungen wollten nicht anschlagen, und ihre Taille wurde bei dem strengen Regime nur immer schlanker. Zufälligerweise traf sich’s, dass Albertus Magnus, als er auf Befehl Gregor des Zehnten von Köln aufs Konzilium nach Lyon zog, seinen Weg durch Brabant nahm, und beim Grafen einsprach, dessen Gastfreigebigkeit gegen die Klerisei keine Grenzen hatte. Er empfing seinen Gast nach Standesgebühr und Würden, ließ sich auch von ihm eine Messe lesen, für die er hundert Goldstücke zahlte, die Gräfin wollte ihrem Gemahl an Freigebigkeit nicht nachstehen, darum ließ sie sich gleichfalls eine Messe lesen und zahlte dafür hundert Goldgulden, nicht minder begehrte sie an den ehrwürdigen Dominikaner, dass er sie Beicht hören möchte, wo sie ihm das Anliegen wegen ihrer Unfruchtbarkeit offenbarte und getröstet von ihm hinwegging. Er untersagte der betrübten Beichttochter alle Pönitenz und ferneres Kasteien, schrieb ihrem Herrn und ihr eine reichlichere Diät vor und verhieß mit prophetischem Geiste, dass sie, eh er noch vom Konzilium zurückkehrte, mit Leibesfrucht würde gesegnet sein. Die Prophezeiung traf ein: bei der Wiederkehr von Lyon fand Albertus in den Armen der erfreuten Gräfin ein zartes Fräulein, der holden Mutter Ebenbild, welche allen Heiligen dankte, dass ihre Schmach nun von ihr genommen war. Vater Gunderich hätte zwar einen männlichen Erben lieber ankommen sehen, aber weil das kleine Geschöpf so niedlich und freundlich war und ihm so unschuldsvoll entgegenlachte, trug er’s oft auf den Armen und hatte große Freude daran. Weil nun der Graf in den Gedanken stund, der fromme Albertus habe ihm diesen Ehesegen vom Himmel erbeten, so erdrückt‘ er ihn schier mit Wohltaten, und bei seinem Abzug verehrt‘ er ihm ein prächtiges Messgewand, wie der Erzbischof von Toledo keins in seiner geistlichen Garderobe haben mag. Die Gräfin bat um Albens Benediktion für ihr Töchterlein, und er erteilte solche mit einer Inbrunst und Teilnehmung, dass die Lästerchronik des Hofs dadurch Anlass nahm, allerlei zu munkeln, was die Genealogisten über die Abkunft des Fräuleins hätte irreführen können; doch Vater Gunderich nahm keine Notiz von dem Gerede und ließ alles gutmütig beim gleichen bewenden.
Albertus Magnus war ein sonderbarer Mann, der bei seinen Zeitgenossen in zweideutigem Rufe stund. Einige hielten ihn für einen Heiligen, als irgendeiner im Kalender zu finden ist, andre schrieen ihn für einen Schwarzkünstler und Teufelsbanner aus, noch andre sprachen, er sei keins von beiden, sondern ein hochgelehrter Philosophus, der die Natur beschlichen und ihr alle Geheimnisse abgewonnen habe. Er verrichtet‘ auch wunderbare Dinge, darob männiglich erstaunte; denn als Kaiser Friedrich der Zweite begehrte, seine Künste zu schauen, lud er ihn im Eismonat zu Köln am Rhein auf ein Frühstück in den Klostergarten ein und gab ihm ein Schauspiel, das seinesgleichen nicht hatte. Hyazinthen und Tulpen stunden da im schönsten Flor, einige Obstbäume blühten, andre trugen reife Früchte, die Nachtigallen ließen sich nebst der Grasmücke im Gebüsche hören, und die fröhlichen Stechschwalben schwirrten hoch in der Luft um den Klosterturm. Wie der Kaiser das alles genug bewundert hatte, führt‘ er ihn nebst seinen Höflingen an ein Traubengeländer, gab jedem Gast ein Messer in die Hand, sich eine reife Traube abzuschneiden, doch gebot er’s nicht eher zu tun, bis er’s ansagen würde; aber plötzlich nahm er die künstliche Täuschung hinweg, da ergab sich, dass jeder Gast seine eigne Nase erfasst und das Messer angesetzt hatte, sie abzuschneiden, welcher Schwank Friedrichen so zu lachen machte, dass er den kaiserlichen Bauch halten musste. Wenn das mit rechten Dingen zuging, so war’s traun ein Stück, welches weder der postische Professor Pinetti, noch Philadelphia der Jud dem Tausendkünstler Albertus nachzutun vermochten.
