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Märchenbasar

Bellebelle oder Der Ritter Fortuné

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Der Ritter verbeugte sich ehrerbietigst und war im Begriff, sich zu entfernen, als die Königin ihm befahl, ihr Gesellschaft zu leisten. »Der Gesang der Vögel«, sagte sie, »hat mich heute morgen so angenehm aufgeweckt, und das heitere Wetter lud mich ein herauszugehen, um sie einmal in der Nähe zu hören. Wie glücklich sind sie! Wie sorgenfrei! Ihre Fröhlichkeit tönt in ihren Liedern, und der Kummer naht sich ihren Herzen nicht!« – »Und doch«, versetzte Fortuné, »sind sie nicht so ganz von Sorgen frei, als Eure Majestät zu glauben scheinen, sie haben die Nachstellungen der Jäger, die Netze und Raubvögel zu fürchten. Wenn der rauhe Winter hereinbricht und die Erde mit Schnee bedeckt, sterben sie oft vor Hunger; und alle Jahre sind sie wenigstens in der Verlegenheit, sich ein Weibchen zu suchen.« – »Haltet Ihr denn das für eine große Verlegenheit?« fiel die Königin lächelnd ein. »Es gibt Männer, die das jeden Monat auf sich nehmen. Oder habt Ihr noch nie eine solche Erfahrung gemacht? Solltet Ihr unter allen unbeständigen Männern vielleicht die einzige Ausnahme sein?« – »Ich weiß nicht, wozu ich fähig bin«, antwortete der Ritter, »denn ich habe noch niemals geliebt. Ich glaube aber, daß, wenn sich mein Herz einmal in die Fesseln der Liebe begäbe, ich nicht die Kräfte hätte, sie jemals zu brechen.« – »Ihr habt noch niemals geliebt?« rief die Königin aus und sah den armen Ritter starr an, der bald rot, bald blaß wurde, »Ihr habt noch niemals geliebt? Ritter, könnt Ihr Eurer Königin eine Unwahrheit sagen? Eure Augen und die Verse, die Ihr vorhin sanget, beweisen, dünkt mich, das Gegenteil.« – »Ich kann nicht leugnen, diese Verse gesungen zu haben«, antwortete Fortuné, »aber das war ganz ohne Absicht, ich versichere Euch, ganz ohne Absicht.« – »Ich will Euch glauben«, versetzte die Königin, in deren Herzen ein Strahl der Hoffnung zu schimmern begann, »aber es ist mir unbegreiflich, daß Ihr bis jetzt an unserem Hofe noch keine Dame gefunden haben solltet, die Eurer Liebe würdig wäre.« – »Die Erfüllung meiner Pflichten«, antwortete Fortuné, »liegt mir so sehr am Herzen, daß ich keine Zeit übrigbehalte zum Seufzen.« – »Ihr liebt also gar nichts?« sagte die Königin mit sichtbarer Lebhaftigkeit. »Nein, Madame. Ich bin nicht für die Damen gemacht. Ich liebe die Freiheit, und ich möchte sie um keinen Preis in der Welt verlieren, selbst um die Liebe nicht.« Die Königin sah ihn zärtlich an. »Es gibt so schöne und glorreiche Ketten, daß man sich glücklich schätzen muß, sie zu tragen. Hätte Euch das Schicksal solche Ketten bestimmt, ich würde Euch raten, der trügerischen Freiheit zu entsagen, auf die Ihr soviel haltet.« Fortuné verstand den Sinn ihrer Worte nur allzugut, aber nach ihren Wünschen konnte er ihr nun einmal nicht antworten, und er mußte ein Gespräch abbrechen, das ihn in die größte Verlegenheit setzte. Er bat also um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen, weil er bei dem Lever des Königs gegenwärtig sein müsse.
Die Königin verfolgte ihn mit den Augen, so weit sie konnte. Als sie ihn aber nicht mehr sah und Zeit hatte, das Geschehene zu überlegen, fühlte sie ihr Herz mit Verdruß, Scham und Unwillen erfüllt. Floride, welche bei der ganzen Unterredung gegenwärtig gewesen war, spielte ihre Rolle, so gut es ihr möglich war, tröstete die Königin, suchte ihr Hoffnung zu machen und den Ritter mit seiner Blödigkeit zu entschuldigen; denn Floride war fest überzeugt, daß der Ritter eine unüberwindliche Abneigung gegen die Königin hegte, sie wünschte aber, sie zu noch deutlicheren Erklärungen zu bewegen und ihrem Ritter Veranlassung zu noch bestimmteren Antworten zu geben.
Fortuné befand sich in einer sehr üblen Lage, und er würde den Hof ohne Bedenken verlassen haben, wenn ihn nicht seine Neigung zu dem König zurückgehalten hätte. Indes mied er die Königin überall, und dieses absichtliche Meiden blieb nicht unbemerkt. Sie beschloß indes, noch einen Sturm zu wagen, und ergriff die Gelegenheit, da sie ihn im Garten fand. Sie rief ihn, und da er fürchtete, sich ihren Zorn zuzuziehen, wenn er sich stellte, als hätte er sie nicht gehört, näherte er sich ihr furchtsam und ehrerbietig.
