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Märchenbasar

Die Schöne durch Zufall

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Ihre erste Bewegung ist, den Spiegel umzuwenden und den wunderbaren Gegenstand zu suchen, den er ihr darstellt. Einen Augenblick darauf sieht sie darin dasselbe Antlitz, das folgsam jede Bewegung spiegelt, die sie mit Mund und Augen zu machen sucht. Da sie durch das Übermaß der Überraschung ebenso verblüfft als schön ist, vermag sie doch nicht etwas von dem zu hören, was ihr Kalilbad sagt, der sich zu ihren Füßen in Beteuerungen und Entschuldigungen erschöpft.
Der Palast des Monarchen ist schon gedrängt voll von der Menge seiner Untertanen, die die Neuigkeit des Tages bereits vernommen haben. Der Page hatte jedermann, der ihn anhören wollte, die Geschichte von den beiden Alten erzählt, von denen die eine in der vergangenen Nacht mit der ekelhaftesten Gestalt von der Welt in den Palast gekommen und diesen Morgen in einem seidenen und goldenen Pavillon schöner als Aurora erwacht ist.
Mophétuse war die ganze Nacht rings um den Palast geschlichen, nicht ohne Furcht, zu sehen, wie ihre Kameradin noch vor Tagesanbruch hinausgejagt würde, und immer auf dem Sprunge, sich im Falle eines schiefen Ausgangs sogleich auf und davon zu machen.
»Ho, ho!« sagte diese Zigeunerin, »hat der Teufel das für Cancrélade getan, warum sollt er’s nicht auch für mich tun, die ich gerade ebensoviel wert bin als sie? Es ist mir niemals eingefallen, eine schöne Dame zu werden. Wenn einem aber das Glück in den Schoß fällt, warum sollte man es nicht annehmen? Wir wollen doch sehen, wie Cancrélade ihr Glück benutzt und ob sie nicht das Kästchen wird vergessen haben, mittels dessen sie daran denken kann, sich herauszustaffieren.« So vor sich hin brummelnd, näherte sie sich dem Garten.
Ohne etwas von ihrem köstlichen Abenteuer zu begreifen, fing Cancrélade indes nach und nach an, sich in ihr Glück zu finden, und entschloß sich, es recht zu genießen. Sie reichte dem Kalilbad die Hand, der ihr die seinige auf die demütigste Art darbot, um sie in den Festsaal und von da auf den Thron zu führen. Grazien, die in ihrem Leben nicht in ihrer Nähe gewesen waren, begleiteten ihre kleinste Bewegung. Fast alles, ja sie selbst war sich fremd, als sie Mophétuse gewahr ward, die sich mit Gewalt durch die Menge drängte und durch Zeichen, die sie untereinander zu brauchen pflegten, zu erkennen gab, daß sie sie durchaus sprechen müsse. Der Page erblickte sie auch und rief: »Fort hier, Platz gemacht, tretet zur Seite! Dort seht ihr die eine, hier ist die andere!« Auf einmal wich jedermann aus. Der Respekt tat mehr dazu als Gewalt. An diesem Morgen machte ein von Motten zerfressener Lumpen mehr Eindruck auf den ganzen Hof und die ganze Stadt von Astrachan, als der Anblick des Königsmantels es vermocht hätte.
Sowie Cancrélade Mophétuse erblickte, blieb sie aus einer ganz natürlichen Empfindung stehen. Und bald gesellte sich eine Betrachtung dazu. Mophétuse stand, zweifellos zu Unrecht, in dem Ruf, eine Hexe zu sein. Niemals hatte ihre Kameradin sich unterstanden, ein Wort davon gegen sie fallenzulassen, aus Furcht, sie möchte ihr einen Schabernack antun. Ist sie es indes, die ihr, da sie vielleicht eben bei guter Laune war, das Glück verschafft hat, das sie genießt, so hat sie alles von ihr zu fürchten, wenn sie nicht mit ihr sprechen wollte. Läßt sie sich aber auf eine Erklärung ein, so muß alles desto besser gehen. Auf alle Fälle muß sie sie kommen lassen. Stellt sich’s heraus, daß sie ihr ihr Glück nicht zu danken hat, so wird sich leicht ein Mittel finden lassen, sich ihrer zu entledigen.
So überlegte die verjüngte Alte die Sache reiflich, ließ die Hand des Königs fahren und ergriff die ihrer Kameradin. »Sire«, sagte sie, »ich muß in den Pavillon zurück und mich dort einen Augenblick allein mit meiner Freundin besprechen.«
»Ihr und Eure Freundin, Madame, seid unumschränkte Gebieterinnen bei mir«, erwiderte Kalilbad und griff zugleich nach einem Ende des Lappens, in den Mophétuse gehüllt war, küßte ihn mit der tiefsten Ehrerbietung und entfernte sich.
Sobald Cancrélade und Mophétuse allein im Pavillon waren, rief letztere aus: »Bist du’s denn wirklich! Wie schön du jetzt bist!«
»Hör doch auf«, versetzte Cancrélade, »wolltest du’s denn nicht so? So rede doch.«
»Nun, was soll ich denn sagen?« erwiderte Mophétuse. »Wenn’s der Teufel gewollt hat, so muß ich’s wohl auch wollen. Aber sag mir nur, wie’s zugegangen ist?«
»Wie«, sagte die schlaue Cancrélade, »du hast also nichts erfahren? Ich dachte, du würdest wenigstens einen Teil von meiner Geschichte gehört haben. So merke denn auf: Anfangs, als ich in das Zimmer des Fürsten kam, war er ganz Feuer, und alles ging vortrefflich. Ich tappte mit der Hand nach dem Kästchen, um es wegzunehmen und mich damit fortzustehlen, denn aus Vorsicht wollte ich meine Visite nicht zu lang werden lassen. Er überraschte mich aber dabei und ward sehr ärgerlich. Ich bekam Angst. Du weißt, was ich für eine Fatalität an mir habe, sobald ich anfange, mich zu fürchten. Der Prinz sprang aus dem Bett, holte ein Licht, das er unter einem großen Topf versteckt hatte – nun war ich verraten und verkauft. Er ward toll, packte mich und warf mich wie einen Federball zum Fenster hinaus. Zum Glück fall ich in den Garten auf einen mächtigen Dunghaufen, der für Mistbeete bestimmt war. Ich war nackt, die Kälte war empfindlich, ich grub mich bis an den Hals ein, legte auch über den Kopf den Mist einen guten Fuß hoch und rief Balabacra.«
»Wer ist denn dieser Balabacra?« fiel ihr Mophétuse in die Rede.
»Es ist ein guter Geist«, antwortete Cancrélade, »an den ich mich allemal wende, wenn ich mich in großer Verlegenheit befinde. Meine selige Mutter hat mir den Rat gegeben. Ich rief also Balabacra. Er kam und fragte: ‚Was willst du von mir?‘ Ich antwortete: ‚Schönheit, Jugend, Reichtum!‘ und er: ‚Wie? nichts weiter als das! Ei nun, du steckst eben in der Form, worin man diese Dinge gießt. Du sollst alles haben. Nur halt dich fein still in deinem Misthaufen. Du sollst von neuem wachsen, grünen und blühen wie ein Rosenstock.‘ – ‚Daran soll’s nicht fehlen‘, antwortete ich. Und so kroch ich immer tiefer in den Haufen und drängte mich mit allen Kräften hinein. Balabacra sprang um mich herum, wobei er seine Zauberformel murmelte. ‚Geduld! Geduld!‘ rief er mir von Zeit zu Zeit zu:

