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Märchenbasar

Bellebelle oder Der Ritter Fortuné

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Fortunés Bediente betrachteten den Ausgang dieses Abenteuers als den Zeitpunkt, wo sie mit Recht eine ihren Diensten angemessene Belohnung fordern könnten. Sie fingen schon an, sich über die Teilung der Schätze zu streiten, die sie dem Kaiser entführt hatten. »Wenn ich nicht den Preis davongetragen hätte«, sagte Wie-der-Wind, »so hättet ihr alle nichts.« – »Und was wäre dann aus dir geworden, wenn ich dich nicht hätte schnarchen hören?« sagte Feinohr. »Und wer hätte dich denn aufwecken sollen, wenn ich nicht gewesen wäre?« setzte der Scharfschütz hinzu. »Ich weiß nicht, wie ihr euch streiten könnt«, fiel Mark- im-Buckel ein, »da ich doch den ganzen Plunder davongetragen habe? Ohne mich würdet ihr wenig zu teilen haben.« – »Sagt vielmehr, ohne mich«, unterbrach ihn Saufaus, »ich möchte wissen, was aus der ganzen Geschichte geworden wäre, wenn ich den Fluß nicht ausgetrunken hätte.« – »Oder vielmehr, wenn ich die Schiffe nicht umgeblasen hätte«, fiel Sturmwind ein. »Ich habe euch streiten lassen«, fing Vielfraß jetzt an, doch ihr habt alle unrecht; mir gebührt der Preis, denn ich habe die Szene eröffnet, und es wäre bei der ganzen Angelegenheit wenig herausgekommen, wenn ich auch nur ein Krümchen übriggelassen hätte.«
Fortuné fand es an der Zeit, diesem Streite, welcher leicht eine unangenehme Wendung nehmen konnte, ein Ende zu machen. »Ihr habt euch alle brav gehalten«, sagte er mit einem Tone, in welchem sich Ernst und Güte mischten, »aber dem König allein steht das Recht zu, euch zu belohnen. Laßt uns alles seinem Willen anheimstellen und ihm die Schätze, die er uns zu holen gesendet hat, unverletzt überliefern.«
Die Bedienten des Ritters kamen durch diese Vorstellungen wieder zu sich, warfen sich ihm zu Füßen und versprachen ihm, in allen Stücken seinen Willen zu tun. Sie setzten ihre Reise fort und sahen alsbald die Stadt vor ihren Augen liegen. Mannigfaltige Empfindungen bestürmten das Herz des zärtlichen Ritters. Die Freude, seinem geliebten König einen so wichtigen Dienst erwiesen zu haben, die Hoffnung, ihn wiederzusehen, die Erwartung einer günstigen Aufnahme, alles dies wechselte mit der Furcht und Bekümmernis ab, die ihm die Leidenschaft der Königin verursachten. In dieser Stimmung kam er an und wurde von dem erstaunten Volk bejubelt, dessen Freudengeschrei bis zu dem Palast des Königs drang.
Der König und seine Schwester konnten sich noch nicht von dem Erstaunen über die Nachricht erholen, daß Fortuné zurückgekommen sei, als er selbst in das Zimmer trat, sie von dem glücklichen Ausgang seines Unternehmens zu benachrichtigen und ihnen zu sagen, daß er die mitgebrachten Schätze in den Park habe schaffen lassen, weil sie an keinem anderen Orte Platz hatten. Die Freude des Königs, sein Erstaunen und seine Dankbarkeit sind leichter zu begreifen als zu schildern.
Die Gegenwart des Ritters und alle seine Siege rissen im Herzen der Königin eine Wunde wieder auf, die noch nicht verheilt war. Sie fand ihn liebenswürdiger als je, und sobald sie mit Floride allein war, fing sie ihre üblichen Klagen wieder an. »Du siehst«, sprach sie, »was ich getan habe, ihn ins Verderben zu stürzen. Ich sah nur dieses eine Mittel, ihn zu vergessen, aber ein Mißgeschick ohnegleichen bringt ihn immer wieder zurück. Und wiewohl ich die größte Ursache hätte, einen Menschen, welcher an Stande so tief unter mir ist und meine Liebe so schlecht vergilt, zu verachten, so liebe ich ihn dennoch und habe mich endlich entschlossen, ihn heimlich zu heiraten.« – »Zu heiraten, allergnädigste Königin«, rief Floride erstaunt. »Ist es möglich? Hab ich auch recht gehört?« – »Ja, ja«, antwortete die Königin, »und du mußt mir beistehen, mein Projekt auszuführen. Bringe den Ritter diesen Abend in mein Kabinett, da will ich ihm meine Gesinnung und meine Absichten entdecken.« Floride bot alles auf, die Königin von diesem Vorhaben abzubringen; sie stellte ihr den Zorn des Königs, die Gefahr des Ritters vor. Es war alles umsonst. Die Königin blieb hartnäckig bei ihrem Entschluß und befahl ihr, zu gehorchen.
