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Märchenbasar

Die Schöne durch Zufall

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Ein König von Astrachan starb und hinterließ zum Thronerben einen minderjährigen Prinzen, der unter die Vormundschaft seiner Mutter kam. Diese Königin hatte alle mögliche Zärtlichkeit für ihren Sohn. Sie ließ ihn niemals aus den Augen; er mußte sogar nah an ihrem Bett schlafen.
Da sie viel an Schlaflosigkeit zu leiden hatte, sorgte sie dafür, immer eine beträchtliche Anzahl Schlafmacherinnen von Profession an ihrem Hofe zu haben. Diese waren sehr gewandt in der Kunst, den Schlaf dadurch zu erregen, daß sie alle Teile des Körpers durch ein gelindes Reiben in eine angenehme Behaglichkeit versetzten und daß sie den Geist einschläferten, indem sie ihn durch die Erzählung aller Arten von Märchen, vorzüglich durch Feenmärchen, ablenkten.
Der kleine Prinz, in seine weichen Kissen versenkt, hörte aufmerksam zu und gewann diesen wunderbaren Geschichten so viel Geschmack ab, daß er sich den Tag über alles nacherzählen ließ, was er des Nachts, solange er schlief, versäumt hatte. Seine Begierde danach ward immer heftiger, so daß die Schlafmacherinnen endlich selbst kaum einen Augenblick des Schlafes genießen konnten und daß man sich auf allen Märkten Asiens beständig nach neuen Sklavinnen umsehen mußte, die einen frischen Vorrat von dieser Ware mit an den Hof bringen könnten. Kurz, er vergaß Essen und Trinken darüber.
Die Königin, die sich wegen eines so entschiedenen Geschmacks an Märchen dieser Art Sorgen machte und einsah, daß ihr Sohn eines ganz anderen Unterrichts bedürfe, bemühte sich, aber nur vergeblich, eine Leidenschaft, die ihm sozusagen mit der Muttermilch eingeflößt worden, zu unterdrücken oder ihr wenigstens dadurch die Nahrung zu rauben, daß sie die Schlafmacherinnen vom Hofe entfernte.
Was half es? Die jungen Hofleute vertraten bald ihre Stelle. Der Oberhofmeister selbst fing an, Märchen zu erzählen, um sein Ansehen nicht zu verlieren, und da alles dazu beitrug, den jungen Prinzen bei seinen falschen Vorstellungen zu erhalten, so ward in seinen Augen endlich die Natur selbst ein Zauberspiel.
Ein Mäuschen, das er umhertrippeln sah, hielt er für die gute kleine Maus, einen Papagei oder auch nur einen Grünspecht für den blauen Vogel, eine Schlange je nach ihrer Färbung für die grüne Schlange oder für die Fee Manto, ein altes verkrüppeltes Mütterchen oder einen schmutzigen Derwisch für Ürgande die Unerkannte oder den Zauberer Pandragon. Als er zum ersten Male das Springwasser einer Fontäne, die in einem seiner Gärten zur Zierde angebracht war, bemerkte, wollte er seinen Hofmeister bereden, sie hätten das tanzende Wasser gefunden.
Die ersten Verirrungen dieser Art hatten die Königin belustigt; als er aber in diesen Träumereien immer weiter ging, ward sie im Ernst unruhig. Es hatte ganz den Anschein, als würde er sich das Zeug so fest in den Kopf setzen, daß nichts es wieder daraus vertreiben könnte und man bald deutlich sähe, daß das Übel ohne Rettung sei.
Die Königin wollte ihren Sohn vermählen. Im Einverständnis mit dem Staatsrat hatte sie ihm die vorteilhafteste Heirat arrangiert. Er sollte Bellasire, die einzige Tochter und alleinige Erbin des Königs von Candahar, heiraten. Diese junge Prinzessin vereinigte alle Gaben des Geistes, der Seele und des Herzens mit den Vorzügen der auserlesensten Schönheit. Beide Familien waren bereits durch die Bande des Blutes verbunden; beide Reiche grenzten aneinander. Natur, Politik und Liebe schienen mit vereinigten Kräften diese Wahl getroffen zu haben. Wie groß mußte also die Überraschung der Königin sein, als ihr Sohn hartnäckig die Hand seiner reizenden Cousine ausschlug! Er hege, sagte er, die zärtlichste Freundschaft für sie, allein sie habe einen großen Fehler in seinen Augen. Sie sei keine Fee, und er habe einmal das Gelübde getan, keine andere als eine Fee zu heiraten.
»Prinz«, erwiderte die Königin hierauf, »ich wage es nicht, die Existenz der Feen überhaupt zu leugnen, allein ich bin doch von der Falschheit der Märchen, die man Euch vorerzählt hat, innig überzeugt. Ich behaupte jedoch, daß noch kein bekannter Monarch auf der Erde je eine von ihnen hat dahin bewegen können, sein Bett mit ihm zu teilen. Euer Stammbaum leitet den Ursprung Eures Geschlechtes in das entfernteste Altertum zurück, und doch haben alle Eure Vorfahren Sterbliche zu Gemahlinnen gehabt. Laßt also Eure Träumereien fahren! Erfüllt die Hoffnung Eurer Untertanen und schenkt ihnen einen zukünftigen Herrn und Eurem Geschlecht einen Stammhalter. Überlegt, daß Ihr Euch notwendig einen mächtigen Feind auf den Hals ladet, wenn Ihr die Anträge des Königs von Candahar von der Hand weist. Ihr habt gefährliche Nebenbuhler. Ich sage Euch das zur Warnung.«
Der Prinz schlug die Augen nieder. Die Königin überließ ihn seinen Betrachtungen und befahl dem Hofmeister ihres Sohnes, seinen Zögling dahin zu bestimmen, daß er die Hand annähme, die sich ihm so vorteilhaft anbiete. Der Hofmeister hielt es für das wirksamste, wenn er alle Gemeinplätze der Politik auskramte, allein der wortreiche Fluß seiner Rede ward bald gehemmt.
