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Märchenbasar

Die drei schönen Prinzessinen

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„Was geschehen ist, fragt ihr? Verrat ist geschehen; oder was noch schlimmer ist, zum Verrat sollte ich verleitet werden! Mir, der treuesten aller Untertanen, der vertrauenswürdigsten aller Duenas mutet man zu, daß ich meinen Herrn und König hintergehen könnte. Ja, meine Kinder staunt nur! Die spanischen Ritter haben es gewagt, mir vorzuschlagen, ich solle euch überreden, mit ihnen nach Cordoba zu fliehen, um sie dort zu heiraten!“ Die drei schönen Prinzessinnen ihrerseits wurden blaß und rot, und rot und blaß, und zitterten, schauten sich verstohlen und vielsagend in die Augen, sprachen aber kein einziges Wort. Die alte Frau konnte sich nicht beruhigen. Heftig bewegte sie sich hin und her, schüttelte die Fäuste und rief von Zeit zu Zeit zornig aus: „Daß mir eine solche Beleidigung angetan wurde! Mir, der treuesten aller Dienerinnen!“ Endlich trat die älteste Infantin, die den meisten Mut hatte und immer die erste war, zu ihr hin, legte ihre Hände auf die Schultern und sagte liebevoll: „Nun, beste Mutter, angenommen wir wären bereit, mit den drei christlichen Rittern zu fliehen. Wäre so etwas überhaupt möglich?“ Die gute Alte hörte bei diesen Worten zu jammern auf und erwiderte schnell: „Möglich? Wäre das schon! Die Ritter haben schon den Hussein Baba bestochen und mit ihm den ganzen Plan besprochen. Wer kann aber euren Vater hintergehen, diesen besten aller Könige! Euren Vater, der so viel Vertrauen in mich setzt!“ Wieder begann die brave Frau zu weinen, und händeringend lief sie im Saale auf und ab. „Aber dieser beste aller Väter hat nie Vertrauen zu uns gehabt!“, rief die älteste Prinzessin selbstbewusst, „immer hielt er uns wie Gefangene hinter Schloß und Riegel! Nie konnten wir frei hingehen, wohin es uns behagte, nie tun, was wir wollten.“ „Freilich, das ist nur zu wahr“, ließ sich die Alte hören und blieb vor den jungen Damen stehen, „er hat euch wirklich ungerecht behandelt. Eingeschlossen ward ihr immer und musstet die schönsten Jahre eurer Jugend in einem alten Turm verbringen, gleich den duftenden Rosen, die man in einem Blumentopf welken läßt. Aber bedenkt doch, was es bedeutet, aus eurer schönen Heimat zu fliehen!“ „Und ist nicht das Land, das uns aufnehmen will, die Heimat unserer guten Mutter? Werden wir dort nicht in Freiheit leben? Und wird nicht jede von uns statt des strengen Vaters einen jungen und liebevollen Ehemann haben?“
„Freilich, das ist wohl wahr, und, ich muß gestehen, er war mit euch wirklich ein harter Tyrann, aber“, und wieder brach der Jammer aus ihr, „wollt ihr mich dann zurücklassen, allein und verlassen? Seid sicher, daß sein Zorn und seine Rache mich hier zerschmettert.“ „Doch gewiß nicht, meine gute Kadiga! Kannst du nicht mit uns fliehen?“ „Das wäre wohl möglich, um bei der Wahrheit zu bleiben, muß ich euch sagen, daß ich bereits mit Hussein Baba gesprochen habe. Er versprach, auch mir zu helfen, wenn ich euch auf eurer Flucht begleiten wollte. Aber Kinder, nein, schlagt euch das besser alles aus dem Kopf? Ihr könnt doch nicht euren Väterglauben verleugnen!“ „Der christliche Glaube war das ursprüngliche Religionsbekenntnis meiner Mutter, ehe sie auf die Alhambra kam“, sagte wieder die älteste Infantin, „und ich bin bereit, ihn anzunehmen, und meine Schwestern auch, davon bin ich überzeugt!“ „Recht hast du!“ rief die alte Frau voll Freude aus, „ja, es war der Glaube deiner Mutter. Bitterlich beweinte sie oft ihren Abfall, und auf dem Totenbett mußte ich ihr versprechen, für euer Seelenheil zu sorgen.
Heute nun bin ich glücklich und froh, denn ich weiß, daß ihr auf dem richtigen Weg seid, auf dem Weg, der zur Taufe und ins Glück führt. Ich freue mich, daß ihr Christinnen werden wollt, weil auch ich es war und im Herzen immer geblieben bin. Jetzt ist die Gelegenheit dazu da. Ich sprach darüber schon mit Hussein Baba; er ist Spanier von Geburt und übrigens ein freundlicher Mensch. Wir stammen aus der gleichen Gegend, und auch er will in seine alte Heimat zurück. Die drei edlen Ritter drunten in Alhambra sagten hochherzig ihre Hilfe zu und werden uns anständig ausstatten, wenn wir dann im Heimatdorf eine Ehe eingehen sollten.“
Kurz und gut, es ergab sich, daß diese außergewöhnlich kluge und vorsichtige Frau mit den Rittern und dem Renegaten bereits den ganzen Fluchtplan entworfen hatte, der nun verwirklicht werden sollte. Die älteste Prinzessin war sofort einverstanden, und ihr energisches Verhalten bestimmte und beeinfußte wie immer den Willen ihrer beiden Schwestern. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß allerdings gesagt werden, daß die jüngste Prinzessin etwas zauderte und nicht gleich wußte, was sie machen sollte. Ihr sanftes und schüchternes Wesen wollte keinen so brüsken Bruch, und allsogleich begann in ihrem Herzen ein schwerer Kampf, in dem sich das Gefühl kindlicher Pflicht und jugendlicher Leidenschaft gegenüberstanden. Wie es schon immer ging, siegte in diesem ungleichen Zwiespalt die Liebe zu fremden Ritter, der drang nach Gattenliebe. Still und leise weinend schloß sie sich also ihren Schwestern an und rüstete sich zur Flucht.
Durch den Hügel, auf dem die Alhambra steht, führte in früheren Zeiten eine große Zahl von unterirdischen Gängen. Diese bildeten ein wahres Netz von Irrwegen, auf denen der Eingeweihte von Alhambra ungesehen in die Stadt und selbst bis zu den entfernten Ausfallspforten und Schlupftüren an den Ufern der Darro und des Genil gelangen konnte. Im eigenen Interesse und aus Staatsräson ließen die Maurenkönige im Laufe der Jahrhunderte die Asabica durchbohren, und durch diesen Gang liefen sie, wenn Empörer ihnen nach dem kostbaren Leben trachteten; aber oft zogen sie auch diese geheimen Wege den öffentlichen Straßen vor, denn heikle Unternehmungen waren nie für jedermanns Auge und Ohr.

Dem Fluchtplan nach sollte Hussein Baba die Prinzessinnen durch einen der genannten Gänge bis zur geheimen Schlupfpforte jenseits der Stadtmauern führen, wo die Ritter mit schnellen Pferden zu warten versprachen, um alle über die Grenze in Sicherheit zu bringen. Die vorherbestimmte Nacht kam: Der Turm der Infantinnen war wie gewöhnlich verschlossen worden, und die Alhambra lag in tiefem Schlummer. Gegen Mitternacht bezog die kluge Kadiga ihren Horchposten auf dem Balkon und lauschte gespannt in den Garten hinab. Bald kam Hussein Baba daher und gab das verabredete Zeichen. Die Duena befestigte sogleich das obere Ende einer Strickleiter am Balkon und ließ sie dann vorsichtig in den Garten hinab. Mit großer Behendigkeit schwang sich die alte Frau über die Brüstung und stieg resolut hinunter. Ihr folgten klopfenden Herzens die beiden älteren Prinzessinnen. Als aber die Reihe an Zorahaida kam, da zauderte diese; mehrmals setzte ihren kleinen Fuß auf die Leiter, aber ebenso zog sie ihn wieder zurück. Ihr Körper zitterte, das kleine Herz pochte heftig, und zögernd blieb die jüngste Königstochter auf dem Balkon stehen. Sie warf einen kummervollen Blick ins Zimmer zurück, dessen Wandschmuck, Decken und Polster im hellen Mondlicht gleißten. Wie ein Vogel in seinem Käfig hatte sie im Turm gelebt, sorglos, ruhig und ohne Aufregungen, geborgen und beschützt waren die Tage dahingegangen.
Wer konnte ihr sagen, was geschah, wenn sie frei in die weite Welt hinausflatterte! Aber schon erinnerte sie sich ihres Ritters aus dem Land der Christen, und rasch saß sie auf der Brüstung und setzte den Fuß auf die Leiter. Hinunter wollte sie zu ihm! Doch da kam ihr der alte Vater in den Sinn, und sie zuckte wieder zurück. Schrecklich war der Kampf, der im Herzen dieses zarten Wesens tobte. Voll Ehrfurcht liebte sie ihren Vater; beim Gedanken an den jungen Christen wurde ihr heiß und kalt zugleich, und voll Liebe und Zuneigung erinnerte sie sich seiner. Aber sie war noch so jung, schüchtern und wußte nichts von der Welt, von Liebe und Familienglück. Vergebens flehten ihre Schwestern, schalt die Duena und fluchte gotteserbärmlich der Renegat. Das kleine Maurenfräulein schaute oben am Balkon zu ihren Schwestern hinunter; sie konnte sich nicht entschließen. Der Gedanke an die Flucht und die Freiheit lockte sie, doch die Furcht vor ungewissen Gefahren riet ihr zum Bleiben. Aus der Ferne erschollen nun gar noch Schritte! Jeden Augenblick konnte man entdeckt werden! Rauh rief der Renegat zum Balkon hinauf: „Die Wachen machen die Runde; wenn wir zögern sind wir verloren. Steigt augenblicklich herunter, oder wir gehen allein und lassen Euch zurück, denn keine Zeit ist mehr zu verlieren.“ Zorahaida kämpfte mit sich selbst, und niemand erfuhr jemals, was in diesen wenigen Sekunden im Innern des Mädchens vergangen war. Mit verzweifeltem Entschluß machte sie die Strickleiter los und warf sie in den Garten hinunter.
„Es ist entschieden!“ rief sie, „ich kann nicht mit. Allah geleite und segne euch und schenke euch, meine geliebten Schwestern, Glück und Liebe.“ Schaudernd schrien die Prinzessinnen auf und wollten noch zögern. Sie konnten doch ihre kleine Schwester nicht allein zurücklassen! Die Wache kam aber näher und immer näher. Wütend stieß der Renegat die drei Frauen in ein dunkles Felsloch und führte sie kreuz und quer sicher unterirdische Gänge, und sie gelangten glücklch an ein eisernes Tor vor der Stadt. Hussein sperrte auf, und verabredungsgemäß nahmen sie die drei spanischen Ritter, die die Uniform der vom Renegaten befehligten Turmwache trugen, in Empfang.

Zorn und Trauer überkam Zorahaidas Anbeter, als er sah, daß das schöne Mädchen nicht gekommen war. Kurz berichtete Kadiga ihm, was sich ereignet hatte, und daß man keine Zeit verlieren dürfe. Die beiden Prinzessinnen wurden hinter ihre Verehrer gesetzt, und die kluge Kadiga stieg zum Renegaten aufs Pferd; dann sprengten alle im wildesten Tempo auf den Paß von Lope zu, über den sie durchs Gebirge nach Cordoba kommen wollten. Doch bald darauf hörte man von der Alhambra her die Alarmzeichen; Hornsignale und Trompetenstöße tönten von den Zinnen des Wachtturms durch die Stille der Nacht. „Unsere Flucht ist entdeckt worden“, sagte der Renegat. „Wir haben flinke Rosse, der Mond hat sich verzogen, und die Nacht ist nun stockdunkel. „Wir werden es schaffen!“ antworteten die Ritter. Sie gaben ihren Pferden die Sporen und jagten durch die Vega. Schon kamen sie an den Fuß der Sierra Elvira, die wie ein Vorgebirge sich weit in die Ebene hineinstreckt. Der Renegat hielt an und horchte: „Bis jetzt ist noch niemand auf unserer Spur; die Flucht in die Berge wird gelingen!“ Aber während er noch sprach, leuchtete auf der Wehrplatte des Bergfrieds der Alhambra eine helle Flamme auf. „Hölle und Teufel!“ brüllte der Renegat, „das Leuchtfeuer ruft die ganzen Wachmannschaften in den Bergen auf ihre Alarmposten. Fort und weiter! Gebt den Pferden die Sporen. Es ist keine Zeit zu verlieren!“ Es war ein halsbrecherischer Galopp. Dumpf tönten die Hufe ihrer Pferde auf dem felsigen Weg, der um die Sierra Elvira herumführt. Von Augenblick zu Augenblick wurde die Lage dramatischer, und nun sahen die Reiter gar, daß von allen Berggipfeln und Hängen Lichtsignale aufflammten, als Antwortzeichen von der Alhambra. „Vorwärts! Vorwärts!“ rief Hussein fluchend dazwischen, „zur Brücke, zur Brücke, ehe das Alarmzeichen dort gesehen wird!“ Scharf ritten sie um eine Felsennase herum und erblickten die bekannte Puenta de Pios, die über einem Wildbach führende Holzbrücke, um deren Besitz Mauren und Christen stritten. Zum Schrecken lag der Brückenkopf schon im hellsten Kreidelicht und strotzte von bewaffneten Männern. Der Renegat riß sein Pferd zurück, erhob sich in den Steigbügeln und sah sich wie suchend um. Alles dauerte nur wenige Augenblicke, dann winkte Hussein den Rittern und sprengte weiter, doch vom Weg ab, den Fluß entlang. Nach Minuten stützte er Hals über Kopf und hoch zu Roß in das schäumende Wasser. Die Ritter ermahnten die Prinzessinnen sich gut festzuhalten und folgten beherzt ihrem Führer. Hoch schlugen die Wogen, die Strömung trieb sie weit flussabwärts, und die Gischt durchnäßte sie bis auf die Haut, doch glücklich erreichten sie alle das andere Ufer. Auf schwer zugängigen und einsamen Pfaden, durch wilde Schluchten und über hohe Pässe führte der Renegat seine Schützlinge aus dem Maurenreich, und nach schweren Strapazen erreichten sie endlich Cordoba, die schönste Stadt am Guadalquivit. Dort gab es helle Freude, und die Heimkehr der tapferen Ritter wurde festlich begangen und gefeiert, denn sie gehörten zu den ersten