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Märchenbasar

Die drei schönen Prinzessinen

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Wie man dem König berichtet hatte, waren die Prinzessinen auf Schloß Salobrena immer heiter und guter Dinge gewesen; so erwartete er natürlich, daß es ihnen auf der Alhambra in ihrem Feenpalast ganz besonders gefallen werde. Zu seinem Verdruß war das nicht der Fall; sie waren melancholisch, mit allem und jedem unzufrieden und schienen sich über irgend etwas tief zu grämen. Die Blumen teilten ihnen ihren Duft nicht mit, der Gesang der Nachtigall störte ihre Nachtruhe, und der Alabasterbrunnen mit seinem ewigen Rinnen und Plätschern, das vom Morgen bis zum Abend und wieder bis zum Morgen dauerte, war ihnen eine Qual und griff ihre Nerven an. Kurz gesagt, den drei jungen Frauen schien alles lästig zu sein und nichts eine Freude zu machen. Der König, ein Mann von aufbrausender und tyrannischer Gemütsart, nahm dieses Verhalten anfangs sehr ungnädig auf; aber bald fiel ihm ein, daß seine Töchter ja eigentlich keine Kinder mehr waren, sondern bereits erwachsene junge Frauen, deren Interesse natürlich nicht durch Spielereien gefesselt werden könne. „Da gehören jetzt andere Sachen her!“ sagte er sich und verschaffte allen Schneidern, Schustern, Webern und Juwelieren, Goldschmieden und Silberarbeitern des ganzen Zacatin Granadas Beschäftigung. Handwerker kamen und gingen, Kaufleute aus den fernsten Ländern brachten ihre Waren auf die Alhambra, Händler zogen reich beladen den Schlossberg hinauf und verkauften dem König ihre Kostbarkeiten. Der besorgte Vater überschüttete seine gemütskranken Töchter mit Geschenken, nur um sie zufrieden zu sehen und ihren Sinn aufzuheitern. Es füllten sich die Kemenaten mit Gewändern aus Seide, Goldstoffen und Brokat, mit feinen Schultertüchern und Kaschmirschals; auf den Tischen lagen Halsbänder von Perlen und schweren Goldketten mit klaren Edelsteinen besetzt, auf Samtkissen wieder sah man Armbänder und Ringe; in kunstvollen Fläschchen und Dosen dufteten wohlriechende Essenzen und milde Salben. Doch das half alles nichts; die Prinzessinnen blieben bleich, bedrückt und traurig mitten in ihren Kostbarkeiten und glichen drei welken Rosenknospen, die von einem abgeschnittenen Zweige niederhingen. Der König wußte nun wirklich nicht mehr, was er anfangen sollte. Für gewöhnlich vertraute er seinem eigenen Urteil, holte sich bei niemandem Rat und nahm natürlich auch keinen an.
Die Launen der Einfälle dreier heiratsfähiger Töchter indessen reichen hin, um den klügsten Kopf in Verlegenheit zu bringen, und also suchte er zum ersten Mal in seinem Leben fremden Rat. Er wandte sich an die erfahrene und kluge Duena und sagte zu ihr: „Kadiga, ich weiß, daß du eine der klügsten und treuesten Frauen auf der ganzen Welt bist. Dies war auch der auschlaggebende Grund, daß ich dich immer bei meinen Töchtern ließ. Väter können in der Wahl solcher Vertrauenspersonen nicht vorsichtig genug sein! Ich wünsche jetzt von dir, daß du die geheime Krankheit ausfindig machst, die den Frohsinn der Prinzessinnen zum Schwinden brachte und an ihrem Gemüte nagt. Suche mir ein Mittel, das meine Töchter wieder gesund und froh macht!“ Kadiga versprach, sich der Sache anzunehmen und ihr auf den Grund zu gehen. In Wirklichkeit wußte sie natürlich mehr von der Krankheit der Prinzessinnen als die Töchter selbst. Indessen blieb sie mit ihnen zusammen, ließ sie keinen Augenblick allein und bemühte sich, ihr unbedingtes Vertrauen in der Herzenssache zu erlangen. „Meine lieben Kinder, warum seid ihr so traurig und betrübt an einem der schönsten Orte der Welt, wo ihr alles habt, was das Herz begehrt?