»Ich habe gar nicht nötig«, fiel ihm der Prinz ein, »meine Staaten zu vergrößern, sondern will eher diejenigen, die ich schon besitze, in blühenden Zustand versetzen. Hält gleich die Unfruchtbarkeit eines Teiles meines Reiches die Bevölkerung davon fern, so wird doch ein Schlag mit dem Zauberstabe allen diesen Mängeln abhelfen. In einem Nu werden Quellen aus dürren Sandwüsten hervorbrechen, und diese kahlen Berge, deren häßlicher Anblick jetzt die traurigsten Ideen erweckt, werden von prächtigen Wäldern geschmückt werden. Bezauberte Paläste werden mir, ohne meine Schätze zu erschöpfen, allenthalben nachfolgen, wo es mir gefallen wird, meinen Wohnsitz aufzuschlagen. Stählerne Mauern werden im Notfall die Grenzen meiner Länder beschützen, und welcher Feind wird es wagen, mich anzugreifen, wenn ich ihn mit Ungeheuern umringen und alle Elemente gegen ihn entfesseln kann?«
»Recht gut«, entgegnete der Hofmeister, »aber gesetzt auch, es wäre möglich, daß Ihr eine Fee zur Gemahlin bekämt, übertreibt Ihr nicht ihre Macht viel zu sehr? Schon die Geschichte verschönert die Begebenheiten, die sie berichtet, und gegen Märchen muß man noch mißtrauischer sein.«
»Es besteht kein Zweifel, Monsieur, daß die Feen allmächtig sind und daß ich eine von ihnen heirate, denn ich bestehe nun einmal darauf, und Ihr kennt meine Willenskraft. Überdies habe ich Euch ja sonst meine Ideen über diesen Gegenstand mitgeteilt, und Ihr fandet sie richtig und außerordentlich. Mit einem Wort, mein Entschluß ist gefaßt, meine Cousine möge den ihrigen fassen. Ich erwarte in diesem Palaste die Erscheinung der Feenprinzessin, die meinen Thron teilen soll. Läßt man mich jedoch nicht in Ruhe, so fliehe ich aus meinen Staaten und wandere durch die ganze Welt, bis ich sie finde. Überhaupt befremdet’s mich sehr, daß Ihr Euch jetzt meinen Plänen widersetzt, da Ihr sie sonst so ganz vortrefflich fandet.«
Der Hofmeister hatte kein reines Gewissen. Dieser kleine Vorwurf brachte ihn zu der Einsicht, daß das Gewerbe eines Schmeichlers früher oder später seine Unannehmlichkeiten hat. Beschämt, durch seine Vorstellungen nichts ausrichten zu können, ging er zur Königin und unterrichtete sie über die Gesinnung des Prinzen. Was für Vorwürfe machte sie sich nun selbst wegen der überspannten Erziehung, die sie ihm hatte angedeihen lassen, aber das Übel war nun einmal geschehen! Wie billig, maß sie sich die Schuld allein bei, und der Kummer, den sie darüber empfand, untergrub ihre Gesundheit und verkürzte ihre Tage. Sie starb. Ihr Sohn beweinte sie, doch war sein Schmerz nicht groß genug, um ihm seine Torheit aus dem Kopfe zu bringen. Kurz darauf ergriff er, unter dem Namen Kalilbad Chan, die Zügel der Regierung.
Der neue Monarch tat seine Thronbesteigung allen seinen Nachbarn und Bundesgenossen, vorzüglich aber Bellasires Vater, kund. Die Briefe an den König von Candahar und seine liebenswürdige Tochter erwähnten die im Werke gewesene Verbindung mit keinem Worte. Kalilbad schien darin ganz voll von seinem Schmerze, und das konnte ihm zur Entschuldigung dienen; doch weit entfernt, diese äußerst vorteilhaften, in seinem Namen angefangenen Unterhandlungen zum Ende zu bringen, hing er jetzt, da er keine Ermahnungen mehr zu fürchten hatte, dem Gedanken an seine phantastische Verbindung mehr als jemals nach. Indes, ehe er eine Fee heiraten konnte, mußte sie erst gefunden sein, und diese erste Schwierigkeit war gleich nicht leicht zu überwinden.
Er verirrte sich vorsätzlich auf der Jagd. Müdigkeit und Unbequemlichkeit waren der ganze Gewinn, den er davontrug. In der Tiefe der Höhlen fand er gefährliche Reptilien und wilde Tiere. Alle diese Begebnisse hatten seine Geduld, seinen Mut und seine Kräfte auf die Probe gestellt, ohne daß er irgendeinen anderen Vorteil davon gehabt hätte.
Endlich ward er es überdrüssig, so aufs Geratewohl herumzuschwärmen und sein Leben ohne Gewinn aufs Spiel zu setzen, und da er gehört hatte, die Gegenstände seiner Wünsche wären sehr lüstern nach Wohlgerüchen, ließ er auf der Stelle in einem entlegenen Saal seines Palastes einen Blumenaltar errichten, den er täglich mit frischen Blumen und Kräutern zierte und auf welchem er unaufhörlich die köstlichsten Hölzer aus Arabien und Indien verbrennen ließ. Der Duft dieser geopferten Spezereien war jedoch alles, was in dieser Art von Einsamkeit um ihn her war. Die Stärke desselben griff sein Gehirn an, ohne ihn nur einen Fingerbreit weiterzubringen. Auf einmal aber belebte eine Szene, die unter den Fenstern seines Zauberkabinettes vorging und ihm der äußersten Aufmerksamkeit würdig dünkte, seine Hoffnung von neuem.
Die Fenster des Saales gingen auf eine abgelegene Straße. Ihnen gegenüber hatten sich zwei alte Weiber in Lumpen unter ein hervorstehendes Dach begeben, in der Absicht, sich vor dem Regen zu schützen. Sie saßen da auf zwei großen Steinen und hülsten Bohnen aus. Sie erkannten ihren Monarchen hinter dem Fenster und bemerkten die sichtbare Aufmerksamkeit, mit der er sie beehrte.
Ihnen war, wie dem ganzen übrigen Volke, seine fixe Idee bekannt. »Sieh«, sagte Cancrélade zu Mophétuse – so hießen die beiden Weiber -, »sieh einmal, wie der König auf uns sieht. Wenn er uns für Feen hielte, das wäre doch drollig. Komm, hilf mir, wir wollen ihm einen Schnickschnack vormachen, der ihm den Kopf wenigstens auf einen Tag verdrehen soll. Biege die beiden letzten Finger der linken Hand unter den Daumen. Richte die beiden anderen in die Höhe und lege sie auf den Mund. Mach die Augen zu. Strecke von dort, wo du stehst, deine rechte Hand, mit der Handfläche nach oben oder unten, gegen mich aus. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, indem ich einen Finger in die Höhe halte, stehst du auf und läßt die Hände herunterfallen. Wenn ich aufstehe, mußt du dich niederhocken. Dann reichst du mir beide Hände gefaltet hin, und ich binde sie mit einer Binse, die ich aus unserem Korb ziehe. Du bläst dreimal auf das Band, und ich lasse es fallen. Weiter wirfst du mitten auf die Straße drei Handvoll Hülsen, eine zur Rechten, eine zur Linken, eine gerade vor dich hin. Eben das tu ich mit drei Handvoll Bohnen. Du drehst dich einmal rechts, dann links. Ich mach es ebenso. Ich zertrete mit meinen Füßen deine Hülsen, du meine Bohnen. Hierauf umarmen wir uns, gehen zusammen fort und tragen, jede mit einer Hand, unseren Korb. Das muß alles hurtig, ungezwungen geschehen, ohne einen einzigen Blick nach dem Fenster zu werfen. Tut uns unser Herr den Gefallen und sieht zu, was wir machen, wer weiß, was uns das für die Zukunft nützen kann.«
Die beiden alten Weiber spielten ihre Szene wie Frauenzimmer, die von Jugend auf zu Taschenspielerkünsten abgerichtet wurden. Kalilbad sah ihnen mit so angestrengter Aufmerksamkeit zu, daß ihm beinahe der Atem stockte. Die Gauklerinnen waren schon lange verschwunden, als er noch immer, in Betrachtungen und Vermutungen vertieft, am Fenster stand und starr auf den Platz hinblickte, wo er sie gesehen hatte.
Glücklicher Kalilbad! sagte er sich, endlich sind die Feen so gütig gewesen, sich dir zu zeigen. Ihre Häßlichkeit und ihre elenden Lumpen dürfen dich nicht täuschen. Alles, was sie hier vor dir in dieser schmutzigen Verkleidung vornahmen, schließt tiefe Geheimnisse in sich. Warum hast du ihnen nicht nachgeschickt? Doch zweifellos wären sie verschwunden, und du hättest dein und ihr Geheimnis verraten können. Verdiene durch Diskretion und Zurückhaltung ihr ganzes Vertrauen. Ohne Zweifel werden sie sich schon wieder sehen lassen. Sie machten Zeichen, diese mußt du studieren. Ganz gewiß enthalten sie Winke über die Art und Weise, wie du mit ihnen umgehen sollst, und stellen ein Verzeichnis der schmeichelhaften Hoffnungen vor, von denen sich deine Leidenschaft nähren darf. Ich will doch über die Sache ein wenig nachdenken: Zwei Finger auf dem Munde scheinen Verschwiegenheit anzuraten. Die vorgestreckte Hand bedeutet Vorsicht, Zurückhaltung … Das Band aus einer Flechte trockenen Schilfes ist eine leichte Fessel. Wenn man dreimal darauf bläst, zerreißt sie … Das gibt viel Stoff zum Nachdenken. Da die eine aufstand, hockte sich die andere nieder. Man muß einander wechselweise nachgeben. Das erklärt sich ganz von selbst. Aber was bedeuten die Hülsen, die zertretenen Bohnen? Halt, ich glaube, ich hab’s! Überlaßt mir Eure Feinde, ich übergebe Euch die meinigen. Wir wollen sie nicht schonen. Doch vielleicht liegt ein tieferer, edlerer Sinn darunter verborgen. Ich muß weiter darüber nachdenken. Sich rechts drehen, links drehen, dann wiederkommen, sich umarmen … Ich glaube, ich hab’s gefunden: Eine Fee hat ihre Geschäfte, ich habe die meinigen. Jedes geht seinen eigenen Weg. Man hängt einander nicht fortwährend am Halse, mit desto größerem Vergnügen sieht man sich wieder. Indes trägt man mit zwei Händen den Korb mit zwei Griffen – das Bild einer vollkommenen Ehe, in der man die Beschwerden zu gleichen Teilen trägt. Es müßte wunderlich zugehen, wenn ich nicht die rechte Bedeutung all der Zeichen getroffen haben sollte, und hab ich sie getroffen, so hab ich zugleich die Auflösung des ganzen Rätsels.
Drei ganze Tage brachte Kalilbad in solchen Träumen zu und fing schon an, ungeduldig zu werden, daß nichts Neues vorfiel, als die alten Weiber, nur in einem noch seltsameren Aufzug, wieder den Schauplatz betraten.
Eine von ihnen, und zwar Cancrélade, stützte sich auf einen gabelförmigen Stock. Die andere ließ ihr Kastagnetten um die Ohren klappern. Sie ließen sich auf denselben Steinen nieder.
Cancrélade steckt ihren Stab, die Gabel nach unten, in die Erde. Mophétuse will ihn herausziehen. Cancrélade zieht ein Pfeifchen aus ihrer Tasche, entlockt ihm dreimal einen spitzen Ton, und der Stab bleibt an seiner Stelle. Dieses läppische Possenspiel wird dreimal wiederholt. Ihm wäre irgendein neuer Zigeunerbrauch gefolgt, denn die Damen gehörten dieser ehrenwerten Kaste an, allein Kalilbad verliert die Geduld. Der Kopf dreht sich ihm vom Nachsinnen: Diese Geheimniskrämerei bringt ihn zur Verzweiflung. Das Abenteuer soll sich nunmehr auflösen und klären.
Er geht eiligst aus dem Kabinett der Wohlgerüche und befiehlt einem Pagen, die beiden Weiber von dem Platze, den er ihm beschreibt, herzubringen. Der Page gehorcht. Kalilbad wirft unterdessen mit verschwenderischer Hand neue wohlriechende Substanzen in die Flamme und bringt die Blumen, die den Altar schmücken, in die schönste Ordnung.
Der Page hat seinen Auftrag ausgerichtet. Die Weiber folgen ihm, ohne zu zögern, und werden in das geheimnisvolle Kabinett eingelassen, dessen Tür sich hinter ihnen schließt.
»Ich weiß, wer Ihr seid, meine Damen«, redete sie Kalilbad nach einer tiefen Verbeugung an. »Diese angenommene Verkleidung kann Euch nicht unkenntlich machen. Was bewegt Euch, Eure himmlische Schönheit, Eure ewige Jugend unter der ekelhaften Maske der Häßlichkeit und des hinfälligen Alters zu verstecken? Seht hier den Altar, dessen Schmuck täglich zu Eurer Ehre erneuert wird, wo ich mit einem gänzlich ergebenen Herzen Euch die Macht und die Schätze anbiete, die nach dem Willen des Schicksals in meine Hände gefallen sind. Sind meine Wünsche nun nicht allzu kühn, schließen sie nichts in sich, das Euch beleidigen könnte, so geruht, statt mir Euren Willen nur dunkel durch Zeichen zu verstehen zu geben, dem glücklichen Kalilbad kundzutun, welchen Preis Ihr auf die Verbindung mit Euch und die besondere Gunst setzt, die er von Euch erwartet.«
Cancrélade nahm das Wort: »Sire, Euer Kabinett ist sehr artig und riecht recht gut. Eure Absichten sind honett und uns sehr angenehm. Gern wollten wir uns Euch auf der Stelle so zeigen, wie wir sind, es wäre nichts dabei zu verlieren, weder für uns noch für Euch, allein wir können uns den Menschen nicht anders als mit außerordentlicher Vorsicht auf eine gewisse Art mitteilen. Ehe sie die höchsten Vollkommenheiten, die wir in uns vereinigen, genießen können, müssen sie vorher die Gegenstände des Ekels ertragen haben, mit denen der Wille des Schicksals unsere erste Erscheinung für sie verschleiert hat. Mit einem Wort, Sire, stellt Euch eine Rose vor, deren Duft Ihr erst einatmen dürft, wenn Ihr die Dornen, die sie schützen, hinweggeräumt habt. Merkt wohl auf das, was ich Euch sage. Bis jetzt haben wir nur das Gesicht, den am wenigsten empfindlichen Sinn von allen, beleidigt, wie würde Euch wohl zumute sein, wenn auch die übrigen völlig empört würden? Und doch würdet Ihr dabei immer noch von Glück sagen können, daß wir uns Euch nicht in Gestalt von Klapperschlangen, Krokodilen, Drachen oder Hydren näherten. Wißt Eurem Eifer, unserer Güte und der Gunst des Schicksals dafür Dank, allein bereitet Euch auch vor, allen nur vorstellbaren Ekel zu überwinden, wenn Ihr zu jenen Genüssen gelangen wollt, deren ein Sterblicher nie satt werden kann.«