Nachdem der ehrwürdige Dominikaner der kleinen Richilde die geistliche Benediktion erteilt hatte und nun von hinnen ziehen wollte, begehrte die Gräfin noch ein Andenken für ihr Töchterlein, eine Reliquie, ein Agnus Dei, ein Amulett oder einen Segen fürs Fräsch und Herzgespann. Albertus schlug sich vor die Stirn und sprach: „Ihr erinnert wohl, edle Frau, schier hätte ich es aus der Acht gelassen, Euer Fräulein mit einer Gabe zu bedenken; aber lasst mich allein und saget mir genau an, zu welcher Stunde das Fräulein zuerst die vier Wände beschrieen hat.“ Darauf verschloss er sich neun Tage lang in eine einsame Klause und laboriert‘ fleißig, dass er ein Kunststück zuwege brächte, dabei sich die kleine Richilde seiner erinnern möchte.
Wie der Kunstmeister das Werk vollendet hatte und merkte, dass es wohl gediehen sei, bracht er’s insgeheim zur Gräfin, sagt‘ ihr an alle Tugend und Wirkung seines Machwerks, gab ihr Bescheid und Unterricht, wie’s zu gebrauchen sei und wie sie die Tochter, wenn sie heranwuchs, von Nutz und Brauch des Werks belehren sollt, nahm freundlichen Abschied und ritt davon. Die Gräfin, hocherfreut über die Gabe, nahm die magische Heimlichkeit und verbarg sie in der Schublade, wo sie ihre Kleinodien verwahrte. Gunderich der Pfaffenfreund lebte noch einige Jahre in weltentflohner Abgeschiedenheit in seiner Burg, stiftete viel Klöster und Kapellen und legte dennoch einen großen Teil seiner Renten zum Brautschatz des lieben Töchterleins bei, denn das Lehn war einem Agnaten verschrieben. Wie er spürte, dass es mit ihm bald zu Ende gehen würde, ließ er sich ein Mönchskleid anlegen und verschied darin mit den hoffnungsvollsten Ansprüchen auf das Recht der Maskenfreiheit im ewigen Leben. Die Gräfin wählte ein Nonnenkloster zum Witwenaufenthalt und wendete ihre ganze Tätigkeit auf die Erziehung ihrer Tochter, welche sie, sobald sie volljährig sein würde, selbst in die große Welt einführen wollte. Ehe sie das bewerkstelligen konnte, wurde sie vom Tode übereilt, eben zu der Zeit, da das Fräulein mit dem fünfzehnten Jahre ihres Lebens im Blütenmond der weiblichen Schönheitsepoche eintrat.
