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Es war einmal ein König, der hatte drei schöne Töchter und einen Sohn. Da er nun fühlte, daß er sterben mußte, rief er seinen Sohn und sprach: »Mein Sohn, ich muß nun sterben und du wirst König sein. Ich empfehle dir deine drei Schwestern, sorge für sie und höre was ich dir zu sagen habe. Auf der Terrasse steht ein Nelkenstrauch, der wird drei Knospen treiben. Wenn die erste Knospe sich öffnet, so gib wohl Acht; den ersten Mann der vorbeigeht, mußt du deiner ältesten Schwester zum Mann geben. Eben so mußt du es bei der zweiten und dritten Knospe thun, um deine jüngeren Schwestern auch zu verheirathen.« Der Vater starb und sein Sohn wurde König.
Jeden Morgen ging er auf die Terrasse und betrachtete den Nelkenstrauch. Nicht lange, so trieb der Strauch drei Knospen, die wurden immer größer, und eines schönen Morgens war die erste Knospe zu einer schönen Nelke erblüht. Da pflückte der junge König die Nelke ab und beugte sich über die Terrasse. In demselben Augenblick ging ein schöner, vornehmer Mann vorbei, dem rief er zu: »Mein Herr, nehmet diese Nelke von mir an und erweiset mir die Ehre in mein Schloß heraufzusteigen.« Als nun der junge Mann ins Schloß kam, frug er ihn, wer er sei. »Ich bin der König der Raben,« antwortete der Fremde. Da trug ihm der junge König seine älteste Schwerer zur Gemahlin an und der König der Raben war es zufrieden, und es ward eine schöne Hochzeit gefeiert. Dann nahm der König der Raben seine junge Gemahlin, wanderte mit ihr fort und der König hörte Nichts mehr von seiner Schwester.
Nach einigen Tagen öffnete sich auch die zweite Nelke, und der König pflückte sie und beugte sich über die Terrasse. Eben ging ein junger, schöner Mann vorbei, dem reichte er die Nelke und bat ihn auch in das Schloß zu kommen. Da er ihn nun frug, wer er sei, antwortete der junge Mann: »Ich bin der König der wilden Thiere.« Da gab der König ihm die zweite Schwester zur Frau und nach der Hochzeit gingen der König der wilden Thiere und seine Gemahlin fort.
Nun war der König allein mit seiner jüngsten Schwester und wurde sehr traurig, wenn er die Knospe ansah, die nun bald aufblühen sollte, denn er hatte seine Schwester sehr lieb und trennte sich ungern von ihr. Aber er konnte doch nicht gegen den letzten Willen seines Vaters handeln, und als er eines Morgens eine schöne, blühende Nelke am Strauch fand, so pflückte er sie, bot sie einem schönen, vornehmen Mann, der eben vorbeiging, und bat ihn, in sein Schloß zu kommen. Als er ihn frug, wer er sei, antwortete der Fremde: »Ich bin der König der Vögel.« Da gab ihm der König seine jüngste Schwester zur Frau und nach der Hochzeit mußte auch sie mit ihrem Mann fortziehen.
Als nun der König ganz allein geblieben war, ward er ganz traurig und dachte nur immer an seine Schwestern. Eines Tages begab es sich aber, daß er traurig auf dem Felde herumirrte. Da begegnete ihm ein altes Mütterchen, das frug ihn, warum er denn so traurig sei. »Ach, laß mich in Ruhe, Alte,« antwortete er, »ist es nicht genug, daß ich so tief betrübt bin, muß ich dir noch den Grund erzählen?« Die Alte aber verfolgte ihn mit ihren Bitten und Fragen, bis er endlich ganz erzürnt sie unsanft von sich stieß, daß sie zu Boden fiel. Da gerieth das alte Mütterchen in einen großen Zorn und rief: »So mögest du denn wandern, ohne Ruh und ohne Rast, bis du Cardia1, meine Seele, hilf mir, gefunden hast.« Da wurde der König noch trauriger als er bis dahin gewesen war, und eine große Sehnsucht erwachte in ihm, diese Cardia zu finden, und endlich konnte er es nicht mehr aushalten und begab sich auf die Wanderschaft, um Cardia zu suchen.
