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Märchenbasar

Die gewandte Prinzessin

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Zur Zeit der ersten Kreuzzüge zog ein König aus ich weiß nicht welchem Reiche Europas gleich anderen ins Gelobte Land wider die Ungläubigen in den Krieg. Ehe er diese weite Reise antrat, bestellte er alles in seinem Reiche so gut und übergab die Regierung einem so geschickten Minister, daß er in diesem Stück ohne alle Sorge sein konnte. Den einzigen Kummer machte ihm noch seine Familie. Nicht lange zuvor war ihm die Königin, seine Gemahlin, gestorben, und ob er wohl keinen Sohn hatte, so hatte er dagegen drei Prinzessinnen, welche schon mannbar waren. Die Chronik, aus welcher ich diese Geschichte habe, meldet ihre rechten Namen nicht; weil aber in den damaligen glücklichen Zeiten die Völker noch so natürlich waren, daß sie hohen Personen Beinamen gaben, welche ihre guten oder schlechten Eigenschaften anzeigten, so hatte man die älteste Prinzessin Nonchalante, die Nachlässige, die man heutigentages Indolente, die Träge, heißen würde, die mittlere Babillarde, die Schwatzhafte, und die jüngste Finette, die Scharfsinnige, genannt: und alle diese Benennungen schickten sich vollkommen zum sittlichen Charakter dieser drei Schwestern.
In der Welt ist vielleicht noch keine trägere und nachlässigere Person gewesen, als Nonchalante war. Jeden Mittag um ein Uhr schlief sie noch. Wie sie aus dem Bett kam, so schleppte man sie in die Kirche: Haar und Kopfzeug waren in Unordnung, das Kleid nicht geschnürt, auch zuweilen der eine Pantoffel rot, der andere grün. Den Tag lang sorgte man zwar dafür, daß sie einerlei Farbe haben mußten, aber daß Nonchalante jemals anders als in Pantoffeln hätte gehen wollen, dahin war sie gar nicht zu bringen, denn Schuhe zu tragen, das war für sie eine unerträgliche Last. Wenn sie mittags gespeist hatte, so setzte sie sich an ihren Nachttisch, und da blieb sie bis abends sitzen. Die übrige Zeit, bis um Mitternacht, spielte und soupierte sie. Hernach währte es wieder ebensolange, sie auszuziehen, als man sie angezogen hatte; und es war allemal schon heller Tag, wenn sie zu Bett ging.
Eine ganz andere Lebensart hatte Babillarde. Sie war sehr munter und wandte nur wenig Zeit auf ihre Person; aber sie hatte eine so unerhörte Begierde zu reden, daß sie von früh an, wenn sie erwachte, bis in die Nacht, wenn sie einschlief, den Mund nicht zutat. Sie wußte alle Geschichten aus Häusern, wo üble Wirtschaft geführt wurde, alle zärtlichen Liebschaften und Galanterien, nicht allein des ganzen Hofes, sondern auch der geringsten Bürgersleute in der Stadt. Sie führte Buch über alle Frauen, die ihre Dienerschaft bestahlen, damit sie größeren Staat machen konnten, und sie wußte aufs genaueste nachzurechnen, wieviel das Kammermädchen der Komtesse Sowieso oder der Haushofmeister des Marquis Sowieso jährlich verdiente. Um nun von allen diesen wichtigen Kleinigkeiten recht gründliche Nachricht zu haben, lauschte sie mit mehr Vergnügen dem Geschwätz ihrer Amme und ihrer Näherin, als sie einem Abgesandten zugehört hätte; und hernach plauderte sie mit diesen schönen Histörchen allen und jedem, vom König an bis auf die Lakaien, den ganzen Tag die Ohren voll, denn wenn sie nur reden konnte, so war es ihr einerlei, mit wem sie redete. Diese Plaudersucht hatte noch andere üble Folgen für sie. So hoch auch ihr Stand war, so machten doch ihre allzu gemeinen Manieren, daß ihr die jungen galanten Herren am Hofe verliebte Dinge vorschwatzten. Sie hörte alles ohne Umstände an, bloß damit sie ihnen antworten konnte, denn es mochte daraus entstehen, was nur wollte, sie mußte von früh an bis in die Nacht reden hören und plappern. Sie sowohl als Nonchalante dachte niemals, überlegte nichts, las auch nichts. Ebensowenig nahm sie sich einer häuslichen Sorge an, machte sich auch weder mit der Nähnadel noch mit der Spindel einigen Zeitvertreib. Kurz, sie und ihre Schwester lebten beide in einem beständigen Müßiggang und gaben weder ihrem Verstand noch ihren Händen einige Arbeit.
Die dritte und jüngste Prinzessin war von ganz anderer Art. Sie betätigte stets sowohl Geist als Körper. Sie besaß eine erstaunlich große Lebhaftigkeit und suchte sie zu einem guten Gebrauche anzuwenden. Sie tanzte schön, sang und spielte verschiedene Instrumente ungemein gut, sie besaß eine bewundernswerte Geschicklichkeit in allen kleinen Handarbeiten, die gemeiniglich dem Frauenzimmer zum Zeitvertreib dienen, hielt gute Ordnung im königlichen Hause und verhinderte mit ihrer scharfen Aufsicht viele Diebereien der geringeren Bedienten, denn sie pflegten schon damals Könige und Fürsten zu bestehlen.