»Erinnert Ihr Euch noch der Unterredung«, sagte sie zu ihm, »die wir neulich in der Laube zusammen hatten? Die Fragen, die ich an Euch tat, müssen Euch sehr unangenehm gewesen sein, da Ihr mich seit dem Tage nicht wieder in den Fall gesetzt habt, ähnliche Fragen an Euch zu tun?« – »Es wäre Kühnheit gewesen«, antwortete der Ritter, »das geflissentlich zu suchen, was mir damals der Zufall verschaffte.« – »Sagt lieber«, versetzte die Königin, »daß Ihr meine Gegenwart gemieden habt. Ihr kennt meine Gesinnung nur allzugut.« Fortuné schlug die Augen in sichtbarer Verlegenheit nieder, und da er ihr nicht antwortete, fuhr sie fort: »Gebt Euch nicht die Mühe, auf eine Antwort zu sinnen. Euer Stillschweigen sagt mir am deutlichsten, was Ihr denkt.«
In diesem Augenblick bemerkte sie den König. Er ging traurig auf und ab. Irgendein wichtiger Gegenstand schien seinen Geist zu beschäftigen. Die Königin eilte auf ihn zu und beschwor ihn, ihr die Quelle seiner Unruhe nicht zu verbergen. »Du weißt, liebe Schwester«, antwortete der König, »daß ich vor einigen Wochen die Nachricht erhielt, ein ungeheurer Drache verwüste das ganze Land. Ich hoffte, daß man Mittel finden würde, ihn zu töten. Ich gab alle nötigen Befehle, aber man hat alles vergeblich versucht. Er verschlingt Menschen und Herden, er vergiftet Flüsse und Quellen, und auf seinem Wege vertrocknet Gras und Kraut.«
Während der König so sprach, sann die Königin auf ein Mittel, den Ritter ihrer Rache aufzuopfern. »Diese traurigen Nachrichten sind mir nicht unbekannt«, antwortete sie. »Fortuné, den du bei mir gesehen haben wirst, hat sie mir eben hinterbracht und hat mich, was dich vielleicht wundern wird, auf das dringendste gebeten, ihm die Erlaubnis auszuwirken, den Drachen zu bekämpfen. Ich glaube auch, daß er der Mann ist, der noch am ehesten mit ihm fertig werden könnte, denn an Geschicklichkeit und Mut kommt ihm nicht leicht jemand gleich. Er hat mir überdies gesagt, daß er ein Mittel hat, die wildesten Drachen einzuschläfern. Indes muß man davon nicht reden, um seinen Ruhm nicht zu schmälern, wenn er den Kampf besteht.« – »Er mag den Kampf bestehen, auf welche Weise er will, er wird ruhmvoll für ihn und nützlich für uns sein«, sagte der König. »Aber ich fürchte, sein Eifer, uns zu dienen, führt ihn zu weit und könnte ihn sogar das Leben kosten.« – »Ich glaube nicht, lieber Bruder, daß du deswegen besorgt zu sein brauchst«, antwortete die Königin. »Er hat mir Wunderdinge erzählt, und du weißt, daß er nicht prahlt. Ich habe ihm auch wirklich versprochen, ihm die Erlaubnis bei dir auszuwirken, und ich glaube, daß es ihn sehr kranken würde, wenn er eine abschlägige Antwort bekäme.« – »Nun, so sei es«, versetzte der König, »ich gebe sie ihm zwar ungern, aber ich will seinem Mut keine Schranken setzen. Wir wollen ihn rufen.«
Fortuné erschien, und der König sagte auf eine sehr verbindliche Weise zu ihm: »Die Königin hat mir von dem Verlangen gesagt, das Ihr hegt, den Drachen zu bekämpfen, der mein Königreich verwüstet, und ich habe eine so hohe Meinung von Eurem Mut, daß ich Euch nicht abhalten will, Ruhm und Ehre zu ernten. Aber ich hoffe, daß Ihr die Gefahr wohl überlegt habt, in die Ihr Euch begebt.« – »Ich habe sie ihm so lebhaft als möglich vor Augen zu stellen gesucht«, fiel die Königin ein, »aber sein Eifer, dir zu dienen, und seine Begierde, sich auszuzeichnen, sind so groß, daß er keinen Vorstellungen Gehör schenken will.«
Fortuné war wie aus allen Wolken gefallen. Er erriet die boshafte Absicht der Königin, aber er antwortete nichts, und der König glaubte in seinem Stillschweigen die Unveränderlichkeit seines Vorsatzes zu lesen. »So geht denn«, fuhr er mit einem tiefen Seufzer fort, »ich kenne Eure Geschicklichkeit und Euren Mut, und ich hoffe, daß Ihr siegreich zurückkehren werdet.« – »Sire«, antwortete der Ritter, »der Kampf mag ausfallen, wie er will, ich werde mit meinem Schicksal zufrieden sein. Ich befreie Euch entweder von einer furchtbaren Geißel, oder ich sterbe für Euch. Beides wird für mich süß und glorreich sein. Aber ich wage es, vorher um eine Gnade zu bitten.« – »Bittet, was Ihr wollt«, antwortete der König. »Ich wage es, um Euer Bildnis zu bitten.« – »Eure Bitte soll Euch gewährt sein«, versetzte der König.