Da wanderte er viele, viele Tage lang, immer gerade aus, aber Niemand konnte ihm sagen, wo Cardia zu finden sei. Endlich kam er in einen finstern Wald, und als er ein wenig darin herumgeirrt war, sah er von ferne ein hübsches Haus stehen. Am Fenster aber stand eine Frau und als er näher kam, sah er, daß es seine älteste Schwester war. Sie erkannte ihn auch und lief eilends zu ihm herunter und umarmte ihn voll Freuden. »Mein lieber Bruder,« sprach sie, »wie kommst du in diese Wildniß? Ach, wenn nur mein Mann dich nicht sieht!« »Würde denn dein Mann mir etwas zu Leide thun?« frug der König. »Ach,« antwortete sie, »wenn er nach Hause kommt, will er jeden Unbekannten, der ihm in den Weg kommt, zerreißen, wenn er sich aber beruhigt hat, so ist er gut und freundlich gegen Alle!« Da versteckte die Schwester ihren Bruder im Keller, und als ihr Mann nach Hause kam, sprach er: »Es ist mir, als ob dein Bruder hier wäre; wenn er sich hier sehen läßt, so werde ich ihn zerreißen.« Da redete sie es ihm aus, und als er sich beruhigt hatte, sprach sie: »Was würdest du nun meinem Bruder thun, wenn du ihn sähest?« »Ich würde ihn umarmen und herzlich willkommen heißen.« Da rief sie ganz erfreut ihren Bruder und der König der Raben umarmte ihn und frug, warum er so allein umherirre. Da erzählte ihm der König, wie er ausgezogen sei, die Cardia zu suchen, und der König der Raben schenkte ihm eine Mandel und sprach: »Verwahr sie wohl, sie wird dir nützen.«
Da wanderte er weiter und nach einigen Tagen kam er wieder an ein hübsches Haus, darin wohnte seine zweite Schwester, die freute sich sehr ihn zu sehen. Sie bat ihn aber, sich zu verstecken, »denn wenn mein Mann dich hier fände, würde er dich zerreißen. Wenn er aber sich beruhigt hat, so will ich dich rufen.« Da versteckte sie ihn im Keller, und als ihr Mann kam und frug, ob ihr Bruder nicht dagewesen sei, redete sie es ihm aus. Als er sich aber besänftigt hatte, rief sie ihren Bruder herauf und der König der wilden Thiere umarmte ihn und hieß ihn herzlich willkommen. Da er nun hörte, daß der junge König ausgezogen sei, die schöne Cardia zu suchen, schenkte er ihm eine Kastanie und sprach: »Verwahre sie wohl, sie wird dir nützen.«
Da wanderte der König wieder mehrere Tage und endlich kam er an ein Haus, darin wohnte seine jüngste Schwester, die umarmte ihn mit großer Freude. Es ging ihm aber nicht besser, als bei den andern Schwestern; er mußte sich verstecken, um den Zorn des Königs der Vögel nicht zu reizen. Als sich aber ihr Mann beruhigt hatte, rief die Schwester ihren Bruder und der König der Vögel empfing ihn mit großer Freude. Da er nun hörte, warum der König sein Reich verlassen habe, schenkte er ihm eine Nuß und sprach: »Verwahre sie wohl, sie wird dir nützen. Du bist nun nicht mehr weit von Cardia entfernt; wenn du immer weiter in den Wald hineingehst, so wirst du endlich an das Haus der Hexe kommen, bei der Cardia wohnt. Es sind aber noch viele andere junge Mädchen da, und wer die schöne Cardia will, muß sie unter Allen herausfinden. Sie sind zwar Alle verschleiert, aber sei nur getrost, Cardia hat sieben Schleier, die Andern haben Jede nur zwei. Da du das weißt, kannst du nicht irren.«
