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Märchenbasar

Das goldene Lamm

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Einmal in zwölftausend Monden,
so ist es Jörds Spruch,
wird ein gülden Lamm geboren,
das den Mensch versuch’.
So lest nun, was vor vielen, vielen Jahren,
sich im Tal der Salm hat zugetragen.

Vor langer, langer Zeit lebte in den Ardennen im Tal der Salm ein Schäfer mit seiner Familie. Er hatte eine große Herde und Hunde, die mit ihm die Tiere hüteten, um sie vor garstigen Wölfen und dreisten Dieben zu schützen. Er lebte gut vom Verkauf der Wolle und des Fleisches und hatte ein schmuckes, kleines Haus und eine treue Frau, die sich um die Bleibe und die zwei Kinder kümmerte, während er tagein, tagaus bei seinen Tieren war. In den harten Wintern kehrte er zurück und versorgte die Tiere mit Gras, das Gehilfen ihm im Sommer eingefahren hatten.

So hätte er es zufrieden sein können, aber immer wieder war ihm dies nicht recht oder er hatte auf das zu schimpfen. Ein besonderer Dorn im Fleisch waren ihm die Büttel, die stets wiederkehrten, da sie wussten, dass es ihm wohl erging. Seine Frau versuchte meist, ihn zu beruhigen, aber dies war vergebliche Liebesmüh und er trieb es so weit, auf dass der Landesherr ihm mit dem Kerker drohen musste, dass er endlich Ruhe gebe. Die Jahre zogen ins Land, und so sehr der Hirte sich auch wünschte, dass sich etwas ändern möge, war es ihm so, als würde alles nur immer schlimmer.

In einer lauen Sommernacht, bei Vollmond, lag er auf der Lauer, denn Diebe hatten ihm in den vergangenen Nächten ein Tier gestohlen. Mit einem mal vernahm er eine Unruhe und dann ein gewaltiges Blöken inmitten der Herde. Da sprang der Schäfer aus seiner Deckung, denn er wollte wissen, was seine Tiere so erregte. In der Mitte der Herde konnte es kein Dieb oder Wolf sein und so eilte er sich, eine freie Fläche zu erreichen, welche die Schafe geschaffen hatten. In der Mitte lag ein Muttertier und neben ihm ein gerade erst geborenes Lamm. Die anderen Schafe glotzten und der Schäfer schaute noch viel dümmer drein, als er neben den beiden niederkniete. Das Lamm glitzerte golden im fahlen Licht des Mondes!

Da kam eine große Freude in dem Hirten auf und er klatschte in die Hände und tanzte verzückt umher, während die Herde auseinander stieb. Auch die Hunde kläfften, rannten herbei und wieder davon und es war ein großes Durcheinander, bis der Schäfer endlich ermattet zu Boden ging. Auf dem Rücken liegend sah er das nächtliche Himmelszelt.

„Danke!“, rief er laut, während er die Hände zu den Sternen hob, und seine Stimme hallte über die Lichtung, denn – wie jeder gute Hirte – wusste er um die Legende.

Schon nach kurzer Zeit stand das Lämmchen auf wackeligen Beinen. Das wachsame Mutterschaf machte keinen Unterschied zu anderen und beobachtete den Schäfer argwöhnisch. Seinen Hunden vertrauend, lief er, so schnell er nur konnte, nach Hause, zerrte Frau und Kinder aus den Betten und scheuchte sie durch die Nacht vor sich her, um ihnen das Wunder zu zeigen.

Als sie die Herde erreichten, zeigte er ihnen das goldene Lamm, das jetzt schon fest auf seinen kleinen Beinchen stand. Des Schäfers Frau staunte nicht schlecht und schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf. Die Kinder wussten es nicht besser und hatten das Lamm sogleich sehr lieb. Das Mutterschaf ließ sie gewähren, als sie es streichelten und auch auf den Arm nahmen. Das Lämmchen zeigte keine Furcht, aber es gab auch keinen Laut von sich. Später gingen die Frau und die Kinder zurück zum Haus und die Mutter erklärte den beiden, was es mit dem Lamm auf sich hatte.

