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Die Zauberflasche

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In den alten Zeiten, als sich das Elfenvolk noch sehen ließ, in dieser Zeit lebte ein Mann namens Michael, der hatte einige Äcker schlechtes und unfruchtbares Land gepachtet. Er besaß Frau und Kinder, sie taten was in ihren Kräften stand, um bei der Arbeit mit zu helfen. Aber das war nicht viel, denn es war noch kein Kind
herangewachsen. Und die gute Frau besorgte die Kuh, kochte die Kartoffeln, trug Eier auf den Markt und verpflegte obendrein die Kinder. Doch wie sie auch schafften, es kam nicht genug zusammen, um die Pacht zu zahlen. Eine Zeitlang schickten sie sich so gut es eben ging, doch zuletzt kam ein schlechtes Jahr, das bißchen Hafer verdarb, die Hühnchen verkümmerten, das Schwein magerte ab und wurde beinahe für nichts auf dem Markte verkauft, und der arme Michael sah, daß er nicht genug hatte, um die Hälfte des Pachtgeldes zu zahlen. „Was sollen wir nun anfangen, Marie?“ fragte er seine Frau. „Was wir anfangen sollen?“ antwortete sie. „Treib unsere Kuh auf den Markt und verkaufe sie dort. Montag ist Markttag, aber du mußt früh gehen, damit das arme Tier sich verschnauft, ehe es auf den Markt kommt. „Und was sollen wir anfangen, wenn auch die Kuh fort ist?“ sagte Michael bekümmert. „Das weiß ich nicht, Michael, aber gewiß wird uns der liebe Gott nicht verlassen, du weißt doch, wie gütig er zu uns gewesen ist, als unser Kind krank war und wir gar nichts zu essen hatten. Der Doktor kam, verlangte nur einen Trank Milch und gab uns noch zwei Schilling zu Arzneien für das Kind. Und wenn ich in die Stadt ging, um ihn um Rat zu fragen, so gab er mir jedes Mal etwas zu essen.“ „Du hast recht, Marie, und darum will ich mir über den Verkauf der Kuh keine Sorgen machen. Morgen schon will ich gehen. Du mußt nur noch meinen Rock flicken, denn er ist unter den Armen zerrissen.“ Marie versicherte, daß sie es in Ordnung bringen wollte, am folgenden Tag war alles bereit, und sie schärfte ihm noch beim Fortgehen ein, die Kuh nur um den höchsten Preis zu verkaufen. Michael versprach, es nicht zu vergessen, und machte sich auf den Weg. Er trieb die Kuh langsam durch den kleinen Fluß, der den Weg durchschneidet und unter den alten Mauern einer Burg hinrinnt. Als er dort vorbeikam, fielen seine Augen auf die alten Türme und einen von den Holunderbäumen, die wie kleine Gerten aussahen. „Ja“, rief er aus, „hätte ich nur die Hälfte des Geldes, das unter diesem Baum begraben liegen soll, dann brauchte ich die arme Kuh nicht dahinzutreiben. Ist es nicht ein Jammer, daß es unter der Erde ruht, während noch andere außer mir entbehren müssen? Nun, wenn’s Gottes Wille ist so komme ich ja mit etwas Geld in der Tasche zurück.“ Mit diesen Worten trieb er sein Vieh weiter. Es war ein schöner Tag, und die Sonne schien auf die Mauern des alten Schlosses. Als drei Stunden vorbeigegangen waren, war er auf der Höhe des Berges, der jetzt der Flaschenberg heißt. Mitten auf der Höhe holte ihn jemand ein. „Guten Morgen“, sagte der Unbekannte.