Sie besaß außer diesen noch viele andere gute Eigenschaften. Sie hatte viel Urteilskraft und eine so wunderschöne Geistesgegenwart, daß sie sich aus allen Schwierigkeiten geschwind zu wickeln wußte. Sie entdeckte einst mit ihrem durchdringenden Verstande einen hinterlistigen Streich, welchen ein treuloser Abgesandter ihrem königlichen Vater in einem schriftlichen Vergleich zu spielen gesucht hatte, und fast in dem Augenblick, da der König denselben unterschreiben wollte. Um nun die Bosheit des Gesandten zu bestrafen, änderte der König diesen Artikel des Traktates so, wie es seine Tochter ihm eingab, und betrog den Betrüger selbst. Zu einer anderen Zeit entdeckte sie eine Schelmerei, welche ein Minister begehen wollte, und gab dem Könige einen so guten Rat dawider, daß der Minister durch seine Untreue selbst bestraft wurde. Sie gab noch bei verschiedenen anderen Gelegenheiten so viele Proben von ihrem durchdringenden und feinen Verstande, daß ihr das Volk den Namen Finette, die Scharfsinnige, beilegte. Der König liebte diese Prinzessin, wie billig, mehr als seine anderen Töchter und verließ sich so sehr auf ihren gesunden Menschenverstand, daß er sich bei seiner Abreise nicht den mindesten Kummer um sie machte, desto mehr aber um ihre beiden Schwestern. Damit er also, nachdem er sich seiner Untertanen sicher glaubte, auch wegen der Aufführung seiner Familie ohne Sorge sein konnte, tat er, was ich jetzt erzählen will.
Die Macht der Feen war zur Zeit der Kreuzzüge noch sehr groß. Der König reiste zu einer, welche seine gute Freundin war. Er entdeckte ihr, wie sehr er seiner Prinzessinnen wegen besorgt war. »Nicht etwa«, sagte er, »als hätten meine beiden älteren Töchter, um die ich mir Kummer mache, schon irgend etwas wider ihre Ehre und Pflicht getan, aber sie sind so einfältig und unvorsichtig und gehen so müßig, daß ich nur fürchte, sie möchten sich vielleicht in meiner Abwesenheit, bloß zum Zeitvertreib, in törichte Liebeshändel einlassen. Was Finette anbelangt, so bin ich ihrer Tugend sicher; jedoch soll sie nicht mehr Freiheit als ihre Schwestern haben, damit es nicht scheint, als zöge ich sie den anderen beiden vor. Also bitte ich dich, weise Fee, drei gläserne Spinnrocken für meine Töchter zu machen, und zwar so künstlich, daß, sobald eine etwas wider ihre Ehre begeht, ihr Spinnrocken den Augenblick in Stücke springt.«
Die Fee, welche keiner anderen an Kunst etwas nachgab, machte drei solche Spinnrocken, die sie aufs beste bezauberte und den Absichten des Königs gemäß einrichtete. Aber auch hiermit ließ es der König noch nicht bewenden. Er führte die drei Prinzessinnen in einen Turm, welcher in einer großen Einöde lag. Er befahl ihnen, die ganze Zeit, solange er abwesend sein würde, darinnen zu bleiben und keinen einzigen Menschen zu sich zu lassen. Er nahm ihnen alle ihre Bedienten, sowohl männlichen als weiblichen Geschlechts, er gab einer jeden einen bezauberten Spinnrocken und erklärte ihnen seine geheimen Eigenschaften. Zum Abschied umarmte er sie, schloß die Türen des Turmes fest zu, nahm die Schlüssel an sich und reiste bald hernach fort.
Vielleicht befürchtet man, die eingesperrten Prinzessinnen könnten verhungert sein? Nicht im geringsten. An einem Fenster war eine Winde mit einem langen Seil, an welchem die Prinzessinnen alle Tage einen Korb herabließen: darein legte man ihr Essen und Trinken, soviel sie täglich brauchten; und wenn sie den Korb hinaufgezogen hatten, so zogen sie sorgfältig das Seil in das Zimmer hinein.
Nonchalante und Babillarde führten in dieser Einsamkeit ein betrübtes Leben, denn die Zeit wurde ihnen unaussprechlich lang. Aber sie mußten sich in Geduld fassen, weil man ihnen ihre Spinnrocken so fürchterlich beschrieben hatte, daß sie befürchteten, sie möchten auch um der mindesten Kleinigkeit willen zerbrechen.
Was Finette betrifft, so wurde dieser die Zeit gar nicht lang. Ihre Spindel, ihre Nähnadel und ihre Musikinstrumente verschafften ihr den angenehmsten Zeitvertreib. Man legte auch auf Befehl des Ministers, der den König vertrat, fast täglich in den Eßkorb Briefe, aus welchen sie alles, was in und außer dem Reich vorging, ersehen konnten. Der König hatte dieses selbst befohlen, und der Minister kam seinem Befehle genau nach, um sich bei den Prinzessinnen in Gunst zu erhalten. Finette las diese Neuigkeiten mit vielem Vergnügen, aber ihre Schwestern sahen sie nicht an; sie gaben vor, sie wären viel zu verdrießlich, als daß sie sich an solchen Kleinigkeiten ergötzen könnten. Aber Spielkarten brauchten sie in großer Menge, um sich während der Abwesenheit des Vaters die Langeweile erträglich zu machen.
So brachten sie dann ihr Leben sehr mißvergnügt zu und beklagten sich über ihr Verhängnis. Ich glaube, daß sie gar oft gesagt haben, es sei besser, glücklich als fürstlich geboren zu sein. Sie lagen fast immer in den Fenstern, um wenigstens zu sehen, was in der benachbarten Gegend vorging. Eines Tages, als Finette in ihrem Zimmer fleißig arbeitete, lagen ihre Schwestern in den Fenstern und sahen unten am Turme eine arme Frau in zerrissenen Kleidern, welche ihnen ihr Elend sehr beweglich klagte. Sie bat mit gefalteten Händen, sie in ihr Schloß einzulassen, sie sagte, sie wäre eine unglückliche Fremde, die aber tausenderlei wüßte, und sie wollte ihnen recht gute Dienste leisten. Im Anfang erinnerten sie sich an ihres Vaters Befehl, daß sie keinen einzigen Menschen einlassen sollten; aber Nonchalante war so müde, sich selber aus- und anzuziehen, und Babillarde so überdrüssig, nur mit ihren Schwestern reden zu können, daß jene aus Begierde, sich bedienen zu lassen, und diese aus Verlangen, noch eine dritte Person zum Plaudern zu bekommen, miteinander einig wurden, die arme Frau einzulassen.
