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Märchenbasar

Das Jammädchen Adanume

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Ein Versprechen ist kein unbesonnenes Wort, ein Versprechen gibt man nicht am Morgen, um es vielleicht schon am Abend zu brechen. Ein Versprechen ist kein Regentropfen, der in die Erde sickert und verschwindet, kein Windzug in den Bäumen, kein Vogeltriller aus der Ferne. Nein ein Versprechen bleibt und steht über dir, bis du es erfüllt hast, ja, mitunter, bis den eigenes Leben abgelaufen ist. Ein Versprechen, das du gabst, kann zuweilen dich selbst überleben. Bitter wirst du es bereuen, wenn du ein Versprechen brichst. Das Märchen von Adanume, dem Mädchen, das Jamknolle war, wird es dir zeigen.

Eine Frau, die außerhalb ihres Dorfes allein in einer Hütte wohnte, wünschte sich ihr Lebtag ein Kind – am liebsten eine Tochter. Aber Jahr um Jahr verging, ohne daß sie eine bekam – und ihr Verlangen wurde immer größer. Wenn das Dorf seine Feste feierte, dachte die einsame Frau: „Ach hätte ich doch eine Tochter, das Fest mit ihr zu teilen – meine Freude wäre doppelt so groß.“ Wenn sie auf ihrem Acker arbeitete, so dachte sie: „Wie vergnüglich ließe sich arbeiten, hätte ich eine Tochter, die mir zur Hand ginge.“ Bei den einsamen Mahlzeiten in der Hütte teilte sie das Beste ab und sprach: „Hätte ich eine Tochter, dies wäre für sie! Und Raum ist hier für uns beide.“ So kreisten die Gedanken der Frau immer um dieses eine, daß sie kein Kind hatte.
Junge Dorfbewohner machten sich zuweilen über sie lustig, wiesen mit dem Finger auf sie und riefen: „Seht, da geht sie, die kein Kind bekommen kann!“

Doch eines Tages, als die Frau auf ihrem Acker arbeitete und Jamknollen erntete, geschah etwas Merkwürdiges. Sie hatte gerade ein paar der wohlschmeckenden Hackfrüchte aus der Erde naufgenommen, eine war größer als die übrigen und besonders schön geformt.
Die Frau nahm die Jamknolle vorsichtig in die Hand, richtete sich auf, indem sie sie zärtlich betrachtete und sagte: „Ach wenn das ein kleines Mädchen wäre, wie glücklich wollte ich sein!“ Zu ihrem großen Erstaunen kam aus der Jammknolle eine Stimme, die sprach: „ Wenn ich deine Tochter werde, wirst du mir dann versprechen, mich niemals zu verraten und mir niemals vorzuwerfen, daß ich eine Jamknolle war, die du aus der Erde gezogen hast?“ Eine große Freude durchfuhr die Frau bei diesen Worten. Stumm vor Glück verschlug es ihr zuerst die Rede, aber dann versprach sie eifrig, was die Stimme in der Jamknolle begehrte, ja, sie war in diesem Augenblick bereit, das Blaue vom Himmel zu versprechen, wenn nur die schöne Jamknolle sich in ein Menschenkind verwandelte.

Und so geschah das Wunder; plötzlich stand vor der Frau ein schönes Mädchen. Es sprach: „Nun will ich deine Tochter sein. Aber vergiß nicht, was du mir versprochen hast!“ Die Frau nannte das Mädchen Adanume, führte es in ihre Hütte und gab ihm das Beste zu essen, was sie hatte. Das junge Mädchen, das sehr schön war, nannte die Frau hernach Mutter und war ihr eine große Hilfe und Freude. Es buk Maisbrot, grub ihre Hackfrüchte aus dem Acker und verkaufte, was sie selbst nicht brauchten, auf dem Markt des Dorfes. Bals dachte niemand mehr daran, daß sie nicht immer Mutter und Tochter gewesen waren. Das Glück der Frau war so vollkommen, wie sie es sich in ihren Träumen ausgemalt hatte.

Aber eines Tages kam hernach dennoch ein Unglück zu ihrer Hütte – durch ihre eigene Unbedachtsamkeit. Adanume hatte sich am Morgen zum Markt begeben, um wie gewöhnlich die Früchte ihres Ackers zu verkaufen. Das Mädchen blieb lange im Dorf, und als sie bis zum Abend nichts von sich hören ließ, wurde die Mutter ungeduldig. Sie bildete sich sogar ein, daß Adanume aus Ungehorsam trödelte, oder weil sie nicht im Hause helfen wollte. Als die Frau vor ihrer Hütte stand und nach dem Mädchen ausschaute, sprach sie verärgert, doch ohne besondere böse Absicht, vor sich hin: „Wo kann Adanume sein? Das liederliche Mädchen verdiente wirklich kein so gutes Zuhause, wie es bei mir gefunden hat. Geschweige den schönen Namen! Adanume – eine Hackfrucht aus der schwarzen Erde!“

Die verächtlichen Worte hörte ein kleiner Vogel, der in der nähe der Hütte auf einem Ast saß und sang – quivitt, quivit! Rasch flog er weiter, den Pfad zum Dorf entlang. Unter einem Baum am Wege saß Adanume und ruhte aus. Sie hatte nicht alle Hackfrüchte verkauft und eine recht schwere Bürde zu tragen. Über ihr im Gezweig ließ sich der kleine Vogel nieder und begann zu rufen:
„Adanume! Adanume!“
Ich weiß, wo du wohnst, quivitt!
Und ich weiß, wo du bist, quivitt!
Doch bald glaubt niemand mehr
an den schönen Namen, den du trägst!
Du hast keine eigene Mutter, quivitt!
Kamst bloß aus der Erde Schoß, quivitt!
Eine Jamknolle, so stattlich und groß!
Jam, Jam, Jam! Quivitt, vitt vitt!
Jam ist dein richtiger Name!
Adanume!

Das Mädchen hörte den Vogel singen. Die Worte des kleinen Angebers füllten es mit Angst und Verzweiflung. Rasch nahm es seine Körbe und lief mit der schweren Last heim zur Hütte. Das schadenfrohe Zwitschern im Ohr, weinte es bitterlich. Vor der Haustür stieß es auf die Mutter, die ihren Ärger über Adanumes Verspätung schon ganz vergessen hatte. Jetzt erschrak sie, weil das Mädchen weinte. „Adanume, was ist dir, warum weinst du?“ Das Mädchen konnte vor lauter Schluchzen kaum sprechen.
O Mutter! O Mutter!
Ich habe deine bösen Worte gehört!
Was wirfst du mir vor,
wie verrietest du mich!
Nun muß ich wieder hinunter!
O Mutter! O Mutter!
Da erinnerte sich die Frau ihrer harten Worte, und ihr Schrecken wuchs, als sie einsah, daß sie damit ihr Versprechen gebrochen hatte:
„Adanume! Adanume!
Meine Tochter bist du, mein einziges Kind! Glaube mir, du bist sehr lieb,
glaub meinen Worten, höre auf mich! Hier ist dein Platz und nicht in der Erde!“

Aber Adanume war schon aufs Feld hinausgelaufen. Ihre zarten Schultern bebten vor Schluchzen. Von schlimmen Ahnungen erfüllt, lief die Frau dem Mädchen nach – umsonst. Als sie das Feld erreichte, gab es keine kleine Adanume mehr. Wohl eine besonders große und schöne Jamknolle – aber doch nur eine Jam. Und trotz bitterer Reuetränen der Frau blieb die Jamknolle leblos und ohne Stimme.

Quelle: Märchen von der Goldküste „Anansi Sem“

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