‚Alles, was stinkt,
Segen dir bringt!‘

und baute unterdessen, mich für meine Willfährigkeit zu belohnen, an diesem schönen Pavillon, der noch die geringste von seinen Galanterien ist. Von Zeit zu Zeit kam er und sah nach, wie die Verjüngung fortschritt, und warf mir eine Schaufel Mist mehr über den Kopf.
Man verwöhnt sich nur, wenn man bei Fürsten schläft. Auf einmal fielen mir alle die Blumen und Wohlgerüche ein, die ich die Nacht über bei Kalilbad eingeatmet hatte. Ich ward ungeduldig und sprang hastig aus dem Haufen. Balabacra eilte wütend herzu. ‚Oh, die Närrin‘, schrie er, ‚die wieder zwölf Jahre hätte werden können! Da hast du dich nun durch deine Ungeduld um sechs schöne Jahre gebracht! Ich hätte dich lieber ersticken lassen sollen. Doch komm nun und suche dich an dem übrigen zu entschädigen. Die Weiber sind doch gar nicht imstande, ein Übel zu ertragen.‘ Mit diesen Worten faßte er mich bei der Hand und führte mich nach der Ottomane, auf der wir sitzen. ‚Schlaf, schlaf, Liebchen‘, sagte er, ‚und warte, bis dein Geliebter erwacht.’«
»Wie?« sagte Mophétuse, »du bist also jetzt nicht älter als zwanzig Jahre? Und was hast du mit den sechzig anderen gemacht?«
»Balabacra«, erwiderte Cancrélade, »hat sie auf seine Rechnung genommen. Er verhandelt sie an Leute, die ihres Lebens satt und müde sind.«
»Das mögen mir rechte Narren sein«, fuhr Mophétuse fort, »die ihm solche Ware abnehmen. Aber das ist ja eine wahre Wundergeschichte, die du mir da erzählst. Und zu dem allen war nichts nötig als ein Misthaufen! Wir haben einen so schönen in unserem Hof!«
»Ach«, versetzte Cancrélade, »ich mußte erst zum Fenster hinausgeworfen werden, ehe ich den ganzen Wert eines solchen Dinges schätzen lernte. Im Grunde, meine Liebe, werden wir hier alle von unseren Nasen und Augen zum besten gehalten. Ohne Mist würde die ganze Erde längst ebenso ausgemergelt sein, als ich noch gestern war. Jedermann liefert täglich seinen Beitrag, und das ist das ganze Geheimnis, das ohne Unterlaß von neuem Blüten, Blätter und Früchte hervorbringt. Geh, geh, liebe Mophétuse, geh, folge mir, vergrabe dich in den unsrigen, aber so tief, daß dich niemand als Balabacra wieder herausziehen kann.«
»Aber«, wandte Mophétuse ein, »ich kenne ja deinen Balabacra nicht.«
»Nimm eins von meinen Haaren«, sagte Cancrélade, »und binde dir’s um den Hals. Sie kommen von ihm und ziehen ihn unfehlbar an. Der Geruch des Mistes mag dir noch so sehr nach dem Kopfe oder nach dem Herzen gehen, halt wacker aus und rufe mit lauter Stimme: Ba-la-ba-cra. Das wiederholst du dreimal und hältst jedesmal ein Weilchen inne. Kommt er noch nicht, so wartest du eine Viertelstunde und rufst dann von neuem, und so dreimal. Und nun muß er durchaus kommen, er mag wollen oder nicht. Sowie er erscheint, wird er dich fragen: Was willst du von mir? Da mußt du ihm nun ebenso antworten wie ich: Jugend, Schönheit, Reichtum! Hierauf wird er dir ohne Zweifel entgegnen: Und was ist mein Lohn dafür? Nun mußt du, und so knapp als möglich, wenn du kannst, den Nagel am kleinen Zeh deines linken Fußes abschneiden. Dieses Geschenk wird ihn entzücken, und er wird alles für dich tun. Doch mußt du ihm in allem freie Hand lassen. Wer unter seinen Händen wieder zum Kinde werden will, darf sich nicht wie ein Kind zieren. Bitte ihn, es so einzurichten, daß du ohngefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt herauskommst. Ich nehme dich dann als meine Nichte an den Hof und vermähle dich dem Großchan der Tataren. Fort, tummle dich. Ich werde heute gekrönt. Morgen stell ich dich dem Hofe als meine Nichte Elmazine vor. Wir dürfen den Leuten nicht Zeit lassen, unseren Stammbaum auszuforschen. Da wir nun wieder mit der Zeit ausgesöhnt sind, müssen wir auch die Zeit zu nutzen suchen. Auf, meine liebe Mophétuse, mach dich hurtig auf die Beine und vergrabe dich kühn und entschlossen bis über den Kopf in unseren schönen Misthaufen. Was du den Tag über tust, brauchst du des Nachts nicht zu tun.«