Da wanderte der König wieder fort, immer tiefer hinein in den Wald bis er endlich in das Haus der Hexe kam, wo Cardia wohnte. Da trat er keck vor die alte Hexe und sprach: »Ich bin gekommen, die schöne Cardia zu erlangen und als meine Frau mitzunehmen.« »Schön,« sprach die alte Hexe, »wer aber die schöne Cardia erlangen will, muß sie auch verdienen und drei Aufgaben erfüllen.« Da antwortete der König: »Saget mir was ich zu thun habe, so will ich es ausführen.« Da führte ihn die alte Hexe am Abend in einen großen Keller, der war bis oben angefüllt mit Bohnen. »Diese Bohnen müssen bis morgen früh verschwunden sein,« sprach sie, »ob du sie issest, oder was du sonst damit anfängst, ist mir ganz gleichgültig; wenn ich aber eine einzige Bohne erblicke, so fresse ich dich.« Damit sperrte sie den jungen König ein und er blieb rathlos vor dem großen Bohnenvorrath stehen. Wie er noch so stand und dachte: »es bleibt dir nun Nichts übrig, als dich auf den Tod vorzubereiten,« fiel ihm auf einmal die Mandel ein, die der König der Raben ihm gegeben hatte. Da zerbiß er sie und in demselben Augenblick stand der König der Raben vor ihm und frug ihn, was er wünsche. Da klagte er ihm seine Noth, der König der Raben aber that einen Pfiff und sogleich flog ein großer Schwarm Raben im Keller herum, die frugen: »Was befiehlt unser Gebieter?« »Freßt mir geschwind alle die Bohnen auf und laßt auch nicht eine Einzige liegen.« Da fielen die Raben über die Bohnen her und im Nu war der Keller leer und auch nicht eine Bohne übrig geblieben; die Raben aber und ihr König verschwanden eben so schnell, als sie gekommen waren.
Als nun am Morgen die Hexe die Thüre öffnete und sich schon auf den guten Braten freute, stand der König da in dem ganz leeren Keller und die Aufgabe war gelöst. »Wer hat dir denn geholfen?« frug die Hexe. »Wer sollte mir geholfen haben?« antwortete er. »Ihr habt ja selbst die Thüre geschlossen. Ich habe die Bohnen eben gegessen.« Am Abend führte ihn die Hexe in einen andern Keller, der war voller Leichen. »Dies ist die zweite Aufgabe,« sprach sie. »Siehst du, alle diese Leichen sind von den Prinzen und Königssöhnen, die versucht haben, die schöne Cardia zu gewinnen. Bis morgen früh müssen sie Alle weggeräumt sein, und wenn ich nur ein Knöchelchen oder ein Härchen finde, so werde ich dich fressen.« Da schloß sie die Thüre fest zu und der junge König stand wieder rathlos da. Da zerbiß er auch die Kastanie und sogleich erschien der König der wilden Thiere und frug ihn, was er wünsche. Als er ihm nun sein Leid geklagt hatte, that der König der wilden Thiere einen Pfiff und sogleich wimmelte es von wilden Thieren des Waldes, die sprachen: »Was befiehlt unser Gebieter?« »Räumt mir alle diese Leichen aus dem Weg, ohne irgend etwas davon übrig zu lassen.« Da stürzten sich die wilden Thiere auf die Leichen und verzehrten sie, und im Nu war Nichts mehr davon zu sehen. Die wilden Thiere aber und ihr König verschwanden wie sie gekommen waren.
Am Morgen öffnete die Hexe die Thür und war nicht wenig erstaunt, auch die zweite Aufgabe richtig gelöst zu finden. »Nun kommt aber noch das Schwerste,« sprach sie, »und wenn du die dritte Aufgabe nicht lösen kannst, so hilft dir Alles Andere nicht.« Da führte sie ihn in ein großes Gemach, in dem lagen nun eine Menge leere Matratzen am Boden. »Bis morgen früh mußt du alle diese Matratzen mit den feinsten, weichsten Federn füllen, sonst fresse ich dich.« Als sie nun die Thüre geschlossen hatte, griff der König schnell zu seiner Nuß und knackte sie auf. Sogleich erschien der König der Vögel und als er gehört hatte, was sein Schwager wünschte, that er einen Pfiff und es flogen große Schwärme von Vögeln ins Zimmer hinein, die frugen: »Was befiehlt unser Gebieter?« »Schüttelt euren Flaum ab und lasset ihn in diese leeren Matratzen fallen.« Da schüttelten sie sich, daß der Flaum nur so herumflog und alle die Matratzen gefüllt wurden. Dann verschwanden sie und ihr König mit ihnen.