Fortuné befand sich über sein gegebenes Versprechen in keiner geringen Verlegenheit. Er begab sich sogleich in den Stall zu seinem Pferde, es um Rat zu fragen. »Ich weiß schon, was du willst«, sagte das Pferd, als er zu ihm trat. »Sag, was fangen wir an?« –
»Wir reisen so geschwind als möglich ab«, war die Antwort. »Laß dir vom König eine Order ausstellen, den Drachen zu töten. Wir wollen dann schon unsere Schuldigkeit tun.« Diese wenigen Worte flößten dem jungen Ritter Mut ein. Er begab sich den anderen Morgen zum König und bat um die Erlaubnis zur Abreise. Als ihn der König sah, rief er aus: »Wie? Ihr wollt schon fort?« – »Man kann nicht eilfertig genug sein, Eure Befehle zu befolgen«, antwortete Fortuné. Der König war gerührt. Er sah ihn ungern reisen, aber er wollte ihn nicht hindern, seinen Mut zu zeigen und Lorbeeren zu ernten. Er umarmte ihn also, schenkte ihm sein Bildnis und stellte ihm einen Befehl aus, in welchem alle seine Untertanen ermahnt wurden, dem Ritter alle Hilfe zu leisten, deren er etwa bedürfe.
Fortuné nahm hierauf Abschied vom König und ging auch zu der Königin, die, von Damen umgeben, an ihrem Nachttisch saß. Sie verfärbte sich, als sie ihn sah, er aber grüßte sie ehrfurchtsvoll und bat um ihre Befehle, weil er im Begriff sei, seine Reise anzutreten. Floride geriet bei dieser Nachricht beinahe außer sich. Auch die Königin war bestürzt, aber sie faßte sich. »Ich bitte den Himmel«, sagte sie, »Euch siegreich zurückzubringen.« – »Ich hoffe es«, antwortete Fortuné. »Ihr kennt die Gefahr, die mit meinem Unternehmen verbunden ist. Mir ist sie auch nicht unbekannt, gleichwohl bin ich voll Mut und Zuversicht. Vielleicht bin ich jetzt an Eurem Hof der einzige, der so gute Hoffnungen hegt.« Die Königin verstand, was er damit sagen wollte, aber sie fand nicht für gut, darauf zu antworten.
Endlich kehrte Fortuné nach Hause zurück und befahl seinen sieben Bedienten, sich zu Pferde zu setzen und ihm zu folgen, weil sich jetzt eine Gelegenheit zeige, wo er ihre Talente nutzen könne. Alle waren vergnügt, ihrem Herrn einen Dienst leisten zu können, machten ihre Pferde zurecht, und in weniger als einer Stunde saß der Ritter mit seiner ganzen Dienerschaft auf.
Sie waren noch nicht weit geritten, als sie die Schreie einiger Menschen vernahmen, die dem Drachen in die Klauen geraten waren. Bald darauf kamen ihnen einige andere in den Weg gerannt, die dem Ungeheuer entflohen und von denen sie erfuhren, daß es nicht weit entfernt war. Sie erzählten ihm unter anderem, daß sie, da das Wasser in ihrem Lande selten sei, einen Teich gemacht hätten, um den Regen aufzufangen. An diesem Teiche lasse sich der Drache bisweilen nieder, um zu saufen, und erhebe ein solches Geschrei, daß man ihn eine Stunde weit hören könne. Alsdann verstecke sich jedermann und verrammele Fenster und Türen.
Als der Ritter diese Nachrichten eingezogen hatte, begab er sich in ein Wirtshaus, um mit seinem getreuen Pferde Rat zu pflegen. »Was können wir wohl anfangen, um über den Drachen Herr zu werden«, fragte er das Pferd. »Ich will diese Nacht darüber nachdenken«, antwortete es, »und morgen früh sollst du meinen Rat vernehmen.« Als der Ritter den anderen Morgen wieder in den Stall kam, um die Meinung seines Meisters zu hören, sagte das Pferd zu ihm: »Mein Rat ist, daß Feinohr horche, ob der Drache in der Nähe ist.« Feinohr legte sich sogleich auf die Erde und horchte. Es währte gar nicht lange, so hörte er das Gebrüll des Drachens, der noch sieben Meilen entfernt war. »Nun«, sagte das Pferd, »muß Saufaus den Teich austrinken, und Mark-im-Buckel muß eine Ladung Wein hineintragen. Um das Ufer herum legt Rosinen, Pfeffer und andere Durst erregende Dinge. Alle Einwohner der Gegend sollen sich in ihren Häusern verborgen halten, und auch du, mein Herr, darfst das deinige nicht verlassen. Du wirst sehen, daß du den Drachen in deine Gewalt bekommst.«
Diese Anstalten waren in kurzer Zeit gemacht, Fortuné schloß sich mit seinen Leuten in ein Haus ein, das die Aussicht auf den Teich hatte, und kurz darauf ließ sich der Drache an seinem Ufer nieder. Er fraß und trank und trank so lange, bis er trunken war. Er sank auf die Seite, und die Augen fielen ihm zu. Fortuné versäumte diesen glücklichen Augenblick nicht. Er verließ seine Wohnung mit dem Degen in der Faust und durchbohrte den Drachen. Dieser stieß ein schreckliches Gebrüll aus und drang auf den Ritter ein, aber das Blut floß schon in Strömen aus seiner Wunde, die Kräfte verließen ihn, und er sank tot darnieder. Fortuné rief seine Leute herbei, um ihn zu binden und nach der Stadt zu schleppen. Alle machten sich auf den Weg, um dem König das Schauspiel des besiegten Ungeheuers so bald als möglich zu verschaffen.
