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Märchenbasar

Das verrostete eiserne Kästchen

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Ein armer Junge hatte ein verrostetes eisernes Kästchen gefunden, das ganz hinten auf dem Dachboden zwischen zwei Balken versteckt war. Aufmerksam besah er sich seinen Fund von allen Seiten.
„Wie bekomme ich den unansehnlichen Kasten auf?“, dachte der kleine Ernst. „Einen so kleinen Schlüssel habe ich nicht, nur meinen Haustürschlüssel und der ist viel zu dick für das winzige Loch.“
Ernstchen nahm seinen Schlüssel und hielt ihn an das Schloss. Plötzlich knackte es beängstigend und auf wundersame Weise veränderte sich die Größe des Schlüsselloches und sein eiserner Schlüssel passte. An dem Kasten hatte ein Zauberschloss.

Der Junge war verblüfft und machte das Kästchen vorsichtig auf. Er schaute hinein und entdeckte einen eisernen Ring und ein Büchlein. Der Knabe nahm den Ring und setzte ihn auf den Mittelfinger seiner rechten Hand. Das eiserne Schmuckstück war aber viel zu groß. Danach untersucht der aufgeweckte Knabe das Buch. Doch er konnte es nicht lesen, denn es war in einer Schrift geschrieben, die Ernst in der Schule nicht gelernt hatte.

Ernstchen war der jüngste Sohn einer achtköpfigen Familie. Er hatte noch sieben Geschwister und einen Vater. Dieser war Seemann und meistens nicht zu Hause. Die Mutter war bei der Geburt von Ernst an Kindbettfieber gestorben. Die Mutterrolle übernahm seine älteste Schwester, die gerade achtzehn Jahre geworden war. Sie hatte den jüngsten Bruder in ihr Herz geschlossen. Er war brav und lernte gut in der Schule. Die Familie hatte oft nichts Richtiges zu essen. Das Geld, das der Vater seiner Tochter gab, wenn er auf große Fahrt ging, reichte hinten und vorne nicht. Deshalb war Ernstchen auch immer sehr traurig. Von seinen Mitschülern in der Schule wurde er oft gehänselt, weil er die Sachen seiner größeren Geschwister abtragen musste.

Der kleine Junge versteckte den verrosteten kleinen Kasten erst einmal an seinem alten Platz. Seinen Geschwistern sagte er vorerst nichts. Angestrengt überlegte er, wie er die Schrift übersetzen könnte
Am Ende des Dorfes wohnte ein alter, einsamer Mann. Die Bewohner nannten ihn den alten Seemann. Sein Schiff war vor Jahren am nahen Meeresstrand bei einen schweren Unwetter gesunken. Alle Matrosen waren dabei ertrunken. Der einsame Alte war auf dem Schiff Steuermann gewesen und hatte damals einen großen Fehler begangen, der zu dem Unglück führte. Seine Schuld am Tod seiner Kameraden konnte er sich bis heute nicht verzeihen. Im Dorf erzählte man weiter, dass das Schiff eine wertvolle Fracht in ein fremdes Land bringen sollte. Nur der Kapitän und der Steuermann wussten davon und wohin die Fahrt ging. Der alte grimmige Seemann wurde auch oft von den Kindern des Ortes beschimpft und verspottet.
Weiterhin berichtete man, dass der graubärtige Seebär auf seinen Reisen viele Sprachen erlernt hatte.

Der kleine Ernst überlegte, ob er nicht den alten Mann fragen und ihm das Büchlein zeigen sollte. Er nahm all seinen Mut zusammen und ging zum Haus des einsamen Seemanns. Der Junge klopfte an die schwere Eichentür und der Alte machte sie auf und schimpfte auf Ernstchen los.
Mit zitternden Knien hörte der kleine Knabe den Seemann an und widersprach ihm nicht.
Dann stammelte der erschrockene kleine Junge: „Ich mache keine Dummheiten und möchte Sie auch nicht ärgern. Man hat mir erzählt, dass Sie weit in der Welt herumgekommen sind und viele Sprachen sprechen und deren Schrift lesen können. Ich habe ein kleines Büchlein gefunden, doch ich kenne die Buchstaben nicht und kann es darum auch nicht lesen. Meine Bitte wäre, ob Sie sich die Schrift einmal ansehen würden und vielleicht kennen Sie sie und sagen mir, um was es in dem Buch geht.“

„Hm“, meinte der Alte, „bis jetzt habe ich mit den Kindern im Dorf nur schlechte Erfahrungen gemacht und darum habe ich auch mit dir gleich geschimpft. Aber es scheint mir, dass du kein Lausbube bist. Hole mir das Buch und ich werde sehen, ob ich die Schrift lesen kann.“

Ernstchen lief wie von der Tarantel gestochen nach Hause, holte das Büchlein aus dem Kästchen, versteckte das verrostete Ding mit dem eisernen Ring wieder und rannte zurück. Der alte Seebär wartete schon. Ernstchen zeigte dem Alten das kleine Buch. Ganz erstaunt setzte sich der alte einsame Mann auf einen Stuhl in seiner Küche und wackelte mit dem Kopf.

„Wo hast du das Buch gefunden? Das war in einem eisernen Kästchen mit einem Ring eingeschlossen. Wir sollten es damals mit dem Schiff, das bei dem Unwetter unterging, zum Zaren des Eisenlandes bringen. Hast du das eiserne Kästchen auch noch?“, wollte der Alte wissen.