»Denkst du denn«, sagte Babillarde zu Nonchalante, »daß der König solche armen, elenden Weiber im Sinne gehabt hat, da er uns niemand einzulassen befohlen hat? Ich bin versichert, wir können sie ohne alle Gefahr empfangen.«
»Mache es, wie du willst«, sagte die träge Nonchalante.
Babillarde war froh, daß ihre Schwester darein willigte, und ließ geschwind den Korb herunter. Die arme Frau setzte sich hinein, und die beiden Prinzessinnen zogen sie mit der Winde hinauf. Da das Weib vor ihnen stand, so ekelte ihnen nicht wenig vor ihrer unreinen Kleidung. Sie wollten ihr sogleich andere geben, aber sie bat, bis morgen damit zu warten, und unterdessen wollte sie die Prinzessinnen bedienen. Indem sie noch hiervon sprach, kam Finette aus ihrem Zimmer und war über die Maßen verwundert, da sie das fremde Weib bei ihren Schwestern sah. Sie sagten ihr, weswegen sie dieselbe zu sich genommen. Weil es einmal geschehen und nicht zu ändern war, so verbarg Finette den Verdruß, welchen sie über die Unvorsichtigkeit ihrer Schwestern empfand.
Unterdessen durchkroch die neue Kammerfrau der Prinzessinnen alle Winkel des Schlosses unter dem Vorwande, ihnen besser dienen zu können, in der Tat aber, um dessen ganze Lage und alle Zugänge kennenzulernen; denn meine Leser und Leserinnen werden schon fast erraten, daß ein Geheimnis hinter der Sache steckt. Es war dieses Bettelweib in dem Schlosse unserer Prinzessinnen ebenso gefährlich als der Graf Ory in jenem Kloster, in welches er sich in der Verkleidung einer vertriebenen Äbtissin einschlich.
Um Sie nicht länger im ungewissen zu lassen: Es war dieses lumpige Bettelweib der älteste Sohn eines benachbarten mächtigen Königs. Dieser junge Prinz, das arglistigste Gemüt seiner Zeit, regierte seinen Vater gänzlich, jedoch brauchte es hierzu eben nicht die größte List von der Welt, denn dieser König war so sanftmütig und willfährig, daß man ihm den Beinamen Herzensgut gegeben hatte. Den Erbprinzen aber, weil er in allen Dingen betrügerisch und hinterlistig verfuhr, hatte man Riche-en-cautèle, Fintenreich, oder wie man gemeiniglich die Namen abkürzt oder verändert, Riche-cautèle, Fintrich, genannt.
Er hatte noch einen jüngeren Bruder, welcher ebenso viele gute Eigenschaften als der ältere schlechte an sich hatte. Ob nun wohl diese Brüder so ungleichen Sinnes waren, herrschte doch eine so vollkommene Eintracht unter ihnen, daß alle Welt darüber erstaunte. Außer seinen schönen Gemütsgaben besaß der jüngere Prinz auch so viel Schönheit und Annehmlichkeit an seiner ganzen Person, daß man ihm den Namen Bel-à-voir, Augenlust, beigelegt hatte. Der Prinz Fintrich war der Erfinder des vorhin erwähnten betrügerischen Artikels in dem Traktat mit dem königlichen Vater der Prinzessinnen gewesen, welchen boshaften Streich aber Finettes Scharfsinn bemerkt und abgewendet hatte. Fintrich, welcher schon vorher dem Vater der Prinzessinnen nicht günstig gesonnen war, suchte sich nunmehr vollends an ihm zu rächen. Da er hörte, was für große Vorsicht dieser mit seinen Prinzessinnen gebraucht hatte, so machte er sich das boshafte Vergnügen, die Klugheit eines so argwöhnischen Vaters zu hintergehen. Er erhielt von seinem Vater die Erlaubnis, eine Reise zu unternehmen, wozu er mancherlei Ursachen vorwandte, und schlich sich auf die bereits erzählte listige Art in der Prinzessinnen Schloß ein.
Indem er nun alle Gelegenheiten darinnen auskundschaftete, so sah er, daß die Prinzessinnen die unten Vorbeigehenden hätten rufen können. Er schloß daraus, daß er den ganzen Tag verkleidet bleiben müsse, weil sie, wenn sie es so für gut befänden, leichtlich um Hilfe rufen und ihn für sein vermessenes Unterfangen strafen konnten. Er behielt also den ganzen Tag seine Lumpen an, aber abends, da die drei Prinzessinnen gespeist hatten und bald zu Bett gehen wollten, warf er sie weg und zeigte sich ihnen in seinen rechten Kleidern, welche von Gold und Diamanten blitzten. Die armen Prinzessinnen erschraken über diesen Anblick so sehr, daß sie sich eiligst durch Flucht zu retten suchten. Finette und Babillarde, weil sie hurtig waren, erreichten geschwind ihr Zimmer, aber Nonchalante, welche kaum ihre Füße zu gebrauchen wußte, wurde vom Prinzen ergriffen und festgehalten.
