Es geschah zu einer Zeit, als man in den Wäldern noch so dann und wann vergrabene Trollschätze finden konnte. Während eines erbitterten Kampfes zwischen dem alten Jägersmann und einem verschlagenen Wilderer erlitt der brave Weidmann tödliche Verletzungen. Seither lebte des Försters alte Haushälterin Gunda ganz allein im Jagdhaus. Das Mütterchen sammelte Pilze, Waldfrüchte und allerlei heilende Kräuter. Die weise Frau wusste jedes Blättchen geschickt anzuwenden. Für alle Wehwehchen kannte sie ein helfendes Mittel. Selbst die Tiere des Waldes kamen furchtlos zur Alten, wenn sie in Not waren. Keines der Geschöpfe schickte sie fort, auch den Wolf oder den Bären nicht.
Obwohl sie nicht mehr besonders gut zu Fuß war, ging die Kräuterfrau, auf einen dicken Spazierstock gestützt, die schwere Tragekiepe auf dem Rücken, einmal die Woche zum Markttag ins Dorf. Dort verkaufte sie duftende Kräuter, frische und getrocknete Pilze, sowie saftige, reife Früchte. Diese Köstlichkeiten wurden sehr gern von den Bewohnern gekauft. Nur die Kinder trieben oft gemeinen Schabernack mit der alten Frau, schimpften sie Hexe, streckten die Zunge heraus und Hias warf gar mit Steinen nach ihr. Gunda aber verlor nie ein böses Wort über den boshaften Knaben und dessen wilde Horde.
Nach jedem Markte war der Heimweg nicht weniger beschwerlich. In der Kiepe befanden sich nun Zucker, Mehl, Erbsen, Bohnen und viele andere Dinge zum Leben. Auf dem langen Rückweg legte das Muttchen hier und da eine Verschnaufpause ein, denn die Last drückte das kleine Frauenzimmer schwer. Darauf hatte die Hiasbande nur gewartet. Von Büschen und Bäumen verdeckt schlichen sie dem Weib nach, sprangen plötzlich hervor, um es heftig zu erschrecken.
Einmal trieben es die garstigen Buben ganz besonders schlimm. Während ihr Opfer erschöpft rastete, grölten sie wild tanzend:
,,Kräuterhexe, Kräuterhexe, mit dem Besen flieg davon –
Kräuterhexe, Kräuterhexe, wir warten ja so lange schon!”
Unterdessen machte sich ihr Anführer hinterlistig am Rückenkorb zu schaffen und schnitt Löcher in die Säckchen. Zu allem Überfluss setzte er noch Kröten hinein. Laut johlend suchten die Lümmel das Weite.
Endlich konnte Gunda ihren Weg fortsetzen. Jedoch verlor sie bei jedem Schritt ein wenig von ihren Waren.
Eines Tages nun hielt sich die ganze Meute mal wieder im stillgelegten Steinbruch auf. Auch wenn der Aufenthalt dort verboten war, zählte er zu ihren Lieblingsplätzen. Dieser Ort eignete sich wunderbar, um heimlich Pfeife zu rauchen und neue Übeltaten auszuhecken.
Hias schlug vor, nachts in Betttücher gehüllt die Hexe in ihrem Haus zu ängstigen. Feuer und Flamme verabredete sich die Bande um Mitternacht an der gleichen Stelle.
Schlag Zwölf waren alle anwesend. In ihre mitgebrachten Tücher schnitten sie Sehschlitze. Kerzen in ausgehöhlten Kürbissen warfen bizarre Schatten. Ein wahrlich grauenvoller Anblick. So zogen sie im Gänsemarsch durch den stillen, dunklen Tann. Geheuer war es den Bösewichtern dabei gar nicht. Unheimliche Laute drangen aus dem Dickicht, in den Büschen raschelte es und die Baumwipfel schienen unentwegt zu raunen. Immer wieder blieben die Großmäuler vor Angst zitternd stehen. Aber schließlich erreichten sie das Forsthaus doch. Drinnen herrsche völlige Stille, da das Kräuterweib wohl schon schlief.
Sieben Spukgestalten tobten furchterregend vor dem Haus. Sie klapperten mit alten Tierknochen, rasselten mit Ketten, heulten wie die Wölfe, doch nichts geschah.
Enttäuscht wollten die Gespenster gerade abziehen, als sich die Tür knarrend öffnete. Im herausfallenden, schwachen Lichtschein stand jedoch nicht die Alte. Sondern ein pelziges Untier mit riesigen Hörnern drohte zu den vermummten Gestalten hinüber. Schreiend ergriffen sie die Flucht, rannten wie vom Teufel gehetzt zum Steinbruch. Gunda legte Bärenfell und Hirschgeweih wieder an seinen Platz zurück und schlief den Rest der Nacht ungestört.
Im Morgengrauen pochte es heftig an der Pforte. Die weise Frau fand den verletzten Hias vor der Tür. Er war in der Dunkelheit von einem Felsen gestürzt und sah erbärmlich aus.
Schlimmes Fieber schüttelte den Tunichtgut und mit dem verstauchten Fuß konnte er auch nicht laufen. In diesem Zustand hatten ihn seine Kumpane der Hexe einfach vors Haus gelegt. Die gute Frau versorgte den Kranken trotz der Boshaftigkeit desselben. Brennende Hitze ließ den Buben wirres Zeug reden und das stark geschwollene Gelenk verursachte ihm unerträgliche Schmerzen.
Unermüdlich flößte ihm die gutherzige Alte einen Kräutertrank nach dem anderen ein. Legte pausenlos kühle, heilende Wurzeln auf den Knöchel.
Fünf Tage lang kämpften sie gemeinsam gegen das Fieber. Dann endlich wich es langsam aus dem Körper. Die Schwellung des Fußes nahm ab. Mit jedem Tag konnte der Patient besser laufen, aber er sprach noch immer kein einziges Wort mit seiner Wohltäterin. Als sämtliche Kräuter aufgebraucht waren, ging Gunda, um neue zu holen. Bei ihrer Rückkehr fand sie das leere Heim vor. Der undankbare Kerl hatte sich heimlich davon gemacht. Trotzdem hegte die gute Frau keinen Groll gegen den Knaben, und Dank hatte sie von ihm schon gar nicht erwartet.
Nun konnte das Mütterchen wieder seinen täglichen Gewohnheiten nachgehen. Es kümmerte sich um verletzte Tiere und suchte im Forst nach den Gaben der Natur. Bald machte sich Gunda wieder schwer beladen auf den Weg zum Dorf. An ihrem Stammplatz bot sie freundlich wie immer die frische Ware an. Es dauerte nicht lange, bis die feilgebotenen Sachen verkauft waren.
Die Kiepe auf dem Buckel, den Wanderstab in der Hand trat das Kräuterweib seinen Heimweg an.
Nach Luft schnappend blieb sie auf einem schmalen Pfad stehen. Wenige Schritte entfernt knackte es im Unterholz. Die Sträucher kamen in Bewegung und plötzlich stand der Dorfjunge Hias, ohne seine Gefährten, vor der erschrockenen Frau. Er kam zögernd näher, griff nach der Kiepe und bat leise:
,,Lass mich deine Last tragen.”
Verwundert nickte sie und überließ erleichtert dem Jungen ihre Bürde.
Wortlos gingen die zwei Menschen miteinander bis zum Forsthaus.
Von jenem Tage an trug Hias der Kräuterfrau Gunda die schwere Rückenkiepe zum Wochenmarkt und wieder zurück.
Quelle: Ulla Magonz