Wie-der-Wind hatte die Nachricht von dem Siege lange vorher gebracht, ehe der Ritter selbst ankam. Der König ging ihm entgegen, umarmte ihn und wünschte ihm Glück. Der ganze Hof und die ganze Stadt versammelten sich um den seltenen Mann, der das Land von dem verderblichen Ungeheuer befreit hatte. Jedermann dankte ihm, alle waren von der lebhaftesten Freude beseelt. Nur die Königin, in deren Herzen immer noch Liebe und Rachsucht kämpften, war ungewiß, ob sie sich freuen oder betrüben sollte.
Sie lag noch mit sich selbst im Streit, als der König mit dem Ritter in ihr Zimmer trat. »Hier bringe ich dir den Besieger des Drachens«, sagte er zu ihr, »er hat mir den größten und herrlichsten Dienst geleistet, den ich von einem getreuen Untertan erwarten konnte. Da du ihm die Erlaubnis dazu ausgewirkt hast, ist es auch deine Pflicht, ihn für die Gefahr zu belohnen, welcher er sich ausgesetzt hat.« Die Königin versuchte ihre Verlegenheit so gut als möglich zu verbergen, empfing den Ritter mit sehr gnädigen Worten, überhäufte ihn mit Lob und fühlte jeden Augenblick lebhafter, daß sie sich selbst betrogen hatte, als sie den Ritter zu hassen glaubte.
Je öfter sie ihn sah, desto heftiger wurde ihre Leidenschaft. Eines Tages befand sie sich mit ihm auf der Jagd, und sie glaubte, diese Gelegenheit nicht vorüberlassen zu dürfen, sich mit Fortuné auszusöhnen. Sie stellte sich unpäßlich, blieb zurück und bat den Ritter, ihr Gesellschaft zu leisten. Er gehorchte. Die Königin, Floride und Fortuné stiegen vom Pferde und setzten sich an den Rand eines Baches, ohne daß eines von allen dreien den Mund zum Reden geöffnet hätte.
Endlich brach die Königin das Stillschweigen und heftete ihre Augen auf den Ritter. »Die besten Absichten«, hob sie an, »werden am leichtesten verkannt. Ich habe Ursache zu glauben, daß auch Ihr meinen Handlungen eine ganz falsche Deutung gegeben habt. Als ich in den König drang, Euch gegen den Drachen zu senden, sagte mir eine untrügliche Ahnung, daß Ihr siegreich aus diesem Kampfe zurückkehren würdet. Ich muß Euch sagen, daß Eure Neider bisweilen übel von Eurem Mut gesprochen haben, weil Ihr nicht mit zur Armee gegangen seid. Dies tat mir weh, und ich glaubte ein Mittel gefunden zu haben, ihnen den Mund zu stopfen. Es sollte mir leid tun, wenn Ihr mich anders verstanden hättet.« – »Der Abstand, welcher uns voneinander trennt, gnädige Königin«, antwortete der Ritter, »ist so groß, daß ich diese Erklärung so wenig als die Sorge verdiene, die Ihr für meine Ehre getragen habt. Der Himmel hat sich meiner besser angenommen, als meine Feinde wünschten, und ich werde es immer für ein Glück erachten, mein Leben für meinen König und meine Königin auf das Spiel setzen zu können.«
Der Vorwurf, welchen ihr der Ritter, obgleich in ehrerbietiger Art, machte, brachte die Königin in Verlegenheit. Sie verstand sehr wohl alles, was er sagen wollte. Aber er schien ihr viel zu liebenswürdig, als daß sie ihn durch eine zu harte Antwort hätte beleidigen wollen. Sie stellte sich vielmehr, als pflichtete sie seinen Gedanken bei, und bat ihn, er möchte ihr ausführlich erzählen, wie er den Drachen besiegt hatte. Der Ritter tat es, hielt es aber nicht für nötig zu sagen, welchen Beistand ihm seine Leute dabei geleistet hatten. Er rühmte sich vielmehr, daß er dem grimmigen Drachen beherzt unter die Augen getreten sei und daß er sich durch seine Geschicklichkeit, ja Verwegenheit aus der Affäre gezogen habe. Die Königin hörte kaum dem zu, was er sagte. Sie unterbrach zuletzt seine Erzählung, indem sie ihn fragte, ob er nun völlig überzeugt sei, daß sie den größten Anteil an allem nehme, was ihn angehe. Ich weiß nicht, was sie noch alles gesagt hätte, aber der Ritter sagte: »Allergnädigste Frau, ich höre die Jagdhörner, der König naht. Will Eure Majestät sich nicht zu Pferde setzen, um ihm entgegenzureiten?« – »Nein«, sagte sie sehr ungnädig, »es ist genug, wenn Ihr es tut.« – »Der König möchte mich tadeln«, sagte er, »wenn ich Eure Majestät an diesem Ort, wo Euch eine Gefahr zustoßen könnte, allein ließe.« – »Sorgt Euch um nichts«, sprach sie in gebieterischem Ton, »reitet fort, Eure Gegenwart ist mir zuwider.«