„Guten Morgen“, antwortete Michael freundlich und sah sich nach dem Fremden um. Es war ein kleines Männchen, man hätte ihn eher einen Zwerg nennen können, doch er war nicht ganz so klein wie ein Zwerg. Er hatte aber ein altes, verrunzeltes Antlitz, daß genau wie welker Blumenkohl aussah, dabei eine kleine, dünne Nase, rote Augen und weißes Haar; nicht nur seine Lippen waren rot, sondern sein ganzes Gesicht war von dieser Farbe. Michaels Herz war eiskalt, als er ihn ansah. Er hatte gar kein Gefallen an der Gesellschaft des Kleinen, und konnte nicht das mindeste von seinen Beinen oder seinem Körper erblicken, denn das Männchen hatte sich, obgleich der Tag warm war, ganz in einen dicken, weiten Mantel eingewickelt. Michael trieb die Kuh rascher, aber der Kleine hielt sich immer neben ihm. Er wußte nicht, auf welche Art er schritt, denn er fürchtete sich so sehr, sich nach ihm umzuschauen; er wollte auch nicht das Kreuz über sich schlagen, um sich zu schützen, falls der Kleine einer vom Elfen = oder Unholdenvolk war. Er war ganz bange, er möchte dann zornig werden. Jedenfalls deuchte ihm, der Kleine ginge nicht wie ein anderer Mensch und setzte einen Fuß vor den anderen sondern glitte nur über den rauen Weg wie ein Schatten dahin, ohne Geräusch und ohne Anstrengung. Dem armen Michael zitterte das Herz im Leibe, er sagte ein Gebet für sich und wünschte, er wäre den Tag nicht ausgegangen, oder er wäre schon auf dem Markte, oder er brauchte die Kuh nicht zu hüten, damit er vor dem Gespenst davonlaufen könnte. Mitten in diesen Ängsten ward er von dem Gespenst angeredet. „Wohin wollt Ihr mit der Kuh, lieber Mann?“ „Nach dem Markt“, antwortete Michael zitternd bei der schnarrenden und schneidenden Stimme. „Wollt Ihr sie verkaufen?“ sagte der Fremde. „Freilich treib ich sie nur dahin, um sie zu verkaufen.“ „Wollt Ihr mir sie verkaufen?“ Michael fuhr erschrocken zurück; er fürchtete sich, mit dem Kleinen etwas zu tun zu haben, und er fürchtete sich noch mehr, nein zu sagen. Endlich sprach er: „Was wollt Ihr mir dafür geben?“ „Ich will Euch etwas sagen“, antwortete der Kleine, „ich gebe Euch diese Flasche dafür.“ Er zog unter dem Mantel eine Flasche hervor. Michael schaute erst ihn und dann die Flasche an, dann mußte er, mitten in der Angst, in ein lautes Gelächter ausbrechen. „Lacht nur nach Herzenslust“, sprach der Kleine, „aber ich sage Euch, diese Flasche ist mehr wert als alles Geld, das Ihr für die Kuh auf dem Markt bekommt, ja tausendmal mehr. Michael lachte wieder: „Ihr denkt wohl“, sagte er, „ich wäre ein solcher Narr, daß ich meine Kuh für eine solche Flasche hingebe, die obendrein noch leer ist, wie ich sehe! Wahrhaftig, daraus wird nichts.“ „Ihr tut es besser, wenn Ihr mir die Kuh gebt und die Flasche nehmt; Ihr braucht es Euch nicht leid sein lassen.“
„Aber Marie, was würde die sagen? Das mag kein gutes Ende nehmen. Und wie soll ich meine Pacht bezahlen, was wollen wir ohne Geld anfangen?“ „Ich versichere Euch, die Flasche ist mehr wert als Geld. Nehmt sie und gebt mir die Kuh. Ich sage es zum letzten Mal, Michael. Michael war erschrocken: Wie hat er meinen Namen erfahren, dachte er! Der Fremde fuhr fort: „Michael, ich kenne Euch und habe Achtung vor Euch, darum folgt meinem Rat, oder Ihr werdet es büßen. Wißt, Eure Kuh wird hinfallen, bevor Ihr auf dem Markt seid. Dann ist sie wertlos.“ Michael wollte eben sagen: „Das verhüte Gott“, aber der Kleine fuhr rasch fort:
„Wohlan, so lebt wohl und bettelt hinfort für Euern Lebensunterhalt, seht Eure Kinder in Armut und Euer Weib in Mangel sterben.“ Bei diesen Worten lächelte der Kleine so boshaft was sein Antlitz noch grauenhafter machte. „Mag wohl sein“, sagte Michael noch immer zaudernd und unschlüssig. Aber er konnte nicht anders, er mußte dem Kleinen glauben, und in einem Anfall von Verzweiflung griff er nach der Flasche und sagte: „So nehmt die Kuh, und wenn Ihr mich belogen habt, so wird Euch der Fluch des Armen treffen.“ „Ich achte weder auf Euren Fluch noch auf Euren Segen, Michael, aber ich habe die Wahrheit gesprochen, das werdet Ihr noch heute Abend erfahren, wenn Ihr tut, was ich sage. „Was soll ich tun?“ fragte Michael. „Wenn Ihr heimkommt, so kümmert Euch nicht darum, daß Euer Weib ärgerlich ist, sondern bleibt selbst gelassen und heißt sie den Flur sauber kehren, setzt den Tisch zurecht und deckt ein reines Tuch darüber, dann stellt die Flasche auf den Boden und sprecht die Worte: „Flasche, tue deine Schuldigkeit“, und ihr werdet den Erfolg sehen.“ „Und das ist alles?“ fragte Michael. „Nichts weiter, Michael, aber Ihr seid dann ein reicher Mann.“ „Das gebe Gott“, sagte Michael, als der alte Mann die Kuh forttrieb und er wieder auf dem Heimweg war.
