Das ließ sich Ursulus schriftlich geben, legte dann dem Jerum die Kräuter auf das Bein und begab sich auf seine Kammer und baute von Karten und Papier eine ganz erstaunlich schöne Kirche zusammen und machte alles so fein und ordentlich, dass man die ganze Kirche auseinanderlegen und wieder zusammenbauen konnte. Als er fertig war, war auch der Fuß des Königs, dem er alle Tage frische Kräuter aufgelegt hatte, gesund, und er forderte den Jerum und die Würgipumpa auf, morgen früh auf den Altan zu treten, weil er vor ihnen sein Schloss bauen wolle. Die Königin sagte: „Ja, wir werden kommen; so du aber dein Gebäude nicht in die Luft bauest, will ich dir eines in die Luft bauen, in dem du sterben sollst, nämlich einen Galgen.“ Ursulus verbeugte sich und ging weg. Am andern Morgen fand er den König und die Würgipumpa schon auf dem Altan, als er mit einer kleinen Glocke in der Hand kam. „Was soll die Glocke?“ sprach die Königin. Da sprach Ursulus:
„Ich muss jetzt von allen Seiten
meine Baumeister zusammenläuten.“Da fing er an zu klingeln, klingeling, klingeling, und es kamen eine Menge große Vögel herbeigeflogen: Adler und Geier und Falken, und auch mancherlei kleinere: Tauben und Finken und Amseln und Stare, kurz, alle möglichen Vögel; worüber sich der König und die Königin sehr verwunderten. Da sprach Ursulus:
„Willkommen, ihr Meister und Gesellen,
ich will einen Bau in die Lüfte stellen,
nun schafft einen schönen Grund herbei,
worauf mein Werk zu richten sei!“Da flogen die Adler weg und brachten auf einmal eine große starke Pappe getragen, auf welcher von Moos eine schöne Wiese ausgelegt war, aus der allerlei grüne Zweige als Bäume hervorragten. Nun sprach Ursulus:
„Eine schöne Kirche bauet mir,
ein hoher Turm sei ihre Zier.“Da flogen wieder viele Vögel fort und brachten allerlei einzelne Stücke von einer sehr schönen papiernen Kirche und einem hohen Turm und setzten alles das auf der Mooswiese zusammen, so dass es wunderlieblich anzuschauen war. Als aber alles fertig war, brachte auch der Kreuzschnabel einen kleinen Altar und ein Kreuz hineingetragen, und der Dompfaff trug eine kleine Kanzel hinein, und eine Amsel, wie ein schwarzer Kantor, brachte eine kleine Orgel hinein. Dann flogen ein paar Nachtigallen als Sängerinnen hinein und eine Menge Finken und Grasmücken als Choristen. Da begannen allerlei Glöckchen im Turm zu läuten, und in der Kirche fingen die Vögel so lieblich an zu singen und zu klingen, als wenn der feierlichste Gottesdienst drin gehalten würde. Darüber ward der König Jerum, ganz gerührt und umarmte den Ursulus mit den Worten: „Kommtzeitkommtrat, wie schön hast du dein Gebäude erbaut.“ Würgipumpa aber hatte alles mit dem entsetzlichsten Zorne angesehen und geriet in eine solche Wut, dass sie einen Stein von dem Altan nahm und nach der Kirche warf; aber auf einen Wink des Ursulus flogen die Vögel mit dem schönen Bau über ihrem Haupt hinweg, und da bei dieser Gelegenheit einiger Schmutz auf die Königin herabfiel, wollte sie erzürnt den kleinen Ursulus schlagen; aber der König nahm ihn in seine Arme und sprach: „Würgipumpa, wer nach den Bauleuten mit Steinen wirft, dem antworten sie mit Kalk.“ Da ging die Königin erzürnt nach ihrer Kammer. Der König Jerum aber hatte den Ursulus noch viel lieber als vorher und ließ in dem Lindenhain, wo die Jungfräulein begraben waren, eine Kirche bauen, ganz nach der Gestalt der Kirche, die Ursulus in die Luft gebaut und welche die Vögel zu dem Schäfer im Lindenhain getragen. Alles das erzählte Ursulus dem Neuntöter, und der Neuntöter der Ursula, so dass diese sehr erfreut wurde, dass Jerum so gut werde, und herzlich in ihrer Einsamkeit dem lieben Gott dafür dankte. Die Königin Würgipumpa aber sah nun ein, dass sie mit ihrem Zorn gegen Ursulus gar nichts mehr ausrichtete, weil der König ihn zu sehr liebte, und fing deswegen an, ihm auf alle mögliche Weise zu schmeicheln und schönzutun. Heimlich aber dachte sie immer auf eine Gelegenheit, ihn in Lebensgefahr zubringen. Sie wusste, dass der Pumpelirio Holzebock dem Jerum, als er ihn fragte, wann er seine Stadt Besserdich wieder erhalten werde, sprechend:
„Pumpelirio Holzebock,
sag mir doch,
wann wird Jungfer Fanferlieschen
Schönefüßchen
länger nicht vertreiben mich?
Wann kehr ich nach Besserdich?“geantwortet hatte:
„Fanferlieschen blind,
ein unschuldig Kind
Besserdich gewinnt.“Das ging der Würgipumpa immer im Kopf herum, und sie dachte hin und her, wie sie den Kommtzeitkommtrat brauchen wolle, um Junger Fanferlieschen blind zu machen. Weil sich aber Jerum so sehr verändert hatte, getraute sie sich nicht, ihm ihr Vorhaben gradheraus zu sagen, und sprach einstens zu ihm: „Lieber Jerum, ich glaube, du könntest doch einmal bei Jungfer Fanferlieschen fragen lassen, ob sie dir deine Stadt nicht wiedergeben will; du bist jetzt so fromm und gut, dass sie es dir gewiss nicht abschlagen wird.“ „Ach“, sagte Jerum, „so gut werde ich niemals, dass ich wieder verdiene, auf dem Throne meines frommen seligen Vaters zu sitzen.“ – „Ja“, erwiderte Würgipumpa, „darüber magst du nun denken, wie du willst; aber du bist es der Stadt schuldig, denn Jungfer Fanferlieschen kann der Regierung nicht länger vorstehen: Soeben habe ich die Nachricht erhalten, dass sie blind geworden.“ Hier sah Jerum die Königin erschrocken an und sprach zu ihr: „Würgipumpa, lasse mich allein; ich muss über das, was du mir gesagt, nachdenken.“ Die Königin ging, und Jerum fiel in tiefe Gedanken. Der Spruch des Pumpelirio:
„Fanferlieschen blind,
ein unschuldig Kind
Besserdich gewinnt“fiel ihm ein, und er war in der größten Unruhe, ob er nicht nach Besserdich hinziehen sollte. Als er aber dachte, wie der böse Holzebock ihm allzeit zum Bösen geraten hatte, entschloss er sich anders. Er ließ den Ursulus zu sich kommen und die Königin und sprach: „Da ich gehört, wie die weise und fromme Jungfer Fanferlieschen blind ist, so ist mein sehnlicher Wunsch, dass sie wieder sehend werde, damit sie die guten Leute in Besserdich noch länger so treu regiere, als sie es bis jetzt getan. Ich begehre euern Rat, wie dies zu machen sei.“ Ursulus fing an zu weinen, als er das Unglück der Jungfer Fanferlieschen hörte, von welcher seine Mutter ihm so viel Gutes erzählt hatte. Würgipumpa aber sprach: „Ich habe immer gehört, dass nichts so gut für die Augen sei als Schwalbenkot: Wenn es möglich wäre, dass Jungfer Fanferlieschen diesen in die Augen brächte, so würde sie gleich geheilt sein. Kommtzeitkommtrat ist ja mit den Vögeln so gut Freund, mit seinen Baumeistern, dass er ihr ein wenig von dem Kalke könnte ins Auge fallen lassen, der neulich bei dem Luftbau auf mich niederfiel. Ich muss sagen, dass ich meine Augen seit jener Zeit sehr gestärkt finde.“ – „Ach“, erwiderte Ursulus, „wenn das möglich wäre, ich wollte die guten Vögel sehr darum bitten.“ – „Wohlan, mein Geliebter“, sprach der König, „wenn es dir gelingt, sollst du begehren von mir, was du willst, ich will es dir halten.“ Nach diesen Worten gingen sie auseinander. Die böse Würgipumpa wusste wohl, dass man von Schwalbenkot blind werde, und sie dachte: ‚In jedem Falle werde ich den verhassten Knaben los; denn wenn Fanferlieschen ihn erwischt, so lässt sie ihn umbringen, und sie erwischt ihn gewiss, weil sie wohl weiß, dass sie sterben muss, wenn sie blind wird, denn es steht im Zauberkalender; so lässt sie sich immer streng bewachen.‘ Ursulus saß in seiner Kammer und lauerte auf den Neuntöter. Pick, pick, pick, da war er am Fenster. Ursulus öffnete und erzählte seinem Freund alles, was er von dem König und der Königin gehört. Der Neuntöter ward sehr nachdenklich darüber und bauschte seine Federn am Kopf einige Mal auf, als ob er sehr zornig sei. „Was machst du für wunderliche Gesichter?“ fragte Ursulus. „Nichts, nichts“, sagte der Vogel, sich beruhigend, um zu überlegen. „Gut, ja, ja, morgen früh will ich dir sagen, was du zu tun hast“, und fort flog er. Am andern Morgen war er richtig wieder da und sprach: „Auf, auf, Ursulus! Mache dich auf die Reise; du hast einen weiten Weg nach Besserdich.“ Da sprang Ursulus aus dem Bett, zog seine Reisekleider an und machte sich auf den Weg. Der Vogel aber flog immer vor ihm her, um ihm den Weg zu zeigen.