“ fragte sie. Die Infantinnen schauten gedankenlos im Zimmer herum und seufzten dann tief auf. „Kinder, sprecht! Was fehlt euch den? Soll ich euch den wunderbaren Papagei bringen lassen, der alle Sprachen spricht und von dem ganz Granada entzückt ist?“ „Greulich!“ rief die energische Zaida. „Ein häßlich keifender Vogel, der Worte ohne Gedanken plappert und schnattert. Nur Menschen ohne Verstand und Hirn können solch ein Tier um sich haben.“ „Soll ich um einen Affen vom Felsen von Gibraltar schicken, damit ihr euch an seine Posen ergötzen könnt?“ „Ein Affe? Nur nicht. Das hätte gerade noch gefehlt. Der Affe ist der abscheulichste Nachahmer des Menschen, häßlich und von widerlichem Geruch. Mir ist dieses Tier ausgesprochen verhaßt!“ So sprach die hübsche Zoraida mit fester Stimme, die keinen Widerspruch zu dulden schien. „Und was sagt ihr zu dem bekannten Sänger Casem aus dem königlichen Harem von Marokko? Man erzählt von ihm, daß seine Stimme so fein sei wie die eines Frauenzimmers“, schlug Kadiga vor. „Wollt Ihr uns auf den Tod erschrecken“, sagte die zarte Zorahaida, „volle Freude an der Musik und am Gesang hat sich bei mir vollkommen verloren.“ „Ach, mein Kind, so würdest du bestimmt nicht reden“, erwiderte listig die Alte, „wenn du die Musik gehört hättest, die gestern Abend die drei spanischen Ritter machten, als sie nach des Tages Arbeit ausruhten. Erinnerst du dich noch der gefangenen Edelleute, die wir auf unserer Reise trafen? Aber Gott steh mir bei, Kinder! Was gibt es denn, daß ihr so errötet und plötzlich vor Aufregung zittert?“ „Nichts! Nichts, gute Mutter, bitte erzähle nur weiter.“ „Gut, wie ihr wollt. Als ich gestern abends bei den Torres Bermejas vorbeikam, sah ich die drei Ritter am Fuß des roten Turms sitzen und musizieren. Der eine spielte rührend schön auf der Gitarre, und die beiden anderen sangen zum Klang der Gitarre, so anmutig und hinreißend, daß selbst die hartherzigen Wächter bewegungslos da standen und verzauberten Bildsäulen glichen. Allah möge mir vergeben! Auch ich konnte mich der Wehmut und der Tränen nicht erwehren, als ich diese Lieder aus meiner Heimat hörte. Und dann erst drei so edle hübsche Jünglinge in Ketten und als Sklaven zu sehen!“ Jetzt wurde es für die gutherzige alte Frau wirklich zuviel. Laut schluchzte sie auf, und große Tränen kullerten ihr über die welken Wangen. „Vielleicht, Mutter, könntest du es einrichten, daß wir die drei Ritter einmal sehen dürfen“, sagte Zaida. „Etwas Musik würde bestimmt auch uns aufheitern“, warf Zoraida ein. Die schüchterne Zorahaida schwieg und sagte gar nichts; doch legte sie liebevoll ihre schneeweißen Arme um den Hals der alten Kadiga. „Der Himmel bewahre mich vor so einer unsinnigen Tat“, klage die kluge alte Frau. „Was schatzt ihr da, Kinder? Wißt ihr, was ihr da von mir verlangt? Euer Vater würde uns alle töten, wenn ihm so etwas zu Ohren käme. Gewiß, diese Ritter sind augenscheinlich edle und wohlerzogene Jünglinge; aber was liegt uns daran? Uns interessieren sie bestimmt nicht! Auch sind sie Feinde unseres heiligen Glaubens, und ihr dürft ohne Abscheu nicht an sie denken.“ Die drei Prinzessinnen ließen alle Register ihrer Überredungskunst spielen. Sie umarmten ihre Duena, schmeichelten, flehten, weinten und erklärten, daß eine abschäbige Antwort ihnen das Herz brechen würde. Was sollte sie tun? Sie war gewiß die klügste alte Frau auf der ganzen Welt und einer der treuesten Dienerinnen des Königs; aber konnte sie zusehen, wie drei schöne Prinzessinnen das Herz brach, wie ihre Gesundheit, ihr Frohsinn dahinschwanden?“

Kadiga lebte nun schon viele Jahre unter den Mauren und hatte seinerzeit gleich ihrer Herrin den Glauben gewechselt und diente seither treu dem Propheten.