»Ach, Madame«, rief Kalilbad, bezaubert von einer Rede, die so vollkommen mit den Ideen, mit denen man ihm den Kopf vollgestopft hatte, übereinstimmte, »ich blicke durch den Nebel hindurch, unter dem es Euch gefallen hat, meinen Augen zu erscheinen. Ich ahnte die bewunderungswürdigen Schönheiten Eures Körpers, die einzig mit denen des Geistes vergleichbar sind, der die herrliche Rede eingeben konnte, die ich eben vernommen habe und aus der so viel Weisheit hervorleuchtet. Fürchtet nichts von der Empörung meiner Sinne gegen die Stärke meiner Überzeugung. Sie wird sie gewiß zu dämpfen wissen.«
»Wir müssen Euch gestehen, Fürst«, antwortete Cancrélade, »wenn wir jetzt so selten unter den Menschen erscheinen, liegt der Grund einzig in ihrem Mangel an Mut und Beharrlichkeit. Der geringste Ekel, das leichteste Hindernis hält sie zurück, und sie sind sogar so sonderbar, daß oft der Mangel an Schwierigkeit macht, daß sie eine schöne Unternehmung, die sie angefangen hatten, wieder aufgeben. Eure Gesinnung und Anlage verdienen von unserer Seite mehr Vertrauen. Indes will ich Euch nicht verheimlichen, daß wir uns dadurch, daß wir Euch auf die Probe stellen, einer großen Gefahr aussetzen. Verließe Euch der Mut auf halbem Wege, so würden Eure Hoffnungen auf ewig verschwinden. Ihr würdet Euch einer harten Strafe und uns dem Gelächter des Dschinnistan aussetzen. Wir wären dann überführt, uns Euch unvorsichtigerweise preisgegeben zu haben, und es würde uns auf immer verboten werden, uns je wieder einer Mannsperson zu nähern, und Ihr wißt, wie unerträglich jedes Verbot einer Person von unserem Geschlecht ist. Demungeachtet, Sire, wollen wir uns der Gefahr unterziehen; unsere Neigung, vielleicht auch unser Stern, zwingen uns, uns in das Abenteuer zu stürzen. Nach drei Tagen, beim Anbruch der Nacht, wird der Page, der uns geholt hat, uns beide an der Türe Eures Palastes finden, die auf die Straße führt, wo wir Euch die beiden Male erschienen sind. Bereitet hier in diesem Kabinette, wo wir jetzt sind, das Brautbett. Wir verachten alle Arten von Luxus. Euer Altar mit frischen Blumen geschmückt, Eure Wohlgerüche, das sind diejenigen von Euren Gaben, die uns angenehm gewesen sind. Ihr könnt sie verdoppeln, ohne befürchten zu müssen, des Guten zuviel zu tun. Wir sind in Wohlgerüchen geboren. Ganz unten in die Türe Eures Kabinettes laßt ein Loch bohren, aber höchstens so groß als eine Haselnuß: Wir werden dann beide, eine nach der anderen, den kleinen Finger durchstecken. Untersucht sie genau, und wenn Eure Wahl getroffen ist, wird dann auch Hand und Herz dem Finger folgen, dem ihr den Vorzug erteilt habt. Es versteht sich, daß der Trauring fertig und bei der Hand sein muß. Ein kleines Kästchen von Ebenholz enthalte die Geschenke, die Galanterien, die Ihr Eurer künftigen Gemahlin bestimmt, die Krone nicht zu vergessen. Sie muß klein und ganz aus Diamanten sein; wir können keine andere tragen. Legt das alles auf das Kopfkissen. Das Licht darf nicht länger brennen, als es für Eure Wahl nötig ist. Sobald Ihr Euch entschieden habt, so blast hurtig, hurtig dreimal, daß Ihr Eure Chance ja nicht verpaßt, denn die Zauberer sind sehr boshaft und eifersüchtig. Wenn Ihr uns nicht in der allerdichtesten Finsternis empfangt, setzt Ihr Euch selbst der größten Gefahr aus.«
Der König von Astrachan verspricht, alles auf das genaueste zu erfüllen. Die Zigeunerinnen entfernen sich. Der Page, der am Eingange des Kabinettes stehengeblieben ist, erstaunt über den respektuösen Ton, in dem sein Gebieter mit ihnen spricht, und führt sie durch die Türe des Palastes, durch welche er sie hereingebracht hat, wobei er nicht versäumt, die Augen fest zuzumachen, die Schultern einzuziehen und sich die Nase mit dem Schnupftuch fest zu versperren.
»Das hast du herrlich gemacht!« sagte Mophétuse zu Cancrélade, sobald sie glaubten, reden zu können, ohne gehört zu werden.
