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Drachenauge

2.9
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Vor langer Zeit, als es noch Zauberer und Feen gab, da lebten auf der Erde unzählige Drachen. Doch damals schauten die Drachen noch ganz anders aus: sie waren kleine, unscheinbare Geschöpfe, die ums Überleben kämpften. Die Drachen waren sehr traurig darüber, dass sie von den großen Tieren schlecht behandelt wurden. Als sie vom großen Zauberer Grintus inmitten des Dschungels hörten, beschlossen sie, diesen aufzusuchen, um ihm ihr Leid zu klagen.

Nach sieben Tagen und sieben Nächten gelangten sie endlich zur Hütte des Zauberers. Geduldig hörte er sich die Geschichte der Drachen an: „Ach, lieber Zauberer! Wir sind klein und schwach. Dauernd machen sich die anderen Tiere über uns lustig. Könntest du unsere Körper nicht vergrößern?“
Grintus hatte Mitleid mit den kleinen Tieren, schwang seinen Zauberstab und kurz darauf standen riesige Echsen vor ihm.
Wie freuten sich die Drachen über ihre Größe, bedankten sich und waren nach ein paar großen Schritten wieder zu Hause.

Es dauerte nicht lange, da suchten sie erneut den Zauberer auf: „Ach, lieber Zauberer. Nur die Größe allein vermag unsere Probleme nicht zu lösen. Nun werden wir wegen unserer grauen Farbe verspottet: „Schaut, schaut! Drachen grau! Alles grau! Schaut, schaut!“
Wiederum erbarmte er sich der Tiere, schwang seinen Zauberstab, um den Drachen ein leuchtendes Grün zu geben. Nun waren sie weithin sichtbar. Zufrieden marschierten sie nach Hause, doch ihre Freude währte nicht lange. Von Fischen und Vögeln wurden sie ausgelacht. Da mussten sie wohl oder übel abermals den Zauberer aufsuchen, um ihn ganz lieb zu bitten: „Ach, lieber Zauberer! Die Krokodile zum Beispiel können schwimmen und die Tukane können fliegen. Doch wir können beides nicht!“
Grintus sah ein, dass diese Fähigkeiten wichtig waren, wenn es ums Überleben ging. Also schwang er abermals seinen Zauberstab und den Drachen wuchsen riesige Flügel. Nach wenigen Flügelschlägen waren die Drachen zu Hause angelangt.
Leider gaben die anderen Tiere immer noch keine Ruhe, einen Grund zum Spotten fanden sie allemal.

Beschämt flogen die Drachen zum Zauberer in den Dschungel: „Ach, lieber Zauberer! Ständig werden wir ausgelacht. Die Tiere behaupten, wir sind zwar groß und haben riesige Flügel. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie vor uns Angst haben. Könntest du uns nicht etwas gefährlicher aussehen lassen?“
Grintus grübelte kurz nach, schwang seinen Zauberstab und augenblicklich besaßen die Drachen feurig-glühend rote Augen, so richtig zum Angst kriegen! Voller Freude kehrten die Echsen zurück in ihre Heimat, indes aufs Neue über die Drachen gelästert wurde.