Er warf sich ihr zu Füßen. Er entdeckte ihr, wer er war, und sagte, er habe um ihrer Schönheit willen, welche er auf einem Bildnis betrachtet, allen Vergnügen seines Hofes den Rücken gewandt und sich, aus zärtlicher Liebe zu ihr, in ein elendes Bettelweib verkleidet, um ihr seine eheliche Treue anzubieten. Nonchalante war vor Erstaunen dermaßen außer sich, daß sie dem Prinzen im Anfang nichts antworten konnte. Er blieb beständig auf den Knien vor ihr, er sagte ihr unzählige verliebte Dinge vor und schwor dabei wohl hunderttausendmal; er bat sie endlich, sie möchte ihn, weil er sie gar so herzlich liebe, gleich auf der Stelle zu ihrem Gemahl annehmen. Aus ihrer angeborenen Trägheit mochte sie ihm nicht widersprechen. Sie antwortete nur ganz nachlässig, sie wolle ihm alles gern glauben und sein Eheversprechen hiermit annehmen. Mehr Umstände machte sie nicht, und die Ehe wurde auch allsobald vollzogen, aber ihr gläserner Spinnrocken sprang dabei in tausend Stücke.
Unterdessen waren sowohl Babillarde als auch Finette in größter Bekümmernis. Eine jede war in ihr Zimmer gelaufen und hatte sich darinnen eingeschlossen. Diese Zimmer waren ziemlich weit voneinander entfernt, und weil nun keine von beiden recht wußte, wie es um die andere stand, so taten sie die ganze Nacht kein Auge zu. Den folgenden Morgen führte der bösartige Prinz Nonchalante in einen Saal am Ende des Gartens. Hier sagte ihm die Prinzessin, wie sehr sie um ihre Schwestern besorgt sei, ob sie gleich auch nicht gern vor sie kommen wolle, weil sie befürchte, daß sie ihre Ehe tadeln möchten. Der Prinz Fintrich war geschwind mit der Antwort fertig, sie möchte ihn nur dafür sorgen lassen, er wolle schon alles so einrichten, daß sie nichts dawider einzuwenden haben sollten. Nachdem er noch ein wenig mit ihr gesprochen hatte, ging er fort und schloß die Nonchalante ein, ohne daß sie es gewahr wurde. Hernach suchte er die anderen Prinzessinnen überall.
Nachdem er sie schon lange vergebens gesucht hatte, hörte er, da er an einem Zimmer vorbeiging, daß Babillarde darinnen redete: sie sprach nämlich mit sich selber, denn reden mußte sie, und beklagte sich über ihr Schicksal. Der Prinz horchte an der Tür und beobachtete sie durch das Schlüsselloch. Nunmehr redete er sie durch die Türe an und sagte ihr alles, was er schon ihrer Schwester gesagt hatte, nämlich, daß er bloß in der Absicht, ihr sein Herz und seine eheliche Treue anzubieten, die beschwerliche Unternehmung gewagt, in ihren Turm zu kommen. Er gab ihrer Schönheit und ihrem Witz die größten Lobsprüche, und Babillarde, weil sie schon ohnedies keine schlechte Meinung von sich selber hatte, war so einfältig und glaubte ihm alles. Sie antwortete ihm mit einem ganzen Schwall von Worten, welche alle gar nicht unfreundlich lauteten. Babillarde mußte in der Tat eine recht rasende Lust zum Reden haben, da sie jetzt so viel redete, denn sie war damals nicht allein sehr niedergeschlagen, sondern sie hatte auch den ganzen Tag nichts gegessen, und zwar deswegen, weil sie in ihrem verschlossenen Zimmer nichts zu essen gehabt hatte. Denn weil sie fast so faul wie Nonchalante und auf nichts in der Welt bedacht war, als wie sie nur immer reden möchte, so sorgte sie niemals fürs Zukünftige. Wenn sie etwas brauchte, so nahm sie ihre Zuflucht zu Finette, und diese liebenswürdige Prinzessin, welche in ebendem Grade arbeitsam und vorsichtig war, als es ihre Schwestern nicht waren, hatte in ihrem Zimmer beständig eine Menge Marzipan, Pasteten, Eingemachtes und Konfekt, welches sie alles selber zubereitete. Weil nun Babillarde keinen solchen Vorrat bei sich hatte und jetzt sowohl vom Hunger als auch von den zärtlichen Liebesversicherungen, die ihr der Prinz durch die Türe gab, gereizt und in Versuchung geführt wurde, öffnete sie endlich diesem Verführer die Tür. Da jener hereinkam, spielte er zu ihren Füßen die Rolle eines Verliebten noch weiter fort, so daß man gestehen mußte, er habe sie recht gut auswendig gelernt.
Hernach gingen sie miteinander in die Speisekammer, wo sie allerlei Erfrischungen fanden, denn der Speisekorb gab den Prinzessinnen allemal reichen Vorrat. Babillarde war anfangs noch immer bekümmert, wo ihre Schwestern geblieben sein möchten; aber bald hernach setzte sie sich’s in den Kopf, ich weiß selber nicht warum, daß sie sich beide in Finettes Zimmer verschlossen haben müßten, wo sie alles hatten, was sie brauchten. Der Prinz Fintrich bestärkte sie, so gut als er konnte, in dieser Meinung und sagte, er wolle am Abend mit ihr zu ihnen gehen. Babillarde war anderer Meinung; sie sagte, sie müßten sie suchen, sobald sie gegessen hätten.