Doch innerlich war sie Spanierin geblieben, und eine leise Sehnsucht nach dem Christentum, ihrem früheren Gottesglauben, konnte sie nie aus dem Herzen bannen. Sie sann daher nach, wie man die Wünsche der Prinzessinnen leicht und gefahrlos erfüllen könne, denn ganz so einfach war die Sache nicht. Die im roten Turm eingeschlossenen Gefangenen standen unter der Aufsicht eines langbärtigen und breitschultrigen Renegaten namens Hussein Baba, von dem die Sage ging, daß er leicht zu bestechen wäre. Ihn besuchte Kadiga heimlich, ließ vorsichtig ein großes Goldstück in seine Hand gleiten und sagte mit leiser Stimme: „Hussein Baba, meine Herrinnen, die Königstöchter, die im Turm dort eingeschlossen sind, kommen vor Einsamkeit um, denn keine Unterhaltung zerstreut sie. Vor einigen Tagen wurde ihnen von den musikalischen Talenten der drei spanischen Ritter erzählt, und nun möchten sie gerne eine Probe ihrer Künste hören. Ich kenne dich, alter Freund, und weiß, daß du in deiner Gutherzigkeit den armen Mädchen nicht diese unschuldige Freude versagen wirst.“ „O du alte Hexe! Fahr zum Teufel mit deinem Ansinnen! Du willst wohl meinen aufgespießten Kopf von der Spitze des Turms heruntergrinsen sehen? Denn das wäre der Lohn für die Untat, wenn der König sie entdeckte oder auch nur dieses Gespräch ihm zu Ohren käme.“ „Aufrichtig gesagt, ich sehe keine Gefahr dabei. Man muß nur die Sache so einrichten, daß die Laune der Prinzessinnen befriedigt wird und ihr Vater doch nichts davon erfährt. Du kennst die tiefe Klamm außerhalb der Burgmauer; vom Turm der Infantinnen sieht man direkt hinunter auf die grünen Hänge. Bring die drei Christen dorthin zur Arbeit und lasse sie in den Ruhestunden spielen und singen, und jedermann wird glauben, daß sie dies zu ihrer eigenen Unterhaltung täten. Die Prinzessinnen hören vom Fenster ihres Turms aus die Musik und den Gesang, und du kannst sicher sein, daß sie dich dafür reichlich und gut bezahlen werden.“ Als die gute alte Frau geredet hatte, drückte sie freundlich die rauhe Hand des Renegaten und ließ noch ein weiteres Goldstück darin zurück. Einer solch wohlklingenden und so überzeugender Beredsamkeit konnte natürlich niemand widerstehen, und auch Hussein nicht. Am nächsten Tag schon arbeiteten die Ritter mit ihren Kameraden in der Schlucht. Während der Mittagszeit schliefen ihre Unglücksgefährten im Schatten der dicht belaubten Bäume, die drei spanischen Ritter aber setzten sich auf den weichen Rasen am Fuße des Turms der Infantinnen und sangen ein Lied aus ihrer Heimat, daß einer von ihnen auf der Gitarre begleitete. Die Wachen dösten auf ihren Posten und taten schläfrig ihre Pflicht. Das Tal und die Schlucht waren tief, und der Turm ragte hoch in die Lüfte, aber die Stimmen der Sänger stiegen in der Stille des heißen Sommermittags bis zu den Fenstern und dem Balkon empor. Dort lauschten die schönen Mädchen dem Lied, dessen Melodie und zärtliche Worte sie zutiefst rührten, denn die Duena hatte sie die spanische Sprache so gut und genau gelehrt, daß sie auch die feinsten Tonschattierungen hören, verstehen und fühlen konnten. Die alte Kadiga tat hingegen furchtbar erschrocken und rief angstvoll: „Allah behüte uns! Sie singen ein Liebeslied, das an euch gerichtet ist. Ja, kann sich jemand so eine Frechheit vorstellen? Ich werde gleich zum Aufseher laufen und ihnen eine Bastonade geben lassen, denn das ist wirklich zuviel!“ „Was, solch edlen Rittern willst du die Bastonade geben lassen, nur weil sie schön und lieblich singen?“ Voll Schauder schüttelten die Prinzessinnen ihre hübschen Köpfchen. Bei all dieser tugendhaften Entrüstung war die Alte versöhnlicher Natur und ließ sich beruhigen und besänftigen. Zudem schien die Musik ihre jungen Herrinnen wirklich wohltuend beeinflussen. Die Wangen der Mädchen zeigten einen feinen rosa Schimmer, ihre Augen fingen an zu glänzen, und die zarten Lippen schienen zu lächeln.Die kluge Kadiga dachte also nicht daran, das Liebeslied der Ritter zu unterbinden.