Die gute Mutter sträubte sich anfangs mit einigem Unwillen gegen die ungelegene Trennung von der schönen Richilde, in der sie noch einmal aufzuleben gedachte; doch als sie vermerkte, dass ihr Stündlein vorhanden sei, unterwarf sie sich standhaft dem Gesetz des alten Bundes und schickte sich zur Heimfahrt. Sie rief ihre Tochter beiseite, hieß ihr die milden Zährlein trocknen und redete zum Valet also: „Ich verlasse Euch, geliebte Richilde, zu einer Zeit, wo Euch der mütterliche Beistand am nötigsten tut; aber kümmert Euch nicht, der Verlust einer guten Mutter soll Euch durch einen treuen Freund und Ratgeber ersetzt werden, der, wenn Ihr weise und klug seid. Eure Schritte leiten wird, dass Ihr nie irre gehet. Dort in der Schublade, die meine Juwelen aufbewahrt, befindet sich ein natürlich Geheimnis, welches Ihr nach meinem Ableben in Empfang nehmen sollt. Ein hocherfahrner Philosophus, genannt Albertus Magnus, der an der Freude über Eure Geburt großen Anteil nahm, hat solches unter einer gewissen Konstellation verfertiget und mir anvertraut. Euch den Gebrauch desselben zu lehren. Dieses Kunstwerk ist ein metallischer Spiegel, in einen Rahmen von gediegenem Golde gefasst. Er hat für die, welche hineinschauen, alle Eigenschaften eines gemeinen Spiegels, die Gestalten getreu zurückzugeben, die er empfängt. Aber für Euch ist ihm außer diesem Gebrauch noch die Gabe verliehen, alles, warum Ihr ihn befragt, in deutlichen, redenden Bildern darzustellen, sobald Ihr den Spruch aussprecht, welchen Euch dieses Gedankentäflein, dass Ihr hier empfangt, nachweisen wird. Hütet Euch, ihn nie aus Vorwitz und Neugier zu konsultieren oder ihm unbesonnen das zukünftige Schicksal Eures Lebens abzufragen. Betrachtet diesen wunderbaren Spiegel als einen achtungswerten Freund, den man mit nichtswürdigen Fragen zu ermüden sich scheuet; an dem man aber in den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens immer einen treuen Ratgeber findet. Darum seid weise und vorsichtig beim Gebrauch und wandelt auf den Wegen der Tugend, damit der blanke Spiegel nicht, durch den vergifteten Hauch des Lasters angeweht, vor Eurem Angesicht erblinde.“
Nachdem die sterbende Mutter diesen Schwanengesang vollendet hatte, umfasste sie die jammernde Richilde, empfing den heiligen Chrisam, kämpfte flugs ihren Todeskampf und verschied.
Das Fräulein empfand tief in ihrem Herzen den Verlust der zärtlichen Mutter, hüllte sich in Trauerkleider und verweinte eins der schönsten Lebensjahre zwischen den Mauren der klösterlichen Klausur in Gesellschaft der ehrwürdigen Domina und der frommen Klosterschwestern, ohne einmal den zeitlichen Nachlass ihrer Mutter nachzusehen oder in den geheimnisvollen Spiegel zu schauen. Die Zeit milderte nach und nach diese kindlichen Schmerzensgefühle, der Tränenquell versiegte, und wie das Herz des Fräuleins durch Leidensergießung keine Beschäftigung mehr fand, fühlte sie in der einsamen Zelle das Ungemächliche der Langenweile. Sie besuchte oft das Sprachgemach, fand unvermerkt Geschmack, mit den Tanten und Vettern der Nonnen zu kosen, und die letztern waren so eifrig, den frommen Cousinen aufzuwarten, dass sie sich scharenweise ans Gitter drängten, wenn die schöne Richilde im Sprachzimmer war. Es fanden sich viel stattliche Ritter ein, die der ungeschleierten Kostgängerin viel Schönes sagten, und in diesen Schmeicheleien lag das erste Samenkorn der Eitelkeit, welches hier auf kein unfruchtbar Land fiel, sondern bald Wurzel schlug und aufkeimte. Fräulein Richilde bedachte, dass es draußen im Freien besser sei als in dem Käfig hinter dem eisernen Gitter, sie verließ das Kloster, richtete ihre Hofstatt zu, nahm wohlstandshalber eine Aja zur Ehrenhüterin an und trat mit Glanz in die große Welt ein. Der Ruf ihrer Schönheit und Sittsamkeit breitete sich aus gegen die vier Winde des Himmels. Viel Prinzen und Grafen kamen von fernen Landen, ihr den Hof zu machen. Der Tagus, die Seine, der Po, die Themse, und der Vater Rhein schickten ihre Heldensöhne nach Brabant, der schönen Richilde zu huldigen. Ihr Palast schien ein Feenschloss zu sein; die Fremden genossen da der besten Aufnahme und unterließen nicht, die Höflichkeiten der reizenden Besitzerin mit den feinsten Schmeicheleien zu erwidern. Es verging kein Tag, wo nicht die Hofstechbahn mit einigen wohlgerüsteten Rittern besetzt war, die durch ihre Wappenkönige auf den Märkten und an den Eckhäusern der Stadt die Herausforderung verkünden ließen: wer die Gräfin von Brabant nicht für die schönste Dame ihrer Zeitgenossenschaft erkenne oder das Gegenteil zu behaupten sich erdreiste, solle sich in den Schranken des Turnierplatzes einfinden und mit den Waffen seine Behauptung gegen die Paladins der schönen Richilde erhärten. Gemeiniglich meldete sich niemand oder, wenn man ja an einem Hoffeste gern stechen wollte und einige Ritter sich bereden ließen, die Ausforderung anzunehmen und der Dame ihres Herzens den Preis der Schönheit zuzueignen, so geschah das nur zum Schein; die Delikatesse der Ritter erlaubte ihnen nie, den Champion der Gräfin aus dem Sattel zu heben; sie brachen ihre Lanzen, erkannten sich überwunden und gestanden der jungen Gräfin den Preis der Schönheit zu, welches Opfer sie mit jungfräulicher Sittsamkeit anzunehmen pflegte.
