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Märchenbasar

Der Schmied Bertram

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Es war einmal vor vielen, vielen Jahren, da lebte in einem kleinen Dorf, tief unten im Tal der kleine Bertram. Alle nannten ihn nur Bertl, weil er ein liebenswerter Junge war, und ihn alle sehr gern hatten. Als er zehn Jahre alt war, wurde seine Mutter sterbenskrank.
„Bertl, ich muss dir noch etwas sagen, bevor ich in den Himmel einziehen werde. Nach meinem Tod geh in die Berge und suche die Schwampse. Sie haben dich einst zu mir gebracht. Es sind gute Bergtrolle. Aber hüte dich vor den Schranzen. Die sind böse und verführen die Menschen.“
„Aber liebe Mutter, woran erkenne ich, wer gut und wer böse ist?“
Die Mutter flüsterte nur noch leise, und Bertl hielt sein Ohr ganz dicht über ihre Lippen. Dann schloss sie die Augen für immer.
„Ich verspreche es, liebe Mutter.“ Bertl rollten dicke Tränen die Wangen herunter.

Drei Tage noch blieb er und legte Blumen auf ihr Grab. Dann packte er sein Ränzlein mit allem noch vorhandenen Essbaren, nahm Großvaters Wanderstab und machte sich auf den Weg.
„Komm, Spürauf, wir müssen die Bergschwampse finden. Sie werden uns weiterhelfen. Hier haben wir ja niemanden mehr.“
„Wau, wau!“ Der Bernhardiner wedelte freudig mit dem Schwanz, und los ging es. Die Sonne schien, und Bertram war guten Mutes. Sie durchquerten das große grüne Tal, welches umgeben war mit riesigen, schroffen und steilen Bergen. Die Höchsten trugen glänzende Schneemützen.

Nach sieben Tagen schweren Aufstiegs entdeckte Bertl einen Höhleneingang. Spürauf winselte, zog seinen Schwanz ein und legte die Ohren an.
„Was hast du denn? Sei froh, dass wir endlich am Ziel sind. Schau, meine Schuhe sind durchgelaufen und zu Essen ist auch so gut wie nichts mehr da.“
„Hallo, hallo! Da ist ja unser Bertl.“
Bertram drehte sich blitzschnell um, und seine Augen erblickten ein Männlein. „Barfuß ist es, freundlich ist es. Aber ist es ein Schwamps?“
Da kamen ihm die Worte seiner Mutter in den Sinn: „Es gibt gute und böse Trolle!“ Langsam ging er auf den Eingang zu. Oh, wie stachen ihn die Steine in seine wunden Füße, er sprang zur Seite.
„Du Betrüger! Du bist ein Bergschranz. Deine Füße sind hart wie dein Herz. Wer sonst könnte auf so spitzen Steinen barfuß laufen, wenn nicht ihr.“
Rot vor Zorn drohte der Bergschranz mit der Faust, konnte Bertl aber nichts anhaben. Wütend verschwand er im Eingang. Mit einem gewaltigen Donner, der eine Steinlawine auslöste, schloss sich der Berg wieder.
„Komm, Spürauf! Das nächste Mal haben wir sicher mehr Glück.“ Bertl streichelte Spürauf liebevoll und drückte sein Gesicht ins weiche Fell.

Es vergingen weitere sechs Tage. Die lederne Wasserblase war leer, und das letzte Stück Brot teilte er mit Spürauf.
„Ich kann nicht mehr weiter“, stöhnte Bertl, bevor er zusammensank und total erschöpft einschlief.

Am nächsten Morgen küsste ihn die Sonne mit ihren wärmenden Strahlen wach.
„Wau, wau!“ Spürauf bellte freudig, wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und rannte voraus. Bertl folgte ihm. Plötzlich war ihm, als liefe er über kühlen, glatten Marmor, wohltuend für seine zerschundenen Füße. Da, ein kleiner Bergeingang! Bertl klopfte mit der Faust an die Felstür und sie wurde aufgetan.
„Ah, Bertl! Guten Morgen! Wir haben dich nicht so schnell erwartet.“ Ein barfüßiges Männlein rieb sich sichtlich verschlafen die Augen und gähnte bei seinen Worten.
„Guten Morgen, lieber Schwamps. Meine Mutter sagte, dass ich euch finden muss. Sie ist gestorben.“ Bertl schaute den Schwamps traurig an.
„Oh, das tut mir leid. Kommt nur herein.“
„Aber wie denn? Wir sind doch viel zu groß.“
„Hm? Ach so! Ja, natürlich! Momentchen!“ Der Schwamps legte seinen kleinen, mit edlen Schnitzereien verzierten Krückstock auf Bertrams und Spüraufs Füße und murmelte: „Was groß ist, werde klein. Wenn’s bös ist, tritt’s nicht ein.“
Im Nu schrumpften die beiden und folgten dem Schwamps.
„Wieso warst du dir so sicher, dass du uns hier finden würdest?“
„Oh, schon als ich den Weg entlang lief, der meinen schmerzenden Füßen so gut tat, wusste ich, dass ich am Ziel war. Eure Füße sind weich wie eure Herzen. Auf spitzen Steinen könntet ihr niemals laufen. Das können nur die Schranzen“, meinte Bertl.
„Ah, bist den Bösewichten wohl begegnet, was?“ Der Schwamps lachte bitter. Er brachte beide in ein kleines Zimmer.
„So, nun ruh dich erst einmal aus. Meine Tochter wird euch beiden sogleich ein Mahl richten.“
Mit diesen Worten ließ er Bertl allein. Dieser schaute sich um. Die Wände glitzerten, und die Möbel musste ein wahrer Meister gezimmert haben.

Es klopfte zaghaft. Die Tür ging auf. Ein Mädchen, etwa in Bertrams Alter, trat mit einem großen Holztablett, beladen mit guter Hausmannskost, frischem kristallklarem Wasser und einem Napf voller Fleischknochen ein. Der Duft der frischen Knochen stieg Spürauf sofort überaus wohltuend in die Nase.
„Guten Morgen, ihr beiden. Ich bin Merinda“, sagte sie lächelnd. „Lasst es euch recht gut schmecken.“
Sie stellte das Tablett auf den runden Eichentisch in der Mitte des Zimmers, reichte dem Hund den Napf und war bald wieder verschwunden.
„Waaaauuuu“, winselte der Hund anerkennend.
„Sie ist recht nett, nicht war?“
Spürauf stimmte mit wedelndem Schwanz zu und ließ sich sein Frühstück laut schmatzend schmecken.

Bertl hatte lange geschlafen. Wie lange, wusste er nicht. Es gab weder Sonne noch Mond hier drin.
„Na, mein Junge, fühlst du dich jetzt wieder besser?“, fragte der Schwamps beim Eintreten.
„Prima! Wir haben schon lange nicht mehr so gut geschlafen. Stimmt‘s Spürauf?“
Spürauf blinzelte schläfrig mit einem Auge.
„Setz dich zu mir! Ich möchte dir erzählen, warum du hier bist. Und übrigens, mein Name ist Wartos. Ich bin sozusagen der älteste Schwamps und somit das Oberhaupt.“ Wartos schaute den Jungen mit glasklaren, grauen Augen an. „Du wirst bei uns ein Handwerk erlernen und nach zehn Jahren wieder in dein Dorf zurückkehren.“
„Ich bin euch von Herzen dankbar.“ Bertram war überglücklich.

„Also los! Ich zeige dir jetzt alles, und du kannst dann frei entscheiden, was du erlernen möchtest.“
Wartos und Bertram liefen durch verschiedene Höhlen. Jede war anders. Die eine glänzte wie die Sonne. Eine andere schimmerte wie blasses Mondlicht. Jetzt war von weitem Lärm zu hören. Wartos öffnete die Tür zur ersten Handwerkshöhle.

„Das ist Knorz, unser Tischler, und ein echter Meister seines Faches.“
Sie gingen weiter.
„Hier schmiedet Meister Ramtibum. Er fertigt vom Hufnagel über Waffen bis hin zu feinstem Schmuck alles perfekt an.“
Im nächsten Gang stiegen Bertram herrlich leckere Düfte in die Nase.
„Hier schwingt Schmeckab, unser Koch, seinen Löffel. Es gibt keinen Besseren weit und breit.“
Schmeckab war sehr beschäftigt und nickte nur kurz.
Nun erklang wunderbare Musik. In einem prächtigen Saal tanzten Mädchen und Jungen. So etwas Herrliches hatte Bertram noch nie gesehen.
„In unserer Tanzschule gibt Meister Schwing-das-Bein seine Kunst an andere weiter.“
„Habe die Ehre!“ Der Meister verneigte sich graziös vor Wartos.
„Nun Bertl, was möchtest du davon lernen? Überleg es dir gut!“
„Tja, es gefällt mir alles. Aber zum Tanzen tauge ich nicht. Vom vielen Essen würde ich faul und dick werden. Lasst mich Tischler werden!“
„Gute Wahl! Komm! Knorz wird es dich lehren.“

Nach fünf langen Jahren konnte ihm Knorz nichts mehr beibringen. Im Gegenteil! Bertrams Schnitzereien und Formen an Möbeln waren nicht zu übertreffen.
„Möchtest du jetzt noch etwas lernen?“, fragte Wartos.
„Wenn Ramtibum es mit mir versuchen würde?“ Bertram dachte dabei an den Schmied in seinem Dorf. Diesem war kein Lehrling gut genug. Niemand hielt es lange bei ihm aus.
„Warum nicht! Er ist zwar manchmal etwas aufbrausend, aber sein Herz ist weich wie frisch gefallener Schnee. Viel Glück, mein Junge!“
Wartos gab den Jungen in die Hände von Ramtibum.
„Hast du überhaupt schon genug Muskeln?“
Der Schmied lachte. Aber sein Lachen klang gutmütig.
„Dann mal ran, Kleiner! Als Schmied muss man nicht nur kräftig zuhauen können. Man muss auch ein genaues Augenmaß haben.“
Bertram hatte es nicht leicht bei ihm. Aber sein Meister war ein ausgezeichneter und geduldiger Lehrer.

Doch Bertram lernte nicht nur die Kunst des Schmiedens. Jede freie Minute verbrachte er mit Spürauf und Merinda. Sie lehrte ihn Lesen, Schreiben und die Kunst des Rechnens. Beide hatten sich mit den Jahren sehr ineinander verliebt und dachten nicht daran, dass es einmal vorbei sein könnte. Ihre Liebe war zart und rein, sowie innig und tief. Die zehn Jahre verflossen Bertram viel zu schnell.
„Die Zeit ist um, mein Junge. Heute bringe ich dich in dein Dorf zurück. Zeig den Leuten, was für ein tüchtiger Kerl aus dir geworden ist und vergiss uns nicht!“, sagte Wartos.
„Ich bin euch von Herzen dankbar. Und vergessen? Wie könnte ich euch je vergessen! Alle waren so gut zu mir. Besonders…“ Schmerz stach in Bertrams Herz. Er dachte an Merinda.

