Vor vielen, vielen Jahren lebte einst ein blutarmer Schlucker namens Jena, der hatte weder Freunde noch Verwandte auf der weiten, weiten Welt und wanderte wie ein verlorenes Schaf unstet von einem Dorf zum anderen. Eines Tages, als er auf die Jagd gegangen war und vorher, um sich etwas zu erleichtern, sein kleines Bündlein an einen Baum gehängt hatte, hatte er das Glück, bei seiner Rückkehr eine nett gebaute Hütte zu finden, die plötzlich wie aus der Erde hervorgezaubert zu sein schien. Ein allerliebstes Fräulein saß in der Mitte, und dieses hatte auch für Jena einen weichen Sitz dicht an ihrer Seite zurechtgemacht, den er auch gleich einnahm.
Er fühlte sich nun recht glücklich; so glücklich wie noch nie in seinem Leben.
Doch es dauerte nicht lange, denn seine Frau, die eben den geschossenen Hirsch hereinbringen wollte, stürzte unversehens hin und brach sich dabei beide Beine. »Ach«, seufzte Jena, der sich nun doppelt elend und verlassen fühlte, »ich dachte, ein guter Manitu wollte mich diesmal endlich von meinem traurigen Mißgeschick erlösen; aber es geschah nur, um mich noch unglücklicher zu machen. Möge sich nun Quinquinschi am Fleisch meines Tieres laben.«
Er hängte sein Bündel wieder um und ging seines Weges weiter. Bald stellte sich der Hunger bei ihm ein, und er legte seine Bürde ab, um sich irgendein Wild zu schießen. Er schien glückliche Pfeile zu führen, denn es dauerte gar nicht lange, so hatte er wieder einen fetten Hirsch erlegt, und als er diesen zurückbrachte, fand er auch wieder eine niedliche Hütte, in der ihn ein freundliches Mädchen erwartete.
Jena setzte sich still ans Feuer, um sich zu wärmen, und seine Frau ging hinaus, das Wild zu holen. Da es ihm jedoch zu lange dauerte, bis diese wieder hereinkam, so schlich er leise an die Tür, um zu sehen, was sie eigentlich da draußen treibe. Er sah es auch, und es lief ihm dabei eiskalt über den Rücken; denn sie saß neben dem Hirsch, riß alles Fett von ihm herunter und verschlang es so gierig und massenhaft, als ob sie gar keinen Boden im Leib hätte.
Jena, der durch sein mannigfaches Schicksal an alle Wechselfälle des Lebens gewöhnt war, sah sich abermals um eine bittere Erfahrung reicher; er nahm ohne besonderes Geklage einfach sein Bündlein wieder auf den Rücken und marschierte rüstig weiter. Doch bald mußte er es wieder an einen Baum hängen, um bequemer dem Wild nachspüren zu können. Bei seiner Rückkehr stand wieder eine freundliche Hütte mit einer schönen Bewohnerin vor ihm. Das Mädchen lud ihn ein, zerlegte den Hirsch und hängte das Fleisch zum Räuchern auf, ohne daß irgend etwas Außergewöhnliches dabei passierte.
Ha, dachte Jena, jetzt hast du’s doch endlich einmal getroffen und erlebst auch einmal, wie man sich als glücklicher Ehemann fühlt. Es schien auch diesmal wirklich gutzugehen. Er ging tagtäglich fleißig auf die Jagd, seine Pfeile trafen glücklich, und seine Frau verstand ganz gründlich, das Fleisch recht delikat zuzubereiten. Das einzige, was ihm fremd vorkam, war, daß er sie nie essen sah und daß sie stets die feinsten Speisen unangerührt stehen ließ.
Nun hatte Jena eines Abends, als er von der Jagd zurückkehrte, außer einem großen Raubvogel einen dicken Stock von einer Usadi oder Weide mitgebracht und beides vor die Türe gelegt. Seine Frau ging wie gewöhnlich gleich hinaus, und bald hörte er sie recht herzlich lachen. Jena wurde neugierig und konnte sich nicht enthalten, unbemerkt durch eine Ritze der Tür zu schielen. Da sah er nun, wie seine Frau die Rinde des Stocks nach der Art der Biber abschälte. »Oh«, sagte er zu sich selbst, »das ist Amik, der Biber, den du da zur Frau hast; kein Wunder, daß sie die besten Leckerbissen stehenläßt.«
Diese neue Entdeckung war übrigens Jena recht lieb; er brachte ihr von nun an jeden Tag den saftigsten Weidenast mit, den er finden konnte. Und sie verdiente es auch, denn sie war sehr fleißig, machte ihm allerlei schöne Taschen und Mokassins, und als der nächste Frühling kam, beschenkte sie ihn auch mit schönen Zwillingen, einem Knäblein und einem Mädchen. Beide waren recht muntere, liebenswürdige Kinder; das erstere glich dem Vater, das letztere der Mutter.
Als der Knabe ungefähr sieben Winter hinter sich hatte, machte ihm der Vater Pfeil und Bogen und sagte ihm, er solle damit die kleinen Biber am Wasser schießen.
Dies gefiel aber der Mutter nicht; sie nahm daher in der folgenden Nacht ihre beiden Kinder auf den Rücken und verließ heimlich die Hütte. Dann baute sie einen großen Damm in den Fluß, machte sich eine Wohnung darin und lebte nun mit den Kindern dort so, als ob sie Biber wären.