Doch konnte er nicht umhin, den Kopf umzudrehen und dem Kleinen nachzuschauen, bis er ganz verschwunden war. „Gott behüte und bewahre mich“, rief Michael, „der gehört nicht dieser Welt an. Der ist vom Volk der Unholde. Aber wo ist meine Kuh?“ Sie war fort, und er hielt die leere Flasche in der Hand.

Während er voll Furcht und Sorge heimging, erreichte er am Abend seine Hütte und überraschte seine Frau, die am Herde stand und Feuer schürte. „Ei, Michael, du bist schon wieder da? Gewiß bist du gar nicht bis zum Markt gekommen? Sprich, was ist dir begegnet? Wo ist die Kuh, hast du sie verkauft? Wie viel hast du gelöst? Erzähle mir.“ „Wenn du mir Zeit läßt, so will ich dir alles genau erzählen. Wo unsere Kuh ist willst du wissen? Ja, das kann ich dir auch nicht sagen, denn ich weiß es selber nicht.“ „Ja, aber wie viel Geld bekamst du? Heraus mit dem Geld!“ „Geduld, Geduld, du wirst alles hören.“ Jetzt erst sah Marie die Flasche unter seiner Weste. „Und was ist das für eine Flasche?“ Michael stellte die Flasche auf den Tisch. „Das ist alles, was ich gelöst habe für die Kuh.“ Die arme Frau war wie vom Schlag getroffen. „Das ist alles?“ rief sie. „Oh, ich habe nicht gedacht, daß du solch ein Narr bist! Wovon soll ich jetzt die Pacht bezahlen?“ „Nimm doch nur Vernunft an“, bat Michael „und höre zu.“ Und nun erzählte er, wie er dem Alten begegnet sei, oben auf dem Berg, und wie dieser die Flasche für die Kuh geboten. Marie ergriff die Flasche und hätte sie am liebsten ihrem Mann an den Kopf geworfen. Aber Michael ergriff sie schnell und verbarg sie wieder unter seiner Weste. Die arme Marie, sie weinte und bekreuzigte sich, aber dann konnte sie nicht anders, sie tat, wie der Kleine befohlen hatte, sie ging hinaus und kehrte den Flur, hierauf ordnete sie alles und stellte den Tisch in die Mitte und deckte ein reines Tuch, das einzige, das sie hatten, darüber. Und Michael stellte die Flasche auf die Erde und sprach: „Flasche, tue deine Schuldigkeit.“ „Mutter, sieh dort, dort!“ schrie der Älteste und hielt sich am Rock der Mutter fest, während er mit der Hand auf zwei winzige, kleine Gestalten zeigte, die Lichtstrahlen gleich aus der Flasche stiegen. Und in einem Augenblick war der Tisch mit silbernen und goldenen Schüsseln und Tellern besetzt, auf welchen die köstlichsten Speisen lagen. Nachdem alles in Ordnung war, stiegen die kleinen Gestalten wieder in die Flasche hinab. Solche Schüsseln und Teller hatten alle ihr Leben lang noch nicht gesehen, und sie betrachteten sie voll Erstaunen. Sie vergaßen fast ihren Hunger über lauter Anschauen. Endlich sagte Marie: „Komm, Michael, und setz dich nieder, versuch’s und iß ein wenig, du mußt doch hungrig sein. Der Kleine hat also doch keine Unwahrheit gesagt.“ Michael setzte sich und gab auch den Kindern ihren Platz. Sie hielten alle zusammen eine herrliche Mahlzeit, und die Hälfte der Speisen blieb unangerührt. „Mich soll es wundern, obwohl die Kleinen die Reste wieder wegtragen“, sagte Michael. Sie warteten, aber niemand kam. Da hob Marie sorgfältig Schüssel und Teller auf und sprach: „Es ist also wahr, Michael, jetzt sind wir reiche Leute.“ Sie gingen alle zu Bett und überlegten vorm Einschlafen, wie sie alle Reste zu Geld machen könnten, um zu mehr Ländern zu kommen und ihre Pacht zu bezahlen. Am nächsten Morgen ging Michael auf den Markt und verkaufte die Gold = und Silberschüsseln, erhandelten sich Wagen und Pferde und überlegte, was er noch erwerben könnte. Sie gaben sich auch alle Mühe, die Flasche geheimzuhalten; doch vergeblich, der Gutsherr brachte es heraus.

