Suche

Märchenbasar

Prinz Unvergleichlich

0
(0)
Nachdem die Staatsgeschäfte in Ordnung gebracht waren, setzte sich Unvergleichlich an die Spitze einer großen, vortrefflich disziplinierten Armee und bemächtigte sich einiger wichtiger Festungen, die mit großer Tapferkeit und vielen Truppen verteidigt wurden. Indes war Schön Gloria, die nie an dem Mut des Prinzen gezweifelt hatte, mit dem Erfolg dieses Feldzuges nicht sonderlich zufrieden und sagte ihm bei einem ihrer Besuche, daß es eben nicht sehr zu verwundern sei, wenn ein kriegerischer Prinz mit einer trefflichen Armee in der besten Jahreszeit einige Festungen eroberte. Ein König, welcher sich Unvergleichlich nennen lasse und auf Schön Glorias Achtung Anspruch erhebe, müsse die Festungen mitten in Schnee und Eis angreifen und nicht einmal warten, bis alle seine Truppen beisammen seien. Diese schreckliche Forderung setzte den Prinzen nicht einmal in Erstaunen. Er kannte Schön Glorias Denkungsart und fand nichts zu schwer und zu gewagt, wenn es darauf ankam, ihr zu gefallen. Er marschierte also wenige Tage darauf mitten im Winter mit einer kleinen Mannschaft aus und griff, ungeachtet des tiefen Schnees, eine benachbarte Provinz an, die durch mehrere sehr stark befestigte Plätze verteidigt wurde. Die Mühseligkeiten, die er bei ihrer Belagerung ertragen mußte, und die Gefahren, denen er sich aussetzte, waren unglaublich; indes gelangen ihm alle seine Unternehmungen, und er kehrte siegreich in seine Staaten zurück. Damals erlaubte ihm Schön Gloria zum ersten Male, den Saum ihres Kleides zu küssen.
Diese Gunst schmeichelte dem König so sehr, daß er sogleich Anstalten zu einem neuen Feldzug machte. Seine Armee stand schon gerüstet und marschfertig da, der Plan der Eroberung war entworfen, und die glückliche Ausführung desselben schien ihm vollkommen gewiß zu sein, als Schön Gloria in seinem Kabinett erschien und ihn mit folgenden Worten anredete: »Ich bin mit deinem Mut zufrieden und nehme deinen Willen diesmal für die Tat; denn ich bin überzeugt, daß deine Feinde, die jetzt, wo sie durchaus nicht gerüstet sind, keinen Widerstand leisten könnten. Eroberungen dieser Art haben in meinen Augen ein sehr geringes Verdienst. Ich liebe die leicht errungenen Siege nicht, und wenn du dich mir also gefällig machen willst, so zügele deinen Mut und warte, bis sich deine Feinde von ihrem Erstaunen erholt haben und imstande sein werden, dir eine beträchtliche Armee entgegenzustellen.« Der König hatte alle seine Mäßigung nötig, um einem Plan zu entsagen, von dem er sich so große Vorteile versprochen hatte. Indessen gewann er auch diesen Sieg über sich, und da er die Waffen um Schön Glorias willen ergriffen hatte, legte er sie auch ihr zu Gefallen nieder.
Dieses Opfer freute sie sehr, und sie dankte dem Prinzen auf das verbindlichste dafür. Da er vor Begierde brannte, immer etwas zu tun, was den Beifall seiner Gebieterin hatte, und ihm die Gelegenheit genommen war, sich durch die Waffen auszuzeichnen, ergab er sich von neuem der Sorge für den Staat, verbesserte die Gesetze und schaffte eine Menge Mißbräuche ab, die sich in die Verwaltung der Justiz eingeschlichen hatten. Schön Gloria lobte seinen Eifer und seine Wachsamkeit, aber sie verlangte einen neuen Beweis seiner Anhänglichkeit, der den Prinzen in große Verlegenheit setzte. »Du weißt«, sagte sie zu ihm, »daß ich hoffen darf, meine Bezauberung bald geendigt zu sehen. Du hast es gewagt, deine Wünsche bis zu mir zu erheben, und du weißt auch, daß ich schöne Paläste liebe, aber du besitzest keinen einzigen, in den du mich mit Anstand aufnehmen könntest.«
Unvergleichlich antwortete, daß er ihre Wünsche in kurzer Zeit befriedigen wolle, und ließ sogleich aus allen Gegenden der Welt die geschicktesten Baumeister kommen, die mitten in der Hauptstadt einen Palast erbauten und Gärten anlegten, die auf der Erde ihresgleichen nicht hatten. Aber schon war dieses große Unternehmen beinahe zu Ende gebracht, als Schön Gloria dem Prinzen zu erkennen gab, daß sie den Aufenthalt in großen Städten nicht liebe und daß er, wenn er ihr einen gefälligeren Beweis seiner Zuneigung geben wolle, irgendwo auf dem Lande einen Palast und Gärten anlegen müsse, wie er ehemals in Clairances Reich mit Hilfe seines Zauberstabes angelegt habe. Unvergleichlich war über diese Forderung nicht wenig bestürzt. Er stellte ihr vor, daß jener Palast ein Werk der Zauberei gewesen sei und daß aller Marmor der Erde und alles Gold von Peru nicht hinreichen würden, um ein ähnliches Werk auszuführen. Umsonst. »Du weißt«, erwiderte Schön Gloria, »daß ich an gewöhnlichen Dingen keinen Geschmack finde und daß mich nur das vergnügt, was an das Unmögliche grenzt. Ich habe dir meinen Wunsch gesagt. Deine Sache ist es nun zu überlegen, ob du Mut hast, ihn zu erfüllen, und Lust, mir gefällig zu sein.« Mit diesen Worten entfernte sie sich, ohne auf eine Antwort zu warten.
