In der Nähe des einstigen Königsschlosses, das jetzt in ein einfaches Häuschen verwandelt war, lag eine alte Burg, darauf wohnte ein Ritter, namens Justin von Felsingborg. Dieser liebte schon längst im stillen die liebreizende Prinzessin, wagte aber, solange sie vornehm und reich war, nicht, den Blick zu ihr zu erheben; da konnte er natürlich auch nicht sehen wie freundlich und wohlwollend sie ihm nachblickte, und nicht ahnen, daß sie ihn, den einfachen Ritter, allen Fürsten und Herzögen vorziehen würde. Jetzt, da sie nun ärmer war als er, nahte er sich ehrerbietig, gestand ihr seine Liebe und bat sie, sein Weib zu werden und mit ihrem Vater seine Reichtümer zu teilen. Die Prinzessin war gerührt und erfreut über sein Anerbieten, aber so sehr sie ihn auch liebte, so gern sie auch die Seine geworden wäre und auf die Königskrone verzichtet hätte, so mochte sie doch ihrem Vater das nicht zuleide thun, der in den glänzenden Verhältnissen alt geworden war und mit ganzer Seele daran hing. Und so gab sie auch Justin von Felsingborg den Bescheid, daß sie nur dann die Seine werden könne, wenn er die Nuß zu spalten vermöge und dadurch ihre und des Vaters Verzauberung löse. Traurig vernahm Justin ihre Antwort und grübelte Tag und Nacht, wie Alines Zauber zu haben sei. Da vernahm er, daß in einer fernen, großen Stadt ein mächtiger Zauberer wohne, der für alles Rat wisse. Sofort war sein Entschluß gefaßt. Eines schönen Tages machte er sich auf die Wanderschaft und langte nach einer langen, beschwerlichen Reise in der befragten Stadt an. Er fand in dem Zauberer einen schönen Greis mit wohlwollenden Zügen, der freundlich nach seinem Begehr fragte, und als ihm Justin seine Verlegenheit mitgeteilt hatte und um seinen Rat bat, da sagte er nach einigem Nachdenken: „Mein lieber Sohn, um diese Nuß zu öffnen, bedarfst Du nur eines kleinen Hammers; aber Du mußt ihn eigenhändig aus selbstverdientem Golde gearbeitet haben. Dazu gehören Jahre, – wirst Du soviel Geduld haben?“ „An Geduld soll es mir nicht fehlen“, versicherte Justin, „denn ich liebe die Prinzessin und scheue für sie keine Opfer; aber wie und wo kann ich das Gold mit meiner Hände Arbeit verdienen?“ „Verlasse morgen vor Tagesanbruch diese Stadt“, riet ihm der Greis, „gehe immer dem Winde entgegen, bis du an ein großes Wasser kommst. Das übrige wird sich dann von selbst finden.“ Kopfschüttelnd über den dunklen Sinn dieser Worte, nahm Justin herzlich Abschied von dem Zauberer und that, wie ihm geheißen. Es war ein heißer, ermattender Tag und der Ritter dankte Gott, wenn ihm ein kühles Lüftchen entgegenwehte und ihm gleichzeitig den Weg bezeichnete, den er zu wandern hatte und welcher ihn gegen Mittag nach einem anstrengenden Marsche an den Strand des Meeres führte.
Erschöpft stieg er in einen der vielen Fischerkähne, die sich leise auf den Wellen schaukelten, spannte seine große Decke, die er bei der Wanderung bei sich führte, über sich aus zum Schutz gegen die brennende Sonne und streckte sich dann behaglich auf dem Boden des Kahn aus. Bald war er fest eingeschlafen. Ein furchtbares Getöse erweckte ihn. Es war finstere Nacht um ihn; der Sturm heulte, feurige Blitze zuckten vom Himmel nieder, ihnen folgten knatternde Donnerschläge, die schaurig auf dem weiten, unendlichen Meere wiederhallten. Sein Boot befand sich bald auf haushohen Wellen, bald schoß es je in die Tiefe hinab. Entsetzt blickte Justin um sich und konnte sich anfangs nicht besinnen, wie er in die schreckliche Lage gekommen war. Dann fiel ihm schaudernd ein, daß er in dem Kahn eingeschlafen und wahrscheinlich vom Unwetter hinausgetrieben worden und rettungslos verloren sei. Angstvoll griff er nach den Rudern, aber menschliche Kraft vermochte nichts gegen die Wut der Elemente auszurichten. Außerdem machte es die Finsternis unmöglich, irgend ein Zeil ins Auge zu fassen. Entmutigt ließ er die Ruder sinken, eine neue gewaltige Welle brachte ihn zum Schwanken, er stürzte nieder und klammerte sich an die Planken des Bootes. So blieb er liegen, die tiefste Verzweiflung im Herzen. „O, mein Gott!“ rief er schmerzlich, “so soll ich denn hier den jämmerlichen Tod finden und Aline niemals erfahren, wo und wie ich geendet!“ In demselben Augenblick erleuchtete ein greller, lang anhaltender Blitz alles ringsumher. Justin richtete sich auf und erblickte in einiger Entfernung dunkle Massen, die ihn Land deuchten; aber gleich darauf warf ihn eine haushohe Welle zurück, stürzte das Boot um und schleuderte ihn mit aller Kraft an das Land, wo er besinnungslos liegen blieb. Als er wieder zu sich kam, lag er ein Stück vom Strande auf festem Boden. Ein riesengroßer Mann mit langem, dunklen Bart stand über ihn gebeugt und leuchte ihm mit einer Laterne ins Gesicht. „Holla, mein Bürschchen“, rief er mit tiefer Stimme, „sind die Fensterläden wieder offen? Ich glaubte schon, sie würden für immer geschlossen bleiben!“ „Wo bin ich?“ fragte Justin. „Auf dem Trockenen“, erwiderte der Riese. „Aber bald wäre es Euch schlecht ergangen“, fuhr er fort. „Der Sturm hat Euer Boot zerschellt und die Wellen Euch ans Land geworfen. Sie würden Euch auch sicherlich wieder fortgespült haben, wenn ich nicht zufällig hier gewesen wäre und Euch in Sicherheit gebracht hätte.“ Jetzt besann sich Justin auf alles und dankte seinem Retter mit warmen Worten: „Nichts da von Dank“, erwiderte der Riese barsch, „ich lasse mich nicht mit leeren Worten abspeisen, ich verlange die That. Wen ich dem Tod entreiße, der muß für mich arbeiten und zwar volle drei Jahre. Wenn er in dieser Zeit treu seine Pflicht erfüllt, dann sind wir quitt. „Ich denke doch“, fügte er hinzu, „damit kann jeder, der dem jämmerlichen Tode entronnen ist, wohl zufrieden sein. Drei Jahre der Arbeit sind schnell herum.“ „Doch nun erhebt Euch“, rief er ungeduldig, als Justin noch immer still lag, “ hier auf der Erde könnt Ihr doch nicht liegen bleiben, das würde Euch dem Tode, dem Ihr knapp entronnen seid, wieder in die Arme führen.“ Mühsam erhob sich Justin. Die Zähne schlugen ihm vor Frost hörbar aufeinander. Der Riese zog die nassen Kleider ab und half ihm trockene anzulegen, die er bei sich führte, dann hüllte er ihn noch in eine wollene Decke und reichte ihm einen Schluck starken Weins aus seiner Flasche und zog ihn dann heftig mit sich fort. Die schnelle Bewegung that Justin wohl, ihm war wieder warm und in seine erstarrten Glieder kam neues Leben. Allein sein Herz war zum Zerspringen traurig. Wohl war er dem Tode entronnen; aber er war auf drei Jahre an den Riesen gebunden, was konnte in dieser langen Zeit alles geschehen? Vielleicht fand sich ja inzwischen ein anderer, der die Nuß spaltete, Alines Zauber löste und sie als sein Weib heimführte. Während dieser traurigen Betrachtungen gelangte er neben seinem schweigsamen Begleiter in einen dichten, dunklen Wald. Die kleine Laterne warf nur einen kleinen Schein durch die Finsternis und ließ die mächtigen, dunklen Bäume unheimliche Riesen erscheinen, die ihre langen Arme nach den Wanderern ausstreckten, welche häufig über die knorrigen Wurzeln stolperten. Nach einer Stunde Wanderns lichtete sich der Wald und sie gelangten auf einen freien Platz, von dessen Mitte sich ein helles Gebäude am dunklen Abendhimmel abzeichnete. Aus seinem hohen Schornstein sprühten leuchtende Funken empor zu dem düsteren Himmel. Dieses Zeichen von Leben und der Nähe anderer Menschen berührte Justin sehr wohlthuend. Sie umgingen das Gebäude und standen bald vor der Thür einer ungeheuren Schmiede. Dunkle, bärtige Gestalten hantierten darin umher. Der eine setzte den Blasbalg in Bewegung, um die Glut auf der Esse zu schüren, der andere schlug auf das glühende Eisen, daß die Funken stoben. Noch andere thaten Metall in einen großen Kessel, und das Sieden und Zischen aus seiner Tiefe übertönte zuweilen jedes andere Geräusch. Voll Interesse betrachtete Justin das nächtliche Treiben der Männer, während diese ihn keines Blickes würdigten. „Für heute ist das nichts“, störte ihn sein Begleiter, „kommt jetzt ins Haus und ruht Euch, – Ihr sollt diese Arbeit noch zu Genüge kennen lernen.“ Damit zog er ihn mit sich fort zu der eigentlichen Hausthür durch einen dunklen Flur in ein matt erleuchtetes Zimmer.