Eines Tages kam er zu Michael und fragte ihn, wie er zu all dem Geld gekommen wäre, und quälte ihn so lange, bis Michael, um nicht den Anschein zu erwecken, er habe es auf unrechtmäßige Weise erworben, ihm von der Flasche erzählte. Der Gutsherr bot ihm viel Geld, doch davon wollte Michael nichts wissen, bis ihm zuletzt alles, was jetzt nur Pacht war, als Eigentum gehörte. Da dachte Michael, nun sei er reich genug und bedürfe der Flasche nicht mehr, und gab sie hin. Aber Michael hatte sich verrechnet. Er und die Seinen gaben das Geld so schnell dahin, sie glaubten, es nehme kein Ende. Nun, um die Geschichte kurz zu machen, sie wurden arm und ärmer, bis sie am Ende nichts mehr übrighatten als eine Kuh, die Michael ebenfalls verkaufen mußte, nicht ohne die Hoffnung, dem kleinen Mann wieder zu begegnen, um eine andere Flasche von ihm zu erhalten. Es war früher Morgen, als er sich von daheim aufmachte, und er ging einen guten Schritt, bis er zu der Höhe kam. Er mußte beständig an das kleine Männlein denken, und richtig, gerade als er den Gipfel des Berges erreichte, wurde er von der wohlbekannten Stimme überrascht: „Nicht wahr, Michael, ich sagte es, du würdest ein reicher Mann werden?“ „Gewiß, Herr, aber zur Zeit bin ich kein reicher Mann. Habt Ihr nicht eine andere Flasche? Ich bedarf ihrer, so gut wie vordem und gebe Euch gern die Kuh dafür.“ „Hier ist die Flasche“, sagte der Kleine und lächelte, „du weißt, was damit zu tun ist.“ „Ach ja“, antwortete Michael, „ich will’s schon recht machen. Gutes Glück Euch und gutes Glück diesem Berge, der hinfort Flaschenberg heißen soll, damit er endlich einen Namen bekommt.“ Dann eilte er, so schnell er konnte zurück, ohne sich nach der Kuh oder dem Kleinen umzuschauen. Wohlbehalten langte er seiner Kuh daheim an und sobald er Marie erblickte, rief er aus: „Ich habe eine neue Flasche.“ „Oh, tausend“, rief die Frau aus, „du bist ein Glückskind.“ Sie brachte sofort alles in Ordnung und Michael schrie sofort in seiner Freude: „Flasche, tue deine Schuldigkeit.“ Im selben Augenblick sprangen zwei große, gewaltige Männer mit dicken Knüppeln aus der Flasche, die die ganze Familie durchbläuten, bis alles auf dem Boden lag. Sobald Michael zur Besinnung gekommen war, sah er sich um. Er sann und sann, dann sprach er: „Macht, daß ihr euch erholt, so gut es geht. Ich weiß schon, was ich zu tun habe. Und seine Flasche unter dem Arm, begab er sich zum Gutsherrn. Dort war große Gesellschaft, und Michael bat einen Bedienten, dem Herrn zu sagen, daß er ein paar Worte mit ihm zu sprechen wünsche. Endlich kam der Herr heraus und fragte: „Was wünscht Ihr, und was bringt Ihr Neues?“ „Nichts, Herr, als daß ich eine neue andere Flasche habe.“ „Ei, ei, ist sie auch so gut wie die erste?“ „Besser, und wenn es Euch beliebt, will ich sie vor allen Damen und Herren vorführen.“ Nun ward Michael in den Saal geführt, wo er seine alte Flasche erblickte, die oben auf dem Gesims stand. Nun, dachte er, vielleicht habe ich dich in Kürze wieder.
Dann setzte er sich auf den Boden und sprach die Zauberworte. Im nächsten Augenblick lagen der Gutsherr, Damen, Herren, Bedienten, und wer sonst zugegen war, auf dem Boden, rannten, schrien, wälzten sich, stießen mit den Füßen, bis der Gutsherr endlich ausrief: „Bring die zwei Teufel zur Ruh’, oder ich lasse dich aufhängen. „Nicht ehr bringe ich sie zur Ruhe“, rief Michael, „als Ihr mir meine Flasche wiedergebt, die ich dort oben stehen sehe.“ „Hol sie dir, ehe wir alle ermordet sind.“ Nun steckte Michael die Flasche zu sich, die Männer sprangen wieder hinein, und er trug beide Flaschen heim. Was soll ich nun noch weiter erzählen? Michael ward reicher als zuvor, sein Sohn heiratete die Tochter des Gutherrn, und er und sein Weib starben in hohem Alter, beide am gleichen Tag. An diesem Tag gerieten zwei Diener in Streit und zerbrachen die Flasche. Und heute gibt es solche Flaschen nicht mehr. Das ist für uns sehr traurig. Aber der Berg in Irland heißt noch immer der Flaschenberg und wird so heißen bis ans Ende der Welt.

Märchen aus Irland

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