Nie hat sich ein Mensch auf der Welt in einer größeren Verlegenheit befunden als Unvergleichlich, der keine Möglichkeit sah, Schön Glorias Verlangen zu erfüllen, und ihr doch um keinen Preis mißfallen wollte. Um indes seinen guten Willen zu zeigen, ließ er die Arbeit anfangen, machte selbst einen Riß, der sich soviel als möglich dem Zauberschlosse näherte, und ordnete alles in eigener Person an. Das Werk wurde mit so vielem Eifer betrieben, daß es in der Zeit von zwei Jahren schon um ein beträchtliches vorgerückt war.
Dieser Eifer gefiel der Prinzessin außerordentlich, und Unvergleichlich, der alles um ihres Beifalls willen tat, verdoppelte seine Anstrengungen und hatte Tag und Nacht keine Ruhe, bis der Palast und die dazugehörigen Gärten vollendet waren. Nie hatte man eine größere Verschwendung von Gold gesehen, sogar die Dächer waren damit gedeckt, und obgleich seine Absicht nur dahin ging, den Zauberpalast nachzubilden, war es ihm doch, wider alle seine Erwartung, gelungen, ihn in vielen Stücken zu übertreffen.
Mit Ungeduld erwartete der König Schön Glorias Ankunft, um ihr sein Werk zu zeigen und ihre Meinung darüber zu vernehmen; doch wie groß waren sein Unmut und seine Besorgnis, als der bestimmte Tag unter Hoffen und Harren verstrichen und niemand gekommen war. Erst den folgenden Tag erschien Schön Gloria und erzählte dem König, daß der Glanz des von der Sonne beschienenen Goldes, womit das Dach seines Palastes gedeckt sei, ihre Schwäne geblendet habe, daß sie, statt in sein Kabinett zu fliegen, sich auf dem Kanal niedergelassen und die Flügel so naß gemacht hätten, daß es ihnen unmöglich gewesen sei, sich von neuem in die Luft zu erheben. Die Fee sei ihr hierauf zu Hilfe geeilt, habe die Schwäne dazu verurteilt, ihr ganzes Leben hindurch auf dem Kanale zu bleiben, und ihr jetzt ein Gespann Adler gegeben, die sie in Zukunft ziehen sollten. Nachdem Schön Gloria ihre Erklärung geendigt hatte, bewies sie dem König ihre Dankbarkeit über den Eifer, den er gezeigt hatte, ihren Wunsch zu erfüllen, und versprach, ihn nie zu vergessen. Er bat sie hierauf, die Einrichtung des Palastes in Augenschein zu nehmen. Sie willigte ein, und als sie alles betrachtet hatte, versicherte sie ihm, daß sie hier mehr Pracht, schönere Musik und eine ausgesuchtere Gesellschaft finde als in dem Palaste der Fee.
Bei einem der folgenden Besuche bat sie der König, einen Spaziergang an dem Kanale zu machen, und wies ihr ein reizendes Gebäude von Porzellan, das an dem äußersten Ende desselben stand. Schön Gloria bemerkte, daß es ganz in dem besten chinesischen Geschmack gebaut sei, und hatte die Gefälligkeit, hinzuzusetzen, daß es ihr noch vollkommener und artiger scheine als die schönsten Paläste ihres Vaters, des Kaisers von China. Gleichwohl verlangte sie, ob sie nun Eifersucht empfand oder ihren Geschmack gewandelt hatte, daß der König es wieder einreißen und an dessen Stelle ein Schloß von Marmor und Jaspis bauen lassen möge. Auch damit wurde wenige Tage darauf der Anfang gemacht.
Dieses prachtvolle Bauwerk mit seinem reichen Mobiliar vermehrte den Ruhm, den sich Unvergleichlich schon durch seine Eroberungen erworben hatte. Aus allen Gegenden der Erde kamen Fremde in sein Reich und bewunderten die Reichtümer, die mannigfaltigen Sehenswürdigkeiten, aber mehr als alles die außerordentlichen Eigenschaften des Monarchen, der gleichwohl einen einzigen Blick seiner Gebieterin allem Beifall der Welt vorzog.
Als eines Tages Schön Gloria zu ihm kam, beklagte er sich gegen sie, daß sie ihm keine Gelegenheit mehr gäbe, seinen Gehorsam und seinen Eifer, ihr zu gefallen, an den Tag zu legen. »Wohl«, antwortete sie, »du hast mir deinen Kanal als etwas Bewundernswürdiges gezeigt, indes finde ich, daß mancher Privatmann dergleichen auch hat. Du weißt, daß ich das Alltägliche nicht liebe, und wenn es dir wirklich ernst ist, meine Achtung zu verdienen und dich meiner würdig zu machen, so wünsche ich, daß du einen Kanal graben läßt, der von einem Meer zum anderen führt und beide verbindet, daß ich, wäre ich nicht bezaubert, ohne große Mühseligkeiten vom Ozean zum Mittelmeer gelangen könnte.« – »Mein Gott«, rief der König aus, »das ist ein Unternehmen für eine Fee, nicht aber für einen Fürsten, wie ich bin.« – »So«, antwortete Schön Gloria ganz empfindlich, »du wagst es, auf meine Achtung Anspruch zu erheben, und meine Vorschläge erschrecken dich?« – »Nichts ist imstande, mich zu schrecken«, erwiderte der König, »sobald es darauf ankommt, Schön Gloria zu dienen, und weil Ihr durchaus einen solchen Kanal haben wollt, werde ich ihn bauen, wenn ich auch darüber zugrunde gehen sollte.«
Die Prinzessin war mit diesem Entschluß sehr wohl zufrieden, ob sie gleich selbst an der Möglichkeit der Ausführung zweifelte. Noch denselben Tag machte der König Anstalten und befahl, keine Kosten zu scheuen, um das Werk zustande zu bringen. Die Schwierigkeiten, die sich demselben entgegensetzten, waren unzählig, und jeder andere als Unvergleichlich wäre dadurch zurückgeschreckt worden; aber er wußte, daß große Schwierigkeiten das einzige Mittel waren, Schön Gloria zu gefallen, und so setzte er das Unternehmen mit Standhaftigkeit fort und brachte es in der Tat durch eine unüberwindliche Geduld zustande. Schön Gloria war selbst ganz erstaunt, da sie sah, daß auch dieser Wunsch erfüllt war, und sogleich bei dem ersten Besuche versicherte sie ihm, daß niemand als er ihrer Achtung würdig sei, daß sie indes wünsche, er möge von neuem auf dem Felde des Kriegsgottes Lorbeer sammeln.