Als sie in den Wald kamen um Mittag, machte der Vogel bei einem Eichbaum halt und sagte: „Hier musst du ausruhen, essen und trinken. Hier in dem Baume wohne ich; hier, lieber Ursulus, hat deine arme Mutter, als sie aus Besserdich ging, meinen Jungen das Leben gerettet durch einen Stein, den sie nach dem Marder warf; hier hat sie ihren Kuchen mit mir geteilt. Hier esse du auch, was ich dir aus der Hofküche hierher getragen.“ Ursulus setzte sich auf das Moos am Fuße der Eiche und dachte mit vieler Liebe an seine liebe Mutter im Turm und musste recht weinen, als er gedachte, wie sie einst hier so unschuldig in das Elend ging. Da brachte der Neuntöter die Frau Neuntöter und die jungen Herren und das junge Fräulein Neuntöter, und diese hießen den Ursulus bei sich sehr willkommen mit Kopfnicken und Flügelschlagen und Sichverneigen, denn sie kannten die Menschensprache nicht. Der Neuntöter aber übersetzte dem Ursulus alles, was sie sagten. Da gefielen ihm die Reden des Fräulein besonders wohl, denn sie sprach: „Ach, liebster Ursulus, ich wollte gern ewig ein Vogel bleiben, wenn ich dir nur recht viele Liebe erweisen könnte für alles das Gute, was deine Mutter meinem Vater und meiner Mutter und uns erwiesen hat.“ Das ging dem Ursulus recht durchs Herz. Der Neuntöter brachte nun dem Ursulus einen Kaninchenbraten, den er schon am Abend vorher aus der Munkelwuster Hofküche hierher gebracht, und da Ursulus Brot in seiner Reisetasche bei sich hatte, schmeckte es ihm recht gut; denn er trank aus einer hellen Quelle, die ihm Fräulein Neuntöter zeigte, Wasser dazu. Auch rief sie ihre Spielgesellinnen, eine Amsel und eine Nachtigall, herbei, welche dem Ursulus die schönste Tafelmusik machten, während sie Erdbeeren und Brombeeren und Heidelbeeren und Haselnüsse pflückte und auf die Schultern des Ursulus fliegend sie mit ihrem blanken Schnabel zu den Lippen des Freundes reichte, der sie freundlich dafür streichelte. Während diesem Mittagmahl rief der Neuntöter viele Schwalben herbei und fragte sie, welche es wohl unternehmen wolle, ihren Kot ins Aug der Fanferlieschen zu spritzen, und er versprach dafür so viel Fliegen und Mücken und Würmchen, als sie nur wollten. Da fand sich eine dazu bereit und flog gleich von dannen. Das Fräulein Neuntöter hatte alles das gehört und ihre eigenen Gedanken darüber; und da nun Ursulus mit dem alten Neuntöter sich wieder auf die Reise machte und für die freundliche Bewirtung dankte, war das Fräulein Neuntöter weggeflogen und nicht zugegen. Das war ihm leid; er ließ ihr recht schöne Grüße zurück, und sie machten sich auf den Weg. Abends kamen sie in Besserdich an. Der Vogel führte den Ursulus in den Schlossgarten, da fand er eine Laube, einen gedeckten Tisch und ein Ruhebett. Er aß und schlief ein. Als er morgens erwachte, stand die Sonne schon am Himmel, und er sah auf dem Altan des Schlosses die Jungfer Fanferlieschen auf einem Ruhebett liegen, und neben ihr standen ein paar Pfauen, welche ihr mit ihren Schweifen wie mit Sonnenfächern die Fliegen abwehrten. Die Jungfer Fanferlieschen war sehr alt, hatte aber wunderschöne lange weiße Locken, welche ihr ein schönes Ansehen gaben; und durch das goldne Gegitter des Altans sah Ursulus ihre schönen kleinen Füße in rotsamtenen Pantoffeln herabhängen. ‚Ach‘, dachte Ursulus, ‚was ist das für ein liebes gutes altes Jüngferchen, das Fanferlieschen Schönefüßchen, und wie wird sie sich freuen, wenn ihr der Sohn ihrer lieben Ursula wieder zu ihren gesunden Augen helfen wird.‘ Da sah er auch, wie sich die Schwalbe grade über dem Kopf der Jungfer Fanferlieschen auf den Vorsprung der Türe setzte, und konnte vor Begierde, ihr zu helfen, sich nicht mehr halten; er winkte mit dem Schnupftuch, und die Schwalbe ließ den Kot der guten Fanferlieschen ins Aug fallen, welche erwachte, mit den Füßen, schüttelte und aufschrieb
„Der, den mein Pantoffel trifft,
nahm mir meiner Augen Licht.“Ursulus wollte grade zu ihr hinauflaufen und ihr Glück wünschen; aber ein niederfallender Pantoffel schlug ihm so auf die Nase, dass er betäubt niedersank. Als er erwachte, lag er in Ketten und Banden in dem allerdunkelsten Kerker. Er wusste nicht, wie ihm geschehen, er tappte an den Wänden herum, er rief, er klagte, er weinte; ach! da erinnerte er sich der Worte, die er vor dem Pantoffelfall gehört:
„Der, den mein Pantoffel trifft,
nahm mir meiner Augen Licht.“Das fuhr ihm recht durch Mark und Bein. „Ach“ sagte er, „die Würgipumpa hat mich betrogen; statt Fanferlieschen zu helfen, habe ich sie blind gemacht; o ich unglücklicher Ursulus.“ Als er so in Jammer und Klagen saß, sprang auf einmal ein eiserner Fensterladen auf, und das gute Fräulein Neuntöter flog zu ihm. Sie ließ ein kleines Büchlein auf seinen Schoß fallen und hatte eine Wurzel im Schnabel, die legte sie zu seinen Füßen, und saß auf seiner Schulter und streichelte ihn mit ihren Flügeln und tat sehr mitleidig. Ursulus dankte ihr und klagte seinen Jammer. Da blätterte sie mit dem Schnabel in dem Büchlein herum und winkte ihm, zu lesen. Das tat Ursulus und fand, dass es die Geschichte des frommen Tobias war, und als er las, dass der auch durch eine Schwalbe blind geworden, ward er seines Unglücks gewiss und weinte noch mehr. Aber Fräulein Neuntöter blätterte noch mehr im Buche, und da las er weiter, dass der Sohn des Tobias seinen Vater wieder mit der Galle eines Fisches geheilt habe. „Ach Gott im. Himmel“, sagte er, „hätte ich einen Tropfen dieser Galle, wie selig wollte ich sein, wenn ich die gute Jungfer Fanferlieschen wieder heilen könnte.“ Da hielt ihm der Vogel die Wurzel an die Schlösser seiner Fesseln, und siehe da, sie fielen ihm ab, und hielt sie an das Schloss der Kerkertüre, und sie sprang auf. Da machte Ursulus die Türe wieder zu, weil es noch Tag war, und wartete bis zur Nacht. Dann nahm er Abschied von dem lieben Vogel, sagte ihm tausend Dank, und durch die Berührung der Wurzel sprangen alle Türen und Tore auf, und so ging er traurig zur Stadt hinaus in lauter Angst und Trauer, wie er nur die Galle von dem Fische finden sollte; und so lief er immer in den wilden Wald hinein, und kein Mensch wusste damals, wo er hingekommen war.
