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Märchenbasar

Das Wolkenschloss

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Zu der Zeit, da das Wünschen und Träumen noch geholfen hat, lebte einmal ein König. Er war der reichste König weit und breit. Es gab nichts, das er nicht besaß. So lebte er in einem riesengroßen Schloss, in dem es neunundneunzig Schatzkammern gab. Was sich in den Schatzkammern befand, soll jetzt nicht erzählt werden. Hier geht es um den König, der trotz seines großen Reichtums nicht besonders glücklich war.
Er wollte immer mehr sein eigen nennen und überlegte stets, was er sich noch alles wünschen könnte. Sein Ziel war es, irgendwann wunschlos glücklich zu sein. Die Diener des Königs waren täglich unterwegs, um für den König Besorgungen zu machen. Das war nicht leicht, da sich der König oft sehr ausgefallene Sachen wünschte. Einmal waren die Diener ziemlich ratlos. Der König wollte unbedingt ein Wolkenschloss haben. Er sagte: „Keiner besitzt ein Schloss in den Wolken. Ich will der Erste sein, dem so ein Schloss gehört!“
Alle strengten sich mächtig an, dem Wunsch des Königs gerecht zu werden. Das ganze Volk strengte sich an, eine Lösung für den merkwürdigen Wunsch zu finden. Aber vergebens! Schließlich führte keine Treppe hoch bis zu den Wolken. Wie sollte man das ganze Baumaterial hoch schaffen?
„Nein, ein Wolkenschloss ist ein Ding der Unmöglichkeit, Eure Majestät! Ihr müsst Euch etwas anderes wünschen!“, teilte der Kammerherr dem König mit allergrößtem Bedauern mit. Da wurde der König sehr, sehr traurig. Bisher hatte er immer alles bekommen, was er wollte. Der König war so unglücklich, dass er darüber schwer krank wurde. Nun holte man die besten Ärzte aufs Schloss, doch niemand konnte ihm helfen. Nicht einmal die Zauberer! Man versuchte es mit lustigen Hofnarren, doch auch diese vermochten es nicht, den König zu erheitern. Die Nachricht vom schwer kranken König verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Königreich. Auch die Tochter eines armen Bauern erfuhr davon. Sie hatte nichts zu verlieren und machte sich auf den Weg zum Königsschloss. Dort angekommen trat sie vor den König, der in seinem Bett lag und sagte: „Eure Majestät, ich bin gekommen, um euer Schloss zu bauen!“
Der König blickte sie überrascht an: „Man sagte mir, es sei unmöglich ein Schloss in den Wolken zu bauen!“
„Alles ist möglich, wenn man nur daran glaubt!“, gab die Frau zur Antwort.
Dem König gefiel die Frau auf dem ersten Blick. Er ertappte sich, wie er die Frau von oben bis unten musterte. Wie schön sie doch war! Und welch ein nettes Lächeln sie hatte! Es schien so, als würde sich der König in ihrer Anwesenheit bereits etwas besser fühlen. Er gab sich ein Versprechen: Falls er je wieder gesund werden sollte, dann wollte er die Frau bitten, seine Gemahlin zu werden! Ja, und wenn es wirklich wahr wäre, dass sie sein Wolkenschloss bauen konnte, dann umso besser! Die Frau erklärte: „Eure Majestät! Damit ich Euch ein Schloss in den Wolken bauen kann, müsst Ihr Euch entspannen. Schließt Eure Augen und ich beschreibe Euch, wie das Schloss aussehen wird!“
Der König gehorchte und schloss seine Augen.
„Die Grundsteine werden gelegt. Sie sind aus weißem Marmor. Danach werden die goldenen Mauern hochgezogen. Insgesamt hat das Schloss sieben Türme von unterschiedlicher Größe, deren Dächer mit roten Ziegeln gedeckt sind…“, begann die Frau zu erzählen. Der König lauschte der freundlichen Stimme und sah das Schloss vor sich, doch nach einiger Zeit schlief er ein.
Als der König am nächsten Tag erwachte, ließ er sofort nach der Frau rufen.
„Habt Ihr gut geschlafen, Eure Majestät?“, fragte sie.
„Ja, ich habe schon lange nicht mehr so gut geschlafen wie letzte Nacht. Aber du hast noch nicht zu Ende erzählt, wie mein Schloss aussehen soll!“, antwortete der König. Da lachte das Mädchen und sagte: „Eure Majestät ist von der Müdigkeit überrascht worden! Also habe ich das Wolkenschloss Ihren Träumen überlassen!“
Der König erinnerte sich: „Ich habe tatsächlich von einem Schloss geträumt. Es war ein schöner Traum. Aber könntest du nicht bitte mit deinem Bericht fortfahren?“
So erzählte die Frau weiter: „Die Fenster schimmern in den buntesten Farben. Es gibt große und kleine Fenster. Kein Fenster gleicht dem anderen. Die Türen sind aus Silber, die glitzern und glänzen wie Spiegel. Man erkennt darin die wunderschönsten Dinge. Überhaupt: das ganze Wolkenschloss funkelt…“
Schon wieder war der König eingeschlafen. Er träumte von seinem Wolkenschloss, und wie es war, dort zu wohnen. Als er das nächste Mal erwachte, saß die Frau noch neben ihm und lächelte ihn an. „Soll ich das Wolkenschloss weiterbauen?“, fragte sie. Der König nickte.
„Das Wolkenschloss ist von einem traumhaft schönen, duftenden Blumengarten umgeben. Alle Blumenarten sind dort vorhanden. Und wer auf dieser Blumenwiese geht, der fühlt sich großartig. Das Gras ist samtweich. Anstelle des Zaunes oder einer Mauer rund ums Schloss ragt die große, weiße Wolke empor. Sie vermittelt Sicherheit und Geborgenheit.“
Das Wolkenschloss wurde in der Fantasie weitergesponnen. Der König sah so glücklich aus. Und mit jedem Tag, an dem die Frau an dem Wolkenschloss weiterbaute, fühlte er sich besser. Und eines schönen Tages war er geheilt. Er erinnerte sich an sein Versprechen und bat die Frau, ihn zu heiraten: „Lass uns gemeinsam alt werden. Dann haben wir noch viel Zeit, das Wolkenschloss fertig zu bauen. Und wenn es auch nur in unseren Träumen existiert!“
Die Frau hatte den König mittlerweile sehr lieb gewonnen und willigte in die Hochzeit ein. So kam es, dass der König sein Ziel erreicht hatte: er war wunschlos glücklich. Und wenn sie nicht gestorben sind, so träumen sie noch heute von einem Schloss hoch oben in den Wolken.

Quelle: Carmen Kofler

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