Mit Freuden hörte der König diesen Befehl, der seinen Wünschen so angemessen war, und zog sogleich mit der größten Eile eine zahlreiche Armee zusammen, mit welcher er in das feindliche Land einrückte. Er eröffnete den Feldzug mit einer großartigen Belagerung. Der Widerstand war hartnäckig, aber endlich unterlagen die Feinde dem Eifer des Königs. Da Schön Gloria bemerkte, daß ihm kein Unternehmen mißlang, sagte sie eines Tages zu ihm, auch andere Helden hätten durch Geduld und Ausdauer wichtige Plätze eingenommen. Wenn er sich auszeichnen und ihr ein neues Schauspiel geben wolle, müsse er alle Tage eine Festung nehmen.
Kaum hatte sie ausgeredet, als Unvergleichlich wie ein reißender Strom in das feindliche Land eindrang und täglich eine Festung nahm. Diese ganz unerhörte Erscheinung erschreckte mehrere der benachbarten Könige, die sich indes durch einen breiten Fluß, der Unvergleichlichs Eroberungen von ihren Staaten trennte, hinlänglich gesichert glaubten; und weil Armeen die Flüsse nicht so leicht überqueren wie die Vögel, wäre eine endlos lange Zeit nötig gewesen, um Brücken zu bauen. Aber Unvergleichlich glühte vor Eifer, sich Schön Gloria durch außerordentliche Handlungen würdig zu machen, und war fest entschlossen, auf seiner Bahn vor keiner Schwierigkeit oder Gefahr zurückzuweichen, und so ließ er seine Armee über den Strom schwimmen. Dieses Unternehmen, welches mit der größten Unerschrockenheit ausgeführt wurde, machte einen solchen Eindruck, daß sogleich alle benachbarten Völker Gesandte schickten und sich der Gnade des Siegers unterwarfen. Schön Gloria selbst war erstaunt, ihre Hoffnungen so weit übertroffen zu sehen, und hemmte den Lauf seiner Siege durch die Bemerkung, daß sie ihm, da er jetzt überall nur Furcht und Bestürzung, aber keinen Feind mehr finde, seine weiteren Eroberungen nicht zum Verdienst anrechnen würde. Unvergleichlich, der nur daran dachte, seiner zauberhaften Gebieterin zu gefallen, zog sich in seine Staaten zurück.
Ligourde glühte vor Wut, da sie das ununterbrochene Glück des Prinzen und das Erstaunen und die Bestürzung seiner Feinde sah. Sie ging überall umher und flößte seinen Feinden Mut ein, indem sie ihnen sagte, daß in ihrem Lande ein gelber Vogel sei, den sie auf mancherlei Weise begabt habe. Dieser Vogel sei zwar noch sehr jung und seine Fittiche seien nicht stark genug, um weit zu fliegen, aber er würde ihnen dereinst von großem Nutzen sein, um ihre verlorenen Besitzungen zurückzuerobern. Diese Nachricht machte sie auf den gelben Vogel sehr aufmerksam und belebte ihren Mut, aber ein Wort von Schön Gloria machte Ligourdes boshafte Bemühungen nutzlos. Bei dem ersten Besuch, den sie dem Prinzen bei seiner Rückkehr aus dem Kriege machte, gab sie ihm zu verstehen, daß seine Großmut von ihm fordere, so leichte Eroberungen zu verachten und sich mit den Beweisen der Unterwürfigkeit zu begnügen, die seine Feinde ihm gegeben hätten.
Der kluge Prinz Unvergleichlich verstand diesen Wink und gab die eroberten Gebiete zurück, und diese edelmütige Handlung trug ihm einige schmeichelhafte Komplimente von seiten seiner Gebieterin ein.