Familien des kastilischen Reichs. Die Prinzessinnen wurden sofort getauft, und in den Schoß der Kirche aufgenommen, heirateten sie darauf in wenigen Tagen, im prächtigen Dom ihrer neuen Heimatstadt ihrer Ritter und Retter. In unserer Eile, um die Flucht der Infantinnen quer durch den Strom und über Berg und Tal durchs Gebirge hinauf zu einem glücklichen Ende zu führen, haben wir die kluge Kadiga ganz vergessen, denn auch ihr Schicksal ist erwähnenswert. Sie hatte sich beim wilden Ritt über die Vega wie eine Katze an Hussein Baba geklammert, schrie bei jedem Sprung laut auf, entlockte dem bärtigen Renegaten manchen Fluch, saß aber fest auf der Kruppe hinterm Sattel.
Doch als der Reiter ins reißende Wasser setzt, da kannte ihre Angst keine Grenzen mehr. „Umklammere mich nicht so fest“, schrie der Renegat, „fasse mit beiden Händen meinen Gürtel und fürchte nichts.“ Sie tat wie ihr geheißen und hielt sich an dem breiten Leibriemen Husseins fest. Als aber dieser nach dem Höllenritt endlich mit den Rittern auf der Passhöhe anhielt, um Atem zu schöpfen, da war die Duena nicht mehr zu sehen. „Was ist aus Kadiga geworden?“ riefen voll Schrecken die Prinzessinnen. „Allah allein weiß es!“ erwiderte der Renegat. „Es war ein reines Unglück! Als wir mitten im Fluß waren, löste sich mein Gürtel und Kadiga wurde mit ihm stromwärts gerissen. Allahs Wille geschehe! Aber es war ein schöner, golddurchwirkter Gürtel von großem Wert. Die Reiter hatten natürlich keine Zeit zu langen Klagen und mußten weiter, und die Prinzessinnen beweinten bitterlich den Verlust ihrer treuen Ratgeberin. Jene Frau aber verlor nur die Hälfte von den neun Leben, die sie, einer Wildkatze gleich, besaß. Ein Fischer zog sie nämlich weiter unten ans Ufer und dürfte über den seltsamen Fisch im Netzt wohl gestaunt haben. Was dann aus der klugen Kadiga wurde, darüber schweigt die Geschichte. Doch so viel ist sicher, daß sie ihre Klugheit abermals unter Beweis gestellt hat und sich niemals mehr in den Machtbereich Mohammeds des Linkshänders wagte. Auch wissen wir nicht, was der scharfsinnige König tat, als ihm die Flucht seiner Töchter gemeldet wurde. Es war, wie gesagt, das erste Mal, daß er fremden Rat gesucht hatte. Und wie schnöde war er hintergangen worden! Nie hörte man wieder, daß er sich eine ähnliche Blöße gegeben hätte. Seine jüngste Tochter, die ihm treu geblieben war, ließ er aufs strengste bewachen, und man glaubt, sie habe es bitter bereut, damals nicht mit ihren beiden Schwestern geflohen zu sein. Dann und wann sah man sie auf den Zinnen des Turmes; müde lehnte sie an der Brüstung und schaute traurig zu den Bergen hinüber, hinter denen Corduba lag. Klagend sang sie zur Laute herzzerbrechende Lieder und beweinte den Verlust ihrer Schwestern und des geliebten Mannes. Jung beschloß sie ihr einsamens Leben und wurde, so erzählt man sich, in einem Gewölbe unterm Turm begraben. Viele Sagen erzählen uns von ihr und ihrem frühen Tod.

Quelle: Märchen und Sagen aus Spanien

 

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