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Märchenbasar

Das Weihnachtsgeschenk

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Ihr ganzes Vermögen war ein Dollar, 87 Cent, davon 60 Cents in Pennystücken. Alles mühsam zusammengekratzt und gespart. Und morgen war Weihnachten. Nichts blieb übrig, als sich auf die kleine, schäbige Coach zu werfen und zu heulen.
Das tat Della denn auch, und es beweist uns, das sich das Leben eigentlich aus Schluchzen, Seufzen und Lächeln zusammensetzt, wobei das Seufzen unbedingt vorherrscht. Inzwischen betrachten wir das Heim etwas näher.
Es ist eine kleine möblierte Wohnung zu acht Dollars in der Woche . Sie sieht nicht gerade ärmlich aus, ist davon aber auch nicht allzu weit entfernt.
Della hört zu weinen auf . Sie stand am Fenster und schaute bedrückt einer grauen Katze im Hof zu. Morgen ist Weihnachten und sie hatte nur das wenige Geld, um Jim ein Geschenk zu kaufen.
Im Zimmer hing zwischen den Fenstern ein Spiegel. Wie hingewirbelt stand Della plötzlich mit hell leuchtenden Augen vor ihm. Rasch löste sie ihr Haar und ließ es in seiner ganzen Länge fallen .
Im Besitz von Della und Jim gab es zwei Dinge, in denen sie ihren ganzen Stolz setzten. Das eine war Dellas Haar. Es fiel wie ein goldener Wasserfall glänzend und sich leicht kräuselnd an ihr herab.
Es reichte ihr fast bis zu den Knien. Schnell und mit nervösen Fingern steckte sie es rasch wieder zusammen.
Sie schlüpfte in ihre alte braune Jacke und huschte, immer noch das glänzende Leuchten in den Augen, zur Tür hinaus, die Treppen hinunter und durch die Straße.
Sie stand erst still, als sie bei einem Schild anlangte, auf dem zu lesen war :
Mme.Sofronie, An- und Verkauf von Haar aller Art .
“ Kaufen sie mein Haar ?” fragte Della Mme. Sofronie. “Ich kaufe Haar , zeigen sie mir was sie haben“, sagte Madame Sofronie.
Della zeigte ihre ganze Haarpracht. “ Ich gebe ihnen 20 Dollar”
“ Geben sie es rasch,” sagte Della. Oh, und die zwei folgenden Stunden vergingen wie auf rosigen Schwingen. Vergessen war die zermürbende Vorstellung der fehlenden Haare. Sie durchstöberte die Läden auf der Suche nach Jims Geschenk.
Endlich fand sie es. Sicher war es für Jim und niemand anders gemacht. Es war eine Platinuhrenkette, einfach und geschmackvoll in Form und Zeichnung.21 Dollar nahmen sie ihr dafür ab und mit den restlichen 87 Cent eilte sie heim.
So schön wie Jims Uhr war, schaute er nämlich manchmal scheu darauf, weil das alte Lederband, das er an Stelle einer Kette benützte, so schäbig war.
Als Della zu Hause ankam, ließ ihr Taumel nach und sie wurde etwas vernünftig. Sie holte ihre Brennschere heraus , zündete das Gas an und machte sich daran, die Verheerung, die Großmütigkeit zusammen mit Liebe angerichtete hatte, wieder gutzumachen.
Um sieben Uhr war der Kaffee gemacht, und die heiße Bratpfanne stand hinten auf dem Ofen, bereit, die Koteletts aufzunehmen, die darin gebraten werden sollten.
Della nahm die Kette und setzte sich auf den Tisch bei der Tür, durch die Jim gleich kommen würde.
Sie flüsterte leise vor sich hin :” Lieber Gott, mach das, das er denkt, ich sei immer noch hübsch.”
Die Tür öffnete sich und Jim kam rein.Seine Augen waren auf Della gerichtet und hatten einen Ausdruck den sie nicht deuten konnte.
“ Schau mich nicht so an mein Liebster, ich habe mir die Haare abgeschnitten um dir ein Weihnachtsgeschenk zu kaufen. Es wird wieder nachwachsen, aber ohne ein Geschenk für dich hätte ich es nicht ausgehalten. Du bist nicht böse, nicht wahr ? Mein Haar wächst unheimlich schnell. Sag “ Fröhliche Weihnachten “ Jim und laß uns glücklich sein. Du weißt ja gar nicht welch schönes Geschenk ich für dich habe. “
“ Du hast dein Haar abgeschnitten ? “ ,fragte Jim mühsam.
“ Abgeschnitten und verkauft “, sagte Della.
Nun schien Jim aus seinem Trancezustand zu erwachen. Er nahm Della in seine Arme.
“ Ich glaube , da gäbe es kein Haarschneiden, Dauerwellen oder Waschen in der Welt, das mich dazu brächte, mein liebstes weniger zu lieben. Aber wenn du das Päckchen da auspackst, wirst du sehen, warum ich mich zuerst eine Weile nicht erholen konnte.”
Dellas Finger zogen an der Schnur, rissen am Papier. Ein begeisterter Freudenschrei.
Und dann – oh weh ……
Dort lagen sie – die Garnitur von Kämmen, seitlich und rückwärts einzustecken, die Della so lange im Schaufenster bewundert hat. Echtes Schildpatt, mit echten Steinchen, die so wundervoll zu ihren langen Haaren gepasst hätten.
Nun waren ihre Haare fort, trotzdem drückte sie sie an sich, und endlich konnte sie auch mit verschleierten Augen aufstehen und lächelnd sagen:
“Mein Haar wächst ja so schnell Jim “
Und dann sprang sie auf um Jims Geschenk zu holen.
“ Ist sie nicht großartig- das einzig wahre ? Du wirst jetzt jeden Tag hundertmal sehen müssen , wieviel Uhr es ist. Gib mir bitte deine Uhr ,damit ich sehen kann wie die Kette daran aussieht. “
Anstatt zu gehorchen, machte es sich Jim auf der Coach bequem , legte die Hände hinter den Kopf und lächelte.
“Dell “, sagte er ,” wir wollen unsere Weihnachtsgeschenke noch für einige Zeit aufbewahren, sie sind zu schön, als das wir sie jetzt brauchen könnten. Denke, ich habe die Uhr verkauft, um das Geld für deine Kämme zu erhalten.
Und jetzt meine Liebe,glaube ich, ist es das beste, du stellst die Koteletts auf . “

( O. Henry )

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