Im Königreich hinter den drei Meeren, sieben Bergen und neun Wäldern lebte einmal der junge Bursche Peter. Schon nach dem ersten Hahnenschrei stand er im Wald und fällte dicke Eichen für das königliche Schloss.
„Wozu braucht König Karl nur so viel Holz? Er baut kein Schiff und wir haben den herrlichsten Sommer“, murmelte er vor sich hin und schlug mit der Axt kräftig zu.
„Die braucht er für ein unterirdisches Schloss“, ertönte plötzlich eine piepsige Stimme hinter ihm. Peter drehte sich blitzschnell um, erschrak aber nicht, da er kein Hasenfuß war. Vor ihm stand ein hutzeliges Männlein mit grünem Hütchen, einem Wanderstab in der Hand und schaute ihn aus lustigen, großen, grünen Augen an.
„Wer bist du denn? Hab dich hier noch nie gesehen“, sagte Peter verwundert. Er stellte die Axt beiseite, setzte sich mit dem Rücken gegen eine Eiche ins weiche Moos und machte Pause.
„Ich bin Agratz, Waldtroll und Beschützer der Bäume und Tiere des Waldes“, stellte sich das Männlein vor und nahm neben ihm Platz. Peter wickelte ein Päckchen aus. Das Käsebrot duftete so verführerisch, dass sich die Nase des Trolls wie von selbst dem Brotpäckchen näherte und er unwillkürlich schlucken musste.
„Na, hast wohl auch Hunger?“, schmunzelte Peter, reichte ihm ein großes Stück und nahm selbst erst einmal einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche. Das Männlein ließ sich nicht lange bitten und hast du nicht gesehen, war kein Krümelchen mehr übrig. Genüsslich leckte es sich die Finger ab, klopfte zufrieden auf sein Bäuchlein und bedankte sich artig.
„Jetzt erzähl mir mal etwas von diesem unterirdischen Schloss“, drängte Peter. „Wozu braucht unser König ein Schloss unter der Erde?“
Das Männlein verzog das Gesicht. „Es ist eine schlimme Geschichte. Du musst wissen, im Nachbarreich regiert der schon etwas betagte König Ignatius. Eines Tages besuchte er unseren König und verliebte sich in alle drei Prinzessinnen gleichzeitig.“
Peter begann herzlich zu lachen: „Der alte Gockel ist ja ein rechter Nimmersatt.“
„Du sagst es“, seufzte Agratz sorgenvoll und schaute traurig auf die gefällten Eichen und eine aufgeregte Eichhörnchenmutter. „Schlimm ist, dass ihn keine der drei Prinzessinnen haben wollte. Da hat er Rache geschworen. Jedes Jahr will er sich mit Gewalt eine Königstochter holen.“
„Wie will er das denn bewerkstelligen? Unser König wird sich das doch nicht gefallen lassen, oder?“, fragte Peter bestürzt.
Das Männlein kniff seine grünen Augen zusammen. „Kaum einer weiß, dass Ignatius einen Drachen besitzt. Er hat ihn selbst groß gezogen und er ist hörig wie ein Hund. Er soll die Prinzessinnen eine nach der anderen stehlen. Unser König weiß von dem Drachen. Er heißt übrigens Ledunklu. Komischer Name, findest du nicht auch?“
Peter war zu erstaunt, um auf die letzten Worte des Trolls zu achten. „Nicht dumm, unser König. In einem unterirdischen Schloss kann der Drache nichts ausrichten. Das wird aber auf die Dauer kein schönes Leben für die Prinzessinnen, wo sie doch jede freie Minute in den Gärten herumlaufen und spielen. Ich sehe sie jeden Tag, wenn ich auf dem Weg in den Wald bin.“ Peters Augen wurden ganz warm. Verträumt lehnte er sich gegen die Eiche und dachte an die jüngste und lieblichste Königstochter.