Als die letzte Strophe verklungen war, blieb alles eine Weile still, nachdenklich schauten die Prinzessinnen vor sich hin. Dann aber griff Zoraida nach der Laute und sang mit lieblicher Stimme leise und gerührt eine hübsche maurische Weise mit dem vielsagenden Refrain: „Wenn die Rosenknospe sich auch hinter Blättern birgt, so lauscht sie doch mit Entzücken der Nachtigall.“ Von dieser Zeit arbeiteten die Ritter fast täglich in der Schlucht. Der gewissenhafte Hussein Baba wurde immer nachsichtiger und von Tag zu Tag schläfriger auf seinem Posten. Eine Zeitlang bestand ein gar seltsamer Verkehr zwischen Turm und Außenwelt. Dem gegenseitigen Gedankenaustausch dienten nämlich Lieder und Romanzen, deren Inhalt sich einigermaßen entsprach und dazu diente, den Gefühlen der Liebespaare Ausdruck zu geben.Dieser geheime Verkehr wirkte wahre Wunder. Die Prinzessinnen wurden froh wie früher, ihre Augen glänzten feuriger als je, neckisch klangen ihre Stimmen, melodisch die Lauten, Zimbeln und Gitarren.Niemand jedoch konnte glücklicher sein als der König selbst, den diese Veränderung so überraschte, daß er die kluge Kadiga reichlich beschenkte und volle Freude seine drei Töchter besuchte, Aber auch dieser fernschriflicher Verkehr hatte eines Tages sein Ende, denn die drei Ritter erschienen nicht mehr auf dem Arbeitsplatz unterm Turm. Vergebens spähten die Prinzessinnen umher, vergebens beugten sie sich weit über den Balkon, um eine Spur ihrer Ritter zu finden, vergebens sangen sie wie Nachtigallen, vergebens schlugen sie die Saiten.
Keine Stimme antwortete aus dem Gebüsch, kein Lautenspiel war zu vernehmen, keine Ritter zeigten sich. Die kluge Kadiga ging besorgt fort, um etwas über die drei Spanier zu erfahren. Bald kam sie mit kummervollem Gesicht wieder heim und erzählte den verliebten Mädchen die traurige Neuigkeit, die man ihr mitgeteilt hatte. „Ach, meine Kinder! Ich sah es voraus, daß alles so kommen würde! Doch ihr wollt ja unbedingt euren Willen durchsetzen. Nun ist das Ende da, und ihr könnt eure Lauten zerschlagen oder an einen Weidenbaum hängen. Die spanischen Ritter wurden von ihren Familien losgekauft und wohnen nun unten in Granada, wo sie ihre Heimreise vorbereiten.“ Untröstlich waren die drei Mädchen, als sie diese Nachricht vernommen hatten. Die schöne Zaida zürnte ihrem Ritter, daß er ohne Abschied dahingegangen war, denn diese Geringschätzung ihrer Person konnte sie nicht verschmerzen. Zoraida rang die Hände und weinte, sah in den Spiegel, wischte die Tränen ab und begann wieder zu weinen. Die schöne Zorahaida lehnte an der Brustwehr des Balkons, und ihre Tränen fielen hinunter auf den Abhang, wo die Ritter gesessen hatten, ehe sie ihre angebetenen Maurenprinzessinnen so treulos verließen. Die kluge Kadiga tat alles, um den großen Schmerz zu stillen, der die Mädchenherzen peinigte. So sagte sie oft: „Tröstet euch, meine Kinder. Das hat nichts zu bedeuten; man muß sich nur daran gewöhnen und sich mit derlei Dingen abfinden. Das ist eben der Lauf der Welt. Wenn ihr einmal so alt seid wie ich, dann werdet ihr die Männer schon kennen und wissen, wie man sie zu beurteilen hat. Diese drei Ritter haben sicherlich in Cordoba oder Sevilla ihre Bräute oder Geliebten, unter deren Balkon sie bald Serenaden und Ständchen singen werden, ohne jemals wieder an die maurischen Schönheiten auf der Alhambra zu denken. Deshalb tröstet euch, meine lieben Kinder, und verbannt sie aus euren Herzen, denn die Männer sind keine Tränen wert.“ Die tröstende Worte der klugen Kadiga verdoppelten aber den tiefen Kummer der drei Prinzessinnen, die zwei Tage lang nicht aus ihren Zimmern zu bringen waren und nur still vor sich hin weinten. Am dritten Morgen nun kam die alte Frau außer sich vor Aufregung dahergelaufen, stürzte fassungslos in den großen Salon und schrie voll Zorn: „Wer hätte einem sterblichen Menschen eine solche Frechheit zutrauen können! Aber mir geschieht ganz recht, denn nie hätte ich zugeben dürfen, daß euer ehrwürdiger Vater hintergangen wird. Erwähnt mir also mit keinem Worte mehr die spanischen Ritter, diese schlechten Menschen, die mich solcher Art beleidigt haben.“ „Nun, beste Kadiga, was ist denn geschehen?“ riefen die drei Mädchen aufgeregt durcheinander.“

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