»Oh, liebe Freundin«, erwiderte Cancrélade, »merktest du nicht, wie er alles so begierig verschlang? Ich konnte nicht zuviel sagen, wenn ich das kleine Kästchen von Ebenholz packen wollte. Doch wir müssen immer noch sehr vorsichtig dabei zu Werke gehen. Was mich beruhigt, ist, daß der König keine so feine Nase zu haben scheint als sein Page. Überdies umgibt er sich mit so vielen Odeurs, daß wir von der Seite wirklich nicht viel zu befürchten haben. Da wir aber, dem Gerede in unserer Gegend zufolge, nicht wie Balsam riechen sollen, müssen wir unsere Zuflucht zur Kunst nehmen. Unsere Kleider sind, wenigstens zur Hälfte, an dem Gestank schuld, über welchen man sich beklagt. Wir werden also gebadet, geseift und nackt ins Kabinett gehen, das Hemd ausgenommen, das aber vorher gereinigt und parfümiert werden muß, wozu wir wenigstens einen Scheffel Wacholder brauchen werden.«
»Ja, aber wo ist denn das Hemd?« fragte Mophétuse. »Wir haben ja beide zusammengenommen nur zwei Hemden, und die sind obendrein zerrissen.«
»Sei still«, sagte Cancrélade, »du hast auch gar keinen erfinderischen Kopf. Aus zwei alten Hemden macht man ein neues, das soll unser kleinster Kummer sein. Aber wo nehmen wir den Finger her, der sich mit Ehren durch das Loch zeigen kann? Meinst du etwa deinen? Ja, wenn er nicht grindig und schuppig wäre wie der ganze Arm. Da, sieh meinen! Ich hab ihn immer geschont, weil ich Gitarre damit spiele. Wir beschneiden den Nagel, machen ihn schmaler, ein bißchen Rot, ein bißchen Weiß aufgetragen, und es muß ein Fingerchen werden, nach dem ein Kaiser lüstern werden könnte. Sobald Kalilbad dieses reizende Kleinod zu Gesichte bekommen hat, wird er gewiß keinen zweiten sehen wollen. Schlimmstenfalls kann man ja mit der Spitze der Zunge leicht eine kleine Änderung vornehmen und ihm denselben Finger noch einmal zeigen. Übrigens neide mir mein Glück nicht. Ich schwebe in keiner geringen Gefahr. Habe ich aber nur das kleine Kästchen in den Händen, so gehört es uns beiden, und wir teilen die Krone redlich.«
Mophétuse überließ die erste Rolle ihrer Kameradin, deren Überlegenheit des Talentes sie anerkannte, und beide arbeiteten gemeinschaftlich an den Vorbereitungen.
Die drei Tage schleichen für den ungeduldigen König von Astrachan sehr langsam dahin. Ihm kommen sie so lang vor als drei Jahre. Endlich nähert sich die so sehr erwünschte Stunde. Blumen und Wohlgerüche sind auf seinen Befehl verdoppelt worden. Die Nacht hat bereits ihre schwärzesten Schleier ausgebreitet, und der Page kommt und meldet, die Weiber, die er bestellt habe, wahrscheinlich um sich von ihnen wahrsagen zu lassen, seien da.
»Mir wahrsagen zu lassen, Yanqua«, ruft er aus. »Du irrst dich. Sie verkünden mir mein Glück nicht, sie selbst machen mich glücklich. Führe sie zu dieser Tür und entferne dich dann, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Dein Glück, dein Leben hängen davon ab, ob du gehorchst oder nicht.« Der Page richtet ohne Widerrede den Befehl aus, den er erhalten hat.
Die Weiber sind an der Türe und pochen dreimal leise an, ihre Ankunft zu melden. Kalilbad antwortet durch drei gleiche leise Schläge.
»Seid Ihr da, Sire?« fragt eine sachte, gedämpfte Stimme.
»Ja, ich bin hier, schöne Feen«, antwortete Kalilbad mit bewegter Stimme, die sein Entzücken ausdrückt.
»Gebt wohl acht, Fürst«, sagt die Stimme von draußen. »Der kleine Finger wird sich zeigen. Fort! durch … durch … durch, kleiner Finger!« Und so kam der kleine Finger nach dreimaligem Absetzen durch die Öffnung.
Der König von Astrachan stürzt hinzu, den Bauch auf der Erde, um desto genauer beobachten zu können, was durch das kleine Loch in der Tür zutage treten würde. Er bewundert die herrliche Weiße des Fingers und an der Spitze desselben die Rosenfarbe, die so schön gemalt war, so schön glänzte, daß man ihn für beseeltes Porzellan hätte halten können. In seinem Entzücken, im ersten Taumel hätte er das kleine Meisterstück gern mit Küssen bedeckt und verschlungen, zum Unglück aber konnte er nur mit der Nase an die Stelle kommen, wo es sich befand.
»Seid Ihr zufrieden?« fragt zärtlich die Stimme von draußen.
»Bezaubert!« antwortet die Stimme von drinnen.
»Nun wohl, Sire, wollt Ihr glücklich sein, so löscht … löscht … löscht auf der Stelle das Licht aus.«
»Lösch … lösch … lösch aus, Licht!« ruft Kalilbad, indem er die Wachskerze ausbläst als Beweis seines Gehorsams, wobei er sorgsam darauf bedacht ist, gleich bei seiner ersten Unterhaltung zu zeigen, daß er wohl imstande ist, die Sprache der Feen zu sprechen.
»Macht die Türe auf!« sagt zärtlich die Stimme von draußen.

»Seid unverzagt!
Drogadan verjagt,
Bevor es tagt!«

Kalilbad öffnet die Türe, packt ein weibliches Geschöpf im Hemde, das ihm in die Arme läuft, und die Alte, nachdem er sie zum Bett getragen hat, als wäre sie ein Geist – und so leicht war sie wirklich -, sieht letzten Endes auch so aus.
