Aber niemand hörte die kläglichen Hilferufe des Häschens. Bald brach der Abend herein, der Mond ging auf und unzählige Sterne blinkten am klaren Nachthimmel. Immer noch verharrte Mimi hinter der Tonne und hatte große Mühe ihre Äuglein aufzuhalten. Plötzlich raschelte es verdächtig. Das Hasenkind presste sich ganz flach auf den Boden und vergrub den Kopf zwischen seinen Vorderläufen, in der Hoffnung, nun unsichtbar zu sein.
,,He, du bibberndes Puschelding, was machst du denn da?”, fragte jemand neugierig.
Vorsichtig blinzelte Mimi erst ein wenig, bevor sie leise erwiderte: ,,Ich… verberge mich.”
,,Ach so. Und warum tust du das?”
,,Na… damit mich der Fuchs und die Menschen nicht erwischen. Aber wer bist du denn?”
,,Vor mir musst du dich nicht fürchten. Ich bin doch bloß Emil, ein Igel. Und dieser Garten ist schon seit meiner Geburt mein Zuhause.”
Ein wenig Zutrauen fassend rückte Mimi dichter an Emil heran und fuhr sogleich zurück: ,,Autsch! Was machst du da”, rief sie verwundert, ,,das tut ja weh!”
,,Hättest sagen sollen, dass du mir näher kommen willst”, meinte er entschuldigend. ,,So Kleine, nun geht es, habe die Stacheln angelegt. Jetzt kannst du beruhigt schlafen, Onkel Igel hält Wache.”
,,Jaaaa”, gähnte Mimi und schlief auf der Stelle ein.
Ein frecher Sonnenstrahl kitzelte dem Hasenkind die Schnuppernase und es erwachte mit einem kräftigen: ,,Hatschi! Onkel Emil?”
Aber weit und breit war nichts von dem alten Igel zu sehen. Schon wieder hatte man es einfach alleingelassen. Erneut füllten sich Mimis Augen mit Tränen und die Angst grummelte heftig in ihrem Bauch. Während sie schlotternd hilfesuchend umherschaute, erklang auf einmal fröhliches Gebell und ein Mädchen kam mit seinem jungen Hund in den Garten gelaufen. Sofort nahm der quirlige Welpe Witterung auf und stürzte zur Regentonne, um diese wütend anzukläffen. Vor Aufregung über seinen Fund sprang er wild umher.
,,Bommel bei Fuß!”, rief sein kleines Frauchen streng. ,,Was treibst du wieder für Unsinn?”
Aber er reagierte nicht und so rannte das Mädchen Elsa flugs zu ihm. Es entdeckte den zitternden Junghasen hinter der Tonne.
,,Aus Bommel! Geh weg, pfui!”, schimpfte Elsa mit dem Welpen und beugte sich sachte über das Tier. Sie hob es behutsam auf, barg es sicher in ihrer Schürze und lief rasch zur Mutter.
,,Sieh mal, Mama, was ich im Garten gefunden habe.”
,,Na das ist ja wahrhaftig ein richtiges Osterhäschen”, scherzte die Mutter.
,,Etwa so eines, was bunte Eier und Schokohasen bringt?”
,,Hm, könnte schon sein.”
,,Oh”, rief Elsa aufgeregt, ,,dann möchte ich es behalten. Bitte, ja?”
,,Aber Kind, einen Osterhasen darf man doch nicht so einfach von seiner Arbeit fernhalten.”
,,Mama”, bettelte Elsa, ,,wie soll denn ein so kleines schwaches Häschen die schwere Eierkiepe tragen können?”
,,Hm, es ist wirklich noch zu winzig und hilflos. Also gut, wenn du das Häschen sorgsam pflegst, dann darf es vorerst bei dir bleiben. Allerdings muss der Hase in einigen Wochen wieder in den Garten zurück.”
So bekam Mimi in Elsas Zimmer ein weiches Nest hergerichtet und wurde liebevoll umsorgt. Hase und Hund wuchsen miteinander heran. Sie vertrugen sich sogar und balgten manchmal miteinander herum. Obwohl Mimi sich kein besseres Leben hätte wünschen können, empfand sie oft ein seltsames Verlangen. Wie gerne würde sie mit ihren Geschwistern fröhlich über blühende Wiesen flitzen, Schmetterlingen nachschauen, dem Gesang der dicken Hummeln lauschen und nach Herzenslust am frischen Löwenzahn naschen. Mit der Zeit wurde die junge Häsin immer stiller. Eines Tages sagte Bommel zu Mimi: ,,Ich sehe dich nur noch traurig. Was ist denn bloß los mit dir. Bist du etwa krank?”
,,Nein, mir fehlt nichts”, erwiderte sie schluchzend. ,,Aber es naht schon wieder das Osterfest und ich habe große Sehnsucht nach meiner Familie. Wenn ich doch bloß in den Garten entwischen könnte, um dort auf die Meinen zu warten.”
Bommel legte den Kopf schief: ,,Hm, hmhm. Also ich verstehe deinen Wunsch nur all zu gut. Vielleicht kann ich dir ja helfen, wenn du mir vertraust.”
,,Wie meinst du das?”
,,In einem geeigneten Moment packen meine Zähne dich im Genick und dann renne ich so schnell wie es geht mit dir aus dem Haus.”
,,Puh, das klingt aber sehr gefährlich.”
,,Mimi, ich gebe dir mein Haushundehrenwort, dass ich dir kein einziges Haar krümmen werde.”
Ihr Verlangen nach der eigenen Familie war so stark, dass sie auf Bommels Vorschlag einging.
Schon bald darauf kam die passende Gelegenheit. Am Abend des Ostersamstags befand sich die Menschenfamilie beim traditionellen Osterfeuer, als Bommel seine Freundin Mimi ganz vorsichtig in den Garten hinaustrug. Er brachte sie direkt zur Regentonne und zog sich rasch ins Haus zurück, um Familie Osterhase nicht zu erschrecken.
Mond und Sterne schauten ganz gespannt. Stunden musste Mimi schon gewartet haben, als sie enttäuscht seufzte: ,,Nein, mein Hoffen war wohl vergeblich. Sie kommen nicht mehr. Was soll jetzt bloß aus mir werden?”
Die Häsin machte einige Sätze vorwärts und verharrte gleich darauf. Hinter einer Rhabarberstaude bemerkte sie mehrere Schatten mit langen Ohren. Vorsichtig hoppelte Mimi näher und glaubte eines ihrer Geschwister zu erkennen. Ihre Freude darüber war so groß, dass sie jegliche Gefahr vergaß und hastig zu ihnen eilte. Ihr plötzliches Auftauchen sorgte einen Moment lang für Verwirrung. Aber dann stellte sich heraus, dass es tatsächlich Mimis Familie war. Überglücklich nahmen Eltern und Geschwister Mimi in ihre Mitte, zogen gemeinsam weiter und trennten sich von nun an nie wieder.