Bisher war es ihr noch nicht eingefallen, den magischen Spiegel zu konsultieren, sie brauchte ihn nur als einen gemeinen Spiegel, um ihren Kopfputz dadurch zu prüfen, ob die Jungfrauen sie zu ihrem Vorteil aufgesetzt hätten. Keine Frage hatte sie sich noch nicht erlaubt, entweder weil ihr zurzeit noch kein kritischer Umstand vorgekommen war, der eines Ratgebers bedurft hätte, oder weil sie zu scheu war und befürchtete, ihre Frage könnte vorwitzig und unbesonnen sein, und der blanke Spiegel dürfe darüber erblinden. Unterdessen machte die Stimme der Schmeichelei ihre Eitelkeit immer mehr rege und erzeugte in ihrem Herzen den Wunsch, das in der Tat zu sein, was das Gerüchte ihr tagtäglich laut in die Ohren gellte; denn sie besaß die so seltne Penetration der Großen, in die Sprache ihrer Höflinge ein gerechtes Misstrauen zu setzen. Einem aufblühenden Mädchen, wes Standes und Würden sie sei, ist die Frage über ihre Wohl- oder Missgestalt ein so wichtiges Problem, als einem orthodoxen Kirchenlehrer die Frage über die vier letzten Dinge. Daher war eben nicht zu verwundern, dass die schöne Richilde Lehr und Unterricht begehrte über eine Materie, die ihrer Wissbegierde so interessant war; und von wem konnte sie hierüber sichrere und ungezweifeltere Auskunft erwarten, als von ihrem unbestechlichen Freunde, dem Spiegel? Nach einiger Überlegung fand sie die Anfrage so gerecht und billig, dass sie kein Bedenken trug, solche an die Behörde gelangen zu lassen. Sie verschloss sich eines Tages in ihr Gemach, trat vor den magischen Spiegel und hob ihren Spruch an:
Spiegel blink,
Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig mir an die schönste Dirn
in Brabant.
Behänd zog sie den seidenen Vorhang auf, blickte hinein und sah darinnen mit großer Zufriedenheit ihre eigne Gestalt, welche ihr der Spiegel unbefragt schon gar oft gezeigt hatte. Darüber war sie hocherfreut in ihrer Seele, ihre Wangen färbten sich höher, und die Augen funkelten vor Vergnügen, aber ihr Herz wurde stolz und hoffärtig wie das Herz der Königin Vasthi. Die Lobsprüche über ihre Wohlgestalt, die sie vorher mit Bescheidenheit und sanftem Erröten angenommen hatte, begehrte sie nun als einen rechtmäßigen Tribut. Auf alle Jungfrauen des Landes sah sie mit Stolz und Verachtung herab, und wenn von ausländischen Fürstentöchtern die Rede war und irgendeine ihrer Schönheit wegen gepriesen wurde, fuhrs ihr durchs Herz, sie verzog den Mund und bekam Vapeurs. Die Höflinge, die bald die Schwachheit ihrer Gebieterin wahrnahmen, schmeichelten und heuchelten ihr aufs unverschämteste und medisierten über die ganze weibliche Welt, dass sie außer ihrer Herrschaft keiner Dame für einen Deut Ehre ließen, wenn sie im Rufe der Schönheit war. Selbst die berühmten Schönheiten der Vorwelt, die doch seit vielen hundert Jahren verblüht waren, wurden nicht verschont, und sie mussten sich auf das schärfste kritisieren lassen.