Ernstchen schaute den alten Steuermann ganz verdutzt an und nickte mit dem Kopf.
„Du bist ein besonderes Kind“, sagte der Alte plötzlich. „Wer das Kästchen aufmachen kann, ist ein guter und reiner Mensch und ist zu etwas Höherem berufen.“
Dann war plötzlich Stille im Raum. Der alte Seebär überlegte.

„Du musst das Kästchen samt Ring und dem Büchlein dem Zaren des Eisenlandes bringen und du wirst sehen, was dann passiert. Das eiserne Kästchen war die außergewöhnliche Fracht, die wir damals an Bord hatten.“

Ernstchen überlegte und sagte dann zu dem alten Seebären: „Warum nicht! Wenn das Kästchen den Zaren gehört, dann geben wir es zurück.“
„Du bist ein ehrlicher und gut erzogener Junge, aber du darfst niemandem von dem Schatz erzählen. Viele Menschen haben schon nach dem Kästchen gesucht. Immer vergebens.“
Ich komme jetzt mit zu dir nach Hause und werde deinen Vater sagen, dass wir gemeinsam eine Seefahrt in das Eisenland machen.“
Ernstchen erklärte dann dem Alten, das sein Vater auf See sei und erst in einen halben Jahr zurückkomme. Die Ziehmutter, seine Schwester, würde ihn bestimmt fahren lassen, denn sie ist auch eine ehrliche Haut.
„Na gut“, meinte der alte Steuermann, „weihen wir sie ein. Sie muss uns aber versprechen, dass sie niemandem von dem Fund erzählt.“

Ernstchens Schwester willigte ein und der alte Seebär nahm den Jungen unter seine Obhut. Sie fuhren in den nächsten Hafen und suchten sich ein Schiff, das nach dem Eisenland fuhr. Das Land war ein armes Land. Die Häuser in den Städten und Dörfern waren zerfallen. Die Felder waren verdorrt und alle Bäume sahen braun und vertrocknet aus. Auch der Palast des Zaren war ein zerfallendes Gebäude.

Am Eingang des Palastes stand ein einsamer, graubärtiger, buckliger Alter.
Der Steuermann und der Knabe näherten sich dem Buckligen und fragten ihn, wo sie den Zaren finden.
Der Graubärtige antwortet mit zitternder Stimme: „Ich bin der Zar“.
„Was ist mit deinem Land geworden, warum sieht hier alles zu trostlos aus?“, wollte Ernstchen wissen und der Bucklige erzählte, dass ihm vor Jahren ein Zauberer aus dem Schrottland sein Land abkaufen wollte. Als der Zar ablehnte, verzauberte er das ganze Land in ein braunes, verdorrtes Land, in dem seither nichts mehr blüht und wächst. Alle Häuser sollten verfallen und ihm, dem Zaren, hexte er einen Buckel auf. Die Einwohner des Landes sollte es so schlecht gehen, dass viele ihr Leben lassen mussten.
Die Simse, eine gute Fee, hatte alles mit angesehen und milderte den Zauber ab. Sie sagte: „Im Morgenland gibt es einen eisernen Ring in einem eisernen Kästchen, wer beides dem Zaren bringt, kann das Eisenland retten, aber nur ein guter Mensch ist dazu in der Lage.“
Damals schickte der Zar seine besten Gefährten in das Morgenland, um nach dem Schatz zu suchen. Man fand das Kästchen, doch bei der Überfahrt zum Eisenland ging es mit dem Schiff unter. So mussten die Bevölkerung und der Zar des Eisenlandes in schwerer Not leben.
Als der bucklige Zar Ernst das erzählt hatte, sagte dieser: „Die Not hat ein Ende, ich bringe dir das Kästchen mit Ring.“ Der alte Gebieter wollte seinen Augen nicht trauen, als er das verrostete Kästchen sah.
Ernstchen gab ihm den braunen Behälter. Der Zar nahm ihn und holte einen Schlüssel. Dann öffnete er den Kasten und nahm zuerst das Büchlein heraus. Er begann aus diesem vorzulesen, steckte den Ring an den Mittelfinger und drehte diesen zweimal nach rechts und plötzlich fing die Sonne an zu scheinen. Die verdorrten Bäume begannen grün zu werden und es wuchsen in kurzer Zeit Früchte dran. Das ganze Land blühte wieder auf. Auch die verfallenen Gebäude erhielten ihren alten schönen Anblick zurück. Das Eisenland fing wieder an zu atmen.
Plötzlich kamen viele Einwohner zum herrlichen Palast des Zaren, um zu sehen, was geschehen war. Sie ließen Ernstchen hochleben und feierten ihn als Retter. Der greise Zar nahm den Seebären und den Jungen mit in seinen Palast und dort wurde drei Tage lang die Rettung des Eisenlandes gefeiert.
Der alte Seemann und Ernstchen fuhren wieder in ihr Dorf zurück.
Zehn Jahre später kam ein wunderschönes Schiff in den Hafen des Dorfes. Der alte Zar holte Ernstchen zu sich, denn er sollte der neue Zar im Eisenland werden.

Quelle: Friedrich Buchmann

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