Als Jena am nächsten Morgen erwachte, sah er sich zu seinem größten Schrecken allein. Wie besessen lief er fort, suchte nach den Entflohenen und entdeckte auch nach vieler Mühe ihre Wohnung. Zu Tode erschöpft legte er sich vor diese und sprach zu sich: »Hier will ich liegen, bis ich sterbe.«
Die Biberfrau, die dies gehört und ihn gesehen hatte, erlaubte ihren Kindern, hinauszugehen; aber sie durften ihren Vater nicht berühren, und wenn sie einmal zufällig nahe an ihn herankamen, holte sie sie schnell wieder zurück, wodurch sie den armen Jena zum Rasendwerden ärgerte.
Doch er blieb liegen und war beinahe verhungert, als plötzlich ein junges Mädchen zu ihm trat und sprach: »Warum liegst du hier so in Jammer und Elend? Komm her zu mir und stärke dich!« Darauf reichte sie ihm einen kleinen Mokuk voll süßer Waldbeeren, die sie für ihn gepflückt hatte.
Als dies die Biberfrau merkte, schrie sie laut zu Jena: »Warum bist du gegen dieses zweibeinige Tier so zärtlich und erzeigst ihm so große Aufmerksamkeit? Du wirst es aber bald bereuen. Sieh doch nur, was für eine lange Nase es hat; das ist doch sicherlich ein verzauberter Bär!«
Und so war es auch; die junge Frau war wirklich ein verzauberter Bär. Doch als sie hörte, wie dies die Biberfrau so unverhohlen aussprach, wurde sie ganz wild, zerstörte den Biberdamm im Nu und tötete jene dadurch beinahe. Dann sagte sie zu Jena: »Folge mir, wenn du Kraft und Mut hast, denn nicht weit von hier wohnen drei Männer, die du bekämpfen mußt, weil sie mich heiraten wollen. Auch habe ich noch acht Schwestern, die alles aufbieten werden, dich mir abspenstig zu machen. Wenn du nun in ihre Hütte kommst, so siehst du weder rechts noch links, hörst auch nicht auf ihre glatten Worte, sondern setzt dich, unbekümmert um alles, was um dich vorgeht, ruhig an meine Seite.«
Jena folgte ihr. Als er in die bestimmte Hütte kam, sagten die anderen Mädchen: »O seht, da kommt Odschidahkomigo, der seinen Weg verloren hat!«
Jede versuchte ihn nun mit den lieblichsten Redensarten und Gebärden zu sich zu locken; auch die beiden Alten bewillkommneten ihn in der zärtlichsten Weise; aber Jena tat, als sei er taub, blind und herzlos, und er setzte sich ruhig an den Platz, den ihm seine junge Frau anwies.
Als sie so eine Zeitlang in stummer Beschaulichkeit dagesessen hatten, brauste auf einmal eine verheerende Wasserflut durch die Hütte und rollte einen riesigen Stein dicht vor die Füße Jenas. Danach verlief sich das Wasser wieder.
Hierauf kam ein großer weißer Bär herein, der biß und kratzte den Stein und sprach: »So möchte ich gerne Odschidahkomigo kitzeln!« Dann kamen auch noch einige gelbe und schwarze Bären und taten dasselbe.
Nun nahm Jena seinen Bogen zur Hand, schoß einen Pfeil in den Stein und sagte: »So möchte ich Odanamekomigo kitzeln!«
Als dies die Bären sahen, ergriffen sie zur größten Freude der Frau Jenas eilig die Flucht.
Bald danach riefen ihnen die Alten zu: »Kinder, vergeßt nicht, Vorrat für den Winter zu sammeln!«
Die verzauberten Geschwister kamen wieder zurück, holten ihre Schüsseln und suchten Eicheln.
Als sie alle fort waren, sagte der Vater zu seiner zurückgebliebenen Tochter: »Sieh zu, daß Odschidahkomigo auch ausgeht und womöglich eine Deiner Bärenschwestern erlegt, damit ihr etwas zu essen habt; doch wenn er ihr das Fell abzieht, muß er achtgeben, daß er das Fleisch nicht zerschneidet.«
Jena, dem dies sogleich mitgeteilt wurde, nahm seine Jagdgeräte und schoß eine jener Bärenschwestern, die ihm am fettesten vorkam. Als er ihr aber die Haut abziehen wollte, streifte sein Messer unglücklicherweise ihren Arm, worauf sie plötzlich aufsprang, ihre Mädchengestalt wieder annahm und mit großen Schritten nach Hause lief. Dort verband sie ihre Wunde.
Kurz danach rief der Alte wieder: »Kinder, sucht eure Winterquartiere auf!«
Nun ging die ganze Familie auseinander.
Jena hatte zu jener Zeit zwei Kinder – einen Knaben und ein Mädchen –, die beide ebenfalls mit fortzogen. Ein passender Platz war bald gefunden und auch eine warme Wohnung gebaut; eines aber fehlte, und das war die Hauptsache: nämlich Wild. Jena streifte oft tagelang umher, ohne daß er einen Pfeil abzuschießen brauchte. Er mußte nun mit seiner Familie den bittersten Hunger leiden.
Als sich Jena eines Tages auf der Jagd befand und seine Frau zu gut wußte, daß er heute ebensowenig nach Hause bringen würde als die Tage vorher, kam ihr der merkwürdige Gedanke, den sie für einen glücklichen hielt, sich für ihren Gemahl und ihre Kinder zu opfern und in Gestalt eines Bären schießen zu lassen, und sie führte diesen Gedanken auch wirklich aus.
Aber ein anderer Jäger, der sich zufällig in ihrer Nähe befand, hatte das Glück, sie zu töten. Jena ging mit ihm, stillte seinen Hunger und gab ihm den Rat, Kopf und Füße des Bären abzuschneiden und Tabak daraufzulegen, damit nach vier Tagen wieder ein neuer Bär daraus entstehe.
Damit endet die Leidensgeschichte Jenas.
Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas