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Märchenbasar

Der Goldmacher auf Stolzenfels

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„Berührt mich nicht!“ rief sie, „Eure Berührung ist Entweihung. Sprecht, was ich tun soll, und mit eigenen Händen bohr ich mir den Stahl durch die Brust.“ Nachdenkend wandte der Adept sich ab, und ein grimmiger Ausdruck der Rache umspielte seine Züge, als er ihr mit abgewandtem Antlitz antwortete: „Kommt heute um Mitternacht hierher. Ich will die Schmelzung bis dahin vorbereiten, und wenn die Sonne sich erhebt, wird Eurer Vater Reichtum und Ansehen im Überfluß besitzen.“ „Könnt Ihr das schwören? Es auf das Kreuz schwören?!“ Schweigend zog der Adept ein Kruzifix aus der Brust, wandte sich um und hielt es dem Mädchen entgegen: „Ich schwöre es dir“, sprach er ernst und feierlich. „Wenn du allen meinen Anforderungen folgst, wie ich es dir befehle, mache ich deinen Vater reich und angesehen.“ „Ich komme!“ hauchte die Jungfrau mit einem erleichterten Seufzer und schritt ebenso aus dem Gemach, wie sie hereingekommen war. Ein kurzes unterdrücktes Hohnlachen folgte ihr. „Glaubst du mich zu betören, kleine Taube“, murmelte der Zurückgebliebene, „ich will dich kirren, trotz des Kreuzes, das mir schon treffliche Dienste geleistet hat.“ Und mit einem tückischen Kichern drückte er auf eine geheime Feder und ließ die vergiftete Dolchklinge, welche aus demselben hervorsprang, schadenfroh in der Sonne funkeln.
„Ein trefflicher Gedanke, die beiden zusammenzustellen“, höhnte er vor sich hin. „Die Hölle im Bund mit dem Himmel, ha, ha; ein trefflicher Gedanke! Puh, die Deutschen, trotz ihres Mutes und trotz der Länge ihrer Schwerter, was sind sie gegen diese kleine Waffe? – Nichts! Durchbohrt sind sie schon, wenn sie schon ganz in der Verehrung des Kreuzes stehen. Hier ist die Macht des Kreuzes“, sprach er, die schändliche Waffe schwingend. Sinnend schloß er die tödliche Klinge wieder in die entweihte Scheide und verbarg das Kreuz auf seiner Brust; dann schloß er sich vorsichtig ein, eilte in ein Nebengemach und hob mittels eines Brecheisens eine Steinplatte aus dem Boden. Mit triumphierendem Frohlocken entnahm er darauf der geöffneten Vertiefung einen ledernen Sack, knüpfte ihn auf und ließ mit innigem Behagen die darin enthaltenen Goldstücke durch seine Finger gleiten. „Das ist das Geheimnis der Goldmacherkunst“, sprach er. In dem Tiegel suchen es die Narren; der Kluge dagegen benutzt die Zeit seiner Ernte. Komm Freund, heute wird sich schon die Gelegenheit zur Flucht bieten; das Mädchen öffnet meine Zelle, und wenn der Morgen tagt, werde ich über alle Berge und in Sicherheit sein, ehe sie bei der Verwirrung, die ich anrichte, daran denken, mich zu verfolgen.“ Schmunzelnd befestigte er während seines Selbstgespräches den Beutel an seinem Körper, legte die Platte wieder auf und harrte der Nacht entgegen, welche Zeugin seiner Schandtat und Flucht sein soll. Auf dem Burghof war es während der Zeit, als sie bei dem Adepten verweilte, tumultartig zugegangen. Knechte und Reisige mit dem Gepäck des Erzbischofs waren in die Burg gesprengt, zäumten unter lautem Gerede und gegenseitigem Zurufen die dampfenden Pferde ab und plauderten mit den Burgsassen, die herbeigekommen waren. In den Gemächern dagegen eilten die Frauen geschäftig auf und nieder, öffneten die gemalten Fenster, staubten die Möbel ab und überdeckten den Boden mit orientalischen Teppichen, die die Knechte gebracht und heraufgetragen hatten. Bleich und ernst schritt Elsbeth unter den Mägden umher und leitete ihre Tätigkeit oder legte die letzte ordnende Hand an, während ihr Vater, er nochmals zu dem Goldschmelzer geschlichen war, um zu sehen, wie weit die letzte entscheidende Schmelzung vorgeschritten, mit neuer Hoffnung zurückkehrte und sichtlich erhoben die Anstalten zum Empfang zum des Gebieters traf. Der Erzbischof ließ nicht lange mehr auf sich warten. Unter dem lauten Signal des Türmers kam er mit seiner glänzenden Umgebung den Berg heraufgeritten und wurde von seinen Getreuen mit lautem Zuruf begrüßt. Freundlich dankend stieg er unter der Hilfe zweier Knappen ab, schüttelte dem Schloßvogt und Schatzmeister die Hand und ließ sich in seine Gemächer geleiten. Unterwegs jedoch verlangte er Elsbeth zu sehen, und als das Mädchen mit Erröten, aber edlem Anstande ihm entgegentrat, sagte er: „Elsbeth, und ich stehe bei Eurer Holdseligkeit nicht dafür ein, daß Ihr mir keinen der anwesenden Ritter abtrünnig macht.“ Mit scherzendem Drohen stellte er sie den anwesenden Rittern vor, und manches Auge blickte mit zärtlichem Verlangen auf sie, die nur mit Gewalt die Tränen zurückpressen konnte und nicht aufzusehen wagte. Unter den Rittern des Gefolges war auch ein Edler von Westerburg, auf den der Anblick dieses schönen und bescheidenen Mädchens einen tiefen Eindruck gemacht hatte. Er konnte ihr liebliches Bild den ganzen Abend nicht aus den Augen bringen, und auch in der Nacht stand es vor ihm und wehrte dem Schlaf. Die Nacht war lau; der Mond schien hinter dem leichten Gewölke bleich und grau auf den Fluren, und die Nachtigall hauchte ihre Mollakkorde aus dem nahen Gebüsch. Der Ritter legte sich angekleidet ans Fenster und schaute hinab in den von tiefer Ruhe übergossenen Hof, an dessen eine Seite das Haus des Schatzmeisters stand, in dem die Jungfrau wohnte, die schon tiefer in seinem Herzen thronte, als er es ahnte. Der Vater hatte Elsbeth den Nachtkuß zärtlicher gegeben als seither und entschuldigt, daß sein unstetes Wesen ihr manche Tränen entlockt habe. „Du bist ein gutes Mädchen“, hatte er liebevoll, ihre Wange streichelnd, zu ihr gesprochen, „und morgen sollst du mich wieder so heiter und wohlgemut sehen wie sonst, ehe der Geist des wilden Forschers bei uns eingezogen war. Morgen bin ich von dem Alp befreit, der mich seither preßte, und ich kann wieder glücklich sein, ganz glücklich in deiner kindlichen Liebe. Mit einem unterdrückten Seufzer war er darauf in sein Schlafgemach gegangen und Elsbeth hörte ihn auf- und abwandeln und leise vor sich hinmurmeln. Die Zeit, um die sie bei dem Adepten erscheinen sollte, kam mit geflügelten Schritten heran. Mit Entschlossenheit nahm sie die Leuchte, schlich zum Gemach ihres Vaters und küßte den Türgriff den seine Hand berühren müßte. „Leb wohl, Vater“, seufzte sie dabei leise, „um mich glücklich zu machen, hast du dich in das Unglück gestürzt, um dich ihm zu entreißen, gehe ich in den Tod. Beweine mich nicht, dort oben sehen wir uns wieder!“ Sie eilte zu dem Adepten, der sich bei ihrem Eintritt von den Büchern erhob, in die er sich vertieft zu haben schien. Der junge Ritter, dessen Blicke sehnsüchtig nach den düster erleuchtenden Fenster des Mädchens geheftet waren, fühlte sein Interesse angespornt, als er an den hintersten Fenstern einen Schatten stets auf – und abwandeln sah, während an den vorderen Fenstern der Lichtschein verschwand und das Mädchen bald darauf scheu und eilig über den Gang zu dem entlegenen Teil der Gebäude eilte. Fast willenlos trieb es ihn an ihr zu folgen, und leise und geräuschlos trat er deshalb aus seinem Gemach und eilte ihr nach. Plötzlich war sie verschwunden und er stand im Dunkel. Er ahnte ein Geheimnis. Von einer beklommenen Neugierde getrieben, über die er sich nicht Rechenschaft zu geben vermochte, tappte er sich vorwärts. Da hörte er plötzlich Stimmen und bemerkte einen Türspalt, durch den er schaute. Er blickte in das Gemach des Adepten. Das Mädchen kniete in demselben, während sich der Alchimist dicht über einen Tiegel beugte und mit einem Stäbchen dessen Inhalt zu prüfen schien. „Du bist fest entschlossen, alles zu tun, was ich begehre“, sprach er dabei mit einem triumphierenden Seitenblick. Das Mädchen antwortete so leise, daß es der Lauscher nicht vernehmen konnte. „Du bist entschlossen, Kind, und ich will es deinem Vater lohnen dadurch, daß ich ihm Gold bereite, das er der eigenen Habe und derjenigen des Erzbischofs entzogen. Ehre um Ehre, Blut und Gold, so steht es in dem heiligen Buch der Wissenschaft. Opferst du deine Ehre, empfängt dein Vater alle Ehre, und glänzend wird sein Name unter der Ritterschaft sich erheben. Opferst du dein Blut, so kann ich das Gold bereiten, das ihn der Schmach entzieht. Breite dich auf beides, denn der Geist sagt mir, daß deine Schönheit nicht vergehen darf.“ Zähneklappernd und schaudernd vor glühender Eifersucht sah der Ritter, wie der Unverschämte sich dem Mädchen nahte. Er hob den Fuß, um die Tür zu sprengen, aber ein lauter Ausruf des Mädchens lockte ihn nochmals an den Spalt. „Zurück, Niederträchtiger!“ rief das Mädchen mit edlem Stolz, der sich mit tiefer Abscheu paarte. Mein Blut zu opfern bin ich gekommen, denn das Glück meines Vaters geht mir über alles; aber eine Beleidigung lasse ich mir nicht, als Opfer für den Vater, bieten.“ Der Adept wandte sich achselzuckend ab und sprach wie vor sich hin: „Ich habe keine Zeit zu verlieren. Öffnet Euer Kleid, denn die Mischung klärt sich.“ Mit einem Stäbchen beschrieb er Zauberkreise und murmelte Zaubersprüche, während das Mädchen wieder auf die Knie sank und betete. Dann griff sie einen Stahl, aber in demselben Augenblick sprang die Tür krachend auf, und der Ritter fiel ihr in den gegen sich selbst bewaffneten Arm. Das Messer entsank ihrer Hand, und mit einem Seufzer sank sie ohnmächtig zur Erde. Der Adept stand bei dem Einbruch des Ritters fast wie gelähmt vor Schrecken und Angst. Da der Ritter jedoch dem Mädchen beisprang, nahm er die Gelegenheit wahr und machte sich davon. Langsam erholte sich die Ohnmächtige. Wie aus einem wüsten Traum erwachend, kam sie zu sich, und als ihre Erinnerung zurückkehrte und sie ihre Lauge überschauen konnte, brach sie in krampfhaftes Schluchzen und Weinen aus. Wie heilender Balsam träuften die Ermutigungsworte des Jünglings in ihre Seele und erschlossen ihr Vertrauen. Alles teilte sie ihm mit, denn ihr Herz war voll und sie der Überlegung nicht mehr mächtig. Als sie schwieg und ihr Gesicht in die Hände vergrub, sprach er ihr Mut zu und versicherte, dem bedrängten Vater helfen und das Gold beschaffen zu wollen. „Beruhigt Euch, edle Jungfrau“, fügte er hinzu, „Eurem Vater soll geholfen werden. Ich aber bin erfreut, von dem Zufall zu Eurer Rettung auserlesen worden zu sein. Ich habe einen herrlicheren Schatz gefunden, als alle Goldmacher je gewinnen können.“ Mit stillem Weinen der Dankbarkeit schaute die Jungfrau ihm in das Auge, und wie von unsichtbarer Gewalt gedrängt, näherten sich beider Lippen und wurzelten im Kusse fest und innig aufeinander. Ein warmer Hauch der neu erwachenden Hoffnung fuhr über das von Weh geknickte Herz des Mädchens, und indem sie sich fest an die Brust des Erretters anschmiegte, hörte sie still und mit glückseliger Wonne die Worte der Liebe an, die er zu ihr sprach. Des andern Morgens trat er vor den Vater. Dieser hatte die Nacht schlaflos zugebracht und harrte mit erwartungsvoller Ungeduld dem Aufgang der Sonne entgegen. Mit verzweiflungsvoller Bestürzung vernahm er das Vorgefallene und die Flucht des Adepten. Als aber der Ritter ihm seine Liebe zu Elsbeth gestand und um ihre Hand warb, und als er ihm endlich seine Börse zur Verfügung stellte, schwoll das Herz des alten Mannes, und weinend preßte er den Edlen an seine Brust. Im Laufe des Tages fanden die Fischer eine Leiche im Rhein, die alsbald als diejenige des Adepten erkannt wurde. Das Gold, das er bei sich trug, wurde dem Erzbischof ausgeliefert, und da derselbe ein offenes Geständnis von seinem Schatzmeister empfangen hatte, wie er sich habe hinreißen lassen, sein Vermögen an die falschen Vorspiegelungen dieses Betrügers zu hängen, so konnte es ihm wiedererstattet werden, bis auf ein Geringes, das der Tiegel verbraucht hatte. Elsbeth empfing dagegen für ihrer kindliche Liebe und den Beweis ihres hohen Opfermutes ein reiches, und glänzendes Hochzeitsgeschenk und lebte bis ins hohe Alter in der glücklichen Ehe.

Sage aus Deutschland

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