Wer durchs Gebirge wandert, hört vielleicht ein leises, dumpfes Schlagen.
Vielleicht wisst ihr nicht was es ist, wundert euch, ignoriert es gar.
Oder habt ihr sie schon einmal gesehen?
Die kleinen Zwerge, fleißige Bergleute, die nach Eisenerz suchen?
Seit ewigen Zeiten bearbeiten sie die Berge, schlagen tiefe Stollen und fördern große Schätze. Sie sind ebenso Meister der Schmiedekunst, doch das ist für unsere Geschichte ohne Belang.
Unsere Geschichte erzählt von einem der Bergleute, einem besonders gierigem Zwerg:
Eines Nachts hatte dieser einen Traum, einen funkelnden, glitzernden. Zwerge neigen dazu ihren Verstand zu verlieren, wenn sie zu viel Gefunkel zu Gesicht zu bekommen.
Dieses Schicksal hätte auch unseren Freund beinahe ereilt.
Der Traum verriet ihm nämlich, wo der Drachenschatz zu finden sei. Tief im Inneren des Berges, in welchem er gerade arbeitete.
So änderte der Zwerg gleich am nächsten Tag seine Richtung, schlug steiler und tiefer in den Berg hinein. Ich komme, Schatz. Ich hole dich ans Tageslicht.
Seine Freunde bemerkten die Veränderung in ihm. Er wurde schweigsam, zog sich von den anderen zurück, arbeitete noch härter. Aus Sorge zwangen sie ihn letztendlich zur Rede. Zwerge haben da so ihre Methoden.
Der gierige Zwerg berichtete gequält die Geschichte vom Drachenschatz. Seine Sorgen waren unbegründet, keiner wollte ihm seinen Schatz streitig machen. Stattdessen suchten sie, ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
Und wenn der Drache noch immer dort haust? Was, wenn etwas noch Schrecklicheres dort auf dich wartet? Drachenschätze sind verzaubert! Niemand darf sie stehlen! Niemand darf zu tief graben! Denk daran! Das war eine uralte Zwergenregel, die niemals gebrochen werden durfte, wenn nicht das Unheil über die ganze Sippe hereinbrechen sollte.
Einwände und Warnungen prasselten auf den Zwerg nieder. Doch er schenkte ihnen keine Beachtung. Er grub weiter, wochen-, monatelang.
„Hör auf! Komm zu uns!“, hallten die Warnungen seiner besorgten Freunde in dem tiefen Stollen wider.
„Ich will aber!“, rief er zornig aus und schlug seine Axt tiefer und tiefer.
Der Schall der singenden Äxte seiner Zwergenfreunde wurde immer leiser und ihre Rufe verstummten gar.
Der gierige Zwerg merkte nicht, dass die anderen sich immer mehr von ihm entfernten. War zu beschäftigt. Graben. Tiefer immer tiefer. Er konnte nicht aufhören, kaum ruhen, kaum essen.
Ich kriege euch, ihr Kostbarkeiten! Dann werden die anderen staunen!
Noch ein Schlag und noch einer.
Mit einem heftigen Beben erzitterte der Berg. Das Grauen war erwacht. Alle Warnungen vergebens. Es war zu spät!
Weit weg von unserem kleinen Freund, versetzte das Beben die Anderen in großen Schrecken.
„Lauft! Lauft!“, schallte die Angst der Zwerge durch den Berg. Ohne die Gefahr klar benennen zu können, eilten alle so schnell sie konnten ins Freie, schafften es unversehrt, keuchend und schnaufend.
„Das Grauen ist erwacht!“, wisperten sie sich zu und mühten sich, den Abstand zwischen ihnen und dem bebenden Berg zu vergrößern.
Nur einer war in den Tiefen des Berges geblieben: Der gierige Zwerg.
Er bebte ebenfalls, vor Erregung.
„Hier liegen tief verborgene Schätze, das weiß ich! Und ich will sie haben!“
Bald wären sie sein. Bald könnte er ruhen, zurückkehren zu seinen Freunden und glücklich leben bis an sein Ende. Bald! Sehr bald!
Er konnte es kaum noch erwarten.