Während des Friedens und der Muße sann Unvergleichlich ohne Unterlaß auf das, was Schön Gloria gefallen könnte, und befleißigte sich, die Künste und Wissenschaften zu fördern, indem er in allen Teilen seines Königreiches Manufakturen und Akademien der Malerei und Bildhauerei errichtete. Als ihn Schön Gloria hierauf besuchte, sagte sie zu ihm: »Du hast viel Großes und Außerordentliches getan, und ich weiß dir Dank dafür, aber noch hast du auf das, was mich persönlich angeht, wenig Achtung gehabt. Du hast noch nicht einmal daran gedacht, dich in den Stand zu setzen, am Ende meiner Bezauberung bei meinem Vater, dem Kaiser von China, um meine Hand anzuhalten. Wo hast du deine Häfen, deine Flotten?« Unvergleichlich war entzückt zu hören, daß Schön Gloria auf Mittel dachte, die Seinige zu werden, und ob er gleich schon Häfen und Schiffe hatte, ließ er doch mit unermeßlichen Kosten einen neuen Hafen und mehrere große Schiffe bauen. Schön Gloria war sehr zufrieden damit; indessen äußerte sie, daß er, da die Reise nach China lang und gefährlich sei, wohl daran täte, sich irgendeine Besitzung in Amerika anzueignen, die ihm zum Segelplatz dienen könnte. Wie gesagt, so getan. Unvergleichlich ließ sogleich eine Flotte in See gehen und gab so vorzügliche Befehle, daß er in kurzer Zeit Herr einiger Häfen der Neuen Welt war, wo er Handelskompanien anlegte, die einen ununterbrochenen Handel nach Westen und Osten führten.
Obgleich Schön Gloria schon mehrere große Helden in ihren Diensten gehabt hatte, hatte doch kein einziger ihre Befehle mit einer so ausdauernden Beharrlichkeit, mit so vielem Mut und einem so entschiedenen Glück ausgeführt. »Man muß gestehen«, sagte sie eines Tages zu ihm, »daß du große Reichtümer, vortreffliche Gärten besitzest, aber noch geht dir ein Schatz ab, welcher alle anderen bei weitem übertrifft und den mein Vater höher als eine Krone schätzte: ein treuer Freund. Ich habe meinen Vater oft sagen hören, daß er das Schicksal der Könige beklage, die von einem Schwarm von Schmeichlern umgeben seien, welche allen ihren Wünschen zuvorkämen, aber daß sie selten einen Freund besäßen, der offenherzig und ohne eigennützige Absichten mit ihnen spräche. Er selbst besaß einen höchst uneigennützigen, einsichtsvollen, geistreichen und gutmütigen Freund, der über alles mit der größten Richtigkeit urteilte, niemals schmeichelte und nicht den Kaiser, sondern den Menschen liebte.«
Der Prinz fand in der Bemerkung Schön Glorias so viel Wahrheit, und die Schilderung, die sie ihm von dem Freund ihres Vaters machte, war allen seinen Neigungen so angemessen, daß er sich auf einmal mitten unter seinen Schätzen unglücklich fühlte. Er dankte der Prinzessin auf das verbindlichste, die ihn diesmal in tieferem und ernsthafterem Nachdenken zurückließ als je.
Seit dieser Zeit beobachtete er mit scharfem Blick alle Personen, die sich ihm näherten. Er untersuchte ihren Geist und ihr Herz und forschte nach den Eigenschaften, welche die Prinzessin an dem Freunde ihres Vaters gerühmt hatte. Nach vielen und mannigfaltigen Versuchen gelang es ihm endlich, einen Mann von seltener Tugend, außerordentlichen Verdiensten und großem Geiste zu finden, welchem er sein ganzes Vertrauen schenkte. Jetzt fing eine ganz neue Periode seines Lebens an. Der Umgang mit seinen Höflingen, die in allen Stücken nur auf ihren Vorteil aus waren und, von kleinlichen Leidenschaften getrieben, keine wahre Anhänglichkeit und Freundschaft kannten, ward ihm jetzt mehr und mehr zuwider, und er suchte jeden Augenblick zu gewinnen, um sich offenherzig und ohne Rücksicht mit seinem Freunde unterhalten und von der Last seiner Geschäfte ausruhen zu können.
Indessen konnte Schön Gloria ihn nicht lange ruhen sehen. Sie veranlaßte ihn kurze Zeit darauf zu einem neuen Kriege. Der gelbe Vogel, welchen Ligourde begabt hatte und der seitdem zu einem gewissen Ansehen gelangt war, strengte zwar alle seine Kräfte an und machte einige Versuche, die Fortschritte Unvergleichlichs aufzuhalten; doch alle seine Bemühungen waren vergeblich, und Unvergleichlich führte auch diesen Krieg mit seinem gewohnten Glück, denn sich im Felde zu zeigen und Eroberungen zu machen, war bei ihm das nämliche. Alle Jahreszeiten waren ihm gleich günstig. Er eröffnete eine Belagerung im Winter wie im Sommer und kampierte im Schnee wie auf blühenden Wiesen. Seine Feinde hatten sich auf Anstiften des gelben Vogels vereinigt und rückten in zahlreichen Heeren gegen den König vor, aber er nahm vor ihren Augen einige Festungen ein, und ihre Gegenwart diente zu nichts anderem, als daß sie Zeugen seiner Siege waren.