Der Prinz und die Prinzessin ließen es sich also recht wohl schmecken. Da sie satt waren, bat Fintrich, sie möchte ihm das Staatszimmer zeigen. Er reichte ihr den Arm, und sie führte ihn hinein. Hier sagte er ihr aufs neue, wie erstaunlich lieb er sie habe, rühmte auch die großen Vorteile, die sie dabei fände, wenn sie ihn heiratete. Er sagte ihr, was er schon Nonchalante gesagt hatte, daß sie nichts Besseres tun könne, als seine eheliche Zusage sogleich anzunehmen, weil, wenn sie vorher zu ihren Schwestern ginge und sich mit ihnen darüber bespräche, diese notwendig viel dawider einzuwenden hätten. Er sei, wie sie selbst nicht leugnen könne, der Mächtigste unter allen benachbarten Prinzen; also werde ihn die Älteste lieber für sich haben wollen und nimmermehr zugeben, daß er sie, die er mit unvorstellbarer Glut liebe, zur Ehe bekäme. Babillarde redete hierauf eine große Menge nichtssagender Worte und war endlich ebenso dumm wie ihre ältere Schwester. Sie machte den Prinzen gleich auf der Stelle zu ihrem Gemahl und dachte nicht eher an den verräterischen gläsernen Spinnrocken, als bis er in hundert Stücke zersprungen war.
Gegen Abend ging Babillarde mit dem Prinzen wieder in ihr Zimmer. Das erste, was sie sah, war der zerbrochene Spinnrocken. Das war ein betrüblicher Anblick für sie. Der Prinz fragte, warum sie so erschrocken aussähe. Weil sie nun aus großer Begierde zum Reden nichts verschweigen konnte, entdeckte sie dem Fintrich das ganze Geheimnis mit den Spinnrocken. Der Prinz empfand darüber eine boshafte Schadenfreude, weil er sah, daß der König, der Vater der Prinzessinnen, die artige Aufführung seiner Töchter gewiß erfahren würde.
Nunmehr war Babillarde die Lust, ihre Schwestern zu suchen, ganz vergangen, weil sie leichtlich voraussehen konnte, daß sie ihr Verhalten nicht billigen würden. Der Prinz hingegen erbot sich freiwillig, dieselben zu suchen, und sagte, er wolle wohl Mittel finden, sie zu überreden, daß sie alles gutheißen sollten. Nicht lange hernach überfiel die Prinzessin, welche die ganze Nacht gewacht hatte, ein sanfter Schlaf, und als sie eingeschlafen war, ging der Prinz fort und schloß die Prinzessin im Zimmer ein, wie er Nonchalante eingeschlossen hatte.
Man muß gestehen, daß dieser Fintrich ein ruchloser Mensch war, aber auch die beiden Prinzessinnen waren nachgiebige und unvorsichtige Personen. Ich erzürne mich über alle drei, und meine Leser und Leserinnen werden vermutlich ein gleiches tun. Aber man beunruhige sich nicht: Sie werden alle behandelt, wie sie es verdienen, und es wird nur die brave und mutige Finette zuletzt siegen.
Nachdem dieser falsche Prinz Babillarde in ihr Zimmer eingeschlossen hatte, lief er in allen Zimmern des Schlosses herum. Da er sie alle offen und ein einziges von ihnen zugeschlossen fand, so schloß er daraus, daß Finette darinnen sein müsse. Er fing also an, seine auswendig gelernte Zirkular-Liebeserklärung vor der Tür herzusagen, vor welcher er der Finette ebenden Antrag tat, welchen er ihren Schwestern mit glücklichem Erfolg gemacht hatte. Aber Finette, die nicht so einfältig war wie ihre älteren Schwestern, ließ ihn lange reden, ohne ein Wort zu antworten. Endlich, da sie sah, daß er sie im Zimmer wußte, antwortete sie ihm, wofern er wirklich eine so große und aufrichtige Liebe zu ihr hätte, als er vorgäbe, so möchte er hinunter in den Garten gehen und die Tür hinter sich zuschließen; hernach wolle sie, so lange als er wünsche, durch das Gartenfenster mit ihm reden.
Fintrich wollte diesen Vorschlag nicht annehmen. Und weil die Prinzessin schlechterdings nicht aufmachen wollte, war dem boshaften Prinzen endlich die Zeit zu lang: Er holte ein großes Scheit Holz und schlug damit die Türe auf. Als er eintrat, saß die Prinzessin mit einem großen Hammer da, welchen man zufällig in einer Kleiderkammer zurückgelassen hatte, die neben ihrem Zimmer war. Ihre heftige Gemütsbewegung hatte ihre Wangen gerötet, und obwohl ihre Augen voll Zorn waren, kam sie doch dem Fintrich bezaubernd schön vor. Er wollte sich ihr zu Füßen werfen, aber Finette trat weit zurück und sagte: »Prinz! wofern Ihr mir näher kommt, so schlage ich Euch mit diesem Hammer den Kopf entzwei.«
»Wie? schönste Prinzessin!« rief er mit heuchlerischer Stimme, »verdient die Liebe, die man für Euch hegt, einen so grausamen Haß?«
Jetzt fing er seine einstudierte Lügenpredigt von neuem an, stand dabei aber an dem einen Ende des Zimmers und die Prinzessin am anderen. Er rühmte seine unaussprechliche Liebe zu ihr, zu welcher er, wie er vorgab, schon in der Ferne, bloß durch den Ruf von ihrer Schönheit und von ihrem großen Verstande, bewogen worden sei. Er sagte, er habe sich bloß in der Absicht verkleidet, ihr sein Herz und seine eheliche Treue anzubieten. Er bat, sie möchte es seiner unmäßigen Liebe vergeben, daß er so kühn gewesen, die Tür einzuschlagen. Zum Schluß wollte er sie überreden, wie er es mit ihren Schwestern getan hatte, daß sie zu ihrem eigenen Besten billig eilen solle, ihn zu ihrem Gemahl anzunehmen. Endlich sagte er auch, er wisse nicht, wo die Prinzessinnen, ihre Schwestern, geblieben seien, denn er habe sich nicht die Mühe genommen, sie zu suchen, weil nur sie, die allerschönste Finette, ihm im Sinne gelegen habe. Die geschickte Prinzessin stellte sich, als ließe sie sich besänftigen. Sie antwortete ihm, er müsse ihre Schwestern suchen, hernach wollten sie die Sache miteinander überlegen. Fintrich sagte dagegen, er könne sich unmöglich entschließen, nach ihren Schwestern zu suchen, bevor sie ihn nicht zu ihrem Gemahl gemacht habe, weil beide als die älteren Prinzessinnen eine so vorteilhafte Partie wie ihn gewiß nicht aus den Händen lassen wollten.