„Ja und wegen diesem Ignatius musst du so viel Holz schlagen, was mich schrecklich ärgert. Die Vögel und Eichhörnchen liegen mir täglich in den Ohren, dass sie oft umziehen müssen, da ihre Nester vernichtet werden. Das kann so nicht weitergehen. Es muss etwas geschehen, was dem König, dem Wald und den Tieren hilft“, klagte Agratz, stützte sich beim Aufstehen umständlich auf seinen Wanderstab und baute sich vor Peter auf. „Du musst ins Nachbarreich gehen und den Drachen Ledunklu vernichten. Schließlich bist du klug und stark, ohne Furcht und jung. Vielleicht bekommst du zum Lohn eine der Prinzessinnen und wirst selbst einmal König. Na, wie würde dir das gefallen, hm?“ Ein verschmitztes Lächeln umspielte den faltigen Mund des Trolls, dabei kramte er wie zufällig in seiner Hosentasche, die wie weiche Baumrinde wirkte. Heraus zog er eine Strippe. Aus seiner Blätterjacke holte er ein Messer. Beides hielt er Peter hin und sagte: „Ich gebe dir drei Dinge mit auf deinen Weg. Sie werden dir sehr nützlich sein. Das sind die Strippe Bindab oder Bindzu, das Messer Schneidab und mein Wanderstab Hauzu oder Lassab. Je nachdem, was du befiehlst, diese Dinge werden es ausführen. Nur eines darfst du ihnen nicht übel nehmen. Sie schwatzen viel, doch so fühlst du dich nie allein.“
Peter nahm alles entgegen. Bevor er noch eine Frage stellen konnte, war der Troll verschwunden, als hätte ihn der Erdboden verschluckt.
„Na, auf was wartest du eigentlich noch? Oder traust du dich nicht mit so einem Schoßhündchen von Drachen zu kämpfen? Ich glaube kaum, dass du mit dem Viech viel Ärger haben wirst, auch wenn es ein Drache ist. Der kann vielleicht nicht mal Feuer spucken. Vielleicht qualmt er bloß noch.“ Die Strippe schlang sich in alle möglichen Knoten bei ihrer Rederei.
„Halt doch mal die Luft an, du Quasselstrippe. Geht ja gleich los“, grinste Peter.
Schmollend kroch die Strippe wie eine Raupe an Peters Körper hoch und hängte sich lässig übers linke Ohr. Das Messer machte es sich am Gürtel seiner Hose bequem. Der Wanderstab drückte sich fest in die rechte Hand des Burschen und zog ihn mit einem kräftigen Ruck nach oben.
„Dann wird mir wohl nichts weiter übrig bleiben. Jetzt gleich gehe ich zum König. Wenn ich den Drachen erledigt habe, brauche ich auch nicht unnötig Holz schlagen“, ermunterte sich Peter selbst und stimmte fröhlich ein Wanderlied an. Die drei Gesellen stimmten ein und er hatte tatsächlich das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein.
Spät am Nachmittag kam Peter in Sichtweite des Schlosses. Schon von weitem sah er schwarze Fahnen wehen. Ein ungutes Gefühl stieg in ihm hoch und beschleunigte seine Schritte. Die bis über beide Ohren in Rüstungen steckende Schlosswache wollte ihn nicht einlassen, doch als er sein Anliegen vortrug, geleiteten sie Peter sogar zum König. Dieser saß zusammengesunken mit schiefer Krone auf seinem Thron und weinte zum Steinerweichen. Neben ihm knieten zwei Prinzessinnen, die Peter auf seinem Weg in den Wald schon gesehen hatte und schluchzten herzzerreißend. „Wo ist die dritte, die Jüngste?“, jagte es ihm durch den Kopf. Die Schlosswache knallte die Hacken zusammen, dass es nur so schepperte und meldete den Holzfäller Peter. Die Prinzessinnen bemerkten vor lauter Herzeleid vorerst gar nichts. Nur der König hob traurig den Kopf, schob sich die Krone gerade und schimpfte: „Peter? Na, du kommst mir gerade recht. Es ist alles deine Schuld. Du hast viel zu wenig Bäume gefällt. Mein unterirdisches Schloss wird so nie fertig werden und der Drache wird bald die zweite Prinzessin holen. Jetzt bist du auch nicht bei der Arbeit. Was willst du eigentlich hier?“
„Ich werde ins Nachbarreich gehen und den Drachen Ledunklu vernichten. Und Eure jüngste Tochter werde ich auch zurückbringen. Das verspreche ich.“
Bei diesen Worten schauten die Prinzessinnen Peter zweifelnd und hoffnungsvoll zugleich an. König Karl schien auch versöhnlicher gestimmt, wischte sich die Tränen aus den Augen, nickte zustimmend und meinte: „Sicher brauchst du viele Dukaten.“
„Braucht er nicht“, ertönte die kindliche Stimme der Strippe, die jetzt als Schleifchen munter an Peters Ohr hin und her baumelte.
„Na, dann gebe ich dir die Schlosswache mit“, bot der König an.
„Braucht er auch nicht“, kam es metallen klingend vom Messer an Peters Gürtel.
„So, so. Ja, dann vielleicht ein Gewehr?“
„Er hat doch mich“, brummte der Wanderstab mit ruhiger, überzeugender Stimme.
„Nun, Herr König, ihr seht mich bestens für den Kampf gerüstet“, entgegnete Peter heiter, war jedoch nicht ganz so überzeugt wie seine Weggesellen.
„Gut, aber einen Lohn erhält schließlich jeder, der seine Sache gut gemacht hat. Also, wenn es dir gelingt den Drachen zu töten und meine geliebte und jüngste Tochter zurückzubringen, sollst du sie zur Frau haben und mein Königreich regieren. Meine beiden anderen Töchter sind bereits versprochen. Doch König Ignatius droht uns mit sofortigem Krieg, wenn ich sie verheirate. Ich bin alt und habe einfach nicht mehr die Kraft, mich mit den Geschäften und Widersachern meines Landes zu befassen. Meine beiden Töchter und die Schlosswache sind Zeugen, dass ich mein Wort nicht brechen werde. Und nun geh und komm bald mit meinem Prinzesschen wieder.“
Peter verneigte sich tief vor dem König und seinen Töchtern, drehte auf dem Absatz um und schritt fest entschlossen aus dem Thronsaal. Die Wache begleitete ihn bis zum Tor, wobei sie wiederum schepperten und klapperten wie alte Blecheimer.
„Wo sollen wir nur langgehen? Bestimmt verirren wir uns. Dann müssen wir den ganzen Weg zurück und in die nächste Richtung und das immer so weiter. Na, das kann ja ewig dauern“, plapperte die Strippe aufgeregt an der Weggabelung der Landesgrenze.
„Bleibt ganz ruhig. Ich kenne den Weg, halt dich nur an mir fest, Peter“, brummelte der Wanderstab gutmütig und zog ihn nach Norden.
„Na, ein Glück aber auch, dass wir dich haben. Stellt euch mal vor, wenn keiner den Weg wüsste und wir immer …“
Die Strippe an Peters Ohr quasselte ohne Unterlass und band sich dabei ruhelos in verschiedene Knoten und Schleifchen. Das Messer machte inzwischen ein Nickerchen und schnarchte leise.
Nach zwei Tagen Fußmarsch kamen sie am Gasthaus „Zum Drachen“ an. Müde und hungrig kehrte Peter ein. Eine seltsam wirkende Wirtin mit großen, roten, fächerartigen Ohren trat an den Tisch. Ihr Gesicht glich dem eines Krokodils. Sie hatte Krallen an den haarigen, schuppigen Händen und einen kurzen, grünen Schwanz, den sie nicht völlig unter ihrem weiten, schwarzen Rock verbergen konnte.
„Womit kann ich dienen, hübscher Bursche“, fragte sie mit rauer, aber freundlicher Stimme.
„Wenn ihr etwas Brot und Wasser für mich übrig hättet, wäre ich sehr dankbar. Geld habe ich leider keines.“
Peter schaute die seltsame Wirtin so mitleiderweckend an, dass sie mit ihren blauen Augen lustig zwinkerte und das Gewünschte nebst einem ordentlichen Stück Speck schon bald auf dem Tisch stand.
Nach dem Essen setzte sich die Wirtin zu Peter an den Tisch und fragte nach dem Woher und Wohin des Weges. Peter erzählte ihr von dem Drachen, den er töten muss, um die Prinzessin aus den Händen des alten und bösen Königs Ignatius zu befreien. Die Augen der Wirtin wurden immer größer und ihr Mund blieb vor lauter Erstaunen offen stehen.
„So, und nun muss ich weiter. Vielen Dank für das Mahl“, sagte Peter höflich, stand auf, griff nach seinem treuen Wanderstab und verabschiedete sich. Die Wirtin bekam einen nachdenklichen, dann sorgenvollen Ausdruck und sagte beim Abschied mit leiser, erstickter Stimme: „Wenn er es ist, tu ihm nicht weh, Peter.“
Nach einem guten Stück Weg konnte die Strippe nicht mehr an sich halten. „Wen hat die komische Wirtin bloß gemeint? Wem sollst du nicht wehtun? Etwa dem ollen Ignatius oder gar dem Drachen? Ist die noch ganz richtig im Kopf? Sollst du vielleicht warten, bis er dich ein bisschen angeknabbert hat und erst dann darfst du ihm eins auf die Mütze hauen?“
„Für das Hauen bin immer noch ich zuständig“, brummelte der Wanderstab belustigt.
