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Die Männer von Cogolo

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In Cogolo, einem Dorfe am Fusse des Gebirges, wo die Strasse in die sette communi führt, war eine neue grössere Kirche erbaut worden. Sie war zur vollen Zufriedenheit der Einwohner ausgefallen, aber noch stand der alte Glockenthurm, der an Umfang und Höhe wohl zur frühern kleinen Kirche passte, aber nicht zum neuen, stattlichen Gotteshause. Da versammelten sich denn die Männer von Cogolo, zu berathschlagen, wie diesem Uebelstande könnte abgeholfen werden, und natürlich fand sich, dass nichts anderes zu thun sei, als den alten Thurm abzubrechen und einen neuen, grössern dafür aufzubauen. Das aber wollten sie auch nicht, denn der Bau der Kirche hatte ihnen viel gekostet, und Geld war daher in der Gemeindekasse nicht vorhanden. Da sprang der schlecht bezahlte, aber pfiffige Schulmeister auf und sprach: »Ihr Männer, wollt ihr den Thurm grösser haben, so gebt ihm zu fressen, und ich stehe euch dafür, er wird an Grösse und Dicke zunehmen. Seht nur unsern Pfarrer an, der als mageres Pfäfflein hieher kam und jetzt ein stattlicher Mann ist, und was einem Pfarrer so gut anschlägt, sollte das einem Kirchthurm übel bekommen?« Dieser Vorschlag fand einstimmigen Beifall und man machte sich alsogleich ans Werk. Was nur jeder zu Hause an Salami und andern Würsten aufzutreiben im Stande war, schleppte er herbei und so behängte man denn in wenig Stunden den armen Thurm der Länge und Breite nach, dass er mehr dem Laden eines Wursthändlers (casolino) als einem Kirchthurm gleich sah; aber nachts nahm der Schulmeister die ganz oberste Wurstreihe weg, so dass das Mauerwerk des Thurmes hervorstand und die Männer von Cogolo, als sie am andern Morgen nachzusehen kamen, voll Freude waren. »Seht«, riefen sie, »der Thurm hat schon angefangen zu fressen und gewachsen ist er auch gleich, er ragt schon eine Spanne über die Würste heraus.« Täglich füllten sie die entstandene Lücke mit neuen Würsten aus und als diese ihnen ausgegangen waren, verwendeten sie Speckseiten dazu, die dem Thurme ebenso gut schmeckten. Als aber der Schulmeister seinen Keller mit Würsten und Speck hinlänglich versehen hatte, sagte er: »Leute, gebt doch dem Thurme nichts mehr zu essen, denn wie ihr seht, wächst er nur in die Höhe und nicht auch in die Breite, er könnte also so hoch werden, dass ihn die Grundveste nicht mehr zu tragen vermag, oder ihn der Wind umwerfen kann.« Da hielten sie mit der Mästung inne, hatten sie doch die Freude gehabt, ihn statt mit Ziegel und Mörtel, durch Salami und Speck um ein gutes Stück höher gemacht zu haben.

Mit Verstand durch die Welt

Einst hatten die Männer von Cogolo gar etwas Arges gemacht und es kanzelte sie dafür der Herr Pfarrer am nächsten Sonntag nicht wenig herab. »Ja«, schrie er, »Judicium (Giudizio) muss man haben, Verstand, Beurtheilungskraft, um durch die Welt zu kommen, das aber habt ihr nicht, das haben schon eure Väter nicht mehr gehabt.« Da dachten die Männer von Cogolo, wenn schon unsere Väter das Ding nicht mehr gehabt haben, so ist es klar, dass es unsere Grossväter werden verloren haben, und somit müssen wir uns ein neues verschaffen. Sie gingen zum Pfarrer und fragten ihn, ob er nicht vielleicht einen Ueberfluss an Judicium habe und ihnen davon etwas ablassen wolle. »Kinder!« sagte der Pfarrer, »ich habe gerade so viel davon, als ich selbst für das Haus brauche und kann euch daher nichts davon geben, aber geht nach Padua zum Bischof, das ist ein gar gelehrter Herr, der hat so viel davon, dass er euch etwas abtreten könnte.« Gut, dachten sie, dass wir wenigstens wissen, wo das Ding zu haben ist, und ordneten zwei aus ihrer Mitte, die sie für die gescheidtesten hielten, als Gesandte nach Padua ab2. Als der Bischof ihr Anliegen vernommen hatte, merkte er freilich gleich, dass ihnen das Gesuchte abging; er suchte sie daher wohlmeinend aufzuklären und ihnen begreiflich zu machen, dass man so eine köstliche Gottesgabe nicht nach Belieben verkaufen oder verschenken könne, wie einen Scheffel (stajo) Polentamehl, aber sein Bemühen war fruchtlos, denn sie drängten und baten vielmehr um so mehr auf Erfüllung ihrer Bitte, jemehr sie des Bischofs Gründe bloss für Ausflüchte hielten. Da ward der Bischof müde, leeres Stroh zu dreschen, und hiess sie warten, er werde ihnen durch einen Domherrn das verlangte Judicium gleich übergeben lassen, schloss eine Eidechse in eine Schachtel ein und liess sie den Deputirten mit dem Auftrage einhändigen, ja fein Obacht zu haben, dass es ihnen nicht davon laufe.
Voll Freude machten sich diese auf den Heimweg; aber nach kurzer Zeit reizte sie die Neugierde doch gar zu sehr, sie gingen daher in einen Heustadel, der unweit der Strasse lag, denn hier, meinten sie, könne ihnen das Judicium nicht davon laufen, und machten die Schachtel auf; aber kaum war die Schachtel offen, so war auch schon die Eidechse heraus und lief an der Mauer hinauf, die Deputirten über’s Heu ihr nach; da lief sie wieder herunter, die Deputirten purzelten nach, hier ist sie, dort ist sie, kurz die zwei machten einen solchen Lärm, dass endlich der Herr des Stadels mit seinen Knechten herbei lief und als er die Unordnung, die Hetze in seinem Stadel sah, in grossen Zorn gerieth.
»Was macht ihr Hundekerle (fioi de cani) hier für eine Unordnung in meiner Scheuer? Wer hat euch das erlaubt?«
»Herr!« erwiderten diese, »uns ist das Judicium davongelaufen und wir suchen es wieder zu erwischen.«
Da glaubte der Hausherr, sie wollten ihn noch überdiess zum Besten haben, griff nach einem Stück Holz und mit den Worten: »Wartet, ihr Hallunken, ich werde euch ein anderes dafür geben«, begann er sie unbarmherzig durchzuprügeln.
Hinausgeworfen und wie gerädert von den Schlägen zogen die Deputirten ganz traurig nach Cogolo und berichteten dort, dass und auf welche Art sie um das Judicium gekommen seien, bevor sie noch die Grenze Paduas verlassen hatten.
In Cogolo aber, wo seither schon die Urenkel dieser Deputirten leben, hat die Gemeinde immer noch kein Judicium.

[Italien: Georg Widter/Adam Wolf: Volksmärchen aus Venetien]

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