Bei ihrem Antritt schreckte ein altes Mütterchen aus einem alten Lehnstuhl empor. „Bist du endlich da, Carlo“ murmelte sie schlaftrunken. „Dein Nachtessen wird kalt geworden sein.“ „Nun, dann wärme es, Mutter“, sagte Carlo, „und bringe noch einen zweiten Teller mit, denn ich habe einen neuen Gesellen für die Schmiede geworben.“ Jetzt musterte die Alte den neuen Ankömmling. „Ha, ha, ha, Bürschchen“, lachte sie „siehst mir nicht aus wie ein Schmiedegesell, – eher wie ein feines Herrchen, das nichts anderes kennt als Reiten und Jagen.“ „So war es auch bisher, Mütterchen“, gestand Justin freimütig, „aber das soll mich nicht hindern, jetzt ein tüchtiger Schmied zu werden, um meinem Lebensretter dadurch meine Dankbarkeit zu beweisen.“ „Brav gesprochen; wenn Eure Thaten Euren Worten gleichen, bin ich mit Euch zufrieden. Die meisten, denen ich bisher das Leben rettete, haben mir mit Undank geloht und sind heimlich davongelaufen. Auch Ihr werdet kein Gefangener sein; wir werden ja sehen, ob Ihr Euer Wort haltet.“ „Ich habe noch niemals mein Wort gebrochen“, erwiderte Justin einfach, „und wenn mich auch heute drei Jahre eine Ewigkeit deuchten, weil sie mir ein entferntes Ziel in die weite Ferne, ja vielleicht auf ewig entrücken, so soll mich doch das alles nicht hindern, Euch mein gegebenes Wort zu halten. Hier meine Hand darauf, daß ich Euch nicht eher als über drei Jahre verlasse.“ Carlo schlug mit aller Kraft in die dargereichte feine Hand Justins, daß sie knackte und der Handel war geschlossen. Indessen hatte die Alte das Essen gebracht und sah schmunzelnd zu, wie es den beiden Hungrigen schmeckte. Nach dem Mahl nahm der Riese ein Endchen Licht, steckte es auf eine Flasche und geleitete Justin in sein Schlafkämmerchen. Es war ein kleiner Raum unter dem Dache, darin stand ein sauberes Bett, ein wackliger Stuhl, ein kleiner, grob gezimmerter Tisch mit einer braunen, irdenen Waschschüssel und einem gleichen Wasserkrug. Aber dem bisher durch Glanz und Ueppigkeit so sehr verwöhnten Ritter erschien dieses einfache Kämmerchen nach den überstandenen Gefahren wie ein Paradies. Bald lag er im Schlaf der Jugend und träumte von Aline, mit der er sich seine Gedanken ja auch im Wachen am meisten beschäftigten. Als er erwachte, stand die Sonne schon ziemlich hoch und sein Retter steckte den Kopf in die Thür. „Na, Ihr Siebschläfer“, „rief er, „habt Ihr endlich ausgeschlafen?“ „Ich habe köstlich geschlafen“, versicherte Justin, „und fühle mich so gestärkt, daß ich die Arbeit gleich beginnen kann.“ „Das freut mich“, meinte Carlo, „ich habe auch alle Hände voll zu thun. Da ist mir, während ich schlief, ein undankbarer Bursche entwischt, und Ihr könnt gleich seine Stelle einnehmen.“ Sie gingen in das kleine Wohnzimmer hinab, und Justin genoß mit Bahagen das bescheidene Frühstück, welches ihm das alte Mütterchen reichte. Dann ging er mit Carlo in die Schmiede und ließ sich seine Arbeit anweisen. Vorläufig mußte er den Blasebalg treten und Feuerung zutragen. Das war nun zwar alles für den verwöhnten Ritter und seine feinen Hände ungewohnte Arbeit und ward ihm blutsauer. Der Schweiß rann in Strömen von seiner Stirn, aber er that alles mit einer gewissen, dankbaren Freudigkeit, und das alte Sprichwort: „Lust und Liebe zu einem Dinge macht alle Müh’ und Arbeit geringe!“ bewährte sich auch unserm Justin. Es erleichterte ihm das Schwere der Arbeit um ein gut Teil und machte, daß er sich bald in die neuen Verhältnisse einlebte. Und wie schmeckte ihm einfache, kräftige Mittagsmahl so prächtig, und wie lachte das alte Mütterchen so gutmütig, als es das feine Herrchen so verwandelt sah. Justin war sich oftmals mit den rußigen Händen über das schweißtriefende Antlitz gefahren, und als er sich in dem kleinen Spiegel, dem einzigen Luxux des Stübchens erblickte, da lachte er hell auf und dachte, was wohl Aline sagen würde, wenn sie ihn so zum Mohren verwandelt sähe. Als die Woche rum war, überreichte Carlos dem Ritter eine kleine Goldkugel, kaum wie eine Erbse groß, und sagte: „Hier nehmt euren wohlverdienten Lohn.“ Justin sah ihn erstaunt an: „Aber ich beanspruche ja gar keinen Lohn“, erwiderte er, „ich möchte ja nur durch meine Arbeit die Schuld der Dankbarkeit abtragen.“