„Reg dich ab, Strippe. Wir werden schon noch zeitig genug erfahren, wer unserer Schonung bedarf“, meldete sich das Messer zu Wort. Peter wollte nichts mehr hören und begann ein Lied zu singen, worauf alle drei sofort mit einstimmten.
Am späten Abend des folgenden Tages standen sie vor dem Schloss von Ignatius. Es war alt und verwittert. Kein Garten, nirgends ein Blümchen.
„Nicht einmal ein Vogel schwirrt über dieser Gruft“, flüsterte die Strippe ängstlich.
„Am besten, wir warten, bis es ganz dunkel ist und die Wachen schlafen. Dann schleichen wir uns ins Schloss. Bestimmt hält Ignatius die Prinzessin im Keller versteckt und der Drache bewacht sie. Aber der schläft sicher auch. So können wir ihn vielleicht überrumpeln“, schlug Peter vor. Alle waren einverstanden.
Die Schlossuhr schlug Mitternacht. Der Mond war auf Peters Seite und schien nur sehr dürftig. Unbemerkt schlüpfte der Bursche an den Wachen vorbei und fand nach kurzem Suchen die Treppe zu den unterirdischen Gewölben.
„Hier stinkt es ja entsetzlich“, flüsterte Peter.
„So? Ich rieche nichts“, wisperte die Strippe in sein Ohr.
„Kunststück, bist ja auch nur eine Strippe“, kicherte das Messer.
„Ruhe! Ihr weckt mit euerm Gequatsche noch jemanden auf“, brummte der Wanderstab grimmig.
Wie aus dem Nichts erschien vor ihnen eine große, leicht geöffnete Eisentür.
„Wir haben Glück“, flüsterte Peter und schlich in das Gewölbe dahinter.
„Was ist denn das?“, wisperte die Strippe erschrocken.
Peter konnte kaum etwas erkennen. Er nahm eine Fackel von der Wand und ging ein paar Meter weiter. Plötzlich stutzte er. An der Wand hingen riesige Flügel, ein langer grüner Schwanz und Handschuhe mit langen scharfen Krallen. Auf dem Boden standen ein paar Eimer Wasser und lagen stinkende, abgenagte Ochsenknochen.
„Das ist ja eine schaurige Schweinerei“, wisperte die Strippe und verknotete sich ängstlich.
„Wer schnarcht denn da so schrecklich? Schneidab, bist du das? Du weckst noch das ganze Schloss auf“, schimpfte der Wanderstab leise.
„Bin ich nicht! Ich kann doch jetzt genauso wenig schlafen wie du. Das ist bestimmt Ledunklu. Wie günstig aber auch. Los Peter, überrumpeln wir ihn“, feuerte das Messer den Burschen an. Peter steuerte festen Schrittes mit der Fackel in der Hand auf das immer lauter werdende Schnarchen zu. Da lag er, der Tunichtgut. Aber was war das? Peter leuchtete dem Drachen ins Gesicht.
„Das ist der böse Drache Ledunklu? Komischer Name übrigens. Den hab ich doch schon irgendwo gesehen“, murmelte er erstaunt. „Die gleichen roten Fächerohren, die kralligen schuppigen und behaarten Hände, der kurze grüne Schwanz und zu kleine Flügel hat er obendrein. Eigenartig!“
Im selben Moment schlug der Drache die Augen auf.
„Sogar die gleichen großen blauen Augen“, brachte Peter noch heraus, da brauste der Drache auf und Feuerschwaden stoben aus seiner Nase. Peter konnte gerade noch zur Seite springen.
„Der qualmt ja doch nicht bloß“, schrie die Strippe entsetzt. Doch bevor der Drache eine zweite Ladung Feuerwalzen loslassen konnte, schrie Peter: „Hauzu! Bindzu!“
Der Wanderstab verwandelte sich augenblicklich in einen Prügel und gerbte dem Drachen ordentlich das Leder. Bindzu dehnte sich, wickelte sich blitzschnell mit einem ihr selber noch unbekannten Knoten um die krokodilförmige Schnauze von Ledunklu, so dass er nur noch ein bisschen zischte.