Floride fand den Ritter auf einer Galerie des Palastes, wo er die goldenen Statuen aufstellen ließ, die er von Matapa mitgebracht hatte. Sie richtete den Befehl der Königin aus. Er zitterte vor Schrecken, als er ihn hörte, und Floride, weil sie es bemerkte, sagte zu ihm: »O Gott, wie sehr beklage ich Euch. Möge doch die Königin ihr Herz niemals an Euch verschenkt haben. Ach! ich wüßte ein anderes Herz, das nicht so gefährlich für Euch wäre, daß sich aber nicht erkühnen würde, sich zu erkennen zu geben.« Der Ritter begehrte keine nähere Erklärung und ging sehr unmutig fort.
Den Abend stellte er sich ein, höchst nachlässig gekleidet, aber nur desto reizender und liebenswürdiger. Die Königin hatte alles getan, um ihre Reize durch die Pracht ihres Anzuges in das hellste Licht zu setzen. Sie bemerkte mit Vergnügen, daß Fortuné angenehm überrascht war. »Der Schein trügt oft«, redete sie ihn an, »und ich bin Euch wegen meines Verfahrens eine Rechtfertigung schuldig. Als ich den König beredete, Euch eine Gesandtschaft an den Kaiser Matapa aufzutragen, konntet Ihr vielleicht glauben, daß ich Euch aufopfern wollte. Lernet mein Herz anders zu beurteilen. Ich sah den glücklichen Ausgang gar wohl vorher, und so ergriff ich diese Gelegenheit, Euch einen unsterblichen Ruhm zu verschaffen.« – »Ich finde mein Glück in der Erfüllung meiner Pflichten«, antwortete der Ritter, »und was auch Eure Beweggründe gewesen sein mögen, so bin ich zufrieden, meinem König gehorcht zu haben.« – »Eure Gleichgültigkeit, lieber Ritter«, antwortete die Königin, »geht bis zur Beleidigung. Aber die Zeit ist gekommen, Euch von der Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen zu überzeugen. Kommt und empfanget meine Hand zum Zeichen meiner ewigen Treue.«
Der arme Ritter war wie vom Blitz getroffen. Zehnmal war er im Begriff, der Königin sein Geheimnis zu offenbaren, aber jedesmal schlossen ihm Scham und Furcht den Mund. Er antwortete auf alle ihre Beweise der Freundschaft mit Trockenheit und Kälte; er stellte ihr den Zorn des Königs vor, wenn er erführe, daß einer seiner Untertanen es gewagt hätte, sich in seine Familie einzuschleichen.
Nachdem die Königin lange umsonst versucht hatte, seine Gründe zu widerlegen und ihn von seiner Furcht zu heilen, nahm sie die Stimme und die Gebärden einer Furie an: Sie überhäufte ihn mit Drohungen, sie fiel über ihn her, sie zerkratzte ihm das Gesicht; dann kehrte sie ihre Wut gegen sich selbst, zerriß ihre Haare und ihren Schleier, zerschlug sich Gesicht und Brust und rief die Wache, den Verräter in Ketten und Banden in ein unterirdisches Gefängnis zu werfen. Daraufhin eilte sie auch zum König, den unglücklichen Fortuné bei ihm anzuklagen. Sie erzählte ihm, daß er schon seit langer Zeit die Kühnheit besessen hätte, ihr seine Liebe zu erklären, daß sie, in der Meinung, ihn zu schonen und seine Leidenschaft durch die Abwesenheit zu heilen, keine Gelegenheit versäumt hätte, ihn zu entfernen, alles aber wäre umsonst gewesen. Er wäre in ihr Zimmer eingedrungen und habe sie behandelt wie eine gemeine Buhlerin. Sie verlange, daß man ihm den Prozeß mache.