Die schöne Judith war zu plump und vierschrötig, wenigstens nach dem Malerkostüm, das ihr von undenklichen Zeiten her die robuste Gestalt eines Schlächterweibes attribuiert, wenn sie den krausbärtigen Kapitän Holofernes entgurgelt; die schöne Esther war ihnen zu rachsüchtig, weil sie die zehn hübschen Jungen des Exminister Hamans, die doch nichts verschuldet hatten, henken ließ; von der schönen Helena hieß es, sie sei ein artiger Rotkopf gewesen und habe aller Vermutung nach Sommersprossen gehabt; an der Königin Kleopatra wurde der kleine Mund gelobt, aber die wulstig aufgeworfenen Lippen und die hoch stehenden ägyptischen Ohren, die Professor Blumbach noch vor kurzem an den Mumien bemerkt haben will, getadelt; die Königin Thalestris musste bei aller Gelegenheit wegen der nach amazonischer Gewohnheit zerstörten rechten Brust herhalten, und ihre schiefe Taille, welche sich bei diesem wesentlichen Schönheitsmangel nicht verhehlen ließ, wollte kein Höfling goutieren, weil der künstliche Panzer der ausgepolsterten Schnürbrüste, die so manchen weiblichen Mangel bedecken, damals noch nicht erfunden war.
Die schöne Richilde galt an ihrem Hofe für das einige und höchste Ideal der weiblichen Schönheit, und weil sie laut Zeugnis des magischen Spiegels in der Tat die schönste Dame in Brabant war und überdem großen Reichtum besaß nebst vielen Städten und Schlössern, so gebrach es ihr nicht an illüstern Ehewerbern; sie zählte deren mehr als weiland Dame Penelope und wusste sie so fein und trüglich mit süßer Hoffnung hinzuhalten, als nachher die Königin Elisabeth. Alle Wünsche, die sich die Töchter Teuts in unseren Tagen zu erträumen pflegen, bewundert, fetiert, angebetet zu sein, in der Reihe ihrer Gespielen hervorzustechen und über alle andre wegzuglänzen, wie der liebliche Mond unter den kleinen Sternen, einen Nimbus von Bewunderern und Anbetern um sich zu haben, die bereit sind, für ihre Dame nach alter Sitte auf der Stechbahn das Leben aufzuopfern und auf ihr Geheiß auf Abenteuer auszuziehen und Riesen und Zwerge für sie einzuhaschen, oder nach heutigem Brauch zu weinen, zu girren, zu winseln, trübsinnig in den Mond zu schauen, zu rasen, vor Liebeswut Gift zu fressen, sich den Hals abzustürzen, ins Wasser zu rennen, sich aufzuhängen, die Gurgel abzuschneiden, oder ehrsamer eine Kugel sich durchs Hirn zu jagen: alle diese Träume schwindelnder Mädchen wurden bei der Gräfin Richilde realisiert. Ihre Reize hatten schon manchem jungen Rittersmann das Leben gekostet, und bei manchem unglücklichen Prinzen hing das Hochgefühl geheimer Liebesqual nur noch zwischen Haut und Knochen. Die grausame Schöne weidete sich insgeheim an den Opfern, die sie ihrer Eitelkeit täglich schlachtete, und die Martern dieser Unglücklichen ergötzten sie mehr als die sanften Gefühle der beglückenden Liebe. Ihr Herz hatte bisher nur leichte Eindrücke einer überhingehenden Leidenschaft empfunden; sie wusste eigentlich selbst nicht, wem es angehörte, es stund jedem seufzenden Dämon offen, aber nach der Regel des Gastrechts gemeiniglich nicht länger als drei Tage. Wenn ein neuer Ankömmling davon Besitz nahm, so wurde der zeitige Inhaber kaltsinnig dimittieret. Der Graf von Artois, der von Flandern, von Brabant, von Hennegau, der von Namur, von Geldern, von Gröningen, kurz alle siebenzehn niederländische Grafen, mit Ausnahme einiger, die bereits vermählt oder schon Greise waren, buhlten um das Herz der schönen Richilde und begehrten sie zur Gemahlin.