Der Ritter folgte ihrem Befehl, verneigte sich tief vor ihr, stieg zu Pferde und ritt fort, beunruhigt über die eventuellen Folgen dieses neuen Ressentiments. Er besprach sich deswegen mit seinem klugen Pferde. »Kamerad«, sagte er, »wird diese zu zärtliche und zu zornige Königin vielleicht wieder ein Ungeheuer finden, dem sie mich aufzuopfern gedenkt?« – »Sie ist selbst ungeheuerlich genug«, gab ihm das Pferd zur Antwort, »und sie wird Euch mehr zu schaffen machen als der Drache, den Ihr getötet habt.« – »Wird sie mich beim König in Ungnade zu setzen wissen?« fragte er weiter. »Das befürchte ich sehr«, sagte das Pferd. »Ich darf Euch nicht sagen, was geschehen wird, aber es soll Euch genügen zu wissen, daß ich für alles Sorge tragen werde.« Der Ritter schwieg, weil er den König am Ende einer Allee sah. Er eilte ihm entgegen, ihm zu sagen, daß die Königin unpäßlich sei und er bei ihr habe bleiben müssen. »Mir deucht«, sagte der König lächelnd, »daß Ihr bei ihr ungemein in Gnaden steht, und Ihr pflegt auch ihr, nicht mir, anzuvertrauen, was Ihr Euch wünschet, denn ich habe nicht vergessen, daß Ihr sie gebeten habt, als Ihr den Drachen bekämpfen wolltet.« – »Allergnädigster Herr«, sagte der Ritter, »ich erkühne mich nicht, Eurer Majestät zu widersprechen, aber ich kann Euch versichern, daß ich einen großen Unterschied zwischen der Gnade Eurer Majestät und der Gnade der Königin mache, und wenn es erlaubt wäre, daß ein Untertan seinen Landesherrn zu seinem Vertrauten machte, so wäre es mir ein großes Vergnügen, Euch die Empfindungen meines Herzens zu entdecken.« Der König unterbrach ihn und fragte, an welchem Orte er die Königin verlassen habe, und ritt zu ihr.
Unterdessen beklagte sich die Königin bei Floride über die Kaltsinnigkeit des Ritters. »Seine Person«, sprach sie, »wird mir dermaßen verhaßt, daß entweder er oder ich den Hof verlassen muß. Ich kann einen Undankbaren, der sich erkühnt, mich zu verachten, nicht länger dulden. Welcher Mann schätzte sich nicht glücklich, von einer Königin, die in diesem Staat allmächtig ist, geliebt zu werden. Und ach! er ist der einzige, der mir gefällt. Der Himmel scheint ihn bestimmt zu haben, die Ruhe meines Lebens zu stören.« Floride freute sich heimlich, daß die Königin unwillig gegen den schönen Ritter war. Anstatt sie zu besänftigen, erbitterte sie ihr Gemüt noch mehr wider ihn, indem sie sie an viele Umstände erinnerte, an welche sie lieber niemals wieder gedacht hätte. Ihr Unwillen ward hierdurch immer heftiger, und sie ersann einen neuen Anschlag, ihn ins Verderben zu stürzen.
Als der König zu ihr kam und sich über ihre Unpäßlichkeit beunruhigt zeigte, antwortete sie ihm: »Es ist wahr, ich befand mich nicht wohl, aber Fortuné besitzt vortreffliche Mittel, einen Kranken auf der Stelle zu kurieren. Er hat die lustigsten Einfälle von der Welt. Solltest du wohl glauben, daß er wieder auf ein neues Abenteuer sinnt?« – »Doch nicht, einen Drachen zu bekämpfen?« sagte der König. »Zehn auf einmal«, antwortete die Königin. »Soll ich dir’s sagen? Er will den Kaiser Matapa nötigen, uns alle unsere Schätze herauszugeben, und zwar ganz allein, ohne Hilfe einer Armee, und er bittet mich inständig, ihm die Erlaubnis dazu auszuwirken.« – »Wie schade«, sagte der König, »daß der arme Junge so närrisch geworden ist.« – »Er hat den Drachen besiegt«, entgegnete die Königin, »vielleicht besiegt er auch den Kaiser. Ich meine, du solltest ihm die Erlaubnis geben. Was wagst du viel dabei?« – »Ich wage sein Leben«, antwortete der König, »und sein Leben ist mir sehr viel wert. Es sollte mir leid tun, ihn zu verlieren.« – »Du magst es nun machen, wie du willst«, versetzte die Königin, »so ist er verloren. Denn seine Begierde nach diesem Abenteuer ist so unglaublich, daß er vor Kummer sterben wird, wenn er die Erlaubnis dazu nicht bekommt. Ich habe ihm schon alles mögliche vorgestellt, aber er ist so hartnäckig, daß ich fest überzeugt bin, er ist von dieser tollen Idee auf keine Weise abzubringen.« – »Nun, so möge er meinethalben reisen«, sagte der König endlich.