„Einmal in tausend Jahren“, so sprach sie, „wird ein goldenes Lamm geboren. Seine Wolle ist aus purem Gold und wer es besitzt, der ist reich gesegnet.“

„Dann hat Gott uns das Lamm geschickt?“, fragten die Kinder ehrfürchtig.

„Wer sonst?“, versicherte die Mutter. „Denkt ihr, der Teufel würde freiwillig sein Gold hergeben?“

*

Schon bald hatte sich die Geburt des goldenen Lammes herumgesprochen und der Priester aus dem nächsten Ort eilte herbei, um sich selbst davon zu überzeugen.

„Wehe!“, rief er, nachdem er das junge Tier gesehen hatte und erhob mahnend den Finger. „Du musst es sogleich töten und verbrennen, denn das ist Teufelswerk!“

Der Schäfer winkte ab und sagte ihm, er solle sich von seinem Grund und Boden scheren. Unter lautem Gezeter verließ dieser die Familie des Hirten und wandte sich an einen Richter. Doch der fand nichts Boshaftes an dem Schaf und stellte fest, dass ein goldenes Lamm den Schäfer zwar noch reicher machen würde, aber keine Gefahr für Leib und Leben oder die Seele darstelle, solange der Hirte nicht anfangen würde, dem Tier zu huldigen. Selbst der Priester wusste, dass er den Schäfer mit oder ohne goldenes Lamm nie in seiner Kirche sehen würde und die Aussicht auf den Zehnten, der sich nunmehr kräftig erhöhen würde, ließ ihn alsbald auch schweigen. Zwar neideten ihm viele das goldene Lamm, gingen aber rasch wieder ihrer gewohnten Arbeit nach.

*

Nach einem Monat war das Lamm kräftig gewachsen und sehr gesund. Zum darauffolgenden Vollmond lief es zu dem Hirten, der unweit auf einem Felsen saß. Direkt unterhalb blieb es stehen und sah den Schäfer mit klarem Blick an.

„Wisse, Hirte“, sprach das zierliche, golden glänzende Tier, „dass du nun eine Entscheidung treffen musst.“

Der Schäfer nickte und schien nicht überrascht, erhob sich vom Felsen und setzte sich vor seinem goldenen Lämmchen auf den Boden. Dass er nach einem Monat eine wichtige Entscheidung würde treffen müssen, war ihm klar, aber da endete sein Wissen um die Legende.

„Gut“, antwortete das Lamm. „Du kannst dich entscheiden, alles zu lassen, wie es ist. Dann kannst du mich scheren, wie die anderen Schafe und die Wolle wird bis ans Ende meiner Tage aus purem Gold sein. Du kannst dich aber auch entscheiden, dass ich dir einen Wunsch erfülle …“

Des Schäfers Augen begannen zu glänzen und er öffnete schon den Mund.

„Du musst aber wissen“, fügte das Lamm schnell hinzu, „dass, wenn ich dir deinen Wunsch erfülle, meine Wolle nur noch aus Silber sein wird.“

Für einen Moment hielt der Hirte inne, dann nickte er.

„Ich wünsche“, sprach er mit bebender Stimme, „dass meine Herde zehn mal so groß wird!“

„So soll es sein“, bestätigte das Lamm, dessen Fell sich augenblicklich von Gold zu Silber verwandelte.

Da sich sonst nichts weiter rührte und der Schäfer, nachdem er den Felsen wieder erklommen hatte, nicht erkennen konnte, dass er auch nur ein Schaf mehr hatte, stieg er wieder hinunter und ging zu dem silbernen Lamm, das sich zu seiner Mutter gesellt hatte.

