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Die Prinzessin aus China

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Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten einen einzigen Sohn. Eines Tages ging dieser Junge mit dem Sohn des Großwesirs jagen. Bei der Jagd töteten sie eine Elster; es war Winter, und es fiel ein Tropfen Blut in den Schnee. Da kam ein Derwisch des Weges, und als er das rote Blut im Schnee sah, sagte er: „Dieses Blut ist so rot wie die Wangen der Tochter des Königs von China.“ Als der Jüngling das hörte, wurde er krank vor Sehnsucht. Er wollte unbedingt die Tochter dieses Königs sehen, ob sie wirklich so schön war, wie der Derwisch gesagt hatte. Der Königin fiel auf, daß ihr Sohn krank war und immer nur grübelte. Sie fragte ihn deshalb: „Was hast du, Söhnchen, daß du immer so nachdenklich bist?“ Er antwortete: „Ich bin krank vor lauter Sehnsucht nach etwas. Wenn du mir versprichst, daß ich alles bekomme, was ich will, dann werde ich gesund und muß nicht sterben.“ Die Mutter drängte ihn, ihr zu sagen, was sie tun solle. Da rief er nach dem Sohn des Großwesirs und fragte ihn heimlich: „Was brauchen wir, wenn wir nach China gehen?“ Und dieser antwortete ihm, daß sie drei große Körbe voll Gold sowie drei Reiter brauchten. Darauf sagte der Sohn zu seiner Mutter: „Gib mir drei Körbe voll Gold und drei Reiter, und wohin ich auch gehe, ich werde zurückkehren.“ Die Mutter ging zum König und erklärte ihm alles: „Unser einziger Sohn ist krank geworden, er möchte in die Fremde gehen, damit er gesund wird, denn ihn hat eine unbestimmte Sehnsucht erfaßt. Nach zwei, drei Jahren wird er wiederkommen, aber er braucht drei Körbe Gold und drei Reiter.“ Da ließ der König alles bereitstellen, und der Junge brach mit dem Sohn des Großwesirs auf. Als sie in China angekommen waren, kehrten die drei Reiter zurück. Die beiden Burschen suchten eine Herberge und fragten den Wirt: „Wieviel verdienst du am Tag?“ – „Zweihundert Groschen“, erwiderte der Wirt. „Wir geben dir dreihundert Groschen“, sagten sie, „aber du läßt keinen anderen in die Herberge hinein.“ Der Wirt gab ihnen das Zimmer, wo gewöhnlich die großen Herren wohnten. Sie kauften sich Frauenkleider, und nach ein paar Tagen ging der Sohn des Großwesirs zum Barbier, sich rasieren lassen. Als der Barbier ihn das erste Mal rasierte, gab ihm der Jüngling einen Piaster; nach drei oder vier Tagen ging er wieder hin und gab ihm fünf Piaster, beim dritten Mal gab er dem Barbier zehn Piaster und fragte ihn: „Wo ist hier die Mädchenschule? Ich habe eine Schwester, die ich in die Schule bringen will.“ Der Barbier gab ihm einen Jungen mit, der ihm die Schule zeigen sollte. Sie gingen zur Herberge zurück, wo der Königssohn wartete. Dort zog sich der Sohn des Großwesirs Frauenkleider an und ging mit dem Jungen zur Mädchenschule Der Sohn des Großwesirs klingelte an der Tür, ein Mädchen kam heraus, und er sagte zu ihr: „Hier sind zehn Goldstücke, bring sie mit dieser Karte der Lehrerin und bestell ihr Grüße von mir.“ Das Mädchen ging wieder hinein, gab alles der Lehrerin und sagte ihr, was die Frau ihr aufgetragen hatte. Da fragte die Lehrerin: „Hast du die Frau erkannt?“ – „Ich kenne sie nicht“, erwiderte das Mädchen.
Am nächsten Tag ging er zur gleichen Stunde wieder zur Schule und klingelte. Die Lehrerin schickte das gleiche Mädchen wie am Tage vorher, und er sprach die gleichen Worte. Die Lehrerin wunderte sich sehr und konnte sich nicht erklären, wer ihr das Geld brachte. Deshalb befahl sie dem Mädchen, wenn die fremde Frau morgen wiederkäme, das Gold nicht anzunehmen, sondern sie ins Haus zu bitten. Am anderen Tag, als der Sohn des Großwesirs wieder klingelte, wurde er hereingebeten Er setzte sich auf die Bank neben die Lehrerin, als alle Schülerinnen kamen, um ihre Aufgaben aufzusagen. Es kam auch die Tochter des Königs, und als sie ihre Aufgabe hergesagt hatte, flüsterte sie der Lehrerin zu, daß sie die Dame für den Abend zum Essen einladen solle. Die Lehrerin sagte zu dem als Dame verkleideten Jüngling: „Die Tochter des Königs bittet dich, heute abend zu uns zum Essen zu kommen.“ Der Jüngling erwiderte, daß er kommen werde. Dann ging er in die Herberge und sagte zum Sohn des Königs: „Sei nicht traurig und gräme dich nicht, denn ich werde alles so einrichten, daß du dieses Mädchen zur Frau bekommst, sie hat mich heute zum Abendessen eingeladen.“ Er ging zu den Mädchen, sie aßen, und der Jüngling legte sich mit der Tochter des Königs schlafen. Das Mädchen hatte aber gemerkt, daß dies ein Junge ist, denn in der Nacht, als sie schliefen, hatte sie seine Beine gesehen. Sie fragte ihn deshalb, ob er ein Junge sei. Da erzählte er ihr die ganze Wahrheit: „Ich bin ein Junge, und mit mir ist ein Königssohn gekommen, der dich zur Frau will, denn ihn hat große Sehnsucht nach dir erfaßt. Ich habe Frauenkleider angezogen, um dich sehen zu können.“ Da fragte sie ihn, ob es möglich sei, den Königssohn zu sehen. Der Sohn des Großwesirs fragte sie: „Hast du eine Mutter?“ – „Ich habe keine mehr.“ – „Wann gehst du an ihr Grab beten?« Sie sagte: „Ich gehe immer freitags.“ Da versprach er ihr, den Königssohn am Freitag an das Grab zu schicken, damit sie ihn sehen könne.