Finette, welche, wie billig, großes Mißtrauen in diesen falschen Prinzen setzte, schöpfte nach dieser Antwort noch größeren Argwohn wider ihn. Sie zitterte, wenn sie sich vorstellte, was vielleicht schon mit ihren Schwestern geschehen sein könnte, und nahm sich vor, etwas zu tun, wodurch sie nicht nur dieselben an dem Prinzen rächen, sondern sich auch vor einem gleichen Unglück, das ihnen vermutlich begegnet war, in Sicherheit bringen könnte. Sie sagte also zum Prinzen Fintrich, sie hätte sich nach reiflicher Überlegung endlich entschlossen, ihn zum Gemahle anzunehmen. Weil sie aber der festen Meinung sei, daß Ehen, die man des Abends schließe, allemal unglücklich abliefen, so bitte sie ihn, er möchte mit der Zeremonie des Eheversprechens bis morgen früh warten. Sie versicherte ihm übrigens, daß sie ihren Schwestern nichts von der Sache entdecken wolle, und bat ihn endlich, er möchte sie ein wenig allein lassen, damit sie vorher an den Himmel denken könne. Hernach wolle sie ihn in eine Kammer führen, wo er ein schönes Bett finden würde, und dann wolle sie sich wieder bis an den Morgen in ihr Zimmer einschließen.
Fintrich, welcher eben nicht der beherzteste Mensch von der Welt war, da er sah, daß Finette ihren großen Hammer nicht aus der Hand ließ, denn sie wedelte beständig damit, wie man sonst mit einem Fächer tut, Fintrich, sage ich, ließ sich endlich den Vorschlag der Prinzessin gefallen und ging fort, um ihr Zeit zur Andacht zu lassen. Kaum war er weg, so lief Finette hurtig in eine Kammer, in deren Fußboden eine große Öffnung über einer Gosse war, welche man darunter angelegt hatte. Es war diese Kammer so rein wie andere Zimmer, aber sie war so eingerichtet, daß man darin alle Abfälle aus dem Schlosse durch dieses große Loch in die Gosse schütten konnte. Finette legte über diese Öffnung zwei dünne Stäbchen, machte ein schönes Bett darüber und ging hernach in ihr Zimmer. Bald darauf kam Fintrich wieder; die Prinzessin führte ihn dahin, wo sie das Bett für ihn gemacht hatte, und ging fort. Der Prinz, ohne sich auszuziehen, warf sich geschwind darauf. Die Schwere seines Körpers machte, daß die Stäbchen zerbrachen; er fiel tief in die Gosse, ohne sich helfen zu können, und bekam mehr als zwanzig Beulen am Kopfe und Wunden am ganzen Körper. Sein Fall machte ein großes Geräusch in der Gosse, und weil die Kammer nahe bei der Prinzessin Zimmer war, so konnte sie alsobald hören, wie glücklich ihre List abgelaufen war, und sie spürte eine heimliche Freude darüber, die in ihr ein äußerst angenehmes Gefühl auslöste. Man kann nicht das Vergnügen beschreiben, das sie empfand, da sie ihn unten im Kot herumplanschen hörte. Fintrich verdiente allerdings eine solche Strafe, und die Prinzessin hatte recht, daß sie sich daran ergötzte.
Inzwischen war doch ihre Freude nicht so groß, daß sie darüber ihre Schwestern vergessen hätte. Ihre erste Sorge war, sie zu suchen. Es wurde ihr nicht schwer, Babillarde zu finden, denn Fintrich hatte sie zwar eingeschlossen, aber den Schlüssel an der Zimmertür stecken lassen. Finette ging geschwind hinein, und das Geräusch, das sie verursachte, machte, daß Babillarde mit Schrecken aus dem Schlafe fuhr und sich kaum besinnen konnte. Finette erzählte ihr, auf welche Art sie sich von dem arglistigen Prinzen, welcher ihnen Gewalt antun wollte, befreit hatte. Babillarde erschrak über diese Nachricht, als ob der Blitz einschlüge, denn trotz ihres Mundwerkes war sie doch dermaßen einfältig, daß sie dem Fintrich alle Worte geglaubt hatte. Es gibt noch jetzt Jungfern in der Welt, welche ebenso einfältig sind. Inzwischen ließ sie sich doch die große Betrübnis, die sie darüber empfand, nicht anmerken, sondern ging mit Finette fort, um die dritte Schwester zu suchen. Sie durchsuchten alle Zimmer und Winkel des Schlosses, aber da war keine Nonchalante. Endlich fiel Finette ein, daß sie vielleicht im Gartensaale sein könnte. Sie eilten dahin, und dort fanden sie sie, halbtot vor Gram und vor Mattigkeit, weil sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Ihre Schwestern halfen ihr auf die nötige Weise, hernach erzählten sie einander alles, was vorgegangen war. Nonchalante und Babillarde hörten Dinge, darüber sie vor Schrecken des Todes hätten sein mögen. Endlich gingen sie alle drei schlafen.
Fintrich hingegen brachte in der Gosse eine sehr unruhige Nacht zu, und auch als es Tag wurde, war seine Lage noch wenig gebessert. Er stak in Höhlen, deren Abscheulichkeit er nicht recht sehen konnte, weil es niemals darinnen hell wurde. Endlich, nachdem er im stinkenden Schlamm lange fortgekrochen war, kam er an den Ausgang der Gosse, die in einen Fluß führte, der weit vom Schlosse entfernt war. Er schrie allda so lange, bis ihn etliche Fischer hörten, welche sich seiner erbarmten und ihn herauszogen.