„Sag“, verlangte er zu wissen, „wann wirst du mir den Wunsch erfüllen?“

„Ach, Schäfer“, lachte das Lamm, „dein Wunsch wird dir schon erfüllt. Von nun an kannst du kein Tier mehr schlachten, verschenken oder verkaufen, bis deine Herde zehn mal so groß geworden ist.“

Mit einem Mal war dem Schäfer, als würde die gesamte Herde ihn auslachen und Zorn stieg in ihm auf. Er holte mit seinem Stock aus, um sie an den Tieren auszulassen, aber er konnte sie nicht einmal treffen. Schließlich zerbrach sein Hirtenstab und er lief, vor Wut heulend, davon. Daheim erzählte er nichts und fand auch angeblich keine Erklärung, warum das Lamm nur noch silberne Wolle trug.

Die Zeit verging wie im Fluge. Auch wenn der Schäfer das Geld gut hätte gebrauchen können, so verkaufte er doch kein einziges Tier seiner Herde und wachte noch argwöhnischer darüber, dass weder Wolf noch Räuber seinen Schafen zu nahe kam. Insgeheim wurde er aber immer wütender und konnte sich nicht recht entschließen, ob nun auf sich selbst oder aber das hinterhältige Lamm. Bevor der Monat zu Ende ging, musste er die Ersparnisse angreifen und obwohl er davon reichlich hatte, war er doch wenig erbaut, dass die Büttel die Steuer nach wie vor anhand der Zahl der Tiere bemaßen.

Zum nächsten Neumond trat das silberne Lamm erneut vor den Schäfer und sprach: „Wisse, Hirte, dass du nun eine Entscheidung treffen musst. Entweder lässt du alles so wie es ist und du kannst mich, wie jedes andere Schaf der Herde, bis ans Ende meiner Tage scheren und die Wolle wird stets aus reinstem Silber sein oder aber ich erfülle dir einen Wunsch und das Silber soll fortan nur noch Bronze sein.“

Der Schäfer musterte das Lamm argwöhnisch und murrte: „Bis wann muss ich die Entscheidung getroffen haben?“

„Wenn die Sonne am Firmament aufsteigt“, antwortete das Lamm mit sanfter Stimme. „Höre ich bis dahin keinen Wunsch von dir, so soll alles bleiben wie es ist. Einen Wunsch erfülle ich alsbald du ihn ausgesprochen hast.“

„Dann soll“, verlangte der Hirte, ohne noch einmal darüber nachzudenken, „von jetzt an meine Herde nie wieder von Wölfen oder Dieben heimgesucht werden können!“

„Hast du es dir gut überlegt?“ verlangte das Lamm zu wissen und neigte das Köpfchen ein wenig zur Seite.

„Ich sehe nicht“, maulte der Schafhirte unwirsch, „wie du mich diesmal austricksen könntest.“

„So soll es sein“, bestätigte das Lamm, dessen Wolle sich von strahlendem Silber zu fahler Bronze verwandelte. Mit einem Mal war die Aue wie leergefegt und außer dem bronzenen Lamm war kein einziges Schaf mehr weit und breit zu sehen.

„Was?!“ Der Schäfer sprang auf und lief außer sich auf und ab. „Was hast du getan?“

„Weder Wolf noch Dieb vermag die Herde nunmehr zu erreichen, ganz wie du es dir gewünscht hast.“

„Hol sie sofort zurück!“ Der Mann schäumte vor Wut, konnte dem Lamm aber kein Leid zufügen, obgleich er es versuchte. „Hol sie zurück!“, kreischte er außer sich.

„Nur ein Wunsch an jedem neuen Mond“, antwortete das Lamm und sprang, wie junge, ausgelassene Schafe dies nun einmal tun, auf der Wiese umher.

*

Dem Schäfer war es alles andere als wohl und er hatte große Mühe, nicht aus der Haut zu fahren. Niemand, nicht einmal seine Frau glaubte ihm, dass das Lämmchen ihn hintergangen hatte und alle Schafe verschwunden waren.

„Das ist Unsinn!“, hatte seine Frau gerufen und bezichtigte ihn des Betrugs, denn sie argwöhnte, dass er alle Tiere für gutes Geld verkauft hatte und sich alsbald zu einem anderen Weibsbild davonmachen wollte. Als er nicht mehr ein noch aus wusste, zerschlug er Geschirr und tobte wie irrsinnig im Haus umher. Da sie sich nicht anders zu helfen wusste, rief sie die Wachen und das Gericht der nahen Stadt um Hilfe an.