Das Übermaß an Vorurteil kann einen Zauber ersetzen, die großherzige Jugend sich unbegreiflichen Täuschungen hingeben, allein ein Augenblick der ruhigen Überlegung folgt immer nach. Kalilbad wird bald in die Lage versetzt, Betrachtungen anstellen zu können, und gegen seinen Willen sind sie doch sehr unangenehm: An was für einer Hand mag wohl der reizende Finger sitzen, dessen Anblick mich in einen so süßen Taumel versetzte? Und er ergreift die Hand, die sich eben auf das Kopfkissen verirrt, das Kästchen in Sicherheit zu bringen. »Was macht Ihr da?«
»Ich untersuche«, antwortet eine ängstliche Stimme, »ob die Bedingungen erfüllt sind.«
»Das ist«, stößt Kalilbad zwischen den Zähnen hervor, »eine Beschäftigung, die mir fast so sehr mißfällt wie alles übrige.«
Hier fängt die Alte an, den Ausgang der Sache zu fürchten. Es verbreitet sich ein Geruch, den der des Wacholders nicht übertreffen kann. »O Himmel, was ist das für ein abscheulicher Gestank!« ruft er aus. »Das ist ja nicht auszuhalten. Entweder haben mich die Feen zum besten, oder ich lasse mich von mir selbst und den beiden alten Vetteln anführen. Laßt sehen!«
Er springt aus dem Bett. Er hatte sein Wort gegeben, die Damen in der Dunkelheit zu empfangen, und es auch wirklich gehalten. Aber aus Vorsicht für sich selbst und ohne im geringsten die Absicht zu haben, sein Vergnügen beleuchten zu wollen, hatte er eine Lampe mit drei Dochten unter einer großen chinesischen Vase verborgen. Er hebt den Deckel auf und erblickt das häßlichste Schauspiel der Natur. Da ist die Alte, unbeweglich, halb ohnmächtig, und das kleine Stückchen des geschminkten Fingers ist am Ende dieses abgemagerten Armes, der sich des Kästchens hatte bemächtigen wollen. Der ekelhafte Geruch ward immer stärker um dieses scheußliche, fast entseelte Geschöpf.
»Abscheuliches Ungeheuer!« ruft er mit Entsetzen aus, »du bist keine Fee, du bist eine Stallmagd des Daggial.« Mit diesen Worten eilt er nach einem Fenster, reißt es hastig auf, ergreift die Alte und wirft sie mit so leichter Mühe, als wäre sie eine Feder, zum Fenster hinaus. Kaum hat sie Zeit und Kräfte genug, ein paar Schreie auszustoßen.
Sowie er sich diesen eklen Gegenstand aus den Augen geschafft hatte, verließ er auch das Kabinett, das ihm durch den Geruch und die Erinnerung an sein verdrießliches Abenteuer auf einmal unerträglich geworden war. Er legte sich in einem benachbarten Zimmer auf eine Ottomane und versuchte, einige Ruhe zu genießen. Glücklicherweise hatte er die vorigen Nächte so wenig geschlafen und war in ständiger Aufregung wegen der Vorbereitungen auf diese Nacht, die er niemand hatte anvertrauen wollen, daß die Müdigkeit über den Verdruß siegte und ihn auf der Stelle in den tiefsten Schlummer senkte.
Die Alte verdiente ihr böses Schicksal. Der Natur der Sache nach hätte sie aus einer Höhe von dreißig Fuß auf einen sehr harten Boden fallen müssen, allein wie es scheint, findet der Zufall ein Vergnügen daran, Geschöpfe dieser Art in der Luft aufzufangen, um zu verhindern, daß sie den Hals brechen. Sie war kaum sechzehn Fuß über dem Boden, auf dem sie zerschmettert worden wäre, als der Zweig eines Baumes sie am Hemde aufhielt. Da schwebte sie, und zwar in einem solchen Gleichgewicht, daß man hätte glauben können, sie schwimme in der Luft. Es wehte eben ein so ungestümer Wind, der den ganzen Baum erschütterte, und das ächzende Skelett, das jedem Windstoß nachgab, stellte die fürchterlichste Vogelscheuche vor, die man nur zur Verteidigung irgendeines Gartens hätte aufstellen können.
Die scheinbare Unordnung in der Natur hat sehr oft einen gewissen Nutzen, den wir aber unmöglich zu bemerken vermögen. Der ungestüme Wind, der die Alte hin und her schaukeln ließ, führte in größter Geschwindigkeit aus dem Innern von Persien zwei Feen nach Astrachan, die eben den einzigen Sohn eines Fürsten von Georgien und Irimette dem Schwert der Meuchelmörder entrissen hatten, unter welchem sein Vater und der Rest der Familie unglücklicherweise gefallen waren. Das kleine Kind hatte die Reise ohne Frühstück antreten müssen, und die Damen hatten nicht einmal eine Dose mit Zuckerwerk bei sich.
Chéridiane, die vornehmere von beiden, sagte zu ihrer Schwester: »Wir wollen hier etwas verweilen. In dem Obstgarten, der an den Palast des Königs von Astrachan grenzt, ist ein Apfelbaum, der herrliche Früchte trägt. Sie müssen jetzt reif und unserem Kinde eine angenehme Erfrischung sein.« So sprach sie und auf ihren Befehl senkte sich die Wolke und streifte die Umfriedungsmauern des Gartens. Bei Tag und Nacht sehen die Feen, und zwar ohne Brille, sehr weit. »Was erblicke ich?« sagte Chéridiane. »Ich sehe ein Gespenst, das um den Apfelbaum schleicht. Will es ihn verderben? Will es ihn berauben? Aber nein, es schleicht nicht umher: Es kommt, es geht, es steigt nicht, es sinkt nicht. Hier ist etwas Außerordentliches im Spiel. Wir wollen anhalten und unser Buch zu Rate ziehen.« Die Damen machten sich ans Studieren und vernahmen die ganze Geschichte des Königs von Astrachan. Schon seit langer Zeit hatten sie von seiner Torheit reden hören und ihn immer bedauert.