Die Königin ließ ihrem Bruder keine Zeit, sich eines anderen zu besinnen, sondern rief den Ritter auf der Stelle zu sich. »Fortuné«, sagte sie, »danket dem König; er willigt in Euer Verlangen, dem Kaiser Matapa unsere Schätze mit Gewalt oder Güte abzunehmen. Geht und rüstet Euch zu diesem Abenteuer und kommt bald siegreich zurück.«
Fortuné war betroffen, aber dieser Streich kam ihm weder unerwartet noch unerwünscht. Er freute sich, eine neue Gelegenheit zu finden, sein Leben für seinen König zu wagen, vor dem er sich auf die Knie warf, um ihm für seine Gnade zu danken. Der König war gerührt, und selbst die Königin fühlte eine Art Scham, als sie den Mut und die Entschlossenheit sah, mit welcher der Ritter dem Tode entgegenging.
Als der Ritter nach Hause kam, hielt er Rat mit seinem getreuen Roß. »Du treuer Kamerad«, sagte er, »nunmehr bin ich verloren. Die Königin sorgt für mein Unglück. Das hätte ich niemals vermutet.« – »Mein lieber Herr«, antwortete das Pferd, »ängstiget Euch nicht. Ob ich gleich nicht dabei gewesen, habe ich doch längst gewußt, was geschehen wird. Es ist diese Gesandtschaft nicht so fürchterlich, als Ihr meint.« – »Weißt du nicht«, entgegnete der Ritter, »daß der Kaiser Matapa der jähzornigste Mann der Welt ist? Sobald ich ihm sagen werde, er möchte meinem Herrn die geraubten Schätze wiedergeben, wird er mir einen Mühlstein um den Hals hängen und mich ins Wasser werfen lassen.« – »Ich weiß wohl, daß er grausam ist«, sagte Kamerad, »aber dessenungeachtet rate ich Euch, diese Reise anzutreten und Eure Bedienten mit Euch zu nehmen. Solltet Ihr sterben, so sterben wir alle miteinander, jedoch hoffe ich alles Gute.«
Der Ritter bekam hierdurch wieder ein wenig Mut. Er ordnete alles zur Abreise an und verlangte Befehle und Beglaubigungsschreiben von dem König, seinem Herrn. »Sagt dem Kaiser«, antwortete ihm der König, »daß ich meine Untertanen und Soldaten, die er zu Sklaven gemacht hat, meine Pferde und alle erbeuteten Schätze zurückverlange.« – »Und was soll ich ihm als Entschädigung anbieten?« fragte Fortuné. »Meine Freundschaft«, versetzte der König. Mit dieser Instruktion begab sich der Ritter hinweg, nahm aus seinem Koffer für sich und seine Bedienten die kostbarsten Gewänder, kaufte ihnen die schnellsten und schönsten Pferde und reiste ab, ohne vorher von der Königin Abschied zu nehmen.
Die Reise ging sehr schnell, und sie kamen daher in kurzer Zeit an die Residenz des Kaisers Matapa, welche größer war als Paris, Rom und Konstantinopel zusammengenommen und so volkreich, daß jeder Keller, jeder Boden und jedes Dach bewohnt war.
Fortuné bat um Audienz und wurde mühelos vorgelassen. Der Kaiser bezeigte sich sehr gnädig gegen ihn; als er aber seinen Vortrag getan hatte, konnte Matapa sich nicht enthalten zu lächeln. »Es möchte noch hingehen«, antwortete er, »wenn Ihr diese Forderung an der Spitze von fünfmal hunderttausend Mann machtet, aber wie man mir sagt, besteht Eure Armee nur aus sieben Mann.« – »Meine Absicht ist nicht gewesen«, antwortete Fortuné mit dem ihm eigenen Anstande, »Eure Majestät durch Gewalt, sondern durch meine untertänigsten Vorstellungen zur Herausgabe dieser Schätze zu bewegen.« – »Dies wird Euch wohl schwerlich gelingen«, antwortete der Kaiser, »weder auf dem einen noch dem anderen Wege, es sei denn, Ihr fändet einen Menschen, der zu seinem Frühstück alles Brot aufäße, das an einem Tage für alle Einwohner meiner Residenz gebacken wird.« Man stelle sich die Freude vor, welche der Ritter bei diesem Vorschlag empfand. Er nahm ihn auf der Stelle an. »Befehlen Eure Majestät«, sagte er, »daß morgen alles frisch gebackene Brot auf dem Markte zusammengebracht wird, und Ihr sollt das Vergnügen haben zu sehen, daß nichts davon übrigbleibt.« Der Kaiser hielt sich die Seiten vor Lachen, und den ganzen Rest des Tages sprach man bei Hofe und in der Stadt von nichts anderem als von der Torheit des Abgesandten. Matapa schwor, er wollte ihn töten, wenn er sein Wort nicht hielte.