Der König war über diesen Vortrag nicht wenig erstaunt. Er kannte die Heftigkeit seiner Schwester. Sie besaß sehr viel Macht und war fähig, das ganze Königreich in Unordnung zu bringen. Fortunés Kühnheit forderte eine exemplarische Strafe. Der Vorfall war schon überall bekannt, und es mußte dem König selbst daran gelegen sein, die Ehre seiner Schwester zu retten und sie zu rächen. Aber ach! an wem sollte er diese Rache ausüben? An einem Ritter, der sich für ihn den größten Gefahren ausgesetzt, der ihm noch heute einen Beweis seiner uneingeschränkten Ergebenheit gegeben hatte, an einem Ritter, den er liebte, für dessen Leben er selbst die Hälfte des seinigen gegeben hätte? Er stellte dies auch der Königin vor, er suchte sie zu erweichen, aber sie war unerbittlich. Sie wollte ihn nicht anhören und verlangte den Tod des Ritters.
Weil der König sich nun genötigt sah, diese Angelegenheit einer gerichtlichen Entscheidung zu unterwerfen, ernannte er etliche Richter, von welchen er glaubte, daß sie das gelindeste Urteil sprechen und am leichtesten zur Barmherzigkeit geneigt sein würden. Aber er wurde in seinen Hoffnungen getäuscht. Diese Richter wollten den Vorwurf, sie urteilten zu gering, zum Nachteil des unglücklichen Ritters widerlegen. Und weil diese Angelegenheit ein großes Aufsehen erregte, wappneten sie sich mit äußerster Härte und verurteilten den Beklagten, ohne seine Verteidigung anzuhören. Er sollte an einen Pfahl gebunden und durch drei Dolchstiche ins Herz getötet werden, denn es war sein Herz, das schuldig war.
Der König entsetzte sich vor diesem Urteil fast ebensosehr, als wäre es wider ihn selbst gesprochen worden. Er verwies alle Richter vom Hofe, aber das Urteil blieb doch in Kraft, und Fortuné sollte sich demselben unterwerfen. Die Königin triumphierte über diese Strafe und verlangte das Blut des Unglücklichen. Der König machte noch einen Versuch, sie zur Gnade zu bewegen, aber sie wurde nur um so erbitterter.
Endlich kam der Tag, an dem dieses schreckliche Urteil vollzogen werden sollte. Der Ritter wurde aus dem Gefängnis geholt, in das man ihn gesteckt und wo niemand zu ihm gesprochen hatte. Er kannte also nicht das Verbrechen, dessen ihn die Königin beschuldigt hatte, sondern dachte, sie wolle ihn wegen seines Kaltsinns erneut verfolgen. Am meisten schmerzte es ihn, daß, wie er meinte, der König seine Schwester in ihrer Raserei unterstützte.
Unterdessen war Floride untröstlich, daß ihr geliebter Ritter ins Unglück gestürzt wurde. Sie faßte den grausamen Entschluß, die Königin zu vergiften und, sofern der Ritter wirklich eines gewaltsamen Todes sterben müßte, selbst Gift zu nehmen. Sobald sie nun dieses schreckliche Urteil erfuhr, geriet sie in die äußerste Verzweiflung und sann nur noch auf Ausführung ihres Anschlages. Das Gift, welches man ihr brachte, wirkte langsamer, als sie gehofft hatte, und wiewohl sie es der Königin eingab, schadete es ihr doch anfangs nicht. Sie ließ den schönen Ritter auf den großen Schloßplatz führen, wo er in ihrer Gegenwart hingerichtet werden sollte. Die Henkersknechte zerrten ihn, ihrer Gewohnheit gemäß, aus dem Kerker und führten ihn wie ein Lamm zur Schlachtbank. Das erste, was er sah, war die Königin in ihrem Wagen, die ihm nicht nahe genug sein konnte und die, wenn es sich so ergab, sogar von seinem Blut bespritzt werden wollte. Der König hatte sich in seinem Kabinett eingeschlossen und beklagte das Unglück seines Lieblings schmerzlich.