Als nun am Morgen die Hexe die Thür öffnete, lagen alle die Federbetten schön gefüllt, eins neben dem andern, und so war auch die dritte Aufgabe richtig gelöst: »Nun mußt du aber noch die schöne Cardia unter all ihren Gefährtinnen herausfinden, sonst hilft dir Alles Andere nicht,« sprach die Hexe und führte den König in einen großen Saal, darin standen eine Menge Betten und auf jedem Bett lag ein tief verschleiertes Mädchen. Da berührte der König leise mehrere Mädchen, um die Schleier zu zählen, und jedesmal machte die alte Hexe ein ganz vergnügtes Gesicht, weil sie hoffte, sie könne ihn nun doch noch fressen. Er aber sagte kein Wort, bis er endlich an ein Mädchen kam, das war mit sieben Schleiern bedeckt. Da riß er ihm die sieben Schleier ab und rief: »Diese ist meine Cardia, und sie soll meine Gemahlin sein.«
Die alte Hexe aber konnte nicht Anders, als es zugeben, denn er hatte die Richtige getroffen. Sie dachte aber doch noch, wie sie sie verderben könnte und sprach: »Wohl, meine Kinder, ihr sollt euch heute noch heirathen; wenn ihr mir aber morgen nicht ein kleines Enkelchen vorzeigt, das ‚Großmama‘ zu mir spricht, so werde ich euch noch Beide fressen.« Da wurde die Hochzeit gefeiert und die andern jungen Mädchen dienten der schönen Cardia. Als aber die Hexe das junge Paar in das Brautgemach geführt hatte, bereiteten die jungen Mädchen eine kleine Puppe, die nahm Cardia mit ins Bett.
Am Morgen kam die Hexe schon bei Tagesanbruch und rief: »Nun, ist mein kleines Enkelchen da?« Da antwortete Cardia mit verstellter Stimme: »Großmama, Großmama«, und hielt der Hexe die Puppe hin. Als aber die Hexe sich über das Bett beugte, um das Kind zu sehen, sprang der König hinzu und schnitt ihr mit seinem Schwerte den Kopf ab.
Nun war die Freude erst vollkommen; die jungen Mädchen dankten Alle dem König, der sie von der schlimmen Hexe befreit hatte und kehrten vergnügt in ihre Heimath zurück. Der junge König und Cardia zogen auch durch den Wald in ihr Reich zurück, und unterwegs fanden sie den König der Vögel, den König der wilden Thiere und den König der Raben, die dankten dem König, daß er sie auch erlöst habe. Denn nun brauchten sie nicht mehr in dem finstern Wald zu hausen, sondern zogen mit ihren Frauen an den Hof des Königs und der schönen Cardia und so lebten sie Alle glücklich und zufrieden.
Jeden Morgen ging er auf die Terrasse und betrachtete den Nelkenstrauch. Nicht lange, so trieb der Strauch drei Knospen, die wurden immer größer, und eines schönen Morgens war die erste Knospe zu einer schönen Nelke erblüht. Da pflückte der junge König die Nelke ab und beugte sich über die Terrasse. In demselben Augenblick ging ein schöner, vornehmer Mann vorbei, dem rief er zu: »Mein Herr, nehmet diese Nelke von mir an und erweiset mir die Ehre in mein Schloß heraufzusteigen.« Als nun der junge Mann ins Schloß kam, frug er ihn, wer er sei. »Ich bin der König der Raben,« antwortete der Fremde. Da trug ihm der junge König seine älteste Schwerer zur Gemahlin an und der König der Raben war es zufrieden, und es ward eine schöne Hochzeit gefeiert. Dann nahm der König der Raben seine junge Gemahlin, wanderte mit ihr fort und der König hörte Nichts mehr von seiner Schwester.
Nach einigen Tagen öffnete sich auch die zweite Nelke, und der König pflückte sie und beugte sich über die Terrasse. Eben ging ein junger, schöner Mann vorbei, dem reichte er die Nelke und bat ihn auch in das Schloß zu kommen. Da er ihn nun frug, wer er sei, antwortete der junge Mann: »Ich bin der König der wilden Thiere.« Da gab der König ihm die zweite Schwester zur Frau und nach der Hochzeit gingen der König der wilden Thiere und seine Gemahlin fort.