Der andere Tag brach an. Eine ungeheure Menge Volkes versammelte sich auf dem Markte, wo man sechs Berge von Brot aufgetürmt hatte, höher als die Pyrenäen. Der Kaiser, seine Gemahlin und seine Tochter nahmen Platz auf einem Balkon, von wo aus sie den Markt übersehen konnten. Fortuné erschien mit seinem kleinen Gefolge und erblaßte, als er den unübersehbaren Vorrat an Brot erblickte. Bei Vielfraß aber erregte dieser Anblick ganz andere Gefühle; er schlug sich mit Zuversicht und Freude auf den Bauch und bat um den Befehl, sein Dejeuner anzufangen. Trompeten und Pauken erklangen, Vielfraß fiel über das Brot her, und in wenigen Stunden war der ganze Vorrat an Broten aufgezehrt.
Fortuné näherte sich nun dem Kaiser, der sich, so wie das ganze Volk, gar nicht von seinem Erstaunen erholen konnte, und bat ihn mit der größten Ehrerbietung, sein Versprechen zu erfüllen. Der Kaiser gab verdrießlich zur Antwort: »Es ist nicht genug, zu essen, man muß auch trinken können. Also, Herr Ambassadeur, müßt Ihr oder einer von Euren Leuten sich entschließen, alles Wasser aus den Fontänen, den Aquädukten und den Zisternen der Stadt und allen Wein, der in unseren Kellern liegt, auszutrinken.« – »Eure Majestät«, antwortete Fortuné, »scheinen mich nötigen zu wollen, Euren Befehlen ungehorsam zu sein; indes will ich mein Möglichstes tun, Euren Willen auch hierin zu erfüllen, sobald ich nur überzeugt bin, daß Ihr geneigt seid, dem Könige, meinem Herrn, seine Schätze herauszugeben.« – »Ich verspreche es Euch«, antwortete der Kaiser.
Der Ritter begab sich nun mit der kaiserlichen Familie und einer unzähligen Menge von Zuschauern zu der Löwenfontäne. Sieben marmorne Löwen spien hier Ströme von Wasser aus ihren Rachen und versorgten alle Brunnen der Stadt. Ein breiter Strom, den man mit kleinen Gondeln befuhr, ergoß sich aus dem Bassin mitten durch die Stadt. Saufaus näherte sich dem Bassin und trank es aus, ohne Atem zu schöpfen. Mit ebender Leichtigkeit trank er auch die übrigen Brunnen und Zisternen aus. Er hätte sogar das Meer ausgetrunken, so durstig war er. Der Kaiser zweifelte nicht, daß er auch den Wein schaffen würde, und wollte diesen einsparen. Aber Saufaus beschwerte sich lauthals ob dieser Ungerechtigkeit. Er sagte, er habe Magenschmerzen und wolle nicht nur den Wein, sondern auch Liköre, so daß Matapa endlich nachgab. Nun näherte sich Fortuné dem Kaiser, um ihn an die Erfüllung seines Versprechens zu erinnern. »Ich will die Sache in Erwägung ziehen«, antwortete der Kaiser.
In der Tat versammelte er seine geheimen Räte, um ihnen seinen Kummer mitzuteilen, und fragte sie, ob sie nicht irgendein Mittel wüßten, die Auslieferung der Schätze auf eine anständige Weise abzuschlagen. Aber die geheimen Räte wußten nichts zu sagen, und der Kaiser blieb in seiner Verlegenheit. Da seine Tochter dies sah, nahm sie das Wort und sagte: »Lieber Vater, Ihr wißt, daß mir bis jetzt noch niemand im Laufen gleichkommen konnte. Wie wäre es, wenn Ihr dem Abgesandten auferlegtet, jemand zu bestellen, der mich im Wettlauf besiegte, und ihm versprächet, im Falle seines Sieges die Schätze seines Königs auszuliefern.« Der Kaiser umarmte seine Tochter, pries ihre Klugheit und befahl den Ritter am folgenden Tag zu sich.
Als der Ritter erschien, hob er also an: »Ihr habt bisher gezeigt, daß Ihr imstande seid, alles zu leisten, was Ihr versprecht. Ich habe also noch einen Wunsch, den Ihr ohne Zweifel auch erfüllen könnt. Ich möchte nämlich wissen, ob es irgendeinen Menschen auf der Welt gibt, der meine Tochter im Laufen besiegen kann. Schafft Ihr mir einen solchen Läufer, so schwöre ich Euch bei allen Elementen, daß ich die Erfüllung meines Versprechens nicht länger aufschieben will.«
Fortuné besann sich nicht lange. Er nahm diesen Vorschlag an, und Matapa verlangte, daß der Wettlauf noch denselben Morgen vor sich gehen sollte. Die kaiserliche Familie begab sich in eine Allee von Orangenbäumen, welche drei Meilen lang und als eine Rennbahn eingerichtet war. Die Prinzessin erschien in einem leichten Gewand von rosenfarbenem Taft, mit silber- und goldgestickten Sternen, ihre schönen Haare flossen lang über ihre Schultern herab; sie trug sehr hübsche Schuhchen ohne Absätze, und ein edelsteinbesetzter Gürtel schlang sich um ihre schlanke Taille. In diesem Aufzug schien sie der Atalante oder der Diana ähnlich.