Er reiste hernach, ohne sich lange aufzuhalten, wieder an seines Vaters Hof, um sich heilen zu lassen. Sein Mißgeschick gab ihm einen so schrecklichen Haß wider Finette, daß er fast nicht soviel an seine Heilung dachte als auf Rache sann.
Finette brachte unterdessen ihre Zeit sehr traurig zu. Die Ehre war ihr viel lieber als das Leben, und die schändliche Schwachheit, die ihre Schwestern gehabt hatten, machte sie fast untröstlich. Noch ärger wurde es, da diese beiden Prinzessinnen, wie es jungen Ehefrauen zu ergehen pflegt, anfingen, immer unpäßlich zu sein. Unterdessen nahm Fintrich, der listige Schelm, nach dieser Begebenheit alle seine Arglist zusammen, um ein Erzschelm zu werden. Die Gosse und alle seine Beulen und Wunden schmerzten ihn nicht so sehr, als daß die List der Finette über seine gegangen war. Er vermutete einigermaßen die Folgen seiner doppelten Ehe; um also die beiden Prinzessinnen in Versuchung zu führen, ließ er bei Nachtzeit Bäume mit den schönsten Früchten in Kästen unter die Fenster des Schlosses setzen. Nonchalante und Babillarde, weil sie immer aus den Fenstern sahen, bekamen alsobald großen Appetit, davon zu essen. Sie plagten Finette alle Augenblicke, sich im Korbe hinabzulassen und ihnen Obst zu holen. Diese Prinzessin war so gefällig gegen sie, daß sie es tat; und ihre Schwestern speisten die schönen Früchte mit großer Begierde.
Den folgenden Tag waren andere Sorten Obst unter den Fenstern zu sehen. Da war nun wieder neuer Appetit bei den Prinzessinnen, und Finette war wieder so gefällig als erst. Aber der Prinz Fintrich hatte nicht weit von den Bäumen Leute versteckt. Diese hatten Finette schon das erste Mal fangen wollen, waren aber zu spät gekommen, jetzt hingegen ergriffen sie sie und führten sie vor den Augen ihrer Schwestern fort, welche sich beide aus Verzweiflung die Haare rauften.
Diese Spione des Prinzen Fintrich machten ihre Sache so gut, daß sie mit Finette auf einem Landhaus, wo der Prinz sich heilen ließ, glücklich ankamen. Weil er im höchsten Grade wider sie ergrimmt war, sagte er ihr, da er sie vor sich sah, die entsetzlichsten Grobheiten, und sie beantwortete alles so standhaft und mit einem so edlen Mute, wie es einer solchen Heldin gemäß war. Nachdem er sie etliche Tage als eine Gefangene gehalten hatte, ließ er sie auf einen hohen Berg bringen, wohin er bald hernach selbst kam. Hier kündigte er ihr an, daß sie auf eine Weise sterben solle, die ihn für das, was sie ihm angetan, rächen würde. Er wies ihr mit grausamer Freude ein bereitstehendes Faß, das inwendig mit Federmessern, Schermessern und spitzigen Nägeln wie bespickt war, und sagte, daß er sie zur wohlverdienten Strafe darein stecken und hernach das Faß den Berg hinabrollen lassen wolle. Finette, ob sie gleich keine Römerin war, entsetzte sich doch über diese ihr bevorstehenden Martern ebensowenig als ehemals Regulus, da ihm fast das gleiche Schicksal vor Augen schwebte; sie behielt vielmehr ihre Standhaftigkeit völlig und sogar auch alle ihre Geistesgegenwart. Fintrich, anstatt ihren Heldenmut zu bewundern und sich dadurch rühren zu lassen, ergrimmte nur immer mehr wider sie und eilte, sie ums Leben zu bringen. In dieser Absicht bückte er sich nach der Öffnung des Fasses, um zu sehen, ob die mörderischen Waffen darin in recht gutem Stande waren. Finette, indem der Prinz aufmerksam hineinschaute, besann sich geschwind; sie steckte ihn Hals über Kopf ins Faß und rollte dasselbe, ehe er sich helfen konnte, den Berg hinab. Hierauf lief sie fort, so hurtig als sie konnte. Die Bedienten des Prinzen ließen sie laufen, weil sie schon seine Grausamkeit, die er an dieser liebenswürdigen Prinzessin ausüben wollte, mit heimlichem Widerwillen angesehen hatten. Überdies waren sie von so großem Schrecken gepackt, daß sie auf nichts anderes bedacht waren, als wie sie das Faß, das gewaltig fortrollte, aufhalten möchten. Aber ihre Mühe war vergebens. Das Faß rollte bis zum Fuße des Berges, wo sie ihren Prinzen, mit unzähligen Wunden bedeckt, herauszogen.
Das Unglück des Prinzen Fintrich schmerzte sowohl seinen Vater, den König Herzensgut, als auch seinen jüngeren Bruder, den Prinzen Augenlust. Aber die Untertanen bedauerten ihn nicht im geringsten, vielmehr haßten sie ihn deswegen noch stärker als vorher. Man konnte sich nicht genug wundern, wie der jüngere Prinz, der doch so edel und hochherzig gesinnt war, seinen nichtswürdigen Bruder so lieben konnte. Aber der Prinz Augenlust war von Natur so gutherzig, daß er allen seinen Blutsverwandten mit Liebe zugetan war; und Fintrich war auch jederzeit so schlau gewesen, sich so freundschaftlich gegen ihn zu stellen, daß dieser edelmütige Prinz sich ein Gewissen daraus gemacht haben würde, wenn er ihm nicht wieder die größte Freundschaft bezeigt hätte. Augenlust war also herzlich betrübt über die Verwundungen seines Bruders und tat alles, was in seinem Vermögen stand, damit er bald völlig geheilt werden möchte. Wie sehr sich aber auch jedermann darum bemühte, so wollte doch alles nichts helfen. Es schien vielmehr, als würden sich seine Wunden noch verschlimmern, damit er nur recht lange Qual ausstünde.