Das Mädchen ging am Freitag zum Grab und sah den Jüngling, der eingeschlafen war. Er wachte nicht auf, aber sie bemerkte, daß er sehr schön war. Sie pflückte drei Blumen, legte sie ihm auf die Brust und ging davon. Als der Jüngling aufwachte und die Blumen sah, ärgerte er sich sehr, daß er das Mädchen nicht gesehen hatte. Danach ging der Sohn des Großwesirs zu dem Mädchen und fragte sie, ob sie den Königssohn gesehen habe. Sie sagte: „Als ich kam, schlief er, aber ich möchte ihn wiedersehen, denn ich habe mich in ihn verliebt.“ – „Kannst du morgen wieder zum Grab gehen?“ – „Jeden Tag kann ich gehen, wenn ich will, es hält mich niemand zurück“, erwiderte das Mädchen. „Ich werde ihm sagen, daß er nicht einschlafen soll“, versprach der junge Mann.
Sie ging also wieder an das Grab der Mutter, fand ihn, sie küßten und umarmten sich, und sie sagte zu ihm. „Ich möchte dich zum Manne, aber ich weiß nicht, wie ich es machen soll, denn ich bin verlobt. In dieser Woche kommen die Brautführer mich abzuholen.“ Der Sohn des Königs sagte darauf: „Ich weiß auch nicht, was Wir machen sollen, aber Wir fragen den Sohn des Großwesirs, und was er sagt, das tun wir.“ Als der Sohn des Großwesirs kam, fragte er das Mädchen: „Gefällt er dir so, daß du ihn zum Manne willst?“ Als sie das bejahte, riet er, ihr: „Wenn ihr zu deinem Bräutigam aufbrecht und ihr kommt am Friedhof vorbei, dann sage, daß du aussteigen möchtest, um ein letztes Mal am Grab der Mutter zu beten. Wenn du ans Grab kommst, ziehe ich deine Kleider an, und du bleibst mit dem Königssohn am Grabe zurück. Ich gehe an deiner Stelle, und ihr geht vom Friedhof weg, sobald es möglich ist.“ Als der Tag kam, an dem man sie abholte, bat sie die Brautführer am Friedhof, wie es verabredet worden war. Der Sohn des Großwesirs zog ihre Kleider an und stieg in die Brautkutsche. Die beiden anderen heirateten heimlich.
Als der Sohn des Großwesirs in der anderen Stadt ankam, führte man ihn in das Haus des Bräutigams mit allen Ehren einer königlichen Hochzeit. Dort gab es den Brauch, daß drei Nächte lang die Schwestern des Bräutigams bei der Braut schliefen. Die drei Schwestern stritten sich, wer zuerst bei der Braut schlafen sollte, aber die Mutter entschied für die jüngste Schwester, denn diese liebte sie am meisten. Als sie die erste Nacht da schlief, gefiel ihr die Braut, deshalb bat sie die Mutter, in der zweiten Nacht auch dort zu schlafen. Als sie schliefen, bemerkte sie aber, daß die Braut ein Mann war, und sie fragte deshalb. Sag mir die Wahrheit, bist du ein Mann oder eine Frau?“ – „Ich bin ein Mann und kam hierher, weil sich folgendes zugetragen hat“; und er erzählte ihr alles, was bei der Prinzessin von China geschehen war. Sie sah, wie schön er war, und wollte ihn zum Manne. Da sie aber nicht wußte, wie sie wegkommen sollten, sagte der Sohn des Großwesirs: „Du mußt einen Pferdeknecht mit zwei Pferden verlangen und sagen, daß ich ein wenig spazierenreiten möchte. Wenn wir ans Stadttor kommen, zeigst du den Wächtern etwas, was du deinem Vater vorher gestohlen hast. Wenn die Wächter dieses Unterpfand sehen, werden sie uns hinauslassen.“
Das Mädchen ging zur Mutter und verlangte einen Pferdeknecht und zwei Pferde, damit sie ausreiten könnten. Die Mutter besorgte alles, und das Mädchen nahm heimlich zwei Gläser mit. Als alle in dieser Nacht schlafen gegangen waren, standen die beiden um Mitternacht auf, gingen hinaus, stiegen auf die Pferde und schickten den Pferdeknecht zurück, da sie zwei oder drei Tage wegbleiben wollten. Als am Morgen die Diener kamen, um die Braut und die jüngste Tochter zu wecken, fand man sie nicht mehr. Da kam der Pferdeknecht und sagte, daß die beiden auf den Pferden weggeritten seien und nach zwei oder drei Tagen zurückkommen wollten. Man wartete drei Tage, aber die beiden kamen nicht wieder. Sie trafen sich mit dem Sohn des Königs und heirateten auch.

Quelle:
(Die Schöne der Erde – Albanische Märchen und Sagen)

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