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Der Legehennenstreik

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In der Osterhaseninnung herrschte seit Wochen emsiges Treiben. Das nahende Fest bedurfte einer sorgsamen Vorbereitung. Henry, dem frisch ernannten Innungsvorsteher, oblag die akkurate Planung und Organisation der Eierversteckrouten. Er skizzierte, radierte, überlegte, verzweifelte, zerzauste seine Schnupperhaare und verwarf eine Tour nach der anderen. So arbeitete er unermüdlich, bis der Plan endlich seinen Ansprüchen genügte. Erschöpft gönnte sich Vorsteher Henry nun ein wenig Schlaf, bevor er zum Eiergroßeinkauf aufbrechen wollte.

Lautes Getrommel an den bunten Fensterscheiben ließ Henry erschrocken hochfahren. Er schlurfte laut gähnend zur Pforte, öffnete und schaute den Störenfried verdutzt an.
,,Was denn? Du – Zickelzackel?”
Die grau getigerte Katze schien sehr aufgeregt und rief:
,,Komm schnell Henry, die Hennen spielen verrückt!”
,,Beruhige dich Mieze und dann erzähle, was passiert ist.”
Während sie sich pausenlos über die vibrierenden Schnurrhaare strich, sprach sie:
,,Die Legehennen des Bauern weigern sich, weitere Eier zu legen, obwohl es noch nicht genug sind für das Fest.”
,,Das wäre ja eine Katastrophe, wenn die Kinder auf ihre bunten Eier verzichten müssten”, entgegnete der Hase.
,,So ist es und deswegen musst du mitkommen, um den dummen Hühnern ordentlich ins Gewissen zu reden.”
,,Nun gut, es scheint höchste Zeit zu sein”, stimmte das Langohr zu und holte flugs sein Eiermobil aus der Garage. Gleich darauf sausten die beiden mit dem Gefährt davon.

,,Sag mal, Zickelzackel”, fragte Henry unvermittelt, ,,weshalb liegt dir denn so viel daran, dass ich die Hennen zur Vernunft bringe?”
,,Hm … Na ja …”, druckste die Katze herum, ,,Rappelzappel und ich wollen doch unbedingt wieder beim Eierverstecken dabei sein.”
,,Aha, verstehe”, grinste der Hase, ,,und wo ist er?”
,,Hält das aufmüpfige Federvieh in Schach, miau.”
,,Muss ich nun rechts oder links abbiegen, Mieze?”
,,Links, und dann sind wir auch schon da.”

Kaum hatte das Mobil angehalten, sprang Zickelzackel hinaus, rannte zum Stall hinüber und rief laut:
,,Ich hab ihn hergebracht. Er ist da!”
Augenblicklich trat ein zottiger, schwarzer Hund heraus.
,,Wuff”, begrüßte er Henry, ,,ich wusste, dass man sich auf dich verlassen kann.”

Die Drei betraten gemeinsam den großen Hühnerstall. Ohrenbetäubendes, wildes Gegacker empfing sie. Rappelzappel sprang auf einen Stapel Strohballen und bellte Ruhe gebietend. Der Lärm ebbte ab, bis es mucksmäuschenstill war.
Henry stand neben dem Hund, schaute die zu ihm aufblickenden Hennen an und begann:
,,Meine verehrten Damen, was hat euch denn so aufgebracht?”

Sofort brach erneut Höllengegacker los, welches aber im selben Moment von der Althenne beendet wurde.
,,Ruhe meine Kinder! Lassen wir den Innungsvorsteher der Osterhasen doch zu Wort kommen und hören, was er zu sagen hat, wenn er den Grund für unseren Streik erfährt.”
Die Henne schaute sich um und fuhr fort:
,,Jahr um Jahr haben wir vorbildlich unsere Pflicht erfüllt und zum Osterfest stets pünktlich die benötigte Menge Eier geliefert. Obwohl die verlangten Stückzahlen derselben unaufhörlich stiegen. Aber die diesjährige Forderung übertrifft in unverschämter Weise alles Bisherige. Da machen wir nicht mehr mit und verweigern der Osterhaseninnung unsere Eier!”

Eine unheimliche Stille herrschte plötzlich im Stall. Hunderte Legehennen starrten den Hasen an. Rappelzappel knurrte zur Vorsicht drohend und Zickelzackel fauchte gefährlich. Henry klappte eines seiner Ohren herunter und kaute darauf herum. Niemand wagte sich zu rühren, um ihn beim Überlegen nicht zu stören. Einige Minuten verstrichen, dann räusperte sich das Langohr:
,,Hm, hmhm, ich sehe das Problem und verstehe, was euch bedrückt. Nun, vielleicht können wir uns einigen. Alle Osterhasen verpflichten sich, jedem Kind zum bevorstehenden Fest ein Ei weniger ins Nest zu legen. Die meisten der Kleinen werden es nicht einmal bemerken. Aber euch ist damit geholfen und die Feiertage müssen nicht ausfallen.”

Nun war es an dem Federvieh eine Entscheidung zu treffen. Um der lärmenden Diskussion zu entgehen, warteten Hase, Hund und Katze draußen vor dem Stall.
Es schien Stunden zu dauern, denn der Mond ging gerade auf, als endlich die Althenne erschien und mitteilte:
,,Wir wollen ja auch nicht, dass die Kinder leer ausgehen. Deshalb wird dein Vorschlag von uns angenommen. Du kannst also in zwei Tagen die restlichen Eier hier abholen.”

Henry atmete auf und bedankte sich herzlich bei der alten Legehenne.
Er chauffierte den Kläffer und die Mieze nach Hause.
Aber die Drei trafen sich sehr bald wieder, um gemeinsam Ostereier zu verstecken.

 
Ulla Magonz

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