Nun war der König allein mit seiner jüngsten Schwester und wurde sehr traurig, wenn er die Knospe ansah, die nun bald aufblühen sollte, denn er hatte seine Schwester sehr lieb und trennte sich ungern von ihr. Aber er konnte doch nicht gegen den letzten Willen seines Vaters handeln, und als er eines Morgens eine schöne, blühende Nelke am Strauch fand, so pflückte er sie, bot sie einem schönen, vornehmen Mann, der eben vorbeiging, und bat ihn, in sein Schloß zu kommen. Als er ihn frug, wer er sei, antwortete der Fremde: »Ich bin der König der Vögel.« Da gab ihm der König seine jüngste Schwester zur Frau und nach der Hochzeit mußte auch sie mit ihrem Mann fortziehen.
Als nun der König ganz allein geblieben war, ward er ganz traurig und dachte nur immer an seine Schwestern. Eines Tages begab es sich aber, daß er traurig auf dem Felde herumirrte. Da begegnete ihm ein altes Mütterchen, das frug ihn, warum er denn so traurig sei. »Ach, laß mich in Ruhe, Alte,« antwortete er, »ist es nicht genug, daß ich so tief betrübt bin, muß ich dir noch den Grund erzählen?« Die Alte aber verfolgte ihn mit ihren Bitten und Fragen, bis er endlich ganz erzürnt sie unsanft von sich stieß, daß sie zu Boden fiel. Da gerieth das alte Mütterchen in einen großen Zorn und rief: »So mögest du denn wandern, ohne Ruh und ohne Rast, bis du Cardia1, meine Seele, hilf mir, gefunden hast.« Da wurde der König noch trauriger als er bis dahin gewesen war, und eine große Sehnsucht erwachte in ihm, diese Cardia zu finden, und endlich konnte er es nicht mehr aushalten und begab sich auf die Wanderschaft, um Cardia zu suchen.
Da wanderte er viele, viele Tage lang, immer gerade aus, aber Niemand konnte ihm sagen, wo Cardia zu finden sei. Endlich kam er in einen finstern Wald, und als er ein wenig darin herumgeirrt war, sah er von ferne ein hübsches Haus stehen. Am Fenster aber stand eine Frau und als er näher kam, sah er, daß es seine älteste Schwester war. Sie erkannte ihn auch und lief eilends zu ihm herunter und umarmte ihn voll Freuden. »Mein lieber Bruder,« sprach sie, »wie kommst du in diese Wildniß? Ach, wenn nur mein Mann dich nicht sieht!« »Würde denn dein Mann mir etwas zu Leide thun?« frug der König. »Ach,« antwortete sie, »wenn er nach Hause kommt, will er jeden Unbekannten, der ihm in den Weg kommt, zerreißen, wenn er sich aber beruhigt hat, so ist er gut und freundlich gegen Alle!« Da versteckte die Schwester ihren Bruder im Keller, und als ihr Mann nach Hause kam, sprach er: »Es ist mir, als ob dein Bruder hier wäre; wenn er sich hier sehen läßt, so werde ich ihn zerreißen.« Da redete sie es ihm aus, und als er sich beruhigt hatte, sprach sie: »Was würdest du nun meinem Bruder thun, wenn du ihn sähest?« »Ich würde ihn umarmen und herzlich willkommen heißen.« Da rief sie ganz erfreut ihren Bruder und der König der Raben umarmte ihn und frug, warum er so allein umherirre. Da erzählte ihm der König, wie er ausgezogen sei, die Cardia zu suchen, und der König der Raben schenkte ihm eine Mandel und sprach: »Verwahr sie wohl, sie wird dir nützen.«
Da wanderte er weiter und nach einigen Tagen kam er wieder an ein hübsches Haus, darin wohnte seine zweite Schwester, die freute sich sehr ihn zu sehen. Sie bat ihn aber, sich zu verstecken, »denn wenn mein Mann dich hier fände, würde er dich zerreißen. Wenn er aber sich beruhigt hat, so will ich dich rufen.« Da versteckte sie ihn im Keller, und als ihr Mann kam und frug, ob ihr Bruder nicht dagewesen sei, redete sie es ihm aus. Als er sich aber besänftigt hatte, rief sie ihren Bruder herauf und der König der wilden Thiere umarmte ihn und hieß ihn herzlich willkommen. Da er nun hörte, daß der junge König ausgezogen sei, die schöne Cardia zu suchen, schenkte er ihm eine Kastanie und sprach: »Verwahre sie wohl, sie wird dir nützen.«
