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Märchenbasar

Das Leid der Meerschildkröte

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Erwarte dir für deine Wohltaten und weisen Ratschläge nicht immer Geschenke und Ruhm oder auch nur Dankbarkeit von deinen Schützlingen. Statt dessen sei selbst dankbar, wenn sie deine Hilfe nicht damit vergelten, daß sie dir nach dem Leben trachten und dich im ganzen Lande das dümmste aller Geschöpfe schelten. Denn der Hilfsbedürftige fühlt sich oft gedemütigt, weil er nicht aus eigener Kraft imstande ist, das Unglück abzuwehren. Seine Eitelkeit ist stärker als Dankbarkeit und Wahrheitsliebe. Darum tun die Geretteten oft so, als hätten sie sich selber errettet und überfallen ihre Wohltäter mit Pfeilen und scharfen Messern, damit er sie und ihre Kinder nicht mehr an die eigene Hilflosigkeit im Unglück erinnere. Das mußte die große friedliche Meerschildkröte erfahren, sie, die stärkste unter den Meeresbewohner, die mehrere erwachsene Männer auf ihrem Rücken tragen kann. In einem ihr bekanntesten Märchen hat die weise Spinne Anansi allen Geschöpfen, zur Lehre den wirklichen Grund für den Kummer der Meerschildkröte aufbewahrt.

Einmal vor Zeiten, als die Menschen noch nicht lange in diesem Lande lebten, begannen die Seen und Flüsse und das große Meer das Land zu überschwemmen. Unablässig ließ der Regen das Meer anschwellen. Die Äcker, die Grasflächen und Teile des Dschungels standen bald unter Wasser; das Meer schluckte alles, was ihm in den Weg kam. Viele Menschen überraschte es schlafend in ihren Hütten, so daß sie ertranken. Zornig spülte es Sand und Erde und Behausung fort, und die Überlebenden flohen entsetzt zu höher gelegenen Teilen des Landes. Aber auch dort waren sie nicht sicher. Das Meer stieg und stieg. Keiner wußte einen Weg, das gemeinsame Unglück zu bannen.

Aber eines Tages erschien die große gutmütige Meerschildkröte zur Rettung der Menschen. „Fürchtet euch nicht mehr!“ sprach sie zu den Flüchtlingen. „Folgt meinem Rat, er wird euch und euren Kindern in diesem Lande Sicherheit schenken. An den Strandufern, die das Meer noch nicht überschwemmt hat, sollt ihr junge Kokospalmen pflanzen, eine Reihe hinter der anderen. Die Palmenwurzeln werden Sand und Erde festhalten, so daß das Meer sie nicht mehr fortreißen kann. Im Schutz der Kokospalmreihen wird das Volk furchtlos seinen Acker bestellen und seine Nahrung aus dem Dschungel holen.“ Froh machten sich die Menschen daran, den weisen Rat der gutmütigen Meerschildkröte zu befolgen. Sie gruben junge Kokospflanzen aus und pflanzten sie in großer Menge an den Ufern des Meeres an, eine Reihe hinter der anderen. Und wirklich, nun hörten die Überschwemmungen auf. Zornig schäumte das Meer gegen die vom Volk gepflanzten Palmengürtel, aber das Wasser vermochte Sand und Erde nicht mehr fortzuschwemmen, und die Menschen konnten geborgen ihren täglichen Geschäften nachgehen.

Noch einmal kam die Meerschildkröte herauf, damit in dem warmen Sande die lebenspendende Sonne ihr Ei ausbrüte und ihr Kind, aus den hindernden Schalen hervorschlüpfte. Als sie Menschen näherkommen sah, glaubte sie zuerst, daß sie ihr danken wollten für den guten Rat. Doch die Menschen kamen mit Spießen und groben Stöcken, um die Meerschildkröte zu töten und ihr Fleisch als Nahrung zu genießen. Als die Meerschildkröte das sah und den ersten Schlag gegen ihren Kopf fühlte, richtete sie sich auf und schlug sie mit ihren Schwimmfüßen klagend an ihre Brust. „Ach“, sprach sie…., „ich half euch Menschen, die Rettung zu finden, als das große Meer zürnte und die Wasser das Land fortrissen, so daß ihr Tag und Nacht in Sorge leben musstest. Aber ihr lohnt mir damit, mich zu töten…..“
Seit jenem Tag schlägt sich die gutmütige Schildkröte immer klagend an ihre Brust, wenn sie die undankbaren Menschen mit ihren todbringenden Waffen nahe sieht.

Quelle: Märchen Goldküste „Anansi Sem“

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