Entmutigt traten sie den nur allzu bekannten Weg in den Dschungel an und hofften auf Grintus Hilfe: „Ach, lieber Zauberer! Obwohl wir groß sind und gefährlich ausschauen, mächtig und stark sind wir deswegen noch lange nicht!“
Mittlerweile hatte der Zauberer die Nase voll von den ständigen Nörgeleien der Drachen. Nie waren sie zufrieden, ständig wollten sie anders sein. Er kratzte sich an der Schläfe, legte seinen Stirn in Falten und hatte eine Blitzidee: „Ihr fordert und fordert! Dieses Mal müsst auch ihr euren Beitrag dazu leisten.“
Da spitzten die Drachen ihre Ohren und wurden neugierig.
„Latifar, der König des Dschungels, ist krank vor Sorge um seine Tochter. Sie wurde von den durchtriebensten und gefährlichsten Räubern des Landes entführt und in deren Höhle gefangen gehalten. Bisher hat sich noch kein Ritter in die Höhle gewagt. Falls ihr es schafft, die Prinzessin zu befreien, will ich gerne euren letzten Wunsch erfüllen!“, erklärte der Zauberer.
Die Drachen berieten sich. Daraufhin meinte ein Drache: „Aber du bist doch ein Zauberer! Wieso hilfst du der Prinzessin nicht?“
„Oh, das täte ich gerne, doch wenn es um königliche Personen geht, habe ich leider keine Macht! Ich kann euch lediglich den Weg zur Höhle zeigen!“, meinte der Zauberer traurig.
Den Drachen war mulmig zumute, doch schließlich willigten sie ein und ließen sich vom Zauberer zur Räuberhöhle führen. Drinnen ertönte ein fürchterliches Gebrüll, von denen die Echsen fast taub wurden, doch jetzt durften sie nicht aufgeben.
Sie bückten sich, denn in voller Größe hätten sie nicht in die Höhle gepasst, und schlichen sich ganz vorsichtig den finsteren Gang entlang. Allmählich sahen sie einen Lichtstrahl. Fünf Räuber saßen um ein kleines Feuer herum, hatten eine Flasche Branntwein in der Hand und benahmen sich keinesfalls so, wie es in der Anwesenheit einer Königstochter angemessen gewesen wäre.
Gleich dahinter bemerkten sie einen Käfig, in dem die Prinzessin hockte und weinte.
Die Räuber johlten und sangen: „Bald werden wir die reichsten Räuber weit und breit sein, der König wird uns sein Schloss und all sein Vermögen schenken. Juche, wird das ein schönes Leben sein!“
„Das also führen die Räuber im Schilde!“, meinte ein Drache. „Zuerst entführen sie die Prinzessin, um jetzt den König um sein gesamtes Hab und Gut zu bringen!“
Die Drachen machten grimmige Gesichter und setzten zum vereinbarten Schrei an. Wie erschraken die Räuber, als sie auf einmal viele grüne, riesige Schreckgestalten mit Flügeln und feurigen Augen vor sich sahen.
Aus Leibeskräften brüllten die Drachen ihre Wut hinaus, und vor lauter Schreien entfachte sich auf einmal ein riesiges Feuer.
Darüber gerieten die Räuber so sehr in Angst, dass sie ihre Beine in die Hände nahmen und um ihr Leben liefen. Die Prinzessin ließen sie im Käfig zurück.
Die Drachen erschraken augenblicklich über sich selbst und staunten über die ungeahnte Macht, Feuer speien zu können. Niemals zuvor hatten sie so laut geschrien, wie konnten sie also wissen, dass sie diese beeindruckende Kraft besaßen?
Schnell eilten sie zum Käfig und beruhigten die Prinzessin: „Hab keine Angst, wir tun dir nichts! Wir sind hier, um dich zu befreien! Setz dich auf einen unserer Rücken! Wir bringen dich nach Hause zu König Lotifar!“
Die Prinzessin kletterte zitternd auf einen Drachen, und im Nu erreichten sie das Königsschloss. Dort wurden sie schon von Zauberer Grintus und von König Lotifar erwartet. Die Prinzessin fiel ihrem Vater überglücklich in die Arme, während der Zauberer zu den Drachen sprach: „Ich glaube, euren letzten Wunsch brauche ich euch nicht mehr erfüllen! Ihr habt soeben selbst Mut, Tapferkeit und Stärke bewiesen!“
Die Drachen schauten sich an, und ein Lächeln erschien auf ihren Gesichtern. Der Zauberer hatte Recht. Sie allein befreiten die Prinzessin. Den Räubern hatten sie eine Riesenangst eingejagt. Zudem besaßen sie nun auch noch die Gabe, Feuer zu speien.
Der König wandte sich an die mutigen Retter und sprach: „So lange ich lebe, will ich voll Güte und Dank an euch denken. Ihr habt Großes vollbracht. Mein Wald soll von nun an auch euer Wald sein. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich euch bei uns willkommen heißen darf!“
Wie freuten sich die Drachen über diese Worte. Von nun standen sie im Dienste des Königs. Sie waren für alles zuständig, wofür Feuer benötigt wurde. Zudem erteilten sie jungen Männern Unterricht, wie man mutig wird und seine eigenen Stärken entdeckt.
Und nicht zu vergessen: sie bekamen die besondere Aufgabe, die Prinzessin vor weiteren Raubüberfällen zu beschützen.

Seitdem wird jeder mutige, tapfere Ritter vom König mit einem wertvollen Orden ausgezeichnet: dem Drachenauge!
Das Drachenauge soll an die Drachen erinnern, die einst winzig klein gewesen und schlussendlich zu den stärksten und mutigsten Tieren geworden sind.

Quelle: Carmen Kofler

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