Da wanderte der König wieder mehrere Tage und endlich kam er an ein Haus, darin wohnte seine jüngste Schwester, die umarmte ihn mit großer Freude. Es ging ihm aber nicht besser, als bei den andern Schwestern; er mußte sich verstecken, um den Zorn des Königs der Vögel nicht zu reizen. Als sich aber ihr Mann beruhigt hatte, rief die Schwester ihren Bruder und der König der Vögel empfing ihn mit großer Freude. Da er nun hörte, warum der König sein Reich verlassen habe, schenkte er ihm eine Nuß und sprach: »Verwahre sie wohl, sie wird dir nützen. Du bist nun nicht mehr weit von Cardia entfernt; wenn du immer weiter in den Wald hineingehst, so wirst du endlich an das Haus der Hexe kommen, bei der Cardia wohnt. Es sind aber noch viele andere junge Mädchen da, und wer die schöne Cardia will, muß sie unter Allen herausfinden. Sie sind zwar Alle verschleiert, aber sei nur getrost, Cardia hat sieben Schleier, die Andern haben Jede nur zwei. Da du das weißt, kannst du nicht irren.«
Da wanderte der König wieder fort, immer tiefer hinein in den Wald bis er endlich in das Haus der Hexe kam, wo Cardia wohnte. Da trat er keck vor die alte Hexe und sprach: »Ich bin gekommen, die schöne Cardia zu erlangen und als meine Frau mitzunehmen.« »Schön,« sprach die alte Hexe, »wer aber die schöne Cardia erlangen will, muß sie auch verdienen und drei Aufgaben erfüllen.« Da antwortete der König: »Saget mir was ich zu thun habe, so will ich es ausführen.« Da führte ihn die alte Hexe am Abend in einen großen Keller, der war bis oben angefüllt mit Bohnen. »Diese Bohnen müssen bis morgen früh verschwunden sein,« sprach sie, »ob du sie issest, oder was du sonst damit anfängst, ist mir ganz gleichgültig; wenn ich aber eine einzige Bohne erblicke, so fresse ich dich.« Damit sperrte sie den jungen König ein und er blieb rathlos vor dem großen Bohnenvorrath stehen. Wie er noch so stand und dachte: »es bleibt dir nun Nichts übrig, als dich auf den Tod vorzubereiten,« fiel ihm auf einmal die Mandel ein, die der König der Raben ihm gegeben hatte. Da zerbiß er sie und in demselben Augenblick stand der König der Raben vor ihm und frug ihn, was er wünsche. Da klagte er ihm seine Noth, der König der Raben aber that einen Pfiff und sogleich flog ein großer Schwarm Raben im Keller herum, die frugen: »Was befiehlt unser Gebieter?« »Freßt mir geschwind alle die Bohnen auf und laßt auch nicht eine Einzige liegen.« Da fielen die Raben über die Bohnen her und im Nu war der Keller leer und auch nicht eine Bohne übrig geblieben; die Raben aber und ihr König verschwanden eben so schnell, als sie gekommen waren.
Als nun am Morgen die Hexe die Thüre öffnete und sich schon auf den guten Braten freute, stand der König da in dem ganz leeren Keller und die Aufgabe war gelöst. »Wer hat dir denn geholfen?« frug die Hexe. »Wer sollte mir geholfen haben?« antwortete er. »Ihr habt ja selbst die Thüre geschlossen. Ich habe die Bohnen eben gegessen.« Am Abend führte ihn die Hexe in einen andern Keller, der war voller Leichen. »Dies ist die zweite Aufgabe,« sprach sie. »Siehst du, alle diese Leichen sind von den Prinzen und Königssöhnen, die versucht haben, die schöne Cardia zu gewinnen. Bis morgen früh müssen sie Alle weggeräumt sein, und wenn ich nur ein Knöchelchen oder ein Härchen finde, so werde ich dich fressen.« Da schloß sie die Thüre fest zu und der junge König stand wieder rathlos da. Da zerbiß er auch die Kastanie und sogleich erschien der König der wilden Thiere und frug ihn, was er wünsche. Als er ihm nun sein Leid geklagt hatte, that der König der wilden Thiere einen Pfiff und sogleich wimmelte es von wilden Thieren des Waldes, die sprachen: »Was befiehlt unser Gebieter?« »Räumt mir alle diese Leichen aus dem Weg, ohne irgend etwas davon übrig zu lassen.« Da stürzten sich die wilden Thiere auf die Leichen und verzehrten sie, und im Nu war Nichts mehr davon zu sehen. Die wilden Thiere aber und ihr König verschwanden wie sie gekommen waren.