Als Schön Gloria sah, daß diesem unvergleichlichen Prinzen nichts zu widerstehen vermochte, bewog sie ihn von neuem, die Waffen niederzulegen, und riet ihm, sich mit der Verschönerung seiner Residenz zu beschäftigen. Diesen Befehl führte er mit Vergnügen und dem ihm eigentümlichen Geschmack aus. Da Schön Gloria durch eine oft gemachte Erfahrung überzeugt worden war, daß der Prinz nie in Geschäften ermüdete, sondern, sooft ihm der Friede Ruhe und Muße gewährte, sich ganz und gar den Staatsgeschäften widmete, sagte sie ihm eines Tages, daß sie nicht begreife, wie er die ununterbrochene Beschäftigung mit den verwickeltesten Angelegenheiten aushalten könne. Ihr Vater, der Kaiser von China, wisse seine Zeit besser einzuteilen, denn wenn er einen Teil der Woche seinen Pflichten als Kaiser Genüge geleistet habe, genieße er den übrigen Teil in der Muße des Privatlebens. Er begebe sich dann auf einen seiner Landsitze, der auf das zierlichste eingerichtet und mit den reizendsten Gärten umgeben sei; hier finde man mehrere Merkwürdigkeiten, an denen sich das Auge weiden könne, vorzüglich aber einen Fluß, der sich von der Höhe eines Berges herabstürze und einen so außerordentlichen Wasserfall bilde, daß an schönen Sonnentagen der ganze Palast mit Regenbogenfarben überzogen sei. An diesem schönen Orte lebe er ohne allen Zwang, in der Gesellschaft einer kleinen Anzahl auserlesener Personen, die sich mühten, ihn mit angenehmen Gesprächen zu unterhalten und alle verdrießlichen Geschäfte vergessen zu lassen. Unvergleichlich bewunderte den guten Geschmack des Kaisers und versicherte Schön Gloria, daß er seinem Beispiel folgen wolle.
Der Ruhm von Unvergleichlichs heroischen Taten und seinen großen Tugenden hatte sich über alle Teile der Erde verbreitet. Mehrere Könige aus den entferntesten Gegenden schickten ihm Gesandte und kostbare Geschenke. Die angesehensten Männer aus allen Ländern versammelten sich in seinem Königreich, diesen unvergleichlichen Fürsten zu bewundern und nach seinem Beispiel höflich und tugendhaft zu werden. Schön Gloria, die nichts unversucht gelassen hatte, ihn zu prüfen, versicherte ihm, daß sie nichts als das Ende ihrer Bezauberung erwarte, um ihm ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen; aber Unvergleichlich selbst fürchtete, noch immer nicht genug für sie getan zu haben, und suchte ohn Unterlaß neue Gelegenheiten, ihre Achtung zu verdienen.
Der Prinz wußte nicht, wann die Zeit von Schön Glorias Bezauberung vorüber sein würde; doch um ihr zu beweisen, daß er immer an sie dachte, schickte er einige Schiffe in die entferntesten Gegenden der Erde, in die Nähe von China, um seine Untertanen an entfernte Seereisen zu gewöhnen und beizeiten den Schwierigkeiten zuvorzukommen, die sich ihm in den Weg stellen könnten, wenn er bei dem Kaiser von China um Schön Glorias Hand anhalten wollte. Diese Vorsicht gefiel Schön Gloria außerordentlich. Sie fand jetzt fast nichts mehr, was sie von ihrem Geliebten fordern konnte. Er hatte im Krieg und Frieden alle ihre Wünsche erfüllt: Er hatte seinen Truppen die vollkommenste Disziplin beigebracht, die Rechtspflege in seinem Lande verbessert, den Handel und die Schiffahrt seines Reiches erweitert, die Finanzen in Ordnung gebracht, die Künste und Wissenschaften gefördert und durch sein Beispiel die Sitten und die Denkungsart seiner Untertanen veredelt.
Sein Mut und seine Mäßigung hatten ihn von Feinden befreit, aber sein Glück und der Ruhm seiner Taten hatten ihm eine Menge Neider eingetragen. Er hatte damals einen Traum, der ihn einigermaßen beunruhigte. Er sah einen Hahn, der von einem Adler, einem Pfau, einigen Truthühnern und einer großen Zahl Enten angegriffen wurde, die ihn von allen Seiten umringten und ihm hartnäckig zusetzten. So ungleich nun aber der Kampf war, so verteidigte sich der Hahn dennoch mit dem größten Mute und wehrte sie nicht nur mit heftigen Schnabelhieben ab, sondern riß ihnen auch oft Federn aus. Unvergleichlich wollte im Schlafe dem bedrängten Hahne zu Hilfe kommen und wachte darüber auf. Da niemand freier vom Aberglauben sein konnte als er, achtete er anfänglich nicht auf diesen Traum; da er aber einige Zeit hernach erfuhr, daß mehrere mächtige Fürsten gegen ihn Ränke schmiedeten, erinnerte er sich seines Traumes und fühlte einige Unruhe, weil ihn sein Erwachen gehindert hatte, den Ausgang des Kampfes zu sehen. In der Tat war dieser Traum nur allzu wahr, denn Unvergleichlich hörte jetzt, daß der gelbe Vogel überall umherflog und eine Menge von Kaisern, Königen und Fürsten zu einem fürchterlichen Bündnis antrieb, durch das er endlich seinen Erbfeind zu demütigen hoffte. Das Gerücht von diesem furchtbaren Ungewitter, das sich gegen ihn zusammenzog, erschreckte ihn nicht. Er rechnete auf sein Glück und auf sich selbst und setzte seine Truppen in marschfertigen Stand.
Schön Gloria, die vernommen hatte, daß so viele große Mächte gegen ihn konspirierten, wünschte ihm Glück, statt ihn zu beklagen, und riet ihm, dem Angriff seiner Feinde zuvorzukommen. Der Prinz marschierte also anfänglich an die Grenzen seines Reiches und bemächtigte sich, ungeachtet ihrer großen Überlegenheit, einer Festung, die ihnen erlaubt hätte, in sein Gebiet einzudringen. Diese weise Vorsicht machte alle ihre Maßregeln zunichte, und sie mußten sich zurückziehen, ohne etwas von Bedeutung unternommen zu haben.
Unterdessen waren die Schwingen des gelben Vogels so gut gewachsen, daß er, ohne auszuruhen, über das Meer flog. Die Freude über das Gelingen dieses kühnen Unternehmens oder auch die Mühe, die es ihn kostete, das Land zu erreichen, führte dazu, daß sein Gefieder eine andere Farbe annahm und ein roter Kamm auf seinem Kopfe wuchs, der ihm ein großes Ansehen gab.