Die Alte ward durch diese unverschämte Beredsamkeit vollkommen überzeugt und machte sich augenblicks auf den Weg zu ihrer armseligen Hütte.
»Lauf nur, lauf nur«, sagte Cancrélade und folgte ihr mit den Augen. »Du wirst schön ankommen. Hätte ich gewußt, daß du gar so dumm wärst, ich hätte getan, als kennte ich dich nicht, und dich so behandelt, wie du es verdienst. Indes, was geschehen ist, ist geschehen. Geh und begrabe mit dir in deinem Misthaufen alles, was du von meinen wirklichen Geheimnissen weißt und vorzüglich das unserer zu alten Bekanntschaft. Bei deinem Asthma wirst du keine Viertelstunde überleben.«
Mophétuse war nun fort, und Cancrélade, so ziemlich gegen alles gesichert, was sie von ihrer Unverschämtheit, Unbesonnenheit oder Bosheit vielleicht hätte befürchten müssen, erschien wieder am Eingang des Pavillons, reichte mit majestätischer Gebärde dem Kalilbad ihre Hand, und so ging man nach dem Saale, wo das Fest gegeben werden sollte. Die Kapelle des Königs führte den Zug an. Ein zahlreiches Gefolge vermehrte die Feierlichkeit desselben. Ein großer Haufe des höchst neugierigen, schwer im Zaum zu haltenden Volkes störte mitunter etwas die Ordnung.
Indes dieser Festzug durch die Höfe und Gemächer des Palastes schreitet, kann man auf den viel ungestörteren Rückweg der Alten, die dem Jugendquell entgegenzueilen glaubt, einen Blick werfen. Das Verlangen, mit Balabacra zusammenzukommen, gibt ihr Flügel. Es müßte ganz lustig anzuhören sein, wenn jemand die Geduld hätte, ihr nachzugehen. Sie spricht überlaut und unterbricht ihre Reden auf eine ganz originelle Art: »Diese Cancrélade! Sie hat mehr Ränke im Kopfe als der böse Feind. Die Hexerei von der Mutter auf die Tochter vererbt. So viele Jahre mit den Leuten zu leben und kein Wörtchen zu sagen, und nun ganz auf einmal Balabacra! Hätt sie weniger gestunken, sie wär noch ein armes, altes Weib. Da seht mir nur das Glück! Man wirft sie zum Fenster hinaus, sie fällt auf einen Misthaufen, und da fällt ihr Balabacra ein … Balabacra! ich will deinen Namen nicht vergessen, mein lieber, kleiner Geist, aber du mußt mich auch nicht erschrecken. Du mußt mir fein Schönheit, Jugend, Reichtum geben, und ist dir’s um nichts zu tun als um ein Stückchen Nagel, davon sollst du ein recht ansehnliches Stück haben, denn ich schneide sie niemals. Nimmst du den Leuten die Jahre ab, so kann ich dir geben, so viele du willst. Magst du dann sehen, wie du sie los wirst, ich nehme keine Minute wieder. Das ist, als würde ich in den Mutterleib zurückkehren … Hurtig, Mophétuse, tummle dich. Was das für ein Leben sein muß, jung und schön zu sein. Hurtig, hurtig, in den Mist und zu Balabacra!«
Unterdessen war die erlauchte Gesellschaft in den Saal gekommen, wo sie sich soeben an die Tafel setzen wollte. Eine Estrade, mit einem prächtigen Baldachin bedeckt, erwartete Cancrélade und den König. Noch hatten sie die Stufen nicht erstiegen, als ein unerwarteter Besuch, den die Türhüter des Palastes anmeldeten, den König nötigte, diesem entgegenzugehen.
Es erscheinen drei verschleierte Damen. Zwei von ihnen sind sehr prächtig gekleidet und führen eine dritte an der Hand. Der Putz von dieser ist ganz einfach: Ihr Gewand ist weiß. Die Blumen, mit denen sie gekrönt ist, fallen wie Girlanden auf ihre Schultern und den Busen herab. Eine von den Damen hält ein Kind von sechs Jahren an der Hand, dessen unverhülltes Gesicht schön ist wie das Amors. Die Hofpoeten sagen, die Grazien und der Gott von Kythera kämen, das Fest zu verschönen. Der König sieht nach seiner Gewohnheit in diesem Besuch ein neues Abenteuer. Cancrélade sieht ihn, ohne richtig zu wissen warum, mit scheelen Augen an.
