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Eiskalt

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Es war vor langer, langer Zeit, wie eben alle Märchen beginnen:
Dezember sollte sein. Menschen hasteten durch die Straßen. Die Auslagen der Geschäfte strahlten im weihnachtlichen Glanz.

Aber halt, was war das: Ein laues Lüftchen wehte, die Schneeglöckchen streckten vorsichtig die grünen Spitzen aus der Erde.
Die Menschen jammerten: „Das Wetter spielt total verrückt, kein Schnee weit und breit!“ Viele Kinder maulten:“ Wir möchten endlich Schi fahren, eislaufen und rodeln!“

Der Winter, ein großer, starker Mann mit langem, weißen wallenden Bart und forschen, kalten Blick, er schien machtlos. Dieser Frühling: Jung, rank und schlank mit langen, blonden Kringellocken, sanften Augen und zärtlichem Blick. Wieder einmal schlenderte er unbekümmert über die Wiesen und blies seinen warmen Atem ins Land. Wo immer sein schwebender Fuß tanzte, lugten die Blumen aus der Erde. Bäume und Sträucher dehnten sich wohlig im warmen Windhauch und doch es passte nicht. Winter sollte sein: Ruhe- und Schlafenszeit für Tier und Natur.

Dem Winter wurde dies alles zu bunt, zornig blies er seinen eiskalten Atem übers Land und ließ die Gräser und Blüten vor Kälte zittern. Schutzlos waren sie dem launischen Wechselspiel von kalt und warm ausgeliefert.

Die Menschen schimpften: „Wo bleibt der Schnee, die glitzernden Eiskristalle, die verschneiten Wiesen und Wälder?“

Der Winter sann auf Abhilfe: Wie konnte er bloß diesem blonden, unbeschwerten Bengel das Handwerk legen? Gefiel ihm wohl, hier im Land herumzutanzen und die Ordnung der Natur aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Seine Freunde mussten ihm dabei helfen, den Frühling zu besiegen.

Nun hielten sie Kriegsrat: Luftgeister, Wind, Frost und Schneeflockenkönigin.
„Ich habe es“, rief plötzlich mit glockenheller und sanfter Stimme die Königin der Schneeflocken: „Wir…!“
Der Winter betrachtete versonnen die zierliche, feine Gestalt. Ganz in Weiß war dieses Wesen, aus tausenden von Schneeflocken, gewebt das herrliche Kleid. Auf dem Kopf trug sie die Krone aus vielen, funkelnden Eiskristallen. Das lange, silbern glänzend gelockte Haar fiel weit über die Schultern des Mädchens.
Aufmerksam lauschte er dem Vorschlag der Schneeflockenkönigin. Zustimmend nickte er: „Ja, dies muss die Lösung sein“, murmelte er schließlich.

Der Frühling lief wieder einmal lustig pfeifend und unbeschwert über die Wiesen. Ein milder Wind hüllte ihn ein und streichelte sein Gesicht. Die langen, blonden Haare wehten wie eine Fahne. Da stockte plötzlich sein Schritt: „Wer hat dies gebaut?“

Mitten auf der grasgrünen Wiese stand ein Iglu aus kristallklarem Glas. Vorsichtig schlenderte der junge Mann näher, umrundete das seltsame Etwas. Der Frühling entdeckte die Tür, öffnete sie und schritt zaghaft ins Innere. Es funkelte und glitzerte. Sanftes, schmeichelndes hellblaues Licht erfüllte den eiskalten Raum. Von Fern klang süße Musik. Der Frühling merkte gar nicht, dass noch jemand durch die Tür huschte, bevor sie mit lautem Knall ins Schloss fiel.

In der Mitte des Raumes standen ein Tisch und einige Stühle, zierlich und kunstvoll geformt, alles funkelte wie aus tausenden von Diamanten. Doch die Kälte ließ den Frühling erzittern.
An den Fenstern hingen lange, schwere, weiße Vorhänge aus … Eiskristallen.
Der Frühling lief rasch zur Tür, er wollte so schnell wie möglich dieses Eisgefängnis verlassen. Doch Potz und Blitz, es war keine mehr zu finden. Er war eingesperrt.

Voll tiefer Verzweiflung setzte sich der Frühling auf das weiß – blaue Himmelbett. Doch eigenartig: Keine Kälte war mehr zu spüren. Aber was half ihm das. Verzweifelt schlug er die Hände vor das Gesicht und begann bitterlich zu weinen. „Ich werde hier sterben“, flüsterte der Frühling.

„Nun, das ist wirklich blödsinnig“, wisperte eine Stimme. „Habe ich noch nie gehört, sterbender Frühling. Das schaffen nicht mal die Menschen mit ihrer Zerstörungswut. Warum bist du nur so verzweifelt, komm lass dich trösten!“

Der Frühling hob lauschend den Kopf: Wer sprach mit ihm, er konnte niemand sehen. „Wo steckst du nur?“
„Schau auf deine Füße“, kicherte es und als der junge Mann zu Boden sah, da saß doch wirklich ein braungraues stacheliges Etwas. Ein Igel mit spitzer Nase und braunen Stecknadelaugen.