„Ganz schön heiß hier“, schrie die Strippe kläglich.
Peter schnappte sich einen Wassereimer und schüttete ihn dem Drachen ins Gesicht.
„Jetzt qualmt er doch bloß noch“, kicherte die Strippe erleichtert.
Der Drache weinte plötzlich dicke Kullertränen. Peter bekam Mitleid mit ihm und befahl: „Lassab! Bindab!“
Der Wanderstab befand sich sofort wieder in seiner rechten Hand. Die Strippe wand sich wie wild, kam aber nicht los.
„Das ist mir noch nie passiert“, keuchte sie verbissen.
Der Drache begann vor Schmerzen zu wimmern.
„Schneidab!“, befahl Peter und schmunzelte über die wilden Verrenkungen der Strippe. Das Messer lockerte sie vorsichtig. Geschafft zog sie sich zusammen und hängte sich schnell über Peters Ohr. Der Drache dagegen saß pitschnass auf dem Boden und schaute Peter traurig aus seinen großen, blauen Augen an. „Ich weiß, dass du wegen der Prinzessin gekommen bist. Willst sie befreien, stimmt’s? Hab ja gar nichts dagegen. Aber wenn Ignatius dahinter kommt, dass mich jemand ohne mein Kostüm gesehen hat, jagt er mich bestimmt fort. Keiner würde ihm mehr glauben, dass ich so schrecklich bin, wie er immer behauptet. Bin ich auch nicht. Aber was soll ich machen? Er ernährt mich schließlich. Er ist auch der Einzige, den ich noch habe. Meine Mutter kenne ich nicht. Sie war halb Mensch und halb Drache, hab ich Ignatius mal sagen hören, aber wohl nicht böse. Tot ist sie auch, hat er gesagt. Und ich bin froh, dass mich überhaupt jemand mag.“
Ganz nebenbei schoss Peter ein Gedanke durch den Kopf: „Hat die komische Wirtin im Gasthaus „Zum Drachen“ etwa ihn gemeint? Dann ist sie möglicherweise …“
Doch zum langen Überlegen blieb keine Zeit und er schlug Ledunklu vor: „Weißt du was? Du zeigst mir jetzt, wo die Prinzessin ist. Wir holen sie und machen uns schnell aus dem Staub. Und du kommst mit, denn so böse willst du ja gar nicht sein, wie Ignatius dich hinstellt. Einverstanden?“
Die großen Augen des Drachen begannen zu leuchten. „Ich darf mit euch kommen? Von Herzen gern. Verlieren wir also keine Zeit. Ich kenne alle Hintertürchen in diesem Schloss. Mir nach!“
Flink stand er auf, führte Peter in ein daneben gelegenes Verlies und brach das Türschloss auf. Unerwartet brach ein Getöse aus, das sämtliche Wachen und auch Ignatius aus dem Schlaf riss. Peter stürmte ins Verlies, schnappte die noch halb schlafende Prinzessin und rannte dem Drachen nach, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Da waren auch schon Ignatius und viele Wachen auf schnellen Pferden zur Stelle. Ignatius brüllte: „Waschlappen! Verräter! Tod!“
„Ohje! Hätte ich nur mein Kostüm nicht vergessen, dann wären wir jetzt besser dran“, jammerte Ledunklu lauthals.
Auch Peter bekam es böse mit der Angst zu tun und feuerte den Drachen an: „Wir müssen so schnell wie möglich über die Schlossbrücke. Also lamentiere nicht, renne, was du kannst!“
Der Wanderstab half Ledunklu und zog ihn, so gut es ging. Doch dessen krumme Beine konnten nicht so schnell. Nach dem letzten Schritt befahl Peter: „Schneidab!“
Das Messer schoss aus dem Gürtel. Die Reiter hatten gerade die Hälfte der Schlossbrücke erreicht, da wurde aus dem Messer ein riesiges scharfes Schwert. Mit einem Ratsch schnitt es die Brücke wie einen Laib Brot mitten durch. Die Wachen und auch Ignatius stürzten in die Tiefe. Keiner kam dabei zu Tode. Sie wurden alle nur pitschnass und da Ignatius nun keinen Bösewicht mehr hatte, mit dem er andere erpressen konnte, kehrte er in seine Schlossruine zurück.