»Wir wollen uns geschwind zu Tisch setzen, Sire«, sagt sie, »ich sterbe vor Hunger. Da können die Damen uns dann erzählen, was sie herführt.«
»Nein, Madame«, antwortet Kalilbad. »Das hieße meine Schuldigkeit gegen Euch und gegen Eure Schwestern, die Feen, außer acht zu lassen, die ohne Zweifel kommen, unsere Vermählung mit ihrer Gegenwart zu beehren. Ich gehe, sie zu empfangen, und sie sollen mit uns unter dem Baldachin speisen.« Mit diesen Worten geht er seinen neuen Gästen entgegen, denen er ein Kompliment macht, das zwar sehr verlegen, aber doch das gerechteste ist, das er vielleicht je in seinem Leben gemacht hat.
»Fürst«, sagt die vornehmste von den drei Damen, »wir kommen, einem Feste beizuwohnen, das sehr angenehm für uns sein wird, sobald nur die Königin desselben einer anderen und besseren Platz gemacht haben wird. Ich bin überzeugt, daß Ihr uns für unseren Besuch, der zu gelegener Zeit kommt, Dank wissen werdet, sobald wir uns zu erkennen gegeben haben.«
»Und was kann Euch davon abhalten, meine Damen? Seid Ihr nicht gewiß, mit enthülltem Gesicht hier über alle Herzen zu triumphieren? Gibt es eine Art von Huldigung, auf die Ihr hier nicht Anspruch habt?«
»Wir spielen nicht gern ein ungleiches Spiel, Sire«, versetzt die verschleierte Dame. »Ehe wir uns als das zu erkennen geben, was wir sind, wird eine gewisse Person, die sich hier als etwas ausgibt, was sie nicht ist, gut daran tun, ihre Maske abzulegen. Das ist das einzige Mittel, das ihr noch bleibt.«
Jedermann sieht sich neugierig nach der angegebenen Maske um. Niemand kann sie entdecken. Cancrélade allein scheint etwas mehr von dem Zusammenhang der Sache zu wissen und macht eine Bewegung, als wolle sie sich entfernen.
»Oh, bleibt hier, Madame«, sagt die verschleierte Dame, die bereits das Wort geführt hat, »Eure Gegenwart ist zu notwendig. Man kennt Euch hier nicht, wo Ihr Anstalten macht, eine so große Rolle zu spielen. Sagt, wer Ihr seid, ohne Umschweife, ohne Ausflüchte. Stoßt Ihr in Eurem Abenteuer auf einen Umstand, der Euch unbegreiflich ist, so wird man ihn Euch erklären. Allein bedenkt Euch nicht …«
In gewissen verwickelten Situationen sind List und Verschlagenheit nicht imstande, den Mangel an Klugheit zu ersetzen, die allein den besten Ausweg zeigen kann. Überdies war Cancrélade aus sehr alter Gewohnheit die Sklavin eines hitzigen Naturells. Ungestüm und Unverschämtheit in enger Verbindung bilden ihre Charaktereigenschaften. Sie kann sich einfach nicht beherrschen. Ihre Wangen färben sich hochrot, ihre Blicke sprühen Feuer, ihr Mund verzerrt sich. Die schönen Locken ihres Haares ragen in die Höhe, fliegen umher und gleichen plötzlich Schlangen, die um das Haupt einer Furie zischen.
»Ich weiß nicht«, sagt sie zu der verschleierten Dame, »was Ihr mit Eurer Maske sagen wollt. Es sind keine anderen Masken hier, als die Ihr tragt; und da ich hier Gebieterin bin, befehle ich Euch, auf der Stelle den Saal zu verlassen, oder ich lasse Euch hinauswerfen.«
»Seht da«, versetzt die verschleierte Dame, »das ist ein sehr gebieterischer Ton für eine Königin, die niemand kennt, eine sehr herbe, harte, grobe Rede in dem Munde eines Frauenzimmers, das so jung und artig scheint. Kommt, setzt Euch hier nieder, Dreiviertelstundenkönigin! Wir wollen doch untersuchen, was für ein Geheimnis hinter der Sache steckt.«
Auf diesen Befehl setzt sich Cancrélade wie versteinert wider ihren Willen auf ein Bänkchen, als gehorche sie einer unsichtbaren Gewalt.
Die verschleierte Dame zieht ein Stäbchen aus ihrem Ärmel, schlägt dreimal damit auf die Erde und sagt ganz laut:

»Eins – zwei – drei!
Gehorcht dem Ruf, bringt den herbei,
Der von euch der Schlimmste sei.«

In demselben Moment reißt sich eine weiße und karmesinrote gestickte Rose mitten auf dem türkischen Teppich, mit dem das Parkett des Salons belegt war, mit einem Geräusch los, als würde eine Falltüre mit Gewalt zugeworfen. Aus der Öffnung, die dadurch entsteht, kommt nach dreimaligem Ansetzen ein kleiner, gehörnter, triefäugiger, zottiger, krummbeiniger Zwerg zum Vorschein. Er ist nackt; ein schmutziges Tuch dient ihm als Gürtel.
»Ah, du bist’s, Roudougou!« sagt die Dame im Schleier. »Woher kommst du? Antworte? Ich befehle dir’s!«

»Ich komme tief aus dunklem Schacht,
Wo alles schwarz ist, Tag wie Nacht.«

»Was macht dein Herr?«

»Mein Herr hustet, pustet, spuckt,
Der Huf ihm durch den Pantoffel guckt.«

»Und was ist dein Gewerbe, Taugenichts?«

»Ich tu nur Böses, nie Gutes allhie,
Zerstöre immer und baue nie.«

»Wenn das so ist, bist du heute mein Mann. Entkleide mir einmal diese Prinzessin hier von ihrem Staate, damit sie sich nicht weigert, ihr Nachtlager woanders als hier aufzuschlagen.«
Roudougou breitet sein Tuch auf die Erde und macht sich nun mit allen Kräften über die unbewegliche Cancrélade her.