„Nun, Schäfer“, sagte der alte Richter, „ich hatte angenommen, dass es sich um ein Wunder handelt, von dem du und die deinen profitieren und nicht etwa um Teufelswerk. Wenn du nun aber sagst, dass dieses Tier hexen kann, muss ich dich fragen, wie du es, vor Gottes Angesicht, so weit kommen lassen konntest?“

Der Hirte rang mit seiner Fassung, denn jetzt konnte er unmöglich die Wahrheit sagen. Der Richter schüttelte den Kopf und ließ ihn ins Verlies werfen, damit er sich besinnen konnte und alsbald die Wahrheit sprechen würde.

Da das Lamm, das nun ganz alleine und völlig unbehelligt auf der Aue lebte, nur noch bronzefarben war, argwöhnte nicht nur der Priester, dass es mit dem höheren Anteil am Zehnten nicht mehr weit her sei, sondern auch die Büttel hegten Zweifel, dass der Schäfer gewillt sein würde, freiwillig die Steuer für den Verkauf der ganzen Herde zu zahlen.

Sie bedienten sich alle an seinem Vermögen und seine Frau zog mit den Kindern davon. Als er nach fast einem Monat entlassen wurde, war er ausgemergelt und zahlreiche Prellungen und Wunden zeugten von peinlichen Verhören. Niemand beachtete ihn und so ging er, so schnell ihm dies möglich war, nach Hause.

Geld und Hausrat hatte die Familie mitgenommen. Was noch übrig geblieben war, hatten Räuber geplündert und den Rest des Hauses verwüstet. Des Schäfers Hunde hatten sich davongemacht, da sich niemand mehr um sie kümmerte und so jammerte und heulte er voller Wut und Verzweiflung, bis er das Lamm sah, welches im Türrahmen stand.

„Sei gegrüßt, Hirte“, sprach das bronzene Lämmchen. „Wisse, dass du erneut eine Entscheidung treffen musst. Entweder lässt du alles so wie es ist und du kannst mich, wie jedes andere Schaf, bis ans Ende meiner Tage scheren und die Wolle wird stets aus guter Bronze sein oder aber ich erfülle dir einen Wunsch und werde fortan nur noch ein gewöhnliches Lamm sein.“

„Alles ist fort“, jammerte der Schäfer da und fiel auf die Knie. „Du hast mir alles genommen …“

„Ich habe erfüllt“, erwiderte das Tier, „was du dir so sehr gewünscht hast.“

„Ach!“, rief der Mann, der nun voller Wut auf die Dielen einschlug, bis seine Hände blutig waren. „Morgen werden sie sicher wieder kommen und Geld von mir verlangen. Was soll ich denn tun?“

Das Lamm stand regungslos.

„Wenn du also bis zur Morgendämmerung keinen Wunsch geäußert hast, so wird alles so bleiben wie es ist.“

Bevor sich das junge Schaf zum Gehen wenden konnte, stoppte es der Schäfer: „Warte! Ich will nie wieder von den Wachen und Bütteln oder der Kirche angegangen werden!“

„Das“, wollte das Lamm wissen, „ist dein letzter Wunsch?“

Der in zerlumpte Kleider gehüllte und schmutzige Hirte nickte, während Tränen über seine Wangen liefen. Er konnte an nichts anderes mehr denken, als nie wieder einem Verhör unterzogen zu werden.

Da wandelte sich die Wolle des Lamms erneut und es sah aus wie jedes andere der jungen Schafe einer Herde. Blökend lief es davon und ließ den Schäfer allein in seinem heruntergekommenen Haus zurück.

Und während er noch da kniete, sich wunderte und dem ausgelassenen herumspringenden Lämmchen nachschaute, schnappte er mit einem Male nach Luft. Entsetzt griff er sich an die Brust und fiel nur einen Augenblick später tot zu Boden.

Quelle: Thomas Klaus

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