Seine dringenden Vorstellungen bewogen die Alliierten, eine große Flotte auszurüsten und ungeheure Armeen in das Feld zu stellen. Schön Gloria sagte dem König bei einem ihrer Besuche folgendes darüber: »Jetzt, o König, ist die Zeit gekommen, wo du zahlreichen Lorbeer ernten kannst. Wenn ich nicht mehr auf deinen Mut als auf deine Macht rechnete, so würde ich alles für dich fürchten. Deine Vorfahren hatten oft bei einem einzigen Feinde alle Kräfte ihres Reiches nötig; denke daran, daß du mehrere Mächte bekämpfen mußt, deine Feinde sind wie eine Hydra mit einer Unzahl von Köpfen. Deine Gefälligkeiten gegen mich haben deinen Schatz erschöpft, indes deine Feinde, welche mit dem ihrigen sparsam umgegangen sind, Gold und Silber im Überfluß haben. Ich fürchte, du wirst ihrer Anzahl unterliegen, und leider ist der Zauber, welcher über mir waltet, von der Art, daß ich dich und all das, was du für mich getan hast, vergessen muß, wenn ein anderer Held dich besiegt. Bedenke also, daß jetzt alles auf dem Spiele steht und daß du mich entweder auf immer verlieren oder dir auf immer zueignen wirst.«
Unvergleichlich, der seine Feinde nicht fürchtete und Mut genug in sich fühlte, sich gegen alle zu verteidigen, sah sich durch die Rede der Prinzessin beleidigt; indes vergab er ihr, weil er in ihren Besorgnissen in der Tat nichts anderes als den reinsten Eifer für seine Person sah. Er eröffnete kurze Zeit darauf den Feldzug und war so glücklich, seine Feinde ungeachtet ihrer großen Überlegenheit und des hartnäckigen Widerstandes, den sie leisteten, zu schlagen und durch eine entscheidende Schlacht zum Rückzuge zu nötigen. Zur See war er nicht minder glücklich: Die feindliche Flotte wurde geschlagen und zerstreut, und jedermann war überzeugt, daß sich der große Bund so vieler Fürsten, die ein ganz verschiedenes Interesse hatten und sich überall geschlagen sahen, auflösen mußte. Schön Gloria war die erste, die ihrem Günstling zu dem günstigen Ausgang eines so gefährlichen Unternehmens Glück wünschte. Indes war der Erfolg nicht so, wie man gehofft hatte. Die Alliierten griffen vielmehr von neuem an verschiedenen Punkten an, um die Macht des Königs durch Teilung zu schwächen; doch seine Wachsamkeit und sein Mut ersetzten alles, und er war überall siegreich. Gleichwohl entschieden alle seine Schlachten nichts, denn die Anzahl der Feinde war so groß, daß sie jeden erlittenen Verlust in kurzer Zeit ersetzen und neue Truppen anrücken lassen konnten.
Schön Gloria bewunderte gleichermaßen die Haltung, die Tapferkeit und die Vorsicht des Prinzen in dieser bedenklichen Lage, wo ihn indes nichts so sehr ermunterte als die Zufriedenheit, die sie ihm bezeigte. Seine einzige Besorgnis war immer, nicht genug für sie getan zu haben, und er war unablässig bemüht, neue Gelegenheiten zu suchen, ihre Achtung zu verdienen.
Erfüllt von diesem Gedanken, suchte er den Feind zu einer entscheidenden Schlacht zu bewegen und griff, nachdem alle Truppen der Alliierten im Felde waren, eine Felsenfestung an, die man für uneinnehmbar hielt und deren Name allein schon alle benachbarten Länder mit Schrecken erfüllte. Die Kühnheit dieses Unternehmens setzte die Alliierten in Erstaunen, und ob sie gleich überzeugt zu sein glaubten, daß das Fort nicht genommen werden könnte, schickten sie doch eine Armee von hunderttausend Mann zu ihrem Entsatz. Die boshafte Ligourde setzte alle Elemente gegen ihren Feind in Bewegung und schickte eine ihrer Dienerinnen, Podagra genannt, und einen Kurier, der sich Unglücksbote nannte, an den Prinzen ab, der alle seine Standhaftigkeit nötig hatte, um in einer so kritischen Lage den Kopf nicht zu verlieren. Unvergleichlich vergaß sein Übel und hörte nur auf die Eingebungen seines Mutes. Er ließ sich in die Laufgräben tragen und belebte durch seine Gegenwart den Eifer der Truppen so sehr, daß der Feind zurückgeschlagen und das Fort erobert wurde.
Schön Gloria erlaubte ihm jetzt, als Beweis ihrer außerordentlichen Zufriedenheit, zum ersten Male, ihre Hand zu küssen, welches er für eine so ausgezeichnete Gunst ansah, daß es ihn gekränkt haben würde, hätte er weniger Feinde und weniger Händel gehabt.