Der Frühling bückte sich und hob das stachelige Etwas auf das Himmelbett. „Wo kommst du her und wie heißt du?“
„Durch die Tür, so wie du. Ich bin auch sehr neugierig und Namen habe ich keinen!“
„Ich nenne dich Schimmer“, seufzte der Frühling, „ du bist meine letzte Rettung in diesem schrecklichen Gefängnis.“
„Machen wir es kürzer“, lachte der Igel, „nenne mich Schimo. Wir kommen da wieder raus, nur keine Angst.“
„Deinen Mut und Zuversicht möchte ich haben“, jammerte der Frühling.
„Och“, flüsterte der kleine, braungraue Kerl und rollte sich zusammen. „Es ist Winter und da sollten wir alle schlafen, die Blumen, die Tiere, Bäume und Sträucher, und wenn wir aufwachen, dann kommt der Frühling ins Land. Klar.“
„Ne“, antwortete der junge Mann verdutzt, „der Frühling bin doch ich und wie sollte ich da erscheinen, wenn ich hier in diesem furchtbar eiskalten Gefängnis gefangen bin.“
„Na komm schon“, lachte Schimo, „kuschle dich ins weiche Bett und schlafe eine Runde, übermorgen sieht die Welt wieder besser aus.“
Da bemerkte der Frühling: Eigentlich war er wirklich sehr müde. Das Himmelbett war so wohlig und weich und lud gerade zum Ausruhen ein.
„Du hast recht, lass uns schlafen“, gähnte der Frühling und legte sich aufs Bett, da hörte er eine silberhelle Stimme die sang:
ja schlaft nur
fein und still
Fried
euch ja nichts
geschieht
breit über euch
meine Lieb
gib mir nur das Zepter
in die Hand
Winter komme
endlich
ins Land
lass gefrieren den See
und tanzen den Schnee
Frost knirscht
wo ich geh
oh lass uns leben
verweilen und stehen
Eis und Schnee
juchhe!
Schlaftrunken flüsterte der Frühling: „Zeig dich du schönes, sanftes Geschöpf!“
„Oh nein“, rief zärtlich die Stimme: „Ich bin es, die Schneeflockenkönigin. Dein Blick so warm und lieb, nein der ist nicht gut für mich, müsste dann schmelzen geschwind. Nun schließe die Augen, dann siehst du mich.
Es geschieht euch kein Leid, dies verspreche ich euch.“

Kaum hatte der junge Mann die Augen geschlossen, da sah er die liebliche, feine und zarte Mädchengestalt im Eisblumenkleid. Das schöne Gesicht, mit den funkelnden Bernsteinaugen und dem langen, silberweißen Haar. Zerbrechlich wirkte dies Geschöpf mit dem sanften Lächeln.
Getröstet und geborgen schliefen Schimo und der Frühling ein. Die Schneeflockenkönigin hob die Hände, strich über die beiden und zugleich waren sie mit einer warmen, dicken Decke aus Ziegenhaar bedeckt.

Es schneite, zuerst segelten zaghaft ein paar weiße Schneeflocken sanft auf die grüne Wiese. Allmählich wurden es immer mehr, bis ein weiße Decke Wiesen und Wälder bedeckte. Mühsam kämpften sich die Autos durch das Schneegestöber. Räumfahrzeuge waren pausenlos im Einsatz und die Autofahrer schimpften über die kalte, weiße Pracht.
Die Kinder jubelten, holten Schlitten und Schier aus den Kellern und bevölkerten die verschneiten Wiesen. Sprungschanzen und Burgen wurden in Windeseile hergestellt.
Endlich war er da, der heiß ersehnte Winter.
In den Häusern prasselten die Holzscheite im offenen Kamin und spendeten Wärme. Der Teekessel summte sein Lied und die nassen, frierenden Kinder freuten sich über eine heiße Tasse Tee. Draußen war es wieder ruhig und still und die Dämmerung schlich ins Land. Väterchen Frost blies seinen kalten Atem über die Wiesen. Seen und Flüsse ließ er gefrieren und zauberte Eiskristalle an die Fensterscheiben.
Abends saßen die Familien in den warmen Stuben im flackernden Schein der tanzenden Kerzen. Manch Weihnachtslied wurde angestimmt, von der stillen und besinnlichen Zeit. Dem Kind das geboren wurde im Stall. Auch von dem Licht das die Düsternis verdrängte.