In Munkelwust wartete der König Jerum mit großer Ungeduld auf die Rückkehr des Ursulus, und da er nicht kam, sprach Würgipumpa: „Wie wäre es, wenn wir miteinander nach Besserdich reisten, um der Fanferlieschen zu ihrer Genesung Glück zu wünschen, sie hält den Kommtzeitkommtrat gewiss mit Liebkosungen zurück. Wenn du auch nicht wieder König dort sein willst, so kannst du doch gute Freundschaft mit Jungfer Fanferlieschen halten.“ Das war der König zufrieden, und sie zogen mit einem großen Gefolge nach Besserdich. Jerum war sehr traurig auf der Reise, Würgipumpa aber sehr lustig. Auf halbem Wege kamen ihm einige schwarzgekleidete Reiter entgegen. Jeder trug in der einen Hand eine Zitrone, in der andern Hand einen Ölzweig, und von ihren Hüten schleppten lange Trauerflöre bis an die Erde hinab. Sie machten halt bei dem König, und er erkannte bald mehrere alte Bürger von Besserdich. Der eine sprach zu ihm: „König Jerum! So du dich wirklich gebessert hast, komme wieder zu uns in die Stadt und sei unser guter König, dieses hat uns Fanferlieschen dir zu sagen befohlen.“ Bei diesen Worten weinten sie. Jerum sprach: „Ich habe mich bestrebt, besser zu werden, aber ich fühle doch, dass ich noch nicht verdiene, über andre zu herrschen. Sagt das der Fanferlieschen, und bittet sie um Erlaubnis, dass ich sie sehen darf.“ – „Ach“, sagten sie, „diese Freude kann sie nicht mehr haben, denn vor einigen Tagen ist sie durch eine Schwalbe blind geworden.“ Da zitterte der König vor Schrecken und zog sein Schwert und wollte die Würgipumpa erstechen und schrie: „Verräterin, das hast du mir getan!“ Würgipumpa warf sich vor ihm nieder und sprach: „Mein Gemahl, ermorde mich Unschuldige; mein Bruder hat es mich gelehrt, ich wusste nichts davon, dass dies den Augen schädlich sei.“ Da steckte der König sein Schwert wieder ein und sprach zu den Herren: „Seht, wie soll ich über andre herrschen, da ich mich selbst nicht beherrschen kann.“ Die Herren redeten ihm aber so lange zu, bis er mit ihnen nach Besserdich ritt. Als er wieder in seinem Schloss war, fragte er nach Fanferlieschen und nach Ursulus, aber man erzählte ihm, dass Ursulus aus dem Kerker entkommen sei, niemand wisse wie, und dass die blinde Jungfer Fanferlieschen, als sie sich den Tag nach ihrem Unglück habe in den Garten führen lassen, ein anderes Unglück gehabt habe. Sie habe sich auf eine Rasenbank gesetzt, und die habe sich unter ihr auf einmal in einen ungeheuren schwarzen Bock verwandelt und sei wie ein Pfeil mit ihr durch die Lüfte fortgefahren. Da rief der König mit Schrecken aus: „Ach, der böse Pumpelirio Holzebocke!“ Er gab nun Befehl, überall nach dem Holzebock und Fanferlieschen und Ursulus zu suchen, und ritt selbst oft ganze Tage lang nach ihnen aus. Als er nun einstens abends nach Hause kam und traurig in seine Stube ging, welche Freude! Ursulus kam ihm entgegen. Der Jüngling fiel ihm zu Füßen, der König umarmte ihn und weinte. „Ach“, sagte da Ursulus, „wo ist Jungfer Fanferlieschen, dass ich sie wieder sehend mache. Seht, hier in dem Schneckenhaus habe ich von der Fischgalle, womit der blinde Tobias von seinem Sohne geheilt wurde; ach, wo ist sie, dass ich ihr helfe!“ – „Ach und o weh“, sprach Jerum, „sie ist fort, niemand weiß, wohin; der Holzebock hat sie davon geführt.“ Da ward Ursulus noch viel trauriger. Der König fragte ihn, wo er die Fischgalle herhabe. Da erzählte Ursulus alles, wie es ihm gegangen mit dem guten Vogel, und zeigte ihm das Tobiasbüchlein und die Wurzel. „Und als ich“, sprach er, „in die Wildnis gelaufen, hat mich der Vogel an einen Fluss gebracht und hat da sehr lange mit einem alten Fischreiher gesprochen; der hat immer mit dem Kopf geschüttelt, als wisse er nicht, was für ein Fisch es sein müsse, weil im Büchlein stehe, ein Fisch, und es gar viele Fische gebe. Endlich habe der alte Fischreiher in Gottes Namen einen Fisch nach dem andern gefangen, und da ich mir die Augen ganz blind geweint hatte, so haben wir die Galle an meinen Augen versucht. Da haben wir endlich einen gefangen, dessen Galle meine Augen gleich wieder herstellte, und da habe ich mir das Schneckenhaus voll genommen und komme nun leider zu spät hierher.“ Jerum ließ gleich die Probe an einem alten blinden Manne machen, und er ward gleich wieder sehend und dankte dem König sehr. Als Würgipumpa alles dies hörte, nahte sie sich dem König mit Tränen und sprach: „Ich muss alles tun, das Unrecht wieder gut zu machen, das ich unschuldig veranlasste. Ich habe nun durch meine Nachforschungen erfahren, dass der Holzebocke sich hier im Walde in einer Höhle aufhält; wie wäre es, wenn Kommtzeitkommtrat, der alles kann, was er unternimmt, den Holzebock zu bekämpfen suchte? Er ist jetzt schon ein schöner junger Ritter, und wenn er das Ungeheuer erlegt hätte, so würde er Fanferlieschen, die er in seiner Höhle gefangen hat, heilen und befreien können.“ König Jerum sprach erzürnt: „Wie? Soll mein einziger Trost auf Erden, dieser gute Jüngling, noch einmal in Todesgefahr? Nein, das kann ich nimmermehr zugeben.“ Ursulus hatte es aber kaum gehört, als er vor dem König niederkniete und zu ihm sagte: „Lieber König, gebet mir Waffen, es mag mir gehen, wie es will, so kann ich doch nicht eher ruhen, bis ich Fanferlieschen geheilt habe. Lasset mich ausziehen gegen den Holzebocke.“ Jerum war sehr betrübt, aber Ursulus ließ mit Bitten nicht nach. „Wohlan“, sagte der König, „so will ich mit meinem Hofstaat und dir nach Munkelwust ziehen, weil der böse Holzebocke dort in der Gegend wohnt, und in unserer neuen Kirche will ich dich zum Ritter schlagen, und ich will beten dort, bis du wiederkömmst.“ Da zog Jerum und seine Gemahlin und der Hofstaat und Ursulus nach Munkelwust, und der König ging mit Ursulus in die Kirche, die fertig war, und der alte Schäfer hatte den Altar mit wunderschönen Blumen geschmückt. Da schlug der König den Ursulus zum Ritter und gab ihm einen goldnen Harnisch von Kopf bis zu Fuß und ein herrliches Schwert, das war wie eine Säge. Und auf seinem Schild war abgebildet ein Kreuz und vier Nägel und ein Schwamm und eine Geißel und ein Speer und eine Dornkrone. Den Knopf des Schwertes konnte man aufschrauben, da hinein legte Ursulus das Schneckenhaus mit der Fischgalle. Und nun nahm er eine große Lanze in die Hand, und ein schneeweißer Schimmel mit himmelblauem Geschirr ward vorgeführt; der König hielt ihm selbst den Bügel, und Ursulus schwang sich in den Sattel, dass es rasselte. Da kam der alte Neuntöter geflogen und zog immer vor ihm her. Die Frau Neuntöterin aber flog auf den Kopf seines Pferdes, und der Junker Neuntöter setzte sich auf die Spitze seiner Lanze. Das Fräulein Neuntöter aber setzte sich auf seinen Helm, und so sprengte er in den Wald hinein.
Der König sah ihm lange nach und warf sich dann in der Kirche betend auf sein Angesicht und der alte Schäfer auch, und alle Lämmer auch, und es war, als wenn die Blumen auch auf den Gräbern der Jungfrauen beteten. Auch Ursula, welcher der Neuntöter alles gesagt hatte, betete in ihrem einsamen Turme in heißen Tränen: „Ach Gott im Himmel, erhalte mir meinen Ursulus.“ Die Königin Würgipumpa aber betete nicht, sie hatte sich krank gestellt und war im Schlosse geblieben, denn sie war falsch und verlogen und glaubte ganz gewiss, dass der Holzebocke den Ursulus umbringen werde; deswegen hatte sie den bösen Rat gegeben. Als Ursulus mitten in der Wildnis angekommen war, hielt er sein Pferd an, schlug mit dem Schwert gegen sein Schild und schrie:
„Pumpelirio Holzebocke,
hörst du deine Totenglocke?“Da trat auf einmal sein Freund, der alte Schäfer, hinter einem Baum hervor und nahte seinem Pferd und sprach: „O lieber Ursulus, tue doch dem Pumpelirio Holzebocke nichts, wenn du den Pumpelirio umbringst, so muss ich sterben, denn wir sind in einer Stunde geboren.“ Da rief Ursulus:
„In einer Stunde geboren,
in einer Stunde verloren;
der Holzebock muss sterben,
sonst muss Fanferlieschen verderben.