Die Prinzessin Finette, nachdem sie sich aus der schrecklichen Gefahr, in der sie geschwebt, befreit hatte, war unterdessen glücklich wieder im Schlosse, wo ihre Schwestern waren, angekommen. Allein es währte nicht lange, so ging ihre Not von neuem an. Ihre Schwestern brachten nicht lange hernach eine jede einen jungen Sohn zur Welt, welche der guten Finette zur nicht geringen Last gereichten. Dennoch ließ sie den Mut nicht sinken. Sie suchte auf alle mögliche Art ihrer Schwestern Ehre zu retten und entschloß sich daher, sich nochmals der Gefahr auszusetzen, ob sie gleich die Größe dieser Gefahr vollkommen einsah. Ihren Anschlag wohl auszuführen, wandte sie alle mögliche Behutsamkeit und kluge Vorsicht an. Sie verkleidete sich in eine Mannsperson, steckte die kleinen Prinzen in zwei Schachteln und machte Löcher darein, damit sie frei Odem holen konnten. Hernach setzte sie sich zu Pferde und packte diese beiden Schachteln nebst noch einigen anderen darauf. In diesem Aufzuge kam sie in der Hauptstadt des Königs Herzensgut an, wo Fintrich in der Kur lag.
Bei ihrer Ankunft in dieser Stadt erfuhr sie, daß alle Marktschreier aus ganz Europa sich allda versammelt hatten, weil der Prinz Augenlust die Heilmittel, die man für seinen Bruder brachte, so großzügig belohnte. Denn es gab schon damals eine Menge Abenteurer, welche nirgends zu Hause waren und nichts verstanden und doch vorgaben, sie hätten vom Himmel die wundertätige Kraft bekommen, alle Krankheiten zu heilen. Diese Leute, deren ganze Kunst bloß darin bestand, unverschämt zu lügen und zu betrügen, fanden gleichwohl viel Glauben beim Volke. Sie wußten den Leuten mit ihrem seltsamen Aufzug und ihren wunderlichen Namen, die sie sich zulegten, Blendwerk vorzuspiegeln. Solche Wunderärzte bleiben niemals in ihrem Vaterland, und statt aller Geschicklichkeit ist es für den Pöbel insgemein genug, wenn sie nur von weither kommen.
Die sinnreiche Prinzessin, nachdem sie von allen diesen Umständen genaue Nachricht eingezogen, gab sich einen Namen, welcher in diesem Reiche ganz fremd war, und nannte sich Doktor Sanatio. Sie ließ überall verkünden, daß der Herr Doktor Sanatio aus fremden Ländern angekommen sei und daß er wundertätige geheime Heilmittel wider die allergefährlichsten und bösartigsten Wunden besitze. Den Augenblick war ein Bote vom Prinzen Augenlust bei dem Herrn Doktor Sanatio. Finette kam. Sie spielte die Person eines Quacksalbers so schön als möglich, brachte etliche griechische und lateinische Kunstwörter mit galanter Art vor, so daß es nicht besser hätte sein können. Die Prinzessin, da sie vor den Prinzen Augenlust kam, erstaunte über dessen schönes Aussehen und angenehme Manieren, und nachdem sie etliche Zeit mit ihm über die Wunden des Prinzen Fintrich räsoniert hatte, sagte sie endlich, sie wolle eine Flasche mit gar vortrefflichem Lebenswasser holen. Unterdessen ließ sie ein paar Schachteln da, worinnen vorzügliche Salben für den verletzten Prinzen sein sollten.
Hierauf ging der vorgebliche Herr Doktor fort und kam nicht wieder. Nachdem man lange Zeit mit Ungeduld auf ihn gewartet hatte und ein Bote über den anderen nach ihm geschickt worden war, hörte man im Zimmer das Wimmern kleiner Kinder. Jedermann erstaunte darüber, weil man keine Kinder sah. Endlich strengte jemand seine Ohren an, und da zeigte es sich, daß das Geschrei aus den Schachteln des Quacksalbers kam.
In der Tat waren es die Neffen der Prinzessin Finette. Ehe sie mit ihnen in den königlichen Palast ging, hatte sie sie recht satt gemacht, jetzt aber, da schon etliche Stunden vorbei waren, wurden sie wieder hungrig und klagten mit Weinen ihre Not. Man öffnete die beiden Schachteln, und da fand man zum größten Erstaunen zwei artige kleine Knäblein darinnen. Der Prinz Fintrich erriet alsobald, daß dieses eine neue List von Finette war. Er geriet darüber in einen so grimmigen Zorn, daß seine Krankheit dadurch noch ärger wurde und daß jedermann bemerkte, wie er daran sterben würde.
Der Prinz Augenlust wollte sich vor Schmerz kaum zufrieden darüber geben. Aber Fintrich, welcher bis an sein letztes Ende ein Bösewicht blieb, sann nur noch darauf, wie er seines Bruders Liebe zu ihm mißbrauchen und dadurch Unglück stiften könne. »Mein lieber Bruder«, sagte er zu ihm, »du hast mich jederzeit sehr geliebt, und du betrübst dich, daß du mich verlieren sollst. Freundschaftsproben, die mir im Leben nützen könnten, habe ich nicht mehr nötig, ich muß sterben, aber wenn du mich jemals wahrhaftig geliebt hast, so schwöre mir, daß du tun willst, worum ich dich bitten werde.«

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