Peter bedankte sich bei seinen Weggefährten für ihre großartige Hilfe. Der Wanderstab brummte zufrieden. Das Messer war mächtig stolz auf sich. Und die Strippe kringelte sich fröhlich als Schleifchen ums Handgelenk der Prinzessin, die überglücklich nur noch Augen für ihren hübschen Retter hatte.
Nach zwei Tagen endlosen Laufens kamen sie am Wirtshaus „Zum Drachen“ an. Die Wirtin begrüßte Peter und die Prinzessin ganz herzlich. Dann entdeckte sie Ledunklu. Tränen schossen ihr in die Augen. Mit ausgebreiteten Armen tappte sie auf ihn zu und drückte ihn an ihr Herz. „Mein Junge, mein geliebtes Kind. Dass ich das noch erlebe, du bist wieder da. König Ignatius hatte dich als Baby gestohlen und mir blieb keine Möglichkeit dich wiederzubekommen. Wer hilft schon einem Drachen?“
„Peter hat mir geholfen“, brachte Ledunklu die Worte unter Tränen hervor. „Ich hab das alles nicht gewusst und bin glücklich, dass es dich doch noch gibt. Schlimm ist nur, dass ich für diesen Igantius gemeine Sachen gemacht habe.“
„Dafür hast du auch eine ordentliche Tracht Prügel bekommen“, lachte der Wanderstab lauthals.
Nach einem fürstlichen Mahl und einer ordentlichen Mütze voll Schlaf machten sich Peter und die Prinzessin am nächsten Morgen beizeiten auf den Weg ins väterliche Schloss. Schon bald erreichten sie die Landesgrenze und den nahe gelegenen Wald des Schlosses. Am Waldrand erwartete sie bereits Agratz. Peter erzählte, wie es ihnen ergangen war. Natürlich wusste die Strippe immer alles besser, was zu allgemeinem Gelächter führte. Plötzlich rauschte es in der Luft.
„Das ist doch Ledunklu“, rief Peter erstaunt. Da kam der Drache auch schon auf die Erde geschwebt.
„Da staunt ihr, was? Ich bin noch mal zu Ignatius zurück. Dem hab ich kräftig meine Meinung gesagt, mein Kostüm geholt und bin euch gefolgt, um mich noch einmal zu bedanken.
„Ah ja, der berühmte Drache Ledunklu“, grinste Agratz. „Hast du dich schon mal gefragt, warum du gerade Ledunklu heißt?“
Agratz schaute sichtlich vergnügt in die Augen des Drachen. Peter und die Prinzessin verstanden nicht recht. Der Drache schüttelte verneinend den Kopf und schaute mit großen, erwartungsvollen Augen auf den Troll.
„Na, dann lies mal deinen Namen in umgekehrter Buchstabenfolge.“ Agratz schrieb den Namen in den Sand des Wegrandes.
L e d u n k l u
U l k n u d e l
Alle schauten einen Moment lang verwundert auf die Buchstaben, bis jeder begriff. Der Einzige, der nicht lachen konnte, war Ledunklu. Er schaute recht bedeppert drein.
„Mach dir nichts draus“, jappste Agratz vor Vergnügen. „Den Namen hast du von deinem verstorbenen Vater bekommen. Er war schon ein rechter Spaßvogel, übrigens ein Riese, der sich damals unsterblich in deine Mutter verliebte. Ich gab ihr den Rat, den Namen so zu ändern. Die Buchstaben blieben ja, nur der Name klang dann doch eher nach einem Drachen. Und ich bin sehr froh, dass du unter dem Einfluss von Ignatius nicht bösartig geworden bist.“
Ledunklu lächelte und nickte zufrieden.
Peter und die Prinzessin bedankten sich noch einmal bei Agratz und seinen Gesellen. Nachdem sich alle voneinander verabschiedet hatten, nahm Ledunklu Peter nebst Königstochter auf seinen Rücken, breitete seine Kostümflügel aus und brachte sie schnell und wohlbehalten ins Schloss.
Nach einer Woche wurde eine märchenhafte Hochzeit gefeiert. Nicht nur Peter und die jüngste Prinzessin, nein, alle drei Prinzessinnen heirateten am gleichen Tag. Alle Freunde waren herzlichst eingeladen. Nach kurzer Zeit übernahm Peter Zepter und Krone und der alte König Karl erwartete voller Ungeduld seinen ersten Enkel.
Quelle: Doris Liese