Unterdessen setzten die Alliierten den Krieg noch immer mit der größten Hartnäckigkeit fort, fest überzeugt, daß ihre Eintracht und Ausdauer die Kräfte des Königs, der ihnen allein gegenüberstand, erschöpfen müßten; aber sein Mut blieb immer gleich, und er schlug seine Feinde noch einige Male in den folgenden Feldzügen. Da nun Schön Gloria erkannte, daß ihn auch der gefährlichste Krieg nicht ermüden konnte und daß er alle Mühseligkeiten mit einer Standhaftigkeit ertrug, die sie noch an keinem der ihr dienstbaren Helden bemerkt hatte, beschloß sie, ihn auf eine neue Probe zu stellen. Sie sagte eines Tages zu ihm: »Die wichtigsten Dienste, die du mir geleistet hast, erregen in mir den Wunsch, die Zeit meiner Bezauberung bald geendigt zu sehen, um dir endlich deinen Lohn zuzugestehen. Aber wenn ich an die glänzenden Namen eines Unvergleichlich und einer Schön Gloria denke, glaube ich nicht, daß es in der Welt einen Stoff gibt, aus dem ich mir für meinen Hochzeitstag einen Mantel machen lassen könnte. Ich habe indes ehedem von dem Goldenen Vlies reden hören und wünsche sehr, es zu dieser großen Zeremonie zu besitzen. Sieh zu, ob du dich entschließen kannst, eine Flotte nach Indien zu schicken, um das Goldene Vlies zu entführen und es mir zu Füßen zu legen.«
Der König war über diesen seltsamen Vorschlag nicht wenig erstaunt. Er stellte ihr vor, daß, wenn es darauf ankam, ihr zu gefallen, er keinen Augenblick gezögert habe, alles zu unternehmen, was ihren Wünschen gemäß war. Sie möge sich seiner Eroberungen, seiner Paläste, der Vereinigung beider Meere und so vieler anderer Unternehmungen erinnern, die er um ihretwillen ausgeführt habe; aber Indien sei weit entfernt, das Goldene Vlies schwer zu finden und die Macht seiner Feinde auf dem Meere der seinigen überlegen. Er sehe also gar keine Möglichkeit, ihren Wunsch zu erfüllen. Schön Gloria, die, wenn es auf die Erfüllung eines Wunsches ankam, gerade wie andere Frauenzimmer war und sich durchaus keine Vorstellungen gefallen lassen wollte, fand es sehr übel, daß Unvergleichlich in dem vorgeschlagenen Unternehmen Schwierigkeiten sah. »Es ist unnütz«, erwiderte sie, »daß du mir deine Taten aufzählest. Ich habe sie nicht vergessen, und du hast gar wohl gesehen, daß ich nicht unempfindlich gegen die Dienste gewesen bin, die du mir erwiesen hast; aber gerade die Leichtigkeit, mit der du bis jetzt Mittel gefunden hast, meinen Wünschen Genüge zu leisten, reizt mich, eine neue Forderung an dich zu tun, und ich habe eine allzu gute Meinung von dir, um zu glauben, daß dir etwas unmöglich sei, was ich wünsche.«
Diese Sprache klang Unvergleichlichs Ohren viel zu süß, als daß er noch einen Augenblick hätte unschlüssig sein können. Er beschloß, sogar dieses lächerliche Unternehmen zu beginnen, und schickte einen mutigen und erfahrenen Seekapitän mit einer ansehnlichen Flotte nach Indien.
Die Schiffahrt zu diesem Lande war lang und gefährlich. Das Goldene Vlies wurde in einer Festung aufbewahrt und von Zyklopen bewacht, deren Anzahl die der Soldaten des Kapitäns bei weitem übertraf. Indes ging er zum Angriff vor und bemerkte sehr bald, daß der Ruhm seines Königs auch in diese Gegenden gedrungen war und daß die Furcht vor seinem Namen die Zyklopen einschüchterte. Es kam bald zu Unterhandlungen: Das Goldene Vlies wurde ausgeliefert und dem König überbracht. Dieser legte es Schön Gloria zu Füßen, die über das kostbare Geschenk entzückt war. Die Lobeserhebungen, mit denen sie den König überhäufte, munterten ihn zu neuen Unternehmungen auf. Er versuchte es noch einmal, die Alliierten zu einer Schlacht zu zwingen, und griff in ihrer Gegenwart eine wichtige Festung an, die er nahm, ohne daß sie den mindesten Versuch gemacht hätten, Widerstand zu leisten. Nun entschloß er sich, in das feindliche Land einzudringen und zu Wasser und zu Lande eine berühmte Festung anzugreifen, die die Schutzwehr eines großen Königreiches war und von zahlreichen Truppen verteidigt wurde.
Dieses Unternehmen schien verwegen zu sein; doch der General, welcher die Belagerung kommandierte und von dem nämlichen Eifer wie sein Herr beseelt war, schloß die Festung so eng ein und setzte der Besatzung so nachdrücklich zu, daß nach tausendfältigen Wundern der Tapferkeit von beiden Seiten die Festung gezwungen wurde, zu kapitulieren und sich dem Sieger zu ergeben.
Schön Gloria war außer sich vor Freude und fest davon überzeugt, daß Unvergleichlich nichts widerstehen könne. »Das Maß deiner Taten ist voll«, sagte sie eines Tages zu ihm, »und mein an Prüfungen fruchtbarer Geist gibt mir nichts mehr ein, was imstande wäre, deinen Mut auf die Probe zu stellen. Alles, was du bis jetzt getan hast, überzeugt mich auf das vollkommenste, daß du zu allem fähig bist und daß dir nichts mißlingen kann. Jetzt überrasche deine Feinde durch einen neuen Sieg. Man ist es so sehr gewohnt, dich Festungen erobern zu sehen, daß dir dies nicht weiter zum Verdienst gereicht; aber da du nach außerordentlichen Dingen strebst, gib deinen Feinden diese wichtigen Festungen zurück, die ihnen so viele Unruhe machen und die sie dir nimmermehr abnehmen könnten.« – »Aus Liebe zu Schön Gloria«, antwortete Unvergleichlich, »habe ich sie genommen, und ich gebe sie mit Freuden zurück, wenn ich dadurch so glücklich sein kann, ihr zu gefallen.«
Diese überraschende Mäßigung gereichte dem König in Schön Glorias Augen zum größten Verdienst, zumal unter diesen Umständen und zu einer Zeit, wo er überall Gesetze vorschreiben konnte, sobald er aus seiner günstigen Lage Vorteil ziehen wollte. Auch die vereinigten Mächte wurden durch seine Großmut gerührt, bereuten es, ihn bekriegt zu haben, und suchten um die Wette seine Gunst zu gewinnen.