Im Laternenschein tanzten die Schneeflockenkönigin mit ihren zarten Gespielinnen und sangen:
„Oh wie herrlich ist es ungestört zu herrschen.“

Tags darauf begann das bunte Treiben am See. Auf der dicken Eisdecke tanzten die Erwachsenen und die Kinder mit den Schlittschuhen und zogen ihre Runden. Es herrschte ausgelassene Freude. Dort sauste gekonnt der Opa mit seinen Enkelkindern über die spiegelglatte Eisfläche. Ein Mädchen im rosa Schioverall stürzte unsanft auf ihren Po. Doch schon rappelte es sich hoch und lachte: War nur Sturz Nummer sieben. „Pass bloß auf“, seufzte die Mutter. Doch Sabine lief schwungvoll einen Achter, ausgelassen winkte sie mit dem Schal.
Ein junger Mann drehte seine Pirouetten elegant und schön. Den Wildenten und Schwänen gefiel der Krach überhaupt nicht, doch als die Kinder begannen, diese mit Semmelwürfeln zu füttern, da beruhigten sie sich. Laut schnatternd stürzte sich das Federvieh auf das heiß begehrte Futter.

Einige junge Leute rutschten auf dem Eis hin und her. Sie bewunderten Algen, Baumstämme, herzförmige Blätter, Steine, kahle Äste die ihre dürren Arme nach oben strecken. Steinerne Gebilde aus Holz und Sand, spiralförmige Eisblasen waren im kristallklaren Eis zu sehen. Da lachte einer der Jungs laut, boshaft rief er:
„Schaut bloß nicht zu genau, da liegt vielleicht einer und hat noch die Schwimmflossen an!“ Empörte Blicke trafen den Spötter, die Mädchen zogen fröstelnd die Schultern hoch. Sie fanden den Witz makaber und geschmacklos. Die Mädels ließen den dreisten Burschen einfach stehen, rasch eilten sie ans Ufer.

Winterfreuden und Leid. Der eiskalte Wind fegte übers Land, verwehte Brücken, Straßen und vereiste die Wege.

Nun war es bereits Ende März und noch immer regierten Eis und Schnee. Auf lautlosen Sohlen schlich der Nebel einher und behängte Sträucher und Bäume mit seinem nassen und feuchten Gewand. Die Sonne ließ sich kaum blicken.
Die Menschen begannen zu murren: „ Nimmt dieser kalte und grauenhafte Winter kein Ende. Wo bleibt bloß der Frühling. Wie vermissen wir ihn!“

Doch der Frühling schlief im Eisiglu, tief und fest. Glücklich warm und geborgen, träumte er von der schönen Schneeflockenkönigin.
Schimo erwachte endlich, dehnte und streckte sich und begann zu niesen. Ein paar vorwitzige Sonnenstrahlen hatten ihn in der Nase gekitzelt. Das Licht im Eisgefängnis war nicht mehr blau, sondern leuchtete golden.
Apropos Eisiglu, der war verschwunden. Das Bett stand in einer riesigen Wasserlache. Schimo raste auf und ab, tadelnd weckte er den Frühling: „He du Schlafmütze, wach endlich auf. Zeit ist es an die Arbeit zu denken. Raus aus den Federn, die Blumen warten auf dich!“
„Brüll nicht so“, schimpfte der Frühling, „bei dem Krach kann ich ja gar nicht schlafen. Ach, ich habe so wunderbar von der schönen Eisprinzessin geträumt!“
„Nichts da“, zeterte der Igel, „ vorbei ist es mit der Träumerei!“
„Na gut“, der junge Mann schwang sich aus dem Bett, dann gähnte er herzhaft.
Eine Stimme wisperte: „Vielen Dank, mein holder Jüngling, wunderbar war es für den Winter und seiner Herrschaft. Lebe wohl!“

Der Frühling setzte den Igel auf den Boden, dann breitete er voll Freude die Arme aus. Er lief über die Wiese, sein langes goldenes Haar glänzte und funkelte in der Sonne. Dann küsst der Frühling voll Andacht die Erde. Ausgelassen tanzte er über die schneebedeckte Wiese. Und siehe da: Eilig begann das Eis zu schmelzen. Warmer Windhauch umschmeichelte ihn, die Blumen strecken eilig die Köpfe aus dem Boden. Wie durch Zauberhand veränderte sich das Land. Wiesen und Wälder fingen zu grünen an. Die Vögel sangen und jubilierten.
„Mein Schöpfer und Herrscher, habe Dank ich lebe“, jubelte der Frühling, voll Freude stürmte er ins weite Land.

Doch plötzlich machte er kehrt, eilte zu dem jungen Igel, bedankte sich überschwänglich, glücklich jauchzte er: „Nun mein Freund, lebe wohl. Ich wünsche mir, dass wir uns bald wieder begegnen. Lass uns beide die Freiheit genießen. Ich werde dich nie vergessen. Merke dir, der Frühling ist dein bester Freund.“
Glücklich trollte sich der Igel, schnüffelnd begann er im Laub nach Schnecken zu suchen.

Die Menschen konnten die Wärme, das Wachsen und Blühen der Natur kaum fassen. Der Winter war vorbei, fort die Kälte, Nebel und graue Tage. Nun regierte der Frühling das Land mit Blütenduft, Frühlingsluft und lauen Nächten.

Quelle: nicht angegeben

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