»Hurtig, hurtig, ohne Frist,
Zur Kameradin auf den Mist!«

Und nun sieht man, wie er ihr schneller als der Blitz Haare, Zähne, Busen, Hüften, alles durcheinander mit der einen Hand vom Leibe reißt und mit der anderen säuberlich in das Tuch packt. Die Haut schuppt sich unter seinen Klauen ab wie die eines Fisches unter dem Messer eines Holländers und rollt sich so hurtig zusammen, als würde sie geröstet.
So bietet Cancrélade, die in einem Nu ausgezogen und wieder angezogen ist, den Blicken ein ebenso widerwärtiges Schauspiel, als ihr Anblick unter dem Pavillon entzückend gewesen war. Nun hört auch ihre Unbeweglichkeit auf. Der Wille der Fee, der sie fest auf ihrem Platz hielt, wirkt nicht mehr; sie steht eilig auf, flieht beschämt und zitternd durch die Zimmer und Höfe des Palastes, verfolgt von Hohngelächter und auf der Straße von Hunden geplagt, die irgendein böser Geist auf sie losgehetzt zu haben scheint. Dies war ihre Begleitung zu dem Misthaufen, wo ihre würdige Kameradin, von dem abscheulichen Geruch betäubt, fast im Begriff ist, den Geist aufzugeben.
Mophétuse, getäuscht von dem seltsamen Lärm bei ihrer Ankunft, glaubt, der Geist, den sie so lange vergeblich gerufen hat, käme ihr endlich zu Hilfe. Sie steckt den Kopf aus dem Unrat, in dem sie vergraben war, hervor und sagt: »Ei, so komm doch, Balabacra! Ich ersticke ja!«
Wir müssen nun die beiden Alten sich auf ihrem Misthaufen untereinander verständigen lassen. Sie sind hier nicht in fremdem Lande. Interessantere Personen als diese elenden, falschen Geschöpfe rufen uns zurück nach dem Palaste des Königs von Astrachan.
Roudougou ist, beladen mit seinem Paket, bereits wieder durch die Öffnung verschwunden, aus der man ihn hatte hervorkommen sehen. Die Rose heftete sich, gleichsam von selbst, an den Teppich, und zwar so genau, daß man nicht den geringsten Riß entdecken konnte.
Die verschleierte Dame richtete ihre Rede an Kalilbad, der von der ungewöhnlichen Szene, deren Zeuge er gewesen, noch ganz betäubt war.
»Ihr seht, Fürst, mit was für einer abscheulichen Kreatur Ihr Euch hättet verbinden können. Doch darf ich Euch nicht verschweigen, daß sie an dem letzten Blendwerk, das Euch bald hätte so teuer zu stehen kommen können, nicht schuld war.«
Und nun enthüllte sie ihm das Geheimnis dieser glänzenden Verwandlung, die sie einzig in der Absicht vorgenommen hatten, ihm die schädlichen Folgen der Begierde nach Wundern zu zeigen und ihm den unmäßigen Hang danach zu benehmen.
»Sire«, fuhr sie fort, »wie leicht wäre es, bei Eurer so allgemein bekannten Sucht, keine andere als eine Fee zu heiraten, möglich gewesen, daß es einem weit klügeren, aber auch noch schlimmeren Weibe als Cancrélade gelungen wäre, Euch eine ebenso glänzende und nur besser geknüpfte Schlinge zu legen. Kommt einem solchen Mißgeschick zuvor. Verheiratet Euch. Das Interesse Eurer Staaten und Euer eigenes erfordern es. Allein, laßt ab, nach einer ungleichen Verbindung zu streben. Ich bin eine Fee und habe Euch eben den Beweis davon gegeben. Unsere Existenz ist keinem Zweifel unterworfen, da man aber nichts als Lügen von uns erzählt und geschrieben hat, war es Euch freilich nicht möglich, eine richtige Vorstellung von uns zu haben. Gesetzt auch, eine von uns könnte sich entschließen, Euch die Hand fürs Leben zu reichen – wiewohl das durchaus unmöglich ist -, was wolltet Ihr mit einer Gemahlin machen, die es nur dem Schein nach sein könnte, deren Geschmack von dem Eurigen durchaus verschieden wäre und die alles, was Euren Sinnen höchst reizend und wünschenswert dünkt, verschmähte? Überdies würdet Ihr, und zwar ganz vergeblich, von ihrer Macht Wirkungen gegen die ewigen, unveränderlichen Gesetze der Natur erwartet haben. Eine unerschütterliche Ordnung kettet alle Dinge dieser Welt aneinander und erhält eine fortwährende Triebkraft durch die anscheinenden Widersprüche, denen sie ausgesetzt ist. Etwas können wir hierzu beitragen, das Wesen der Dinge selbst aber vermögen wir nicht zu ändern. Unsere Macht dürft Ihr nicht nach den ungewöhnlichen Eindrücken, deren Zeuge Ihr gewesen seid, messen. Es ist ein großer Unterschied zwischen einem Blendwerk und einem Wunderwerk. Alles ist wahr in dem letzten, bloß die Mittel dazu sind nicht von hier. In dem ersten ist alles nur