Tritt aus dem Weg zur Seiten,
sonst muss ich dich überreiten“Der Schäfer aber wollte nicht aus dem Weg, da machte Ursulus die Augen zu und ritt den Schäfer über den Haufen. Da flog der Vogel zu Ursulus und sagte ihm: „Gott segne dich, das war der Pumpelirio selber.“ Da ritt er weiter, hielt wieder an und rief wieder, an das Schild schlagend:
„Pumpelirio Holzebocke,
hörst du deine Totenglocke?“Da stürzte auf einmal der König Jerum ihm in den Weg und hielt ihm den Zügel des Pferdes und sprach wie der Schäfer: „Tue dem Pumpelirio nichts, sonst muss ich sterben.“ Aber Ursulus schrie wieder:
„Tritt aus dem Weg zur Seiten,
sonst muss ich dich überreiten“und machte die Augen wieder zu und ritt den König über den Haufen. Da kam der Vogel wieder zu Ursulus und lobte ihn sehr, dass er sich nicht irremachen ließ. Denn dieser Jerum war wieder nur der verstellte Holzebocke. Als Ursulus zum dritten Male auf das Schild schlug und den Pumpelirio rief, ach! welche Gestalt trat ihm da in den Weg, wer kniete vor seinem Pferd? Niemand anders war es als seine Mutter Ursula. Sie rang die Hände und rief aus: „Mein Sohn, mein Sohn! Wenn du dem Pumpelirio etwas tust, so muss ich sterben.“ Ach, bei diesem Anblick brach dem Ursulus das Herz, und schon wollte er umwenden, da stieß der Vogel das Pferd mit seinem Schnabel in die Seite, und das rannte auch diese Gestalt des Pumpelirio über den Haufen, welcher ganz zornig, dass es ihm nicht gelungen war, den Ursulus zu betrügen, nun in Gestalt eines ungeheuren schwarzen Bocks auf ihn zukam und ihn fragte
„Ei, was willst du, Ursulus?“Da sagte dieser:
„Fanferlieschen
Schönefüßchen,
die ich wieder heilen muss.“Da sagte der Bock wieder:
„Pumpelirio biet dir Trutz,
Holzebocke machet Stutz.“Und nun rannte der Bock auf ihn zu und stieß seinen weißen Schimmel über den Haufen, dass er tot niedersank, und die Lanze, mit welcher Ursulus nach dem Bock gestochen, zerbrach. Die guten Vögel aber hatten alle die neunundvierzig Messer, welche sie schon einmal auf den Jerum geworfen hatten, schon auf einem Baum zurechtgelegt und ließen sie eins nach dem andern auf den Holzebock fallen. Er machte sich nichts draus, denn sie blieben alle in ihm stecken, und jedes ward ein Horn, so dass er endlich wie ein Stachelschwein aussah. Ursulus hatte sich vom Pferde geschwungen und schlug mit seinem Schwerte auf den Holzebock, aber das zerbrach, und Ursulus ward über den Haufen gerannt. Da bedeckte er sich mit seinem Schilde, und der Bock trampelte mit Füßen auf ihm herum. Das tat dem Fräulein Neuntöter so leid, dass sie dem Bock zwischen die Hörner flog und ihm die Augen aushackte, worüber er erschrecklich zu meckern anfing. Nun griff Ursulus unter dem Schild hervor und fasste den Bock beim Bart und zog das Messer hervor, das ihm seine Mutter gegeben, und stach es dem Holzebock ins Herz. Da machte er noch einen Seitensprung und fiel tot nieder. „Gott sei Dank!“ rief Ursulus und raffte sich von der Erde auf: „Ach, wo ist nun Fanferlieschen Schönefüßchen, die ich nun gleich heilen muss?“ Da sagte ihm der Neuntöter, dass sie gleich hier in einer Höhle liege und schlafe. Ursulus lief in die Höhle, da lag Fanferlieschen tot auf einer steinernen Bank. Ursulus glaubte, sie schlafe, aber sie war nicht zu wecken, da klagte er Jammer und Not. Überdem kam der Vogel und sagte: „Ursulus, das Blut vom Holzebock ist auf dein Pferd gespritzt, da ist es wieder lebendig geworden.“ Da nahm Ursulus gleich von dem Blut und bestrich die Fanferlieschen damit. Da wurde sie wieder lebendig, und nun bestrich er ihr die Augen mit der Fischgalle, da ward sie wieder sehend. Ach, wie glücklich war da Ursulus, auch sie weinte vor Freuden und drückte ihn an ihr Herz. „Geschwind wollen wir nun zu Jerum“, rief sie, „denn der ist in großer Angst.“ Da setzte sie der Ursulus hinter sich auf sein Pferd und ritt mit ihr nach der Kirche. Da war große Not und Kummer, denn es war die Nachricht gekommen, dass die Königin Würgipumpa tot mit einem Stich im Herzen auf ihrer Stube gefunden worden sei und dass ihr die Augen aus dem Kopf gesprungen seien. Der König aber vergaß bald seine Betrübnis, da Ursulus und Fanferlieschen angeritten kamen. Er küsste der Fanferlieschen das schöne Füßchen und hob sie vom Pferd und küsste den Ursulus viel tausendmal. Da sagte Fanferlieschen: „Es ist mir lieb, Jerum, dass du dich gebessert hast; aber wo ist Ursula, meine Pflegetochter, zeige mir sie, dass ich sie umarme.“ Bei diesen Worten riss sich der König die Haare aus und schrie: „Weh, weh! Ich Elender, ich bin ein Mörder und bleib ein Mörder.“ – „Ja“, sagte Fanferlieschen, „das bist du, und deswegen sollst du lebendig in den Turm vermauert werden, in welchen du die gute Ursula hast mauern lassen.“ – „Von Herzen gern“, sagte Jerum, „will ich sterben, wo sie gestorben ist, bringet mich hin.“ Da brachte man ihn an den Turm und gab ihm eine Hacke. Alle standen traurig um ihn her und sahen, wie der arme Jerum für sich selbst den Turm aufbrechen musste. Er tat allen Abbitte, die er beleidigt hatte, er bat Fanferlieschen tausendmal um Verzeihung und bat sie, mit Ursulus sein Land zu regieren. Ach, und als er diesen ansah, wollte ihm das Herz zerreißen. Er umarmte ihn und sprach:
„Du brachtest mich zum rechten Pfad
Kommtzeitkommtrat,
dass ich dich nie mehr wiederseh,
das tut mir weh, o weh, o weh!“Ursulus aber sprach:
„Kommtzeitkommtrat, dein Diener, spricht:
Meinen Herrn und König verlass ich nicht.
Ich geh mit dir ins Grab hinein,
ich denk, es wird uns wohl drin sein.“Da nahm er auch eine Hacke, und sie arbeiteten zusammen, und der König Jerum sagte, sooft ein Stein herausgebrochen war:
„Lieb Ursula so still und fromm,
o freue dich, ich komm, ich komm.“Und dann hielt er immer wieder ein und umarmte den Ursulus und bat ihn, zurückzubleiben. Ursulus aber sagte beständig:
„Ich geh mit dir ins Grab hinein,
ich denk, es wird uns wohl drin sein.“Und da arbeiteten sie immer drauflos, und sie waren schon bis an die wollene Decke gekommen, welche Ursula rings im Turme herum gespannt hatte, daließ Jerum die Hacke sinken und sprach:
„Lieb Ursula so still und fromm,
o freue dich, ich komm, ich komm.“Und alle, die umherstanden, weinten bitterlich.
Aber auf einmal hörte man eine Stimme hinter der wollenen Decke, welche sprach: „Ihro königliche Majestät Jerum werden alleruntertänigst ersucht, noch einige Augenblicke zu verziehen zu geruhen, da Ihro Majestät die Königin Ursula noch mit ihrem Anzug beschäftigt sind.“ – „Allmächtiger Gott, was ist das?“ rief Jerum. „Himmel und Erde mögen zusammenfallen, sie lebt! Sie lebt! Oh, ich muss, ich muss sie sehen.“ Da wollte er die Decke niederreißen, aber Fanferlieschen und Ursulus hielten ihn zurück. „O lasst mich! Lasst mich ihre Füße mit meinen Tränen benetzen und sterben“, rief Jerum. Da steckte Ursula ein wunderschönes Füßchen zu der Decke heraus und sprach mit süßer Stimme:
„Da, mein lieber Jerumius,
hast du deiner Ursula Fuß.“Und Jerum sank zur Erde und küsste ihren Fuß und legte sein Haupt nieder und setzte den Fuß Ursulas auf sein Haupt und sprach:
„Der Unschuld Fuß auf Schlangenhaupt,
selig, wer da liebt und glaubt.“Da streckte Ursula ihre schöne Hand hervor und sprach:
„Da, Jerum, hast du meine Hand,
leg deine drein zum Liebespfand.“Da sprang Jerum auf und küsste die Hand und benetzte sie mit Tränen und sprach:
„O Engelshand, o segne mich,
nie mehr, nie mehr, beleidig ich dich!“Da steckte Ursula den Kopf durch die Decke und rief:
„O Jerum, küsse meinen Mund,
da sind wir alle beide gesund.“Ach, da riss Jerum die Decke nieder und sank an das Herz der Ursula, und Ursulus auch und Fanferlieschen auch, und alle Schmerzen waren vergessen, und alles Böse war verziehen. Der Himmel war blau und heiter, die Zuschauer aber sanken auf die Knie und beteten. Als sie sich ein wenig erholt hatten, sagte Ursula zu Jerum: „Sieh, das ist dein Sohn Ursulus!“ Oh, da war Jerums Freude von neuem groß. Neben der Ursula aber stand der Vogel Neuntöter wieder in den Kammerherrn von Neuntöter verwandelt, und seine Gattin war wieder die Hofdame von Neuntöter, und der Junker war ein Edelknabe, und das Fräulein Neuntöter stand so schön, so blond und schlank mit niedergeschlagenen Augen vor Ursulus, dass er vor sie hin trat und sprach: „Oh, mein schönes Fräulein! Ihnen verdanke ich die Befreiung aus dem Kerker durch die Springwurzel und das Tobiasbüchlein und die Fischgalle, und Sie haben dem Holzebocke die Augen ausgehackt, wie lohne ich Ihnen?“ Als Jerum und Ursula und Fanferlieschen dieses hörten, legten sie die Hände der beiden zusammen und sagten: „Ihr sollt Mann und Frau sein.“ Darüber waren beide glücklich. Alle aber zogen nun nach der Kirche und dankten Gott, und Fanferlieschen sagte. „Gott sei Dank, Jerum, dass der Holzebock und Würgipumpa tot sind. Sie waren Geschwister und meine größten Feinde, aber sie wussten nicht, dass eines mit dem andern sterben musste. Jetzt lasset uns alle nach Besserdich ziehen und in Tugend und Ehren das Land regieren.“ Jerum aber sprach: „Ich bin das Glück nicht wert, nur die Unschuld soll regieren, die Schuld aber soll Buße tun. Ich bleibe hier bei dem alten Schäfer und büße ewiglich.“ Da setzte er seine Krone auf das Haupt des Ursulus, und Ursula setzte ihre Krone auf das Haupt der Fräulein Neuntöter, welche auch Ursula hieß, und sprach: „Auch ich will hier bleiben und beten.“ Darüber ward das Herz des armen Jerums so gerührt, dass es mitten entzwei sprang und Jerum starb. Oh, da war Weinen und Wehklagen. Und sie begruben ihn zu Füßen eines Kreuzes bei dem Brunnen, und Ursula sang, und aus allen Gräbern der Jungfräulein sang es mit.
Ursula blieb nun da bei dem alten Schäfer wohnen und nahm viele Witwen und Waisen zu sich, und sie arbeiteten für die Armut und beteten und sangen. Fanferlieschen segnete sie, und Ursulus und seine Frau trennten sich weinend von ihr und zogen nach der Stadt Besserdich. Der Herr von Neuntöter und seine Frau und sein Sohn aber regierten das Ländchen Bärwalde für Ursula. Als Fanferlieschen wegritt, ging sie auf den alten Schäfer zu und sprach zu ihm: „Damon, kennst du mich noch? Wir sind beide alt geworden.“ – „Ja“, sagte der Schäfer, „ich kenne dich noch; als du die Lämmer hütetest neben mir, da liebte ich dich und sagte dir es. Da sprachst du:
‚Lieber guter Schäfer mein,
schön wär’s wohl, doch kann’s nicht sein.
Ich bin nur ein guter Geist,
der so durch das Leben reist.