Die weise Aja fand, dass es mit der Koketterie ihrer jungen Herrschaft nicht lange Bestand haben könne; ihr guter Ruf schien sich zu mindern, und es war zu befürchten, dass die plantierten Freier ihre Schmach an der schönen Spröden rächen möchten. Sie tat ihr deshalb wohlmeinenden Vorhalt und nötigte ihr das Versprechen ab, binnen drei Tagen sich einen Gemahl zu wählen. Über diesen Entschluss, der öffentlich bei Hofe bekannt gemacht wurde, erfreuten sich alle Brautwerber höchlich, jeder Kompetent hoffte, das Los der Liebe werde ihn treffen. Sie vereinigten sich, die Wahl, sie begünstige, wen sie wolle, gutzuheißen und mit gesamter Hand solche aufrecht zu erhalten. Die strenge Aja hätte mit ihrer wohlgemeinten Zudringlichkeit indessen nichts weiter gefruchtet, als der schönen Richilde drei schlaflose Nächte zu machen, ohne dass das Fräulein, da der dritte Morgen herandämmerte, mit ihrer Wahl weitergekommen war als in der ersten Stunde. Sie hatte binnen der dreitägigen Frist unzählige Mal ihre Freierliste durchgemustert, geprüft, verglichen, gesondert, gewählt, verworfen, von neuem gewählt, von neuem verworfen und zehnmal gewählt und zehnmal verworfen; und durch alles Dichten und Denken war nichts erhalten als ein bleicher Teint und ein Paar matte, getrübte Augen.
In Herzensangelegenheiten ist der Verstand immer ein armseliger Schwätzer, der mit seinem kalten Räsonnement das Herz so wenig erwärmt, als ein ungeheizter Kamin ein Gemach. Des Fräuleins Herz nahm keinen Teil an den Beratschlagungen und verweigerte seinen Assent zu allen Motionen des Sprechers im Oberhause des Kopfes, darum konnte auch keine Wahl zu Recht bestehen. Mit großer Aufmerksamkeit wog sie Geburt, Verdienst, Reichtum und Ehre ihrer Eheprätendenten; aber keine dieser rühmlichen Eigenschaften interessierten sie, und ihr Herz schwieg. Sobald sie indessen die Wohlgestalt der Freier mit in Anschlag brachte, gab’s darin einen sanften Anklang. Die menschliche Natur hat sich seit dem halben Jahrtausend, welches von dem Zeitalter der schönen Richilde bis auf uns verflossen ist, nicht um ein Haarbreit geändert. Gebt einem Mädchen aus dem achtzehnten oder aus dem dreizehnten Jahrhundert einen weisen, verständigen, tugendhaften Mann, mit einem Worte einen Sokrates zum Ehewerber, und stellt neben ihn einen schönen Mann, einen Adonis, Ganymed oder Endymion und lasst ihr die Wahl, ihr könnt hundert gegen eins wetten, dass sie an dem ersten kaltsinnig vorbeigehet und einen von den letzten wählt. Gerade so die schöne Richilde! Unter ihren Ehewerbern fanden sich verschiedene wohlgestaltete Männer; es kam darauf an, den schönsten daraus zu wählen. Die Zeit war über diesen Konsultationen verlaufen, der Hof versammelte sich in Gala, die Grafen und edlen Ritter kamen schon im vollen Ornat angeschritten, die Entscheidung ihres Schicksals mit Herzpochen erwartend. Das Fräulein befand sich in keiner geringen Verlegenheit; ihr Herz weigerte sich, ungeachtet der Zudringlichkeiten des Verstandes, zu entscheiden. Ein Weg musste gleichwohl ins Holz gehen. Sie sprang hastig von ihrem Sofa auf, trat vor den Spiegel, solchen also ratfragend:
Spiegel blink,
Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig mir an den schönsten Mann
in Brabant