Schein. Die alte Cancrélade ist nicht verjüngt worden. Der prächtige Pavillon, unter welchem Ihr diese vorgebliche Schönheit fandet, ist mitsamt dem Zauber, der ihn so herrlich ausputzte, verschwunden. Alles war nur Täuschung, und zwar sehr eingeschränkte Täuschung. Sie konnte nicht länger dauern als ein Traum, dessen Bild sie war. Der Baumeister dieses brillanten Betruges war um nichts besser als der Zerstörer desselben. Ich hätte, ohne so viele Umstände zu machen, durch einen bloßen Hauch diesen farbigen Dunst auflösen können; allein es war mir darum zu tun, Euch die wahren Urheber der gefährlichen Betrügerei, deren Ihr Euch aussetztet, zu erkennen zu geben, um Euch für die Zukunft Mißtrauen gegen sie einzuflößen und Euch zu lehren, was denen begegnen kann, die sich nicht vor dem Blendwerk der Illusionen in acht nehmen. Mit einem Worte, Fürst, nichts ward gebaut, nichts ward zerstört, bloß Eure Augen, die Augen Eures Hofes, waren bezaubert. Unsere ständige Beschäftigung ist keineswegs von so niederer Art: Ein recht lebhaftes Interesse, dessen Ursache Ihr mit der Zeit einmal kennenlernen werdet, bewegt uns, den armen Sterblichen, die für uns Gegenstände des Mitleids sind, welchen Rang sie auch immer einnehmen mögen, beizustehen und sie zu trösten. Wir beklagen sie sehr, denn sie sind wirklich sehr beklagenswert. Wir haben den zu frühzeitigen Tod Eurer vortrefflichen Mutter von Herzen beweint. Eure Hartnäckigkeit, Trugbildern nachzujagen, hat ihn um vieles beschleunigt. Ach! hättet Ihr der liebenswürdigen, tugendhaften Prinzessin von Candahar Eure Hand gegeben, hättet Ihr …«
»Ach, Madame«, sagte Kalilbad mit tränennassen Augen, »die Bitterkeit dieses Vorwurfs greift mir ans Herz. Er erinnert mich an meine Härte gegen meine Mutter, an meine Ungerechtigkeit gegen die reizendste Prinzessin der Erde.«
»Wolltet Ihr sie wohl wieder gutmachen, Fürst?« fragte die Fee.
»Ob ich sie wieder gutmachen will? Führt mich ihr zu Füßen, und Ihr sollt Zeugin meiner Freude, meines Entzückens sein, wenn Eure Macht und meine Zärtlichkeit und Reue mir Verzeihung erwerben sollten.«
»Um diese zu erhalten, braucht Ihr nicht weit zu gehen«, sagte die Fee. Mit diesen Worten hob sie, zugleich mit ihrer Schwester, den Schleier auf, der die junge Prinzessin von Candahar bedeckte.
Der ganze Hof von Astrachan ward von dem Anblick der Reize der schönen Bellasire geblendet. Ein ebenso lebhaftes als tiefes Gefühl, eine sanfte und naive Erschütterung gaben ihrer entzückenden Physiognomie eine Bewegung, ein Leben, einen Ausdruck, die sie äußerst rührend machten, ohne daß sie etwas von dem einbüßte, was ihr ein so anziehendes Aussehen gab. Kalilbad warf sich zu ihren Füßen und stand nicht eher wieder auf, als bis er das Gelübde seiner Treue abgelegt und das ihrige dafür erhalten hatte. Voller Erkenntlichkeit für die himmlischen Werkzeuge seines Glückes drang er in sie, daß sie die Gefälligkeit haben möchten, sich zu entschleiern und sich ihm richtig zu erkennen zu geben.
»Ihr wählt nun gleich nicht das rechte Mittel«, erwiderte ihm Chéridiane, »denn Ihr würdet uns nicht so schön finden, als Ihr uns jetzt vermutet. Wir sind ernsthafte Schönheiten und den Wahrheiten, die wir zuweilen den Menschen predigen, nur allzu ähnlich. Ihr seid noch zu jung, als daß wir uns Euch mit unbedecktem Gesicht zeigen könnten, doch tun wir eben kein Gelübde, Euch immer so fremd zu bleiben. Um Euch unserer Gesinnungen in dieser Hinsicht zu versichern, lassen wir Euch ein Pfand unseres Vertrauens zurück, und zwar den rechtmäßigen Beherrscher von Georgien und Irimette, dessen Geschichte Eure Gemahlin weiß. Hier lerne er aus Eurem Beispiel, wie man verdient, über seinesgleichen zu herrschen. Sobald wir Euch dieses kleine Meisterstück wirklich zu verdanken haben, werdet Ihr uns auch mit unverhülltem Gesichte sehen. Doch um Euch zu trösten, daß Ihr vorderhand nicht alles erfahren sollt, will ich Euch ein Geheimnis mitteilen, ehe ich von Euch scheide: Eine schöne Frau, von reiner Leidenschaft beseelt, ist der entzückendste Anblick unter dem Himmel. Hier habt Ihr dieses Wunder! Mit ihm allein sei es Euch vergönnt, Euch zu beschäftigen.«

[Klaus Hammer: Französische Feenmärchen des 18. Jahrhunderts]

 

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