»Hier können wir«, sagten sie, »zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ohne seine Grille würde dieser Fürst gewiß sein ganzes Volk beglücken. Wir wollen ihm eine gute Lehre geben und ihm beibringen, nicht ohne Überlegung allen Märchen zu trauen, die man ihm erzählt. Um eine von uns zu heiraten, die nicht wissen würde, was sie mit ihm machen sollte, schlägt er die Hand einer reizenden Prinzessin aus, die ihn liebt. Erst wollen wir diese Verbindung zustande bringen und dann unseren kleinen Prinzen von Georgien in die Hände dieses neuen Paares geben, das so trefflich zusammenpaßt. Auf diese Weise verschaffen wir ihm eine gute Erziehung und eine sichere Stütze. Unterdessen wollen wir uns ein wenig auf Kosten des Königs und dieser alten Vettel belustigen. Wir werden freilich eine Reise nach Candahar tun müssen, doch das ist eine Kleinigkeit.« Sowie die Damen diesen Entschluß gefaßt hatten, machten sie sich sogleich ans Werk und beschäftigten sich die ganze Nacht damit.
Der Tag bricht an, und die aufgehende Sonne schickt ihre Strahlen dem Kalilbad Chan genau ins Gesicht, so daß er davon erwacht. Der Verdruß über den demütigenden Auftritt mit der Alten steigt in seiner Erinnerung auf, macht ihn zornig, verursacht ihm Übelkeit, aber ihm fällt ein, daß er den Handel mit einem Mord geendigt hat, denn er zweifelt nicht daran, daß die Alte in tausend Stücke zerschmettert worden ist. Kann er gleich den Gewissensbissen wegen dieser seiner so unwürdigen Tat nicht entgehen, so muß er wenigstens alle Spuren derselben vertilgen. Sie könnten das Publikum von einem Abenteuer benachrichtigen, dessen Auflösung ihm zur Schande gereichen würde.
Zitternd naht er sich dem Fenster, durch welches er die Alte so hastig hat fliegen lassen, und sieht sich im Garten nach ihr um. Man denke sich sein Erstaunen, als er statt eines Leichnams einen prächtigen Pavillon von weißem Samt erblickt, der an den Zweigen des Apfelbaumes befestigt ist. Eine Aigrette von prächtigen Straußenfedern überragt die Spitze des Pavillons. Goldene Quasten, aus glänzenden Kantillen verfertigt, hängen an jeder der Schnüre, und diese erhabene Metallstickerei blitzt sogar außen an dem prächtigen Zauberwerke.
Kalilbad stürzt in den Garten. Hinter den Vorhängen, die an Reichtum und Eleganz die Pracht der äußeren Wände weit übertreffen, erblickt er eine schlafende Schöne, deren Reize zu vergleichen sind mit dem, was er bis jetzt an Vollkommenstem gesehen hat. Eine schnelle, unwillkürliche Bewegung wirft ihn zu den Füßen dieses Wunders nieder. Nun fällt ihm wieder ein, was ihm die Alte zu wiederholten Malen gesagt und eingeschärft hatte, um ihn gegen den untreuen Bericht seiner sämtlichen Sinne mißtrauisch zu machen.
»Unglücklicher Kalilbad!« ruft er aus, »man wollte dich glücklich machen, allein du warst es nicht wert. Du hast nicht einen Augenblick des Ekels überwinden können! So abscheulich er war, so war er doch nur vorübergehend. Sie ließ den Rest ihrer sterblichen Hülle in deinem Bett, um sie gegen ihre himmlische Gestalt zu vertauschen, und du, Unglücklicher, wirfst in deiner Wut, deiner Narrheit dieses schönste Meisterstück des Himmels, dessen Genuß dir vorbehalten war, zum Fenster hinaus. Öffnet die Augen, schöne Beleidigte!« sagt er, indem er sich gegen die Schläferin wendet, »seht die Tränen, die Verzweiflung eines unglücklichen Fürsten, der bereit ist, sein Blut zu vergießen zur Büßung der Beleidigung, über welche Ihr Euch beklagen müßt.«
Auf dieses Geschrei Kalilbads hin laufen die Gärtner aus allen Teilen des Gartens, wohin ihre Geschäfte sie gerufen hatten, zusammen. Sie begreifen nicht, zu welchem Nutzen und wie ihr Monarch im Zeitraum von einer Nacht einen so prächtigen Pavillon errichten lassen konnte, was er für Gründe haben mag, so bittere Klagen auszustoßen, und wer die schöne Dame, an die sie gerichtet sind, ist und woher sie gekommen sein mag?
Doch keinerlei Bestürzung reicht an die von Cancrélade, denn sie selbst ist es, die die Feen mit all dieser Pracht umgeben und mit dem glänzendsten Firnis überzogen hatten, der jemals aus den Schätzen der Schönheit und aus den Quellen des Jungbrunnens gekommen war.
Mit Erstaunen betrachtet die Alte ihre Hände, legt sie auf ihre Brust, wo sie Locken von dem schönsten aschblonden Haar findet, dessen Glanz mit dem Schimmer der Perlen um den Vorzug streitet. Da sie die Revue fortsetzt, bemerkt sie an ihrem Gürtel einen Spiegel, besetzt mit Saphiren, sieht hinein und erblickt eine entzückende Schönheit.

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