Dann ging alles sehr schnell, viel zu schnell. Und es war gar nicht schön. Eiskalt lief es dem Zwerg über den Rücken. Er vermochte nicht zu sagen, was es war. Es war gewaltig! Völlig ohne Glanz und Glitzer. Es war schwarz wie die Nacht, unendlich wie der Himmel. Nirgends schien das Wesen anzufangen, noch zu enden. Doch es war da. Kroch aus den Steinen heraus, stetig auf den Zwerg zu. Es kam aus allen Richtungen, umkreiste den Zwerg. Es hüllte ihn ein, nahm ihm die wenige Luft zum Atmen. Drohte ihn zu ersticken.
Der Berg bebte, Steine fielen, rollten donnernd davon. Tiefer in den Berg hinein.
„Zwerg!“, grollte eine schaurige Stimme.
Der Zwerg schwieg, suchte sich zu verstecken. Der Stollen war eng und ohne Windungen. Hoch! Aber er konnte sich nicht rühren.
Raus! Aber er blieb!
Es gab kein Entkommen! Das Grauen war überall. Hielt ihn gefangen im Stollen, den er eigens gegraben hatte.
„Zwerg! Du hast mich geweckt! Was willst du?“
Zähneklappern war alles, was der Zwerg von sich gab.
„Antworte Zwerg!“
„Ich, ich s..su..suche n..nach d..dem Schatz .“
„Schatz? Ich bin kein Schatz! Ich bin das Grauen. Das dunkle tiefen Grauen und du hast mich erweckt!“
Sie haben Recht gehabt, alle! Und ich habe mich geirrt. Jetzt ist es zu spät. Nun wird das Grauen mich verschlingen.
„E..es ttu..tut mir, mir leid.“ Ich muss hier irgendwie wieder raus kommen. Koste es was es wolle. Verflucht! Es geht um mein Leben!
„Es tut dir leid?“ Drohend hüllte die Gefahr den Zwerg ein. „Ich werde ge..gehen und Eu..ch in Ruhe sch..sch.schlafen lassen.“
„Dazu ist es zu spät! Ich bin wach! Jetzt habe ich Huungerrr!“ Das rrr grollte düster durch den Berg, hallte an den Wänden wieder. Hunggerrr! Hungerr!
Das bedrohliche Echo weckte den Zwerg aus seiner Erstarrung, löste endgültig den Bann des Schatzes.
Er schleuderte dem Wesen seine Axt entgegen.
„Verschwinde! Kehre zurück in deinen Berg. Dort sollst du ruhen! Ungestört! Bis der nächste Narr dich wecken möge! Ich will dich nicht! Ich brauche deine Schätze nicht! Verschwinde!“
„Arrrghhhh“, fauchte es. Ein windiger Hauch erfüllte den Stollen, zwang den Zwerg sich abzuwenden.
„Hinfort mit dir!“, schrie er weiter, spürte wie das Grauen schwächer wurde.
„Ja! Zurück in den Berg mit dir. In die dunklen Tiefen.“
Ob das Wesen sich wirklich zurückzog, oder ob es schwächer wurde, vermochte der Zwerg nicht zu sagen. Doch je mehr er es anschrie, umso freier fühlte er sich.
Endlich war es vorbei, das Wesen fort, vertrieben oder vernichtet.
Zitternd und starr wie eine Statue blieb er noch lange stehen, vermochte diesen schrecklichen Ort nicht zu verlassen. Einen Schatz hatte er gesucht, ein unermessliches Grauen gefunden. Niemals, versprach er sich. Niemals mehr wollte er so gierig sein.
Ganz langsam gehorchten seine Glieder ihm wieder. Noch langsamer machte er sich an den Aufstieg, erreichte das Ende des Tunnels und trat ins Freie. Geblendet schloss er die Augen und atmete die klare Luft ein.
Vor Erschöpfung brach er zusammen, wurde gefunden von den Zwergen seiner Sippe. Wieder aufgenommen in die Gemeinschaft schwor er nie wieder zu tief zu graben.
Nur noch manchmal, ganz leise, erwachte in ihm die Neugier, eine Sehnsucht nach den tief verborgenen Schätzen im Berg.
Quelle: Stephanie Katharina Braun