Damals erst fing Schön Gloria an, das Unglück ihrer Bezauberung zu fühlen. Sie sah sich außerstande, die Verdienste des Königs zu krönen, sie wußte nicht einmal, wann endlich die Stunde ihrer Befreiung schlagen würde. Sie machte vor ihm kein Geheimnis daraus. Sie sagte ihm, daß sie, bei der Ungewißheit, ob ihre Bezauberung noch mehrere Jahrhunderte dauern oder bald endigen würde, auf einen Einfall gekommen sei, der durch nichs als durch die außerordentlichen Taten gerechtfertigt werden könne, deren Zeugin sie gewesen sei. »Du hast«, sagte sie zu ihm, »alle Mächte der Erde durch deine Tapferkeit und deine Tugenden entwaffnet. Was hindert dich jetzt, die Hölle anzugreifen und die Feen zu bekriegen, die durch den Beistand der Geister alles auf der Erde in Verwirrung bringen? Ich gestehe, daß die Waffen, mit denen du deine bisherigen Feinde besiegt hast, hierzu nicht ausreichen, aber ich bin überzeugt, daß du schickliche Waffen finden wirst, wenn du dir die Mühe gibst, sie zu suchen, und daß es nur von dir abhängt, meiner Bezauberung ein Ende zu machen.«
Sosehr nun aber auch dieser große Plan den Gesinnungen des Königs angemessen war, sosehr ihn vorzüglich Schön Glorias Gründe rührten, konnte er doch unmöglich die großen Verbindlichkeiten vergessen, die er Clairance schuldig war, und das Gefühl der Dankbarkeit ließ dem Vergnügen keinen Raum, das ihm der Gedanke an Schön Glorias Befreiung verursacht haben würde.
Die Prinzessin, welche sein edles Herz kannte, bemerkte seine Verlegenheit und erriet sogleich die Quelle, aus der sie entsprang. Jetzt war also nichts notwendiger, als ihn von seinem Irrtum zu befreien und ihm die Geheimnisse aufzudecken, mit denen sie durch einen Aufenthalt von mehreren Jahrhunderten in Clairances Palast bekannt geworden war und die sie bis jetzt aus Furcht vor Mißhandlungen, die sie nun zu verachten anfing, verschwiegen hatte. Sie entdeckte ihm also, daß die gute und die böse Fee eine und die nämliche Person sei, die, um die Menschen zu täuschen, so verschiedene Rollen spiele, und daß alle ihre Bezauberungen und selbst ihre kostbaren Paläste nichts als Täuschung seien, daß sie durch die unterirdischen Geister Kenntnis von zukünftigen Dingen besitze und daß, ob es gleich nicht in ihrer Gewalt stehe, das Schicksal eines Menschen bei seiner Geburt zu bestimmen, sie ihn dennoch begabe, um andere zu betrügen und sie glauben zu machen, die Fügungen des Schicksals seien ihr Werk.
Unvergleichlich war über diese Nachrichten, die ihn nicht unwahrscheinlich dünkten, ziemlich verwundert und versicherte Schön Gloria, daß er, um sie zufriedenzustellen, alle seine Kräfte aufbieten wolle, die Waffen zu finden, deren er zu dieser großen Unternehmung bedürfe.
Die Prinzessin war im Begriff, ihm zu antworten, als sich die Adler plötzlich erhoben und, ohne auf ihren Befehl zu achten, den Wagen durch die Lüfte führten. Es war nämlich die Fee selbst, die in Adlergestalt diesen Wagen zog und über Schön Glorias Kühnheit und die Vorhaben, die sie dem Könige einzugeben wagte, höchst aufgebracht war. Sie untersagte ihr von nun an alle weiteren Besuche und würde ihr die härtesten Züchtigungen auferlegt haben, wenn sie nicht bemerkt hätte, daß Unvergleichlich, da er Schön Gloria vermißte, ernstlich Anstalten zu ihrer Befreiung machte. Ihre Furcht, daß dieser mutige König auch über die unterirdischen Mächte Herr werden könnte, bewog sie, ihren Zorn zu verbergen und ihre Rache aufzuschieben. Sie nahm sogar eine gewisse Freundlichkeit gegen Schön Gloria an und suchte sie zu bereden, daß es ihr eigener Vorteil wäre, den König von seinem Unternehmen abzubringen; denn wenn es ihm gelänge, ihrer Bezauberung ein Ende zu machen, würde sie nichts weiter als ein sterbliches Weib sein, das sehr leicht die Gunst eines Mannes verlieren könnte, der nach einem ewigen und unvergänglichen Ruhme strebte. Die Prinzessin glaubte keinen Grund zu haben, den Vorstellungen der Zauberin zu trauen; und da ihr die Furcht der Fee die Möglichkeit des Unternehmens sehr wahrscheinlich machte, dankte sie ihr nur stolz für ihren guten Rat und erwartete mit Zuversicht, daß Unvergleichlich ihre Ketten brechen würde.

[Klaus Hammer: Französische Feenmärchen des 18. Jahrhunderts]

 

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content