Nunmehr band man den armen Ritter an einen Pfahl, riß ihm die Kleider vom Leibe und sah – zum Erstaunen der ganzen zahlreichen Versammlung – den alabasterweißen Busen eines Mädchens. Die Falschheit der Anklage war mit einem Male offenbar. Die Königin erschrak und schämte sich dermaßen, daß das Gift plötzlich wirkte. Sie fiel in schreckliche Zuckungen, und wenn sie für eine kurze Zeit zu sich kam, stieß sie angstvolle Klagen aus. Das Volk, das dem jungen Ritter, oder vielmehr der schönen Bellebelle, überaus gewogen war, hatte sie schon vom Pfahle losgebunden und wieder in Freiheit gesetzt. Man meldete diese große Neuigkeit geschwind dem König, welcher sich in der äußersten Betrübnis befand. Aber seine Traurigkeit verwandelte sich in unaussprechliche Freude. Er eilte nach dem Schloßhofe und geriet vor Vergnügen außer sich, als er die Verwandlung des Ritters sah.
Die letzten Seufzer seiner Schwester trübten seine Freude einigermaßen. Als er aber bedachte, wie boshaft sie sich aufgeführt hatte, konnte er sie nicht recht bedauern. Er beschloß, Bellebelle zu heiraten, um durch seine Krone die Dienste zu belohnen, die sie ihm geleistet hatte. Sein Antrag krönte die Wünsche dieses schönen und tugendhaften Mädchens, nicht weil es sich durch einen Thron glücklicher glaubte, sondern weil es den König liebte.
Als der Tag der Hochzeit festgesetzt war, zog Bellebelle wieder Frauenkleider an und war in dieser Tracht noch tausendmal reizender. Sie befragte das Pferd über ihr weiteres Schicksal, und dieses verkündete ihr nichts als frohe Tage. Aus Dankbarkeit für seine treuen Dienste ließ sie ihm einen Stall bauen, welcher mit Ebenholz und Elfenbein getäfelt war und wo es auf Matratzen, mit Atlas überzogen, ruhen sollte. Was ihre treuen sieben Bedienten anlangt, so belohnte sie diese so reichlich, daß sie völlig zufrieden sein konnten.
Unterdessen war Kamerad verschwunden. Als Bellebelle es hörte, betrübte sie sich sehr darüber, da sie ihn liebte. Sie ließ das Pferd drei Tage lang suchen, aber vergebens. Am vierten Tage stand sie, weil sie vor Kummer nicht schlafen konnte, noch vor der Morgenröte auf, ging in den Garten, von da in einen Wald und auf eine große Wiese. Allda rief sie: »Kamerad, mein lieber Kamerad! Wo bist du? Ich habe deinen guten Rat noch immer nötig. Komm wieder, ach komm, verlaß mich noch nicht!« Indem sie so rief, erblickte sie plötzlich ein Meteor am Himmel, das sich ihr langsam zu nähern schien. Wie groß war ihre Freude, als sie ihr Pferd erkannte. Sein Zaumzeug blitzte von Juwelen. Es galoppierte vor einem Wagen her, der mit Perlen und Topasen besetzt war und den vierundzwanzig Hammel zogen, deren Wolle zarter als Seide und weißer als Schnee war. In dem Wagen saß die Fee und neben ihr Bellebelles Vater und ihre beiden Schwestern, die in die Hände klatschten und ihr zuriefen und ihre Freude auf tausenderlei Weise an den Tag legten. Sie kamen alle zu ihrer Vermählung. Bellebelle wußte vor großer Freude nicht, was sie sagen sollte. Sie setzte sich, nachdem sie einander alle herzlich umarmt hatten, zu ihnen in den Wagen, und so zogen sie in den königlichen Palast ein, wo die Zurüstungen zu Bellebelles Vermählung schon gemacht waren. So verband der verliebte König sein Schicksal mit dem seiner Geliebten, und dieses zauberhafte Abenteuer ist von Jahrhundert zu Jahrhundert bis in unsere Zeit erzählt worden.

So wie ein Leu, dem man die Jungen raubt,
In Wut entbrannt, nur Tod und Rache schnaubt,
So läßt sich auch die Liebe vieler Schönen
Nicht ohne Wut nur mit Verachtung höhnen.
Dann ist’s nur des Verächters Blut,
Was ihrer Rachgier Gnüge tut.
Hier aber durfte sich nur Bellebelle zeigen,
So war die Unschuld klar, das Unrecht mußte schweigen
Und fand die wohlverdiente Pein.
Die Tugend mußte glücklich sein.

[Klaus Hammer: Französische Feenmärchen des 18. Jahrhunderts]

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