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Märchenbasar

Das Eichhörnchen und die Taube

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In einem großen Wald, fernab der Stadt, lebten ein Eichhörnchen und eine weiße Taube. Die beiden Tiere liebten sich sehr und verbrachten viel Zeit miteinander. Häufig saßen sie nur nebeneinander auf dem obersten Ast des höchsten Baumes und ließen ihren Blick über die Welt schweifen. Am meisten mochten sie es, dem Sonnenaufgang zuzusehen, wenn der Himmel so aussah, als hätte jemand einen riesigen Eimer roter Farbe über ihn ausgegossen.

Die anderen Tiere des Waldes sahen diese Beziehung nicht gerne.

„Das ist gegen die Natur!“, beschwerte sich Frau Dachs. „Ein Eichhörnchen und eine Taube dürfen sich nicht lieben!“

Und auch Herr Hirsch konnte angesichts dieses merkwürdigen Paares nur kritisch den Kopf, aus dem sein großes Geweih wuchs, schütteln. „Sie sind nicht gut für unseren Wald. Wir müssen unsere Kinder vor ihnen beschützen!“

Auch die anderen Waldbewohner wollten das Eichhörnchen und die weiße Taube, die sich liebten, nicht länger in ihrem Wald haben, und so beschlossen sie, wenn die beiden aneinander gekuschelt auf dem höchsten Ast eingeschlafen waren, den Baum in Brand zu stecken. Der schlaue Fuchs hatte einmal im Wald ein magisches, silbernes Kästchen gefunden, und wenn man bei diesem an einem kleinen Rädchen drehte, sprang eine Flamme heraus! Der Fuchs hatte nicht lange gebraucht, um hinter dieses Geheimnis zu kommen. Die Wildschweine sollten dünne Äste um den dicken Baumstamm anhäufen, damit sich das Feuer entzünden konnte.

Noch in dieser Nacht wurde der böse Plan in die Tat umgesetzt: Das Eichhörnchen und die Taube schliefen auf dem obersten Ast des höchsten Baumes in liebevoller Umarmung. Unter ihnen, am Fuß des Baumes, versammelten sich Frau Dachs, Herr Hirsch, der Fuchs und ein paar Wildschweine.

„Fuchs, entzünde das Feuer!“, befahl der Hirsch ihm. Und der schlaue Fuchs klemmte sich das magische, silberne Kästchen zwischen die Pfoten und drehte mit seinen spitzen Zähnen am Rädchen. Sofort sprang eine Flamme heraus. Der Fuchs nahm das Kästchen in sein Maul und ging zum Asthaufen, der von den Wildschweinen um den Baum zusammengetragen worden war. Der rote Vierbeiner warf das magische Kästchen auf den Haufen. Keinen Augenblick später entzündeten sich die dünnen Äste. Es knisterte und knackte.

„Es klappt!“, rief Frau Dachs erfreut. „Bald ist unser schöner Wald wieder sauber, wenn das Eichhörnchen und die Taube nicht mehr unter uns leben!“

Schon leckten hohe Feuerflammen an der Borke des großen Baumes und als sie sich festgefressen hatten, kletterten sie weiter und weiter den Stamm nach oben. Stickiger, dunkler Rauch breitete sich aus, der bald über die Baumspitze hinausreichte und das hilflose Eichhörnchen und die arme Taube wie eine Faust fest umschlungen hielt. In diesem Moment stieß eine Eule, die am Himmel vorbeiflog, einen krächzenden Schrei aus. Davon wurde die Taube wach. Sie schüttelte ihr kleines Köpfchen. Der Rauch hatte sie sehr schläfrig und schwach gemacht. Aber sie erkannte sofort die Gefahr.

Ohne einen Moment zu zögern, packte sie mit den Krallen das neben ihr noch immer besinnungslose Eichhörnchen an den Schultern und flog mit ihm davon. In sicherer Entfernung zum Feuer ließ sich die weiße Taube mit ihrem Liebsten auf einer Wiese nieder. Sie gurrte ihm liebevoll ins Ohr, so lange, bis er aufwachte. Ein paar Mal hustete er tief.

„Was ist passiert?“, fragte das Eichhörnchen die Taube.

„Unser Baum hat gebrannt“, antwortete der Vogel. „Ich bin noch im letzten Moment vom Schrei einer Eule wachgeworden. Wenn sie nicht gewesen wäre, oje, ich mag gar nicht weiter darüber nachdenken.“

Das Eichhörnchen nickte. „Du hast mir das Leben gerettet“, sagte es schließlich.

„Ach“, erwiderte der Vogel bescheiden. „Du hättest dasselbe für mich getan.“

Das Eichhörnchen lächelte die weiße Taube herzerwärmend an: „Weil wir uns lieben.“

„Genau“, sagte die Taube. „Weil wir uns lieben. Und Liebe ist die schönste Art, glücklich zu sein.“ Daraufhin umarmten sich die Tiere innig. Sie schwuren sich, dass nichts und niemand sie jemals auseinander bringen konnte. Denn ohne ihre Liebe konnten sie nicht leben: Ihre Liebe war die Luft, die sie atmeten, das Wasser, das sie tranken und das Herz, das in ihrer Brust schlug.

In der Ferne sahen das Eichhörnchen und die Taube, wie das Feuer, dem sie noch im letzten Moment mit heilem Fell und Federkleid entkommen waren, sich rasend schnell, wie ein gefräßiges Raubtier, ausbreitete. Bald waren alle Bäume in Brand gesetzt. Als am nächsten Morgen die Sonne aufging und die ersten Strahlen über das Land schickte, war kein Wald mehr da, sondern nur eine Aschewüste, vor der alle Waldtiere ratlos mit hängenden Schultern und gesenkten Köpfen standen.

Die Moral von dieser Geschichte ist nicht zu verkennen –
Sie lautet: zwei liebende Herzen kann keiner trennen.

Quelle: Martin Lindner

 

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