Fortuné erschien gleich darauf, von seinem getreuen Wie-der-Wind und seinen übrigen Bedienten begleitet, und stellte dem Kaiser den Läufer vor, der in seinem Gewand aus holländischer Leinwand, mit englischen Spitzen besetzt, seinen feuerroten Seidenstrümpfen und seinem Federhut eine sehr gute Figur machte. Ehe der Wettstreit anging, nahm die Prinzessin einen Likör, der sie behender und stärker werden ließ. Wie-der-Wind wollte ihr keinen Vorteil über sich lassen und trank ebenfalls. Aber an dieses starke Getränk nicht gewöhnt, verspürte er sogleich seine nachteilige Wirkung. Es stieg ihm zu Kopfe, er taumelte, sank an dem Stamm eines großen Orangenbaumes nieder und fiel in einen tiefen Schlaf.
Unterdessen gab man das Zeichen zum Beginn des Wettlaufes. Die Prinzessin wartete, daß Wie-der- Wind aufwache, aber umsonst. Endlich lief sie allein. Fortuné welcher sich an das Ziel gestellt hatte und nicht wußte, was vorgefallen war, erschrak nicht wenig, als er die Prinzessin ungefähr eine halbe Meile vom Ziel entfernt allein kommen sah. »Um Gottes willen«, sagte er zu seinem Pferd, »wir sind verloren. Ich sehe nichts von Wie-der-Wind.« – »Mein Herr«, hob das Pferd an, »laß doch Feinohr horchen, was Wie-der-Wind macht.« Feinohr horchte und hörte ihn schnarchen. »Nun wahrlich«, sagte er, »der nimmt sich Zeit, er schnarcht wie ein Murmeltier.« – »Was ist nun anzufangen?« fragte Fortuné ängstlich. »Der Scharfschütz soll ihm einen Pfeil in das rechte Ohrläppchen schießen«, sagte das Pferd, »da wird er schon aufwachen.« Der Scharfschütz nahm seinen Bogen und traf ihn gerade ins Ohrläppchen. Wie-der- Wind sprang auf, rieb sich die Augen und sah die Prinzessin nah am Ziele. Man wird glauben, er sei nun darüber wer weiß wie sehr erschrocken, doch weit gefehlt! Er setzte sich sogleich in Bewegung, die Winde schienen ihn zu tragen, und in wenigen Minuten war er vor der Prinzessin am Ziel.
Der Kaiser war durch das dreifache Wunder, daß der Gesandte ihm gezeigt hatte, in solches Erstaunen gesetzt, daß er nicht mehr daran zweifelte, daß Fortuné unter dem ganz besonderen Schutze des Himmels stünde und es nichts gäbe, was er nicht ausführen könnte. Er glaubte also, die Erfüllung seines Versprechens nicht länger aufschieben zu können, rief den Ritter herbei und sagte zu ihm: »Ihr habt Wort gehalten, es ist billig, daß ich dasselbe tue. Nehmt von den Schätzen Eures Herrn soviel mit Euch, als Ihr oder einer von Euren Leuten forttragen kann. Ich bin fest entschlossen, nicht mehr herzugeben als soviel.« Der Gesandte machte eine tiefe Verbeugung, dankte dem Kaiser und bat ihn, die nötige Order dafür zu geben.
Matapa sprach mit seinem Schatzmeister und reiste voll Verdruß auf das Land. Kaum war er weg, so verlangten Fortuné und seine Leute, in den Palast eingelassen zu werden. Man verbarg nichts vor ihnen, erinnerte ihn aber noch einmal an die Bedingung, daß er nicht mehr mitnehmen dürfe, als ein einziger Mensch tragen könne. Er stellte dem Haushofmeister den wackeren Mark-im-Buckel als seinen Träger vor, und mit seiner Hilfe wurde bald der ganze Palast von Möbeln, Statuen, Karossen, mit einem Worte, von allem, was darinnen war, leer gemacht.
Die Minister des Kaisers sahen nicht gleichgültig zu, wie man den Palast ihres Herrn ausräumte, sondern begaben sich in das Landhaus und meldeten ihm dieses neue Wunder. Der Kaiser geriet außer sich vor Verwunderung und Zorn. Er schrie, daß er einen solchen Raub nimmermehr geschehen lassen würde, und ließ sogleich einen Teil seiner Armee anrücken, um dem Gesandten nachzusetzen.
Fortuné war schon eine gute Strecke von der Residenz entfernt, als ihm Feinohr sagte, er höre das Galoppieren von Pferden, und der Scharfschütz, der gute Augen hatte, wurde sie bald in weiter Ferne gewahr. Sie befanden sich eben an dem Ufer eines Flusses, und da sie keine Fahrzeuge hatten, sagte Fortuné zu Saufaus: »Jetzt könntest du uns großen Vorteil schaffen, wenn du das Wasser ein wenig abtränkest, damit wir durchsetzen können.« Saufaus tat sogleich seine Schuldigkeit. Die Feinde erschienen nicht lange darauf ebenfalls an dem Ufer des Flusses, und da sie wußten, wo die Fischer ihre Kähne zu liegen hatten, schifften sie sich mit der größten Eilfertigkeit ein und ruderten aus Leibeskräften. Jetzt kam auch die Reihe an Sturmwind, seinem Herrn einen Dienst zu leisten. Er fing an zu blasen, und es entstand ein solcher Orkan, daß die Kähne umschlugen und untergingen und von der ganzen Armee des Kaisers Matapa kein einziger übrigblieb, welcher Botschaft hätte bringen können.

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