Liebe Gott, das ist gescheiter‘,
also sprachst du, und zogst weiter.““Richtig“, sagte Fanferlieschen, „so war es, und du hast meinem Rat gefolgt, drum werd ich dich im Himmel wiedersehen.“ Da sank der Schäfer tot an die Erde, und Fanferlieschen flog durch die Lüfte davon und ließ ihre Pantoffeln niederfallen. Die fing die Gemahlin des Ursulus auf und war gleich so schön und lieb und klug als Fanferlieschen. Sie kamen nach Besserdich und regieren gut bis dato.
„Ich muss jetzt von allen Seiten
meine Baumeister zusammenläuten.“Da fing er an zu klingeln, klingeling, klingeling, und es kamen eine Menge große Vögel herbeigeflogen: Adler und Geier und Falken, und auch mancherlei kleinere: Tauben und Finken und Amseln und Stare, kurz, alle möglichen Vögel; worüber sich der König und die Königin sehr verwunderten. Da sprach Ursulus:
„Willkommen, ihr Meister und Gesellen,
ich will einen Bau in die Lüfte stellen,
nun schafft einen schönen Grund herbei,
worauf mein Werk zu richten sei!“Da flogen die Adler weg und brachten auf einmal eine große starke Pappe getragen, auf welcher von Moos eine schöne Wiese ausgelegt war, aus der allerlei grüne Zweige als Bäume hervorragten. Nun sprach Ursulus:
„Eine schöne Kirche bauet mir,
ein hoher Turm sei ihre Zier.“Da flogen wieder viele Vögel fort und brachten allerlei einzelne Stücke von einer sehr schönen papiernen Kirche und einem hohen Turm und setzten alles das auf der Mooswiese zusammen, so dass es wunderlieblich anzuschauen war. Als aber alles fertig war, brachte auch der Kreuzschnabel einen kleinen Altar und ein Kreuz hineingetragen, und der Dompfaff trug eine kleine Kanzel hinein, und eine Amsel, wie ein schwarzer Kantor, brachte eine kleine Orgel hinein. Dann flogen ein paar Nachtigallen als Sängerinnen hinein und eine Menge Finken und Grasmücken als Choristen. Da begannen allerlei Glöckchen im Turm zu läuten, und in der Kirche fingen die Vögel so lieblich an zu singen und zu klingen, als wenn der feierlichste Gottesdienst drin gehalten würde. Darüber ward der König Jerum, ganz gerührt und umarmte den Ursulus mit den Worten: „Kommtzeitkommtrat, wie schön hast du dein Gebäude erbaut.“ Würgipumpa aber hatte alles mit dem entsetzlichsten Zorne angesehen und geriet in eine solche Wut, dass sie einen Stein von dem Altan nahm und nach der Kirche warf; aber auf einen Wink des Ursulus flogen die Vögel mit dem schönen Bau über ihrem Haupt hinweg, und da bei dieser Gelegenheit einiger Schmutz auf die Königin herabfiel, wollte sie erzürnt den kleinen Ursulus schlagen; aber der König nahm ihn in seine Arme und sprach: „Würgipumpa, wer nach den Bauleuten mit Steinen wirft, dem antworten sie mit Kalk.“ Da ging die Königin erzürnt nach ihrer Kammer. Der König Jerum aber hatte den Ursulus noch viel lieber als vorher und ließ in dem Lindenhain, wo die Jungfräulein begraben waren, eine Kirche bauen, ganz nach der Gestalt der Kirche, die Ursulus in die Luft gebaut und welche die Vögel zu dem Schäfer im Lindenhain getragen. Alles das erzählte Ursulus dem Neuntöter, und der Neuntöter der Ursula, so dass diese sehr erfreut wurde, dass Jerum so gut werde, und herzlich in ihrer Einsamkeit dem lieben Gott dafür dankte. Die Königin Würgipumpa aber sah nun ein, dass sie mit ihrem Zorn gegen Ursulus gar nichts mehr ausrichtete, weil der König ihn zu sehr liebte, und fing deswegen an, ihm auf alle mögliche Weise zu schmeicheln und schönzutun. Heimlich aber dachte sie immer auf eine Gelegenheit, ihn in Lebensgefahr zubringen. Sie wusste, dass der Pumpelirio Holzebock dem Jerum, als er ihn fragte, wann er seine Stadt Besserdich wieder erhalten werde, sprechend:
„Pumpelirio Holzebock,
sag mir doch,
wann wird Jungfer Fanferlieschen
Schönefüßchen
länger nicht vertreiben mich?
Wann kehr ich nach Besserdich?“geantwortet hatte:
„Fanferlieschen blind,
ein unschuldig Kind
Besserdich gewinnt.“Das ging der Würgipumpa immer im Kopf herum, und sie dachte hin und her, wie sie den Kommtzeitkommtrat brauchen wolle, um Junger Fanferlieschen blind zu machen. Weil sich aber Jerum so sehr verändert hatte, getraute sie sich nicht, ihm ihr Vorhaben gradheraus zu sagen, und sprach einstens zu ihm: „Lieber Jerum, ich glaube, du könntest doch einmal bei Jungfer Fanferlieschen fragen lassen, ob sie dir deine Stadt nicht wiedergeben will; du bist jetzt so fromm und gut, dass sie es dir gewiss nicht abschlagen wird.“ „Ach“, sagte Jerum, „so gut werde ich niemals, dass ich wieder verdiene, auf dem Throne meines frommen seligen Vaters zu sitzen.“ – „Ja“, erwiderte Würgipumpa, „darüber magst du nun denken, wie du willst; aber du bist es der Stadt schuldig, denn Jungfer Fanferlieschen kann der Regierung nicht länger vorstehen: Soeben habe ich die Nachricht erhalten, dass sie blind geworden.“ Hier sah Jerum die Königin erschrocken an und sprach zu ihr: „Würgipumpa, lasse mich allein; ich muss über das, was du mir gesagt, nachdenken.“ Die Königin ging, und Jerum fiel in tiefe Gedanken. Der Spruch des Pumpelirio:
„Fanferlieschen blind,
ein unschuldig Kind
Besserdich gewinnt“fiel ihm ein, und er war in der größten Unruhe, ob er nicht nach Besserdich hinziehen sollte. Als er aber dachte, wie der böse Holzebock ihm allzeit zum Bösen geraten hatte, entschloss er sich anders. Er ließ den Ursulus zu sich kommen und die Königin und sprach: „Da ich gehört, wie die weise und fromme Jungfer Fanferlieschen blind ist, so ist mein sehnlicher Wunsch, dass sie wieder sehend werde, damit sie die guten Leute in Besserdich noch länger so treu regiere, als sie es bis jetzt getan. Ich begehre euern Rat, wie dies zu machen sei.“ Ursulus fing an zu weinen, als er das Unglück der Jungfer Fanferlieschen hörte, von welcher seine Mutter ihm so viel Gutes erzählt hatte. Würgipumpa aber sprach: „Ich habe immer gehört, dass nichts so gut für die Augen sei als Schwalbenkot: Wenn es möglich wäre, dass Jungfer Fanferlieschen diesen in die Augen brächte, so würde sie gleich geheilt sein. Kommtzeitkommtrat ist ja mit den Vögeln so gut Freund, mit seinen Baumeistern, dass er ihr ein wenig von dem Kalke könnte ins Auge fallen lassen, der neulich bei dem Luftbau auf mich niederfiel. Ich muss sagen, dass ich meine Augen seit jener Zeit sehr gestärkt finde.“ – „Ach“, erwiderte Ursulus, „wenn das möglich wäre, ich wollte die guten Vögel sehr darum bitten.“ – „Wohlan, mein Geliebter“, sprach der König, „wenn es dir gelingt, sollst du begehren von mir, was du willst, ich will es dir halten.“ Nach diesen Worten gingen sie auseinander. Die böse Würgipumpa wusste wohl, dass man von Schwalbenkot blind werde, und sie dachte: ‚In jedem Falle werde ich den verhassten Knaben los; denn wenn Fanferlieschen ihn erwischt, so lässt sie ihn umbringen, und sie erwischt ihn gewiss, weil sie wohl weiß, dass sie sterben muss, wenn sie blind wird, denn es steht im Zauberkalender; so lässt sie sich immer streng bewachen.‘ Ursulus saß in seiner Kammer und lauerte auf den Neuntöter. Pick, pick, pick, da war er am Fenster. Ursulus öffnete und erzählte seinem Freund alles, was er von dem König und der Königin gehört. Der Neuntöter ward sehr nachdenklich darüber und bauschte seine Federn am Kopf einige Mal auf, als ob er sehr zornig sei. „Was machst du für wunderliche Gesichter?“ fragte Ursulus. „Nichts, nichts“, sagte der Vogel, sich beruhigend, um zu überlegen. „Gut, ja, ja, morgen früh will ich dir sagen, was du zu tun hast“, und fort flog er. Am andern Morgen war er richtig wieder da und sprach: „Auf, auf, Ursulus! Mache dich auf die Reise; du hast einen weiten Weg nach Besserdich.“ Da sprang Ursulus aus dem Bett, zog seine Reisekleider an und machte sich auf den Weg. Der Vogel aber flog immer vor ihm her, um ihm den Weg zu zeigen.