Es war also hier nicht die Frage von dem besten, das ist von dem tugendhaftesten, dem treuesten und zärtlichsten Manne, sondern von dem schönsten. Der Spiegel antwortete, wie er gefragt worden war; als sich der seidne Vorhang hob, präsentierte sich gar anschaulich auf der wassergleichen Oberfläche ein stattlicher Ritter in vollem Harnisch, doch ungehelmt, schön wie der jugendliche Adonis, da er der holden Cythere das Herz stahl. Sein Haar wallte in geflammten, kastanienfarbnen Locken die Scheitel herab, die schmalen und dichten Augenbrauen ahmten die Gestalt des Regenbogens nach, aus seinem Feuerauge blitzte Kühnheit und Heldenmut, die männlich braune, mit Rot fingierte Wange glühte von Wärme und Gesundheit; die sanft sich erhebende Oberlippe des Purpurmundes schien einem gefühlvollen Kuss entgegen zu streben, und die volle Wade strotzte von Rüstigkeit und Manneskraft. Sobald das Fräulein den herrlichen Ritter erblickte, wachten auf einmal in ihrer Seele die annoch schlafenden Gefühle der Liebe auf, sie trank aus seinen Augen Wonne und Entzücken und tat das feierliche Gelübde, keinem andern Mann als diesem ihre Hand zu geben. Nur nahm sie groß Wunder, dass die Gestalt des schönen Ritters ihr ganz unbekannt und fremde war; sie hatte ihn nie an ihrem Hofe gesehen, obgleich nicht leicht ein junger Kavalier in Brabant sein mochte, der solchen nicht besucht hatte. Sie beschaute deshalb die Merkzeichen seiner Rüstung und die Livrei derselben genau, stund eine Stunde lang vor dem Spiegel und verwendete kein Auge von der interessanten Gesichtsform, welche sie darin erblickte, jeder Zug, die ganze Attitüde und die kleinste Eigenheit, die sie wahrnahm, ging in ihre Seele über. Unterdessen wurde es laut im Vorgemache, die Aja und das Frauenzimmer harrten, dass ihre Herrschart hervortreten sollte; das Fräulein ließ endlich mit Unwillen den Vorhang fallen, öffnete die Tür und, wie sie die Aja erblickte, umarmte sie die ehrwürdige Dame und sprach mit liebreicher Gebärde: „Ich hab ihn gefunden, den Mann meines Herzens, freuet euch mit mir, ihr Lieben: der schönste Mann in Brabant ist mein! Der heilige Bischof Medardus, mein Schutzpatron, ist mir diese Nacht im Traum erschienen, hat diesen Gemahl, vom Himmel auserkoren, mir zugeführt und im Beisein der heiligen Jungfrau und vieler himmlischen Zeugen mir angetraut.“ Diese fromme Lüge erfand die schlaue Richilde aus dem Stegreif, denn das Geheimnis des magischen Spiegels wollte sie nicht offenbaren, und außer ihr war’s keinem Sterblichen kund. Die Hofmeisterin, hocherfreut über den Entschluss ihrer jungen Herrschaft, fragte mit Begier, wer der glückliche Prinz sei, vom Himmel erkoren, die schöne Braut heimzuführen. Alle edlen Frauen des Hofes spitzten das Ohr und rieten in Gedanken gar scharfsinnig bald auf den, bald auf jenen wackern Ritter, meinten all, sie hätten’s getroffen und raunten eine der anderen den Namen des vermeinten Ehekandidaten etwas vorlaut ins Ohr. Aber die schöne Richilde, nachdem sie ihre Lebensgeister etwas gesammelt hatte, tat ihren Mund auf und sprach: „Meinen Sponsen namentlich euch anzuzeigen oder zu sagen, wo er hause, steht nicht in meiner Macht; er ist nicht unter den Fürsten und Edlen meines Hofes, hab ihn auch nie mit Augen gesehen, aber seine Gestalt schwebt meiner Seele vor, und wenn er kommt, mich heimzuführen, werd ich ihn nicht verkennen.“