Am Morgen öffnete die Hexe die Thür und war nicht wenig erstaunt, auch die zweite Aufgabe richtig gelöst zu finden. »Nun kommt aber noch das Schwerste,« sprach sie, »und wenn du die dritte Aufgabe nicht lösen kannst, so hilft dir Alles Andere nicht.« Da führte sie ihn in ein großes Gemach, in dem lagen nun eine Menge leere Matratzen am Boden. »Bis morgen früh mußt du alle diese Matratzen mit den feinsten, weichsten Federn füllen, sonst fresse ich dich.« Als sie nun die Thüre geschlossen hatte, griff der König schnell zu seiner Nuß und knackte sie auf. Sogleich erschien der König der Vögel und als er gehört hatte, was sein Schwager wünschte, that er einen Pfiff und es flogen große Schwärme von Vögeln ins Zimmer hinein, die frugen: »Was befiehlt unser Gebieter?« »Schüttelt euren Flaum ab und lasset ihn in diese leeren Matratzen fallen.« Da schüttelten sie sich, daß der Flaum nur so herumflog und alle die Matratzen gefüllt wurden. Dann verschwanden sie und ihr König mit ihnen.
Als nun am Morgen die Hexe die Thür öffnete, lagen alle die Federbetten schön gefüllt, eins neben dem andern, und so war auch die dritte Aufgabe richtig gelöst: »Nun mußt du aber noch die schöne Cardia unter all ihren Gefährtinnen herausfinden, sonst hilft dir Alles Andere nicht,« sprach die Hexe und führte den König in einen großen Saal, darin standen eine Menge Betten und auf jedem Bett lag ein tief verschleiertes Mädchen. Da berührte der König leise mehrere Mädchen, um die Schleier zu zählen, und jedesmal machte die alte Hexe ein ganz vergnügtes Gesicht, weil sie hoffte, sie könne ihn nun doch noch fressen. Er aber sagte kein Wort, bis er endlich an ein Mädchen kam, das war mit sieben Schleiern bedeckt. Da riß er ihm die sieben Schleier ab und rief: »Diese ist meine Cardia, und sie soll meine Gemahlin sein.«
Die alte Hexe aber konnte nicht Anders, als es zugeben, denn er hatte die Richtige getroffen. Sie dachte aber doch noch, wie sie sie verderben könnte und sprach: »Wohl, meine Kinder, ihr sollt euch heute noch heirathen; wenn ihr mir aber morgen nicht ein kleines Enkelchen vorzeigt, das ‚Großmama‘ zu mir spricht, so werde ich euch noch Beide fressen.« Da wurde die Hochzeit gefeiert und die andern jungen Mädchen dienten der schönen Cardia. Als aber die Hexe das junge Paar in das Brautgemach geführt hatte, bereiteten die jungen Mädchen eine kleine Puppe, die nahm Cardia mit ins Bett.
Am Morgen kam die Hexe schon bei Tagesanbruch und rief: »Nun, ist mein kleines Enkelchen da?« Da antwortete Cardia mit verstellter Stimme: »Großmama, Großmama«, und hielt der Hexe die Puppe hin. Als aber die Hexe sich über das Bett beugte, um das Kind zu sehen, sprang der König hinzu und schnitt ihr mit seinem Schwerte den Kopf ab.
Nun war die Freude erst vollkommen; die jungen Mädchen dankten Alle dem König, der sie von der schlimmen Hexe befreit hatte und kehrten vergnügt in ihre Heimath zurück. Der junge König und Cardia zogen auch durch den Wald in ihr Reich zurück, und unterwegs fanden sie den König der Vögel, den König der wilden Thiere und den König der Raben, die dankten dem König, daß er sie auch erlöst habe. Denn nun brauchten sie nicht mehr in dem finstern Wald zu hausen, sondern zogen mit ihren Frauen an den Hof des Königs und der schönen Cardia und so lebten sie Alle glücklich und zufrieden.
[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]