Als sie in den Wald kamen um Mittag, machte der Vogel bei einem Eichbaum halt und sagte: „Hier musst du ausruhen, essen und trinken. Hier in dem Baume wohne ich; hier, lieber Ursulus, hat deine arme Mutter, als sie aus Besserdich ging, meinen Jungen das Leben gerettet durch einen Stein, den sie nach dem Marder warf; hier hat sie ihren Kuchen mit mir geteilt. Hier esse du auch, was ich dir aus der Hofküche hierher getragen.“ Ursulus setzte sich auf das Moos am Fuße der Eiche und dachte mit vieler Liebe an seine liebe Mutter im Turm und musste recht weinen, als er gedachte, wie sie einst hier so unschuldig in das Elend ging. Da brachte der Neuntöter die Frau Neuntöter und die jungen Herren und das junge Fräulein Neuntöter, und diese hießen den Ursulus bei sich sehr willkommen mit Kopfnicken und Flügelschlagen und Sichverneigen, denn sie kannten die Menschensprache nicht. Der Neuntöter aber übersetzte dem Ursulus alles, was sie sagten. Da gefielen ihm die Reden des Fräulein besonders wohl, denn sie sprach: „Ach, liebster Ursulus, ich wollte gern ewig ein Vogel bleiben, wenn ich dir nur recht viele Liebe erweisen könnte für alles das Gute, was deine Mutter meinem Vater und meiner Mutter und uns erwiesen hat.“ Das ging dem Ursulus recht durchs Herz. Der Neuntöter brachte nun dem Ursulus einen Kaninchenbraten, den er schon am Abend vorher aus der Munkelwuster Hofküche hierher gebracht, und da Ursulus Brot in seiner Reisetasche bei sich hatte, schmeckte es ihm recht gut; denn er trank aus einer hellen Quelle, die ihm Fräulein Neuntöter zeigte, Wasser dazu. Auch rief sie ihre Spielgesellinnen, eine Amsel und eine Nachtigall, herbei, welche dem Ursulus die schönste Tafelmusik machten, während sie Erdbeeren und Brombeeren und Heidelbeeren und Haselnüsse pflückte und auf die Schultern des Ursulus fliegend sie mit ihrem blanken Schnabel zu den Lippen des Freundes reichte, der sie freundlich dafür streichelte. Während diesem Mittagmahl rief der Neuntöter viele Schwalben herbei und fragte sie, welche es wohl unternehmen wolle, ihren Kot ins Aug der Fanferlieschen zu spritzen, und er versprach dafür so viel Fliegen und Mücken und Würmchen, als sie nur wollten. Da fand sich eine dazu bereit und flog gleich von dannen. Das Fräulein Neuntöter hatte alles das gehört und ihre eigenen Gedanken darüber; und da nun Ursulus mit dem alten Neuntöter sich wieder auf die Reise machte und für die freundliche Bewirtung dankte, war das Fräulein Neuntöter weggeflogen und nicht zugegen. Das war ihm leid; er ließ ihr recht schöne Grüße zurück, und sie machten sich auf den Weg. Abends kamen sie in Besserdich an. Der Vogel führte den Ursulus in den Schlossgarten, da fand er eine Laube, einen gedeckten Tisch und ein Ruhebett. Er aß und schlief ein. Als er morgens erwachte, stand die Sonne schon am Himmel, und er sah auf dem Altan des Schlosses die Jungfer Fanferlieschen auf einem Ruhebett liegen, und neben ihr standen ein paar Pfauen, welche ihr mit ihren Schweifen wie mit Sonnenfächern die Fliegen abwehrten. Die Jungfer Fanferlieschen war sehr alt, hatte aber wunderschöne lange weiße Locken, welche ihr ein schönes Ansehen gaben; und durch das goldne Gegitter des Altans sah Ursulus ihre schönen kleinen Füße in rotsamtenen Pantoffeln herabhängen. ‚Ach‘, dachte Ursulus, ‚was ist das für ein liebes gutes altes Jüngferchen, das Fanferlieschen Schönefüßchen, und wie wird sie sich freuen, wenn ihr der Sohn ihrer lieben Ursula wieder zu ihren gesunden Augen helfen wird.‘ Da sah er auch, wie sich die Schwalbe grade über dem Kopf der Jungfer Fanferlieschen auf den Vorsprung der Türe setzte, und konnte vor Begierde, ihr zu helfen, sich nicht mehr halten; er winkte mit dem Schnupftuch, und die Schwalbe ließ den Kot der guten Fanferlieschen ins Aug fallen, welche erwachte, mit den Füßen, schüttelte und aufschrieb
„Der, den mein Pantoffel trifft,
nahm mir meiner Augen Licht.“Ursulus wollte grade zu ihr hinauflaufen und ihr Glück wünschen; aber ein niederfallender Pantoffel schlug ihm so auf die Nase, dass er betäubt niedersank. Als er erwachte, lag er in Ketten und Banden in dem allerdunkelsten Kerker. Er wusste nicht, wie ihm geschehen, er tappte an den Wänden herum, er rief, er klagte, er weinte; ach! da erinnerte er sich der Worte, die er vor dem Pantoffelfall gehört:
„Der, den mein Pantoffel trifft,
nahm mir meiner Augen Licht.“Das fuhr ihm recht durch Mark und Bein. „Ach“ sagte er, „die Würgipumpa hat mich betrogen; statt Fanferlieschen zu helfen, habe ich sie blind gemacht; o ich unglücklicher Ursulus.“ Als er so in Jammer und Klagen saß, sprang auf einmal ein eiserner Fensterladen auf, und das gute Fräulein Neuntöter flog zu ihm. Sie ließ ein kleines Büchlein auf seinen Schoß fallen und hatte eine Wurzel im Schnabel, die legte sie zu seinen Füßen, und saß auf seiner Schulter und streichelte ihn mit ihren Flügeln und tat sehr mitleidig. Ursulus dankte ihr und klagte seinen Jammer. Da blätterte sie mit dem Schnabel in dem Büchlein herum und winkte ihm, zu lesen. Das tat Ursulus und fand, dass es die Geschichte des frommen Tobias war, und als er las, dass der auch durch eine Schwalbe blind geworden, ward er seines Unglücks gewiss und weinte noch mehr. Aber Fräulein Neuntöter blätterte noch mehr im Buche, und da las er weiter, dass der Sohn des Tobias seinen Vater wieder mit der Galle eines Fisches geheilt habe. „Ach Gott im. Himmel“, sagte er, „hätte ich einen Tropfen dieser Galle, wie selig wollte ich sein, wenn ich die gute Jungfer Fanferlieschen wieder heilen könnte.“ Da hielt ihm der Vogel die Wurzel an die Schlösser seiner Fesseln, und siehe da, sie fielen ihm ab, und hielt sie an das Schloss der Kerkertüre, und sie sprang auf. Da machte Ursulus die Türe wieder zu, weil es noch Tag war, und wartete bis zur Nacht. Dann nahm er Abschied von dem lieben Vogel, sagte ihm tausend Dank, und durch die Berührung der Wurzel sprangen alle Türen und Tore auf, und so ging er traurig zur Stadt hinaus in lauter Angst und Trauer, wie er nur die Galle von dem Fische finden sollte; und so lief er immer in den wilden Wald hinein, und kein Mensch wusste damals, wo er hingekommen war.
In Munkelwust wartete der König Jerum mit großer Ungeduld auf die Rückkehr des Ursulus, und da er nicht kam, sprach Würgipumpa: „Wie wäre es, wenn wir miteinander nach Besserdich reisten, um der Fanferlieschen zu ihrer Genesung Glück zu wünschen, sie hält den Kommtzeitkommtrat gewiss mit Liebkosungen zurück. Wenn du auch nicht wieder König dort sein willst, so kannst du doch gute Freundschaft mit Jungfer Fanferlieschen halten.“ Das war der König zufrieden, und sie zogen mit einem großen Gefolge nach Besserdich. Jerum war sehr traurig auf der Reise, Würgipumpa aber sehr lustig. Auf halbem Wege kamen ihm einige schwarzgekleidete Reiter entgegen. Jeder trug in der einen Hand eine Zitrone, in der andern Hand einen Ölzweig, und von ihren Hüten schleppten lange Trauerflöre bis an die Erde hinab. Sie machten halt bei dem König, und er erkannte bald mehrere alte Bürger von Besserdich. Der eine sprach zu ihm: „König Jerum! So du dich wirklich gebessert hast, komme wieder zu uns in die Stadt und sei unser guter König, dieses hat uns Fanferlieschen dir zu sagen befohlen.“ Bei diesen Worten weinten sie. Jerum sprach: „Ich habe mich bestrebt, besser zu werden, aber ich fühle doch, dass ich noch nicht verdiene, über andre zu herrschen. Sagt das der Fanferlieschen, und bittet sie um Erlaubnis, dass ich sie sehen darf.“ – „Ach“, sagten sie, „diese Freude kann sie nicht mehr haben, denn vor einigen Tagen ist sie durch eine Schwalbe blind geworden.“ Da zitterte der König vor Schrecken und zog sein Schwert und wollte die Würgipumpa erstechen und schrie: „Verräterin, das hast du mir getan!“ Würgipumpa warf sich vor ihm nieder und sprach: „Mein Gemahl, ermorde mich Unschuldige; mein Bruder hat es mich gelehrt, ich wusste nichts davon, dass dies den Augen schädlich sei.“ Da steckte der König sein Schwert wieder ein und sprach zu den Herren: „Seht, wie soll ich über andre herrschen, da ich mich selbst nicht beherrschen kann.“ Die Herren redeten ihm aber so lange zu, bis er mit ihnen nach Besserdich ritt. Als er wieder in seinem Schloss war, fragte er nach Fanferlieschen und nach Ursulus, aber man erzählte ihm, dass Ursulus aus dem Kerker entkommen sei, niemand wisse wie, und dass die blinde Jungfer Fanferlieschen, als sie sich den Tag nach ihrem Unglück habe in den Garten führen lassen, ein anderes Unglück gehabt habe. Sie habe sich auf eine Rasenbank gesetzt, und die habe sich unter ihr auf einmal in einen ungeheuren schwarzen Bock verwandelt und sei wie ein Pfeil mit ihr durch die Lüfte fortgefahren. Da rief der König mit Schrecken aus: „Ach, der böse Pumpelirio Holzebocke!“ Er gab nun Befehl, überall nach dem Holzebock und Fanferlieschen und Ursulus zu suchen, und ritt selbst oft ganze Tage lang nach ihnen aus. Als er nun einstens abends nach Hause kam und traurig in seine Stube ging, welche Freude! Ursulus kam ihm entgegen. Der Jüngling fiel ihm zu Füßen, der König umarmte ihn und weinte. „Ach“, sagte da Ursulus, „wo ist Jungfer Fanferlieschen, dass ich sie wieder sehend mache. Seht, hier in dem Schneckenhaus habe ich von der Fischgalle, womit der blinde Tobias von seinem Sohne geheilt wurde; ach, wo ist sie, dass ich ihr helfe!“ – „Ach und o weh“, sprach Jerum, „sie ist fort, niemand weiß, wohin; der Holzebock hat sie davon geführt.“ Da ward Ursulus noch viel trauriger. Der König fragte ihn, wo er die Fischgalle herhabe. Da erzählte Ursulus alles, wie es ihm gegangen mit dem guten Vogel, und zeigte ihm das Tobiasbüchlein und die Wurzel. „Und als ich“, sprach er, „in die Wildnis gelaufen, hat mich der Vogel an einen Fluss gebracht und hat da sehr lange mit einem alten Fischreiher gesprochen; der hat immer mit dem Kopf geschüttelt, als wisse er nicht, was für ein Fisch es sein müsse, weil im Büchlein stehe, ein Fisch, und es gar viele Fische gebe. Endlich habe der alte Fischreiher in Gottes Namen einen Fisch nach dem andern gefangen, und da ich mir die Augen ganz blind geweint hatte, so haben wir die Galle an meinen Augen versucht. Da haben wir endlich einen gefangen, dessen Galle meine Augen gleich wieder herstellte, und da habe ich mir das Schneckenhaus voll genommen und komme nun leider zu spät hierher.“ Jerum ließ gleich die Probe an einem alten blinden Manne machen, und er ward gleich wieder sehend und dankte dem König sehr. Als Würgipumpa alles dies hörte, nahte sie sich dem König mit Tränen und sprach: „Ich muss alles tun, das Unrecht wieder gut zu machen, das ich unschuldig veranlasste. Ich habe nun durch meine Nachforschungen erfahren, dass der Holzebocke sich hier im Walde in einer Höhle aufhält; wie wäre es, wenn Kommtzeitkommtrat, der alles kann, was er unternimmt, den Holzebock zu bekämpfen suchte? Er ist jetzt schon ein schöner junger Ritter, und wenn er das Ungeheuer erlegt hätte, so würde er Fanferlieschen, die er in seiner Höhle gefangen hat, heilen und befreien können.“ König Jerum sprach erzürnt: „Wie? Soll mein einziger Trost auf Erden, dieser gute Jüngling, noch einmal in Todesgefahr? Nein, das kann ich nimmermehr zugeben.“ Ursulus hatte es aber kaum gehört, als er vor dem König niederkniete und zu ihm sagte: „Lieber König, gebet mir Waffen, es mag mir gehen, wie es will, so kann ich doch nicht eher ruhen, bis ich Fanferlieschen geheilt habe. Lasset mich ausziehen gegen den Holzebocke.“ Jerum war sehr betrübt, aber Ursulus ließ mit Bitten nicht nach. „Wohlan“, sagte der König, „so will ich mit meinem Hofstaat und dir nach Munkelwust ziehen, weil der böse Holzebocke dort in der Gegend wohnt, und in unserer neuen Kirche will ich dich zum Ritter schlagen, und ich will beten dort, bis du wiederkömmst.“ Da zog Jerum und seine Gemahlin und der Hofstaat und Ursulus nach Munkelwust, und der König ging mit Ursulus in die Kirche, die fertig war, und der alte Schäfer hatte den Altar mit wunderschönen Blumen geschmückt. Da schlug der König den Ursulus zum Ritter und gab ihm einen goldnen Harnisch von Kopf bis zu Fuß und ein herrliches Schwert, das war wie eine Säge. Und auf seinem Schild war abgebildet ein Kreuz und vier Nägel und ein Schwamm und eine Geißel und ein Speer und eine Dornkrone. Den Knopf des Schwertes konnte man aufschrauben, da hinein legte Ursulus das Schneckenhaus mit der Fischgalle. Und nun nahm er eine große Lanze in die Hand, und ein schneeweißer Schimmel mit himmelblauem Geschirr ward vorgeführt; der König hielt ihm selbst den Bügel, und Ursulus schwang sich in den Sattel, dass es rasselte. Da kam der alte Neuntöter geflogen und zog immer vor ihm her. Die Frau Neuntöterin aber flog auf den Kopf seines Pferdes, und der Junker Neuntöter setzte sich auf die Spitze seiner Lanze. Das Fräulein Neuntöter aber setzte sich auf seinen Helm, und so sprengte er in den Wald hinein.
Der König sah ihm lange nach und warf sich dann in der Kirche betend auf sein Angesicht und der alte Schäfer auch, und alle Lämmer auch, und es war, als wenn die Blumen auch auf den Gräbern der Jungfrauen beteten. Auch Ursula, welcher der Neuntöter alles gesagt hatte, betete in ihrem einsamen Turme in heißen Tränen: „Ach Gott im Himmel, erhalte mir meinen Ursulus.“ Die Königin Würgipumpa aber betete nicht, sie hatte sich krank gestellt und war im Schlosse geblieben, denn sie war falsch und verlogen und glaubte ganz gewiss, dass der Holzebocke den Ursulus umbringen werde; deswegen hatte sie den bösen Rat gegeben. Als Ursulus mitten in der Wildnis angekommen war, hielt er sein Pferd an, schlug mit dem Schwert gegen sein Schild und schrie:
„Pumpelirio Holzebocke,
hörst du deine Totenglocke?“Da trat auf einmal sein Freund, der alte Schäfer, hinter einem Baum hervor und nahte seinem Pferd und sprach: „O lieber Ursulus, tue doch dem Pumpelirio Holzebocke nichts, wenn du den Pumpelirio umbringst, so muss ich sterben, denn wir sind in einer Stunde geboren.“ Da rief Ursulus:
„In einer Stunde geboren,
in einer Stunde verloren;
der Holzebock muss sterben,
sonst muss Fanferlieschen verderben.
Tritt aus dem Weg zur Seiten,
sonst muss ich dich überreiten“Der Schäfer aber wollte nicht aus dem Weg, da machte Ursulus die Augen zu und ritt den Schäfer über den Haufen. Da flog der Vogel zu Ursulus und sagte ihm: „Gott segne dich, das war der Pumpelirio selber.“ Da ritt er weiter, hielt wieder an und rief wieder, an das Schild schlagend:
„Pumpelirio Holzebocke,
hörst du deine Totenglocke?“Da stürzte auf einmal der König Jerum ihm in den Weg und hielt ihm den Zügel des Pferdes und sprach wie der Schäfer: „Tue dem Pumpelirio nichts, sonst muss ich sterben.“ Aber Ursulus schrie wieder:
„Tritt aus dem Weg zur Seiten,
sonst muss ich dich überreiten“und machte die Augen wieder zu und ritt den König über den Haufen. Da kam der Vogel wieder zu Ursulus und lobte ihn sehr, dass er sich nicht irremachen ließ. Denn dieser Jerum war wieder nur der verstellte Holzebocke. Als Ursulus zum dritten Male auf das Schild schlug und den Pumpelirio rief, ach! welche Gestalt trat ihm da in den Weg, wer kniete vor seinem Pferd? Niemand anders war es als seine Mutter Ursula. Sie rang die Hände und rief aus: „Mein Sohn, mein Sohn! Wenn du dem Pumpelirio etwas tust, so muss ich sterben.“ Ach, bei diesem Anblick brach dem Ursulus das Herz, und schon wollte er umwenden, da stieß der Vogel das Pferd mit seinem Schnabel in die Seite, und das rannte auch diese Gestalt des Pumpelirio über den Haufen, welcher ganz zornig, dass es ihm nicht gelungen war, den Ursulus zu betrügen, nun in Gestalt eines ungeheuren schwarzen Bocks auf ihn zukam und ihn fragte
„Ei, was willst du, Ursulus?“Da sagte dieser:
„Fanferlieschen
Schönefüßchen,
die ich wieder heilen muss.“Da sagte der Bock wieder:
„Pumpelirio biet dir Trutz,
Holzebocke machet Stutz.“Und nun rannte der Bock auf ihn zu und stieß seinen weißen Schimmel über den Haufen, dass er tot niedersank, und die Lanze, mit welcher Ursulus nach dem Bock gestochen, zerbrach. Die guten Vögel aber hatten alle die neunundvierzig Messer, welche sie schon einmal auf den Jerum geworfen hatten, schon auf einem Baum zurechtgelegt und ließen sie eins nach dem andern auf den Holzebock fallen. Er machte sich nichts draus, denn sie blieben alle in ihm stecken, und jedes ward ein Horn, so dass er endlich wie ein Stachelschwein aussah. Ursulus hatte sich vom Pferde geschwungen und schlug mit seinem Schwerte auf den Holzebock, aber das zerbrach, und Ursulus ward über den Haufen gerannt. Da bedeckte er sich mit seinem Schilde, und der Bock trampelte mit Füßen auf ihm herum. Das tat dem Fräulein Neuntöter so leid, dass sie dem Bock zwischen die Hörner flog und ihm die Augen aushackte, worüber er erschrecklich zu meckern anfing. Nun griff Ursulus unter dem Schild hervor und fasste den Bock beim Bart und zog das Messer hervor, das ihm seine Mutter gegeben, und stach es dem Holzebock ins Herz. Da machte er noch einen Seitensprung und fiel tot nieder. „Gott sei Dank!“ rief Ursulus und raffte sich von der Erde auf: „Ach, wo ist nun Fanferlieschen Schönefüßchen, die ich nun gleich heilen muss?“ Da sagte ihm der Neuntöter, dass sie gleich hier in einer Höhle liege und schlafe. Ursulus lief in die Höhle, da lag Fanferlieschen tot auf einer steinernen Bank. Ursulus glaubte, sie schlafe, aber sie war nicht zu wecken, da klagte er Jammer und Not. Überdem kam der Vogel und sagte: „Ursulus, das Blut vom Holzebock ist auf dein Pferd gespritzt, da ist es wieder lebendig geworden.“ Da nahm Ursulus gleich von dem Blut und bestrich die Fanferlieschen damit. Da wurde sie wieder lebendig, und nun bestrich er ihr die Augen mit der Fischgalle, da ward sie wieder sehend. Ach, wie glücklich war da Ursulus, auch sie weinte vor Freuden und drückte ihn an ihr Herz. „Geschwind wollen wir nun zu Jerum“, rief sie, „denn der ist in großer Angst.“ Da setzte sie der Ursulus hinter sich auf sein Pferd und ritt mit ihr nach der Kirche. Da war große Not und Kummer, denn es war die Nachricht gekommen, dass die Königin Würgipumpa tot mit einem Stich im Herzen auf ihrer Stube gefunden worden sei und dass ihr die Augen aus dem Kopf gesprungen seien. Der König aber vergaß bald seine Betrübnis, da Ursulus und Fanferlieschen angeritten kamen. Er küsste der Fanferlieschen das schöne Füßchen und hob sie vom Pferd und küsste den Ursulus viel tausendmal. Da sagte Fanferlieschen: „Es ist mir lieb, Jerum, dass du dich gebessert hast; aber wo ist Ursula, meine Pflegetochter, zeige mir sie, dass ich sie umarme.“ Bei diesen Worten riss sich der König die Haare aus und schrie: „Weh, weh! Ich Elender, ich bin ein Mörder und bleib ein Mörder.“ – „Ja“, sagte Fanferlieschen, „das bist du, und deswegen sollst du lebendig in den Turm vermauert werden, in welchen du die gute Ursula hast mauern lassen.“ – „Von Herzen gern“, sagte Jerum, „will ich sterben, wo sie gestorben ist, bringet mich hin.“ Da brachte man ihn an den Turm und gab ihm eine Hacke. Alle standen traurig um ihn her und sahen, wie der arme Jerum für sich selbst den Turm aufbrechen musste. Er tat allen Abbitte, die er beleidigt hatte, er bat Fanferlieschen tausendmal um Verzeihung und bat sie, mit Ursulus sein Land zu regieren. Ach, und als er diesen ansah, wollte ihm das Herz zerreißen. Er umarmte ihn und sprach:
„Du brachtest mich zum rechten Pfad
Kommtzeitkommtrat,
dass ich dich nie mehr wiederseh,
das tut mir weh, o weh, o weh!“Ursulus aber sprach:
„Kommtzeitkommtrat, dein Diener, spricht:
Meinen Herrn und König verlass ich nicht.
Ich geh mit dir ins Grab hinein,
ich denk, es wird uns wohl drin sein.“Da nahm er auch eine Hacke, und sie arbeiteten zusammen, und der König Jerum sagte, sooft ein Stein herausgebrochen war:
„Lieb Ursula so still und fromm,
o freue dich, ich komm, ich komm.“Und dann hielt er immer wieder ein und umarmte den Ursulus und bat ihn, zurückzubleiben. Ursulus aber sagte beständig:
„Ich geh mit dir ins Grab hinein,
ich denk, es wird uns wohl drin sein.“Und da arbeiteten sie immer drauflos, und sie waren schon bis an die wollene Decke gekommen, welche Ursula rings im Turme herum gespannt hatte, daließ Jerum die Hacke sinken und sprach:
„Lieb Ursula so still und fromm,
o freue dich, ich komm, ich komm.“Und alle, die umherstanden, weinten bitterlich.
Aber auf einmal hörte man eine Stimme hinter der wollenen Decke, welche sprach: „Ihro königliche Majestät Jerum werden alleruntertänigst ersucht, noch einige Augenblicke zu verziehen zu geruhen, da Ihro Majestät die Königin Ursula noch mit ihrem Anzug beschäftigt sind.“ – „Allmächtiger Gott, was ist das?“ rief Jerum. „Himmel und Erde mögen zusammenfallen, sie lebt! Sie lebt! Oh, ich muss, ich muss sie sehen.“ Da wollte er die Decke niederreißen, aber Fanferlieschen und Ursulus hielten ihn zurück. „O lasst mich! Lasst mich ihre Füße mit meinen Tränen benetzen und sterben“, rief Jerum. Da steckte Ursula ein wunderschönes Füßchen zu der Decke heraus und sprach mit süßer Stimme:
„Da, mein lieber Jerumius,
hast du deiner Ursula Fuß.“Und Jerum sank zur Erde und küsste ihren Fuß und legte sein Haupt nieder und setzte den Fuß Ursulas auf sein Haupt und sprach:
„Der Unschuld Fuß auf Schlangenhaupt,
selig, wer da liebt und glaubt.“Da streckte Ursula ihre schöne Hand hervor und sprach:
„Da, Jerum, hast du meine Hand,
leg deine drein zum Liebespfand.“Da sprang Jerum auf und küsste die Hand und benetzte sie mit Tränen und sprach:
„O Engelshand, o segne mich,
nie mehr, nie mehr, beleidig ich dich!“Da steckte Ursula den Kopf durch die Decke und rief:
„O Jerum, küsse meinen Mund,
da sind wir alle beide gesund.“Ach, da riss Jerum die Decke nieder und sank an das Herz der Ursula, und Ursulus auch und Fanferlieschen auch, und alle Schmerzen waren vergessen, und alles Böse war verziehen. Der Himmel war blau und heiter, die Zuschauer aber sanken auf die Knie und beteten. Als sie sich ein wenig erholt hatten, sagte Ursula zu Jerum: „Sieh, das ist dein Sohn Ursulus!“ Oh, da war Jerums Freude von neuem groß. Neben der Ursula aber stand der Vogel Neuntöter wieder in den Kammerherrn von Neuntöter verwandelt, und seine Gattin war wieder die Hofdame von Neuntöter, und der Junker war ein Edelknabe, und das Fräulein Neuntöter stand so schön, so blond und schlank mit niedergeschlagenen Augen vor Ursulus, dass er vor sie hin trat und sprach: „Oh, mein schönes Fräulein! Ihnen verdanke ich die Befreiung aus dem Kerker durch die Springwurzel und das Tobiasbüchlein und die Fischgalle, und Sie haben dem Holzebocke die Augen ausgehackt, wie lohne ich Ihnen?“ Als Jerum und Ursula und Fanferlieschen dieses hörten, legten sie die Hände der beiden zusammen und sagten: „Ihr sollt Mann und Frau sein.“ Darüber waren beide glücklich. Alle aber zogen nun nach der Kirche und dankten Gott, und Fanferlieschen sagte. „Gott sei Dank, Jerum, dass der Holzebock und Würgipumpa tot sind. Sie waren Geschwister und meine größten Feinde, aber sie wussten nicht, dass eines mit dem andern sterben musste. Jetzt lasset uns alle nach Besserdich ziehen und in Tugend und Ehren das Land regieren.“ Jerum aber sprach: „Ich bin das Glück nicht wert, nur die Unschuld soll regieren, die Schuld aber soll Buße tun. Ich bleibe hier bei dem alten Schäfer und büße ewiglich.“ Da setzte er seine Krone auf das Haupt des Ursulus, und Ursula setzte ihre Krone auf das Haupt der Fräulein Neuntöter, welche auch Ursula hieß, und sprach: „Auch ich will hier bleiben und beten.“ Darüber ward das Herz des armen Jerums so gerührt, dass es mitten entzwei sprang und Jerum starb. Oh, da war Weinen und Wehklagen. Und sie begruben ihn zu Füßen eines Kreuzes bei dem Brunnen, und Ursula sang, und aus allen Gräbern der Jungfräulein sang es mit.
Ursula blieb nun da bei dem alten Schäfer wohnen und nahm viele Witwen und Waisen zu sich, und sie arbeiteten für die Armut und beteten und sangen. Fanferlieschen segnete sie, und Ursulus und seine Frau trennten sich weinend von ihr und zogen nach der Stadt Besserdich. Der Herr von Neuntöter und seine Frau und sein Sohn aber regierten das Ländchen Bärwalde für Ursula. Als Fanferlieschen wegritt, ging sie auf den alten Schäfer zu und sprach zu ihm: „Damon, kennst du mich noch? Wir sind beide alt geworden.“ – „Ja“, sagte der Schäfer, „ich kenne dich noch; als du die Lämmer hütetest neben mir, da liebte ich dich und sagte dir es. Da sprachst du:
‚Lieber guter Schäfer mein,
schön wär’s wohl, doch kann’s nicht sein.
Ich bin nur ein guter Geist,
der so durch das Leben reist.
Liebe Gott, das ist gescheiter‘,
also sprachst du, und zogst weiter.““Richtig“, sagte Fanferlieschen, „so war es, und du hast meinem Rat gefolgt, drum werd ich dich im Himmel wiedersehen.“ Da sank der Schäfer tot an die Erde, und Fanferlieschen flog durch die Lüfte davon und ließ ihre Pantoffeln niederfallen. Die fing die Gemahlin des Ursulus auf und war gleich so schön und lieb und klug als Fanferlieschen. Sie kamen nach Besserdich und regieren gut bis dato.
Quelle:
(Clemens von Brentano)