Wartos lächelte verstohlen vor sich hin. Dann räusperte er sich und sprach: „Ich muss dir noch etwas sagen. Deine Mutter war nicht deine leibliche Mutter. Du bist eigentlich ein Prinz.“
Bertram glaubte seinen Ohren nicht zu trauen und starrte Wartos ungläubig an. „Das verstehe ich nicht!“
„Sieh in diese Kugel. Darin siehst du deinen Zwillingsbruder Joseph. Er wurde eine Minute vor dir geboren. Aber da es nur einen Erbprinzen geben durfte, wurdest du in einem Körbchen in den Bergen ausgesetzt. Ich habe dich damals gefunden. Deine Pflegemutter hatte sich so sehr ein Kind gewünscht und ich konnte ihr diesen Wunsch erfüllen. Sieh hinein!“
Bertram schaute in die Kugel. Was er da erblickte, konnte er kaum fassen. An einer reich gedeckten Tafel saß er. Nein! Nicht er! Sein Bruder. Fett und launisch kommandierte und scheuchte er seine Diener herum.
„Möchtest du so ein Leben führen?“ Wartos schaute Bertram durchdringend an.
„Was? Das da? Oh nein! Nie und nimmer möchte ich so ein Mensch werden.“ Sein Entschluss stand fest. „Ich gehe in mein Dorf zurück und werde den Menschen helfen.“
Er reichte Wartos die Hand. Dieser tippte mit seinem Gehstock dreimal auf Bertrams und Spüraufs Schultern, und im nächsten Augenblick standen sie vor der Hütte, die sie vor zehn Jahren verlassen hatten. Spürauf bellte fröhlich. Ihm schienen die Jahre überhaupt nichts ausgemacht zu haben.

Bertram übernahm als erstes die Stelle des Dorfschmiedes, der vor kurzem gestorben war. Zwei Gesellen lehrte er das Handwerk, bis sie die Schmiede selbst übernehmen konnten. Mit dem Lohn, den er für seine ausgezeichnete Arbeit bekam, baute er ein großes Haus. Nun hatte er eigentlich alles und war trotzdem nicht zufrieden. Abends saß er mit Spürauf vor dem Kamin, seine Gedanken wanderten ständig zu Merinda.
„Ach Merinda, wenn du doch bei mir sein könntest. Ich habe alles und doch nichts.“
Spürauf leckte ihm tröstend über die Hände.

Als er wieder einmal so schwermütig da saß, klopfte es. Es war spät in der Nacht. Spürauf begann freudig zu winseln, tappte zur Tür und schaute sein Herrchen aufgeregt an. Bertram öffnete und glaubte zu träumen.
„Guten Abend, Bertram. Ich habe es ohne dich einfach nicht mehr ausgehalten, und mein Vater hat mich freigegeben. An deiner Seite will ich nun als Mensch leben und alt werden, so, wie es in eurer Welt üblich ist.“
„Merinda!“ Mehr brachte Bertram nicht über seine Lippen. Beide umarmten sich herzlich. Nun fehlte es Bertram an nichts mehr.

Es vergingen drei Jahre, da wurde dem Volk kundgetan, dass König Joseph an Herzversagen gestorben sei. Überall suchte man nun seinen Zwillingsbruder. Eines Tages trafen Boten mit der alten Königin auf Bertrams Hof ein. Unsicher stand sie ihrem Sohn gegenüber und sprach: „Bertram, die Schwampse haben mir mitgeteilt, dass du lebst, und wo ich dich finden kann. Ich weiß nicht, ob du mir je vergeben kannst? Aber das Volk braucht einen neuen König. Um dessen Willen nimm die Krone an.“ Verzweiflung stand in den Augen der Frau, die seine leibliche Mutter sein sollte. Merinda schaute Bertram ängstlich an.
„Wenn ich die Regierung über dieses Volk annehme, dann aber nur nach meinen Vorstellungen.“ Fest schaute er seiner Mutter in die Augen.
„Alles, was du willst“, flüsterte sie erleichtert.

Bertram und Merinda regierten gütig und gerecht. Das Volk liebte und verehrte sie bis an ihr seliges Ende. Prinz Bertram der Zweite soll seinem Vater als Thronfolger und später gerechter König